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MIT MARIA RÄUME DES GLAUBENS BETRETEN

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Wer auf Maria schaut, wird in das Herz christlichen Glaubens geführt, darum wird sie verehrt, darum werden Andachten, Bittgänge, Wallfahrten gestaltet, die Praktiken des Glaubens darstellen, aus und in denen theologische Reflexionen ihren Nährboden gefunden haben. In den folgenden Kapiteln dieses Buches werden verschiedene Räume skizziert, die sich in der Geschichte christlichen Glaubens entfaltet haben und die darin zusammengebunden sind, weil sie Räume des Lebens und des Glaubens sind, in denen sich Erfahrungen von Erlösung, Heil und Befreiung verdichtet haben als Antwort auf das heilvolle Wort Gottes, das „konkret“ geworden ist in Jesus von Nazaret, dem Menschen- und Gottessohn. Maria ist – so werden es die „Räume der Bibel“ erschließen – die „Frau aus dem Volk“, wie sie der Evangelist Lukas vorstellt; sie ist die „Mutter“, so der Evangelist Johannes, die den Weg Jesu begleitet, durch alle Höhen und Tiefen bis an den Abgrund des Kreuzes. Maria hat den Klärungsprozess christlichen Glaubens in der Entfaltung des Verständnisses der Offenbarung Gottes in Jesus Christus in den ersten christlichen Jahrhunderten begleitet. Das wird in den „Räumen des Glaubens“ und den „Räumen der Kirche“ entfaltet.

Sie wird hier – auf den ersten ökumenischen Konzilien, vor allem dem von Ephesus (431), auf dem das erste Mariendogma formuliert wird – als die geglaubt, aus der der göttliche Logos geboren wird, die Jungfrau und Mutter, deren Verehrung uns Gott erschließt, wie er in Jesus von Nazaret, dem Christus, Mensch geworden ist zum Heil, zur Befreiung und zum Leben für uns Menschen. Gott ist Mensch geworden, er hat sich „klein“ gemacht, ist einer von uns geworden, und ein Mensch, eine Frau, ist von Bedeutung in diesem Heilsgeheimnis, von Anfang an: Das ist Ausgangspunkt der Verehrung Marias als der Theotokos, der Gottesgebärerin, der „Mutter Gottes“, und als solche bietet sie Zuflucht, ist sie Fürsprecherin bei Gott. Die dogmatischen und kirchlichen Grenzziehungen sind von Bedeutung; Maria wird nicht als eine „Muttergottes“ geglaubt, auch wenn sich in der Verehrung des Volkes oft Grenzen zu den an Marienwallfahrtsorten verehrten weiblichen Gottheiten verwischen. Maria ist die Theotokos und bleibt die Frau aus dem Volk, die Gott erwählt hat und die darum „Mutter“ Gottes ist, weil sie im Dienst der Offenbarung und der Verdichtung des Heilsgeheimnisses steht, des Höhepunktes seiner Offenbarung an das Volk Israel in der Menschwerdung Gottes. Maria steht ganz und gar, mit ihrer ganzen Person, im Fühlen, Wollen und Denken, mit Leib und Seele, in diesem Dienst; sie ist offen für Gott in aller Klarheit und Integrität, in ihrem ganzen Leben; das drückt die „immerwährende Jungfräulichkeit“ – das zweite Mariendogma der alten Kirche (Konzil von Konstantinopel 553) – aus.

Wer auf Maria schaut, wird aber in gleicher Weise mit sich selbst konfrontiert, und das wird gerade in den dogmatischen Entfaltungen des 2. Jahrtausends deutlich, die 1854 und 1950 mit den beiden letzten Mariendogmen ihren Höhepunkt finden: 1854 die dogmatische Entscheidung zur Bewahrung Marias von der Erbsünde, ihrer Herausnahme aus dem erbsündlichen Schuldzusammenhang, und 1950 die Entscheidung zur Aufnahme Marias in den Himmel. Wenn mit dem Blick auf Maria in das Herz christlichen Glaubens geführt wird und die dogmatischen Entscheidungen der frühen Kirche, in denen von Maria die Rede ist, gerade im Dienst des je größeren Gottes und seiner Offenbarung in Jesus Christus stehen, so geht es dabei aber immer auch um den Menschen. Gott ist Mensch geworden, damit wir Kinder Gottes werden, um unseres Heilwerdens, unserer Erlösung und Befreiung willen. Gott hat sich „klein“ gemacht, damit der Mensch „groß“ wird. Maria ist in diesem Sinn „Vorbild“, von Anfang an ist sie von Gott gewollt und von ihm her „heil“, das steht hinter dem Volksglauben und dann der dogmatischen Festlegung der Bewahrung Marias von der Erbschuld. Der Blick auf Maria macht deutlich, dass es keine gottgewollte Notwendigkeit der Verstrickung in die Geschichten von Schuld und Sünde gibt. Es gibt eine „Unversehrtheit“ von Gott her, die am Menschen aufgehen kann; dafür steht Maria, dafür steht das Dogma der Bewahrung Marias von der Erbschuld, im Volksmund genannt die „unbefleckte Empfängnis“.

Die Verstrickungen in das Böse, in Schuld und Sünde, das Dunkle und der Tod haben auch nicht das letzte Wort, das steht hinter der jüngsten dogmatischen Entscheidung: Maria wird „in den Himmel aufgenommen“, das ist ein Hoffnungsbild der Zukunft, das an das Paradiesbild der ersten guten Schöpfung anknüpft. So sind die beiden Dogmen des 2. Jahrtausends Narrationen, Imaginationen und Symbolisierungen der Hoffnung, die aus dem Glauben an Gott, den Schöpfer und Herrn der Geschichte und Richter über alle Zukunft, erwächst. Gott eröffnet dem Menschen Hoffnung, Sinn und Orientierung in seiner Offenbarung in Jesus Christus, er schenkt in Jesus Christus ein Bild vom ganzen, heilen Menschsein, das an Maria abzulesen ist. Dabei ist dies kein „Traumbild“ einer „heilen Welt“, sondern gerade das Bild einer Frau, der ein „Schwert durch das Herz fährt“ (Lk 2,35), die – so das Motiv der apokalyptischen Frau (Offb 12,1–6) – die Gewalt der Welt in ihrem Körper erfährt, deren Kind entrissen wird, die lebt, in der Hingabe, in dem sie Leben bereitet für einen anderen, in dessen Dienst sie steht. Gerade darum haben die Konzilsväter die Kirchenkonstitution Lumen gentium des Zweiten Vatikanischen Konzils mit dem Marienkapitel beendet. Eröffnet wird das Dokument mit der Erinnerung an das Heil, das in Jesus Christus geschenkt ist und auf dessen Verkündigung jegliche kirchliche Praxis bezogen ist.

Frau aus dem Volk

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