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Die Selbstopferung Buddhas

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Kurz nachdem der Siegreich-Vollendete, der damals im Lande Magadha lebte, vollkommener Buddha wurde, dachte er: „Die Menschen werden immer schlechter und es ist unendlich schwer, ja unmöglich, sie durch Mahnungen zu bessern. Mein Hiersein würde, solange es auch währt, von keinem Nutzen sein und so will ich in Nirwana eingehen.“

Die Götter vom Geschlechte Brahmas erfuhren die Gedanken des Siegreich-Vollendeten. Sie senkten sich vom Himmel herab und gingen zu ihm. Nachdem sie sich vor Buddha verbeugt hatten, legten sie die Handflächen zusammen und baten ihn, die Lehre nicht aufzugeben.

Aber der Siegreich-Vollendete erwiderte: „Ihr Götter vom Geschlechte Brahmas. Die Menschen sind vom Schmutze des Lasters zerstört. Sie jagen bloß den Freuden des Lebens nach und es fehlt ihnen jeder Sinn für die Weisheit. Meine Ermahnungen würden, solange ich auch auf Erden weile, fruchtlos sein. Deshalb denke ich, es ist das Beste, ich fliehe für ewig dem Jammer.“

Die Brahmas erwiderten darauf dem Siegreich-Vollendeten: „Du irrst. Die Zeit ist gekommen, die Menschen zu bekehren, ihnen deine unendliche Weisheit zu offenbaren, Unzählige harren der Erlösung. Laß nicht die in Dunkel und Blindheit Irrende ohne Schutz und Hilfe. Hat der Siegreich-Vollendete schon vergessen, wie oft er sich geopfert hat für das Heil der Menschheit?“

Und weiter sprachen die Brahmas:

„Schon vor zahllosen Kalpas lebte der Siegreich-Vollendete auf Dschambudwip als ein mächtiger König, Kanaschipali genannt. Er herrschte über eine Menge Vasallenfürsten, besaß vierundachtzigtausend große Städte, zwanzigtausend Gemahlinnen und Hofstaaten und ebenso viele hohe Beamte dienten ihm. Dieser König war von unendlicher Güte und Barmherzigkeit und allen lebenden Wesen war er ein gütiger Vater.

Einmal überlegte der König: ,Alle Kreaturen lieben und ehren mich freudig. Ich, ihr Oberhaupt, will ihnen deshalb die Glückseligkeit der heiligen Lehre bringen.‘

Er ließ durch einen Beamten darauf folgendes bekanntgeben: ,Demjenigen, der die heilige Lehre kennt und mir ihre tiefsten Geheimnisse offenbart, will ich jeden Wunsch erfüllen, möge es was immer sein.‘

Da kam ein Brahmane namens Lindutscha an die Pforte des Palastes und sprach: ,Ich kenne die heilige Lehre.‘

Als der König von seinen Worten gehört hatte, ging er hinaus um den Brahmanen zu empfangen.

Er begrüßte ihn freudig und ließ ihn auf den ausgebreiteten Teppichen neben sich Platz nehmen. Als sich der Brahmane niederließ, legte der König seine Handflächen zusammen und sprach: ,Großer Lehrer, die Zeit ist gekommen, den im Dunkel der Unwissenheit Irrenden die heilige Lehre vorzutragen und zu erläutern. Sprich!‘

Darauf aber antwortete der Brahmane: ,Dieses Wissen ist nicht so leicht zu erwerben. Es würde nicht genügen, nur meine Worte zu hören, du mußt auch deine Hingabe beweisen.‘

Der König entgegnete: ,Sprich, was soll ich tun, ich will allen deinen Wünschen Folge leisten.‘

Der Brahmane sprach: ;Großer König, du mußt deinen Körper so zerlöchern, daß er tausend Opferkerzen zu tragen vermag, dann will ich dich unterweisen.‘

Diese Worte beglückten den König. Ein Bote mußte sofort einen schnellfüßigen Elefanten besteigen und in ganz Dschambudwip wurde bekanntgegeben: ,Der König Kanaschipali ist bereit, sich zu opfern, damit alle Wesen der höchsten Weisheit teilhaft werden.‘

Die Nachricht gelangte an alle Vasallenfürsten und Untertanen, und sie eilten voll Trauer und Betrübnis zum König.

Sie verbeugten sich vor ihm und sprachen: ,Der Blinde stützt sich auf seinen Führer, das Kind schmiegt sich an die Mutter und an dich, König lehnt sich hilfesuchend alles, was in dieser Welt lebt und atmet. Wenn du nicht da bist, wer soll uns schützen? Deinen Körper willst du vernichten, dein Leben opfern, uns alle preisgeben um eines einzigen Brahmanen willen.‘

Und auch die Gemahlinnen des Königs kamen und seine Söhne und der Thronerbe, das Staatsgefolge kam und die zehntausend Beamten. Sie alle legten die Handflächen zusammen und baten inständig den König, sein Vorhaben aufzugeben.

Doch der König blieb standhaft und sprach: ,Wenn ich Buddha geworden hin, werde ich euch alle befreien.‘

Und sie wurden traurig, als sie den Beschluß des Königs hörten, und bargen schluchzend ihre Gesichter in den Händen.

Der König aber sprach zu dem Brahmanen: ,Ich bin bereit.‘

Und der Brahmane durchlöcherte den Körper des Königs.

Als er die Dochte mit Fett überzog, warfen sich alle Anwesenden zu Boden und es war, als stürzte ein Berg zusammen.

Dann wandte sich der König zu dem Brahmanen: ,Großer Lehrer, sei gnädig, unterrichte mich in der heiligen Lehre, denn sollte ich bald sterben, könnte ich die Weisheit nicht mehr erfassen.‘

Da sprach der Brahmane: ,Alles ist vergänglich. Auch das Hohe stürzt. Nichts ist von ewigem Bestand. Trennung folgt bald der Vereinigung, dem Werden das Vergehen.‘

Die Worte des Brahmanen erfüllten den König mit tiefer Freude und ohne die geringste Reue sprach er folgendes Wunschgebet: ,Oh, möge ich, wenn ich Buddha geworden bin, alle in Unwissenheit Lebenden erleuchten.‘

Kaum hatte er so gesprochen, bebte die Erde heftig.

Die Erschütterung war bis in die höchsten Himmel der Götter hörbar. Sie senkten sich auf die Erde herab und erblickten den grausam zerfleischten Körper des Bodhisatta. Von allen Seiten nahten die Götter und erfüllten den ganzen Himmelsraum. Ihre Tränen verwandelten sich in Blumen und fielen wie Regen herab. So brachten sie ihr Opfer dar.

Auch der Götterfürst Dschadschin senkte sich auf die Erde nieder und rühmte und lobte den König.

,Kanaschipali, fühlst du denn keine Reue“, fragte er ihn, „daß du solche Qualen erleiden mußt?“

Der König antwortete: ,Nein, ich bereue nichts.‘

Aber Dschadschin zweifelte: ,Großer König, wie kann ich dir glauben, dein ganzer Körper zittert vor Schmerz.“,

,Wenn ich die Wahrheit gesprochen habe, und von Anfang bis zu Ende nicht die geringste Reue empfand, so mögen die Wunden meines Körpers wieder zuheilen.‘

Kaum hatte der König diese Worte gesprochen, schlossen sich die Wunden und sein Körper wurde heil und gesund.

Jener König warst du selbst, Buddha,“ sprachen die Brahmas. „Schon vor so langer Zeit hast du die unerträglichsten Qualen um der lebenden Wesen willen ertragen. Wie kannst du sie nun alle verlassen, um dem Jammer zu entfliehen?“

Und wieder huben die Götter vom Geschlechte Brahmas an: „Hast du vergessen, daß du auch jener König Dschiling Dschirali warst, der um die höchste Weisheit zu erfahren, tausend eiserne Nägel in seinen Körper schlagen ließ.

Du warst auch jener Prinz Damgama, der in die Feuergrube sprang, um die höchste Vollkommenheit zu erwerben.

Du warst der Rischi Updala, der bereit war, seine Haut als Pergament, seine Knochen als Schreibfeder, sein Blut als Tinte herzugeben, um die heilige Lehre aufzuzeichnen.

Und erschienst du nicht auch als der unermeßlich reiche König Schiidschi, der in der Stadt Dewarwata residierte!

Damals fühlte der Götterfürst Dschadschin seine Körperkräfte abnehmen und sein Lebensende nahen. Er wurde traurig und bekümmert. Wischwakarna bemerkte seinen Kummer und wollte die Ursache kennen. Da sagte Dschadschin: ,Mein Leben vergeht, Zeichen meines nahenden Todes sind mir erschienen. Die Lehre Buddhas ist von der Welt verschwunden, kein Bodhisatta lebt auf Erden, den ich um Schutz bitten könnte.‘

Da erwiderte Wischwakarna: ,In Dewarwata lebt ein König namens Schiidschi, der alle Gesetze Buddhas streng befolgt, ein Bodhisatta ist und zweifellos später Buddha werden wird. Begib dich in seinen Schutz. Er wird dich sicher vom Untergang erretten.‘

Dschadschin aber wollte erst den Beweis erhalten, daß Schiidschi wirklich ein Bodhisatta sei. Er beschloß, ihn zu prüfen, und befahl Wischwakarna, sich in eine Taube zu verwandeln, die er in Gestalt eines Sperbers verfolgen wollte.

In so veränderter Gestalt flogen sie auf die Erde. Als sie in des Königs Nähe gelangten, schien es, als ob der Sperber die Taube fangen würde. Diese aber flog in die Armhöhle des Königs und bat um Schutz.

Gleich folgte der Sperber und sprach zu dem König: ,Die Taube, die sich bei dir verbirgt, ist meine Nahrung. Gib sie mir schnell, denn ich verhungere.‘

Der König erwiderte: ,Ich habe ein Gelübde getan, niemand, der sich in meinen Schutz begibt, preiszugeben. Ich kann dir die Taube nicht ausliefern.‘

Hierauf sprach der Sperber: ,Du sagst, jedem verleihst du Schutz? Warum gehöre ich nicht auch zu jenen? Wenn du mir die Nahrung vorenthältst, sterbe ich Hungers.‘

Da fragte ihn der König: ,Wenn ich dir anderes Fleisch gebe, wirst du es essen?‘

Der Sperber antwortete: ,Wenn es frisch geschlachtetes Fleisch ist, so will ich mich zufrieden geben.‘

Der König überlegte: ,Wenn ich ihm frisch geschlachtetes Fleisch gebe, so muß ich, um den einen zu erhalten, den anderen töten. Es wäre also nichts gewonnen.‘ Dann dachte er weiter: ,Alle lebenden Wesen sollen geschont werden. Doch mit meinem eigenen Körper will ich eine Ausnahme machen.‘

Dies gedacht, ergriff er ein scharfes Messer, schnitt aus seinem Schenkel ein Stück Fleisch und gab es dem Sperber, um das Leben der Taube loszukaufen.

Der Sperber sprach: ,Wenn du wirklich gerecht sein willst, mußt du mir ebensoviel Fleisch geben wie die Taube wiegt.‘

Da befahl der König, eine Waage herbeizuschaffen. In die eine Schale legte er die Taube, in die andere das Stück Fleisch, das er aus seinem Schenkel geschnitten hatte. Aber es war wie gewichtlos. Er schnitt nun Stücke von beiden Schenkeln und häufte sie auf. Aber die Waage blieb unverändert. Da nahm er Fleisch von seinen Oberarmen, von seinen Rippen, aber immer blieb die Taube schwerer.

Die Kräfte verließen ihn und er fiel zur Erde.

Als er nach einer Weile zur Besinnung kam, dachte er: ,Deine Verdienste sind noch zu gering. Ermanne dich. Jetzt ist es Zeit, dich ganz hinzugeben.‘

Er nahm seine ganze Kraft zusammen und gelangte mit seinem blutenden Körper in die Waagschale.

,Nun ist es gut‘, sprach er und empfand tiefe Freude. Keine Reue stieg in ihm auf, daß er sich ganz geopfert hatte.

Der König Schiidschi warst du, Buddha. Der Siegreich-Vollendete hat nie seinen Körper geachtet und war immer bereit, sich zu opfern. Will er nun kurz vor dem Sieg die Lehre verlassen und alle lebenden Wesen preisgeben?“ So sprachen die Brahmas.

Nachdem auch der Götterkönig Brahma die Handflächen vor dem Siegreich-Vollendeten zusammenlegte und ihn lobpreisend erinnerte, daß er sich wohl tausendmal um der Lehre, um der Kreaturen und um der Weisheit willen geopfert habe, gab Buddha seinen Beschluß auf.

Er wanderte in das Land Waranasse und verkündete hier mit ganzer Hingebung und Kraft die Lehre.

Da freuten sich die Götter und die Menschen und auch die Kreaturen der Unterwelt.

Tibetische Märchen

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