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ÜBERLEBENSKÜNSTLER AUS DER URZEIT


Sumpfschachtelhalme durchwachsen im Frühjahr das Eis.


Spielzeugnachbildungen von Panzerfischen, Naturhistorisches Museum Basel.

EINE ZEITREISE MIT UNVORSTELLBAREN DIMENSIONEN

Die Schachtelhalme führen auf dem Weg zu ihren Ursprüngen unwillkürlich auf eine Zeitreise, die spannender nicht sein könnte: Man gleitet hinein in Erdzeitalter mit sciencefictionartigem Charakter, Monsterelementen und klimatischen Zuständen, deren Dimensionen die Vorstellungskraft zu sprengen scheinen. Man zieht vorbei an Kontinenten, Tier- und Pflanzenwelten, die längst im Sog der Zeit verschwunden sind. Tief hinein geht es durch Eiszeiten und Heißzeiten, zu Urpflanzen und Urwesen aus weit zurückliegenden Epochen der Erdgeschichte. Zu riesigen Dinosauriern, denen die saftig-grünen Schachtelhalme während der gesamten Saurierära als Futterpflanze zur Verfügung standen.1 Doch noch einmal 160 Millionen Jahre weiter zurück als die Dinosaurierzeit, an einigen Erdkatastrophen und Szenen des Massensterbens vorbei hin zum Urmeer führt die Reise, bis man schließlich bei den Zeitgenossen der ersten Schachtelhalme landen. Das war ungefähr vor sagenhaften 419 Millionen Jahren, als die Erde fast ausschließlich von Wasserlebewesen bewohnt war.

Und schwups, taucht man ein in das warme Urmeer. Im türkisfarbenen Licht der Unterwasserwelt schwimmen Scharen seltsamer Fische, wogen riesenhafte bunte Blumentiere, Schwämme, Algen, Wasserpflanzen, Plankton und Kopffüßer gemeinsam im Takt der Wellen. Dieses pralle, vielgestaltige, bunte Leben findet sich auch am Meeresboden, wo unter anderem rätselhafte Gliederfüßer und Seeschnecken krabbeln und kriechen.

Forscher bezeichnen das Geburtszeitalter der Schachtelhalme als Zeitalter der Fische, so artenreich und zahlreich müssen diese Meeresbewohner damals gewesen sein. Markante Vertreter waren die bis zu zehn Meter langen Panzerfische (Placodermi), sie besaßen einen Kiefer und gehörten zu den Wirbeltieren. Ihr durch Knochenplatten geschützter Kopf und Rumpf wirkte wie eine Ritterrüstung. Sie schwammen in einer Vielfalt von mindestens hundert unterschiedlichen Arten im Urmeer. Manche davon müssen gefürchtete Jäger gewesen sein.

Auch bis zu zweieinhalb Meter lange Stachelhaie (Acanthodii), die den heutigen Haien ähnlich sahen und am Vorderrand ihrer Flossen einen stützenden und wohl auch wehrhaften spitzen Stachel besaßen, bevölkerten in großen Mengen und vielen Arten das Urmeer. Quastenflosser (Coelacanthiformes) dagegen besaßen mit Knochen und Muskeln versehene kräftige Brust- und Bauchflossen, die in ihrem Bau den Gliedmaßen von Landtieren sehr ähnlich waren. Ganz besonders ausgestattet waren die mit den Quastenflossern verwandten Lungenfische (Dipnoi), konnten sie doch sowohl im Wasser wie auch außerhalb davon atmen: Sie hatten Lungen und Kiemen. Ihre Erbsubstanz stand nach genetischen Forschungen den stammesgeschichtlichen Wurzeln aller Wirbeltiere nahe. Deshalb geht man heute davon aus, dass Lungenfische die Vorfahren der ersten landbewohnenden Wirbeltiere, der Säugetiere bis hin zum Menschen sein könnten.

Die Mannigfaltigkeit des damaligen Urmeers wurde geschmückt von einer Armada von bunt schillernden Kopffüßern, zu denen Ammoniten, Perlboote und Geradhörner gehörten. Dazwischen wuchsen vielgestaltige Wasserpflanzen, bunte Blumentiere wie Korallen, farbenfrohe Seeanemonen, zarte Seelilien und Schwämme. Plankton mit Algen und Kleinstlebewesen standen an der Basis der Nahrungspyramide. Der Boden war außerdem belebt durch bis zu zwei Meter lange Seeskorpione und dreilappige Trilobiten – das sind panzerbewehrte Gliederfüßer, deren Aussehen an Kellerasseln erinnert.

Mit zunächst ungefähr zweihundert Arten begannen in diesem Zeitalter die Ammoniten, sich weltweit massenhaft auszubreiten. Ammon war die griechisch-römische Bezeichnung für den ägyptischen Sonnengott Amun-Re, der mit Widderhörnern dargestellt wurde, die den spiralig gewundenen und ähnlich gerillten Ammoniten sehr ähneln. Sie entwickelten eine unglaubliche Vielfalt an wunderschönen Formen und zierlichen Oberflächenmustern aus Wülsten, gespaltenen und ungespaltenen Rippen, Rillen, dornigen oder knotigen Anhängseln und erreichten später Dimensionen von gigantischen 30 000 bis 40 000 Arten.

Manche waren nur einen Zentimeter groß, viele wurden größer, bis dreißig Zentimeter und mehr. Vermutlich gab es kleinere Ammonitenmännlein und größere Ammonitenweiblein. Wie heutige Muscheln und Schnecken besaßen sie ein schützendes Gehäuse mit schöner perlmuttschimmernder Oberfläche. In dieses Gehäuse zogen sie bei Gefahr die weichen Fangarme und den Kopf zurück. Ihr papageienähnlicher Schnabel konnte mit seiner Raspelzunge die Nahrung aus Plankton, Schneckenlarven und kleinen Krebstieren fein zerkleinern.


Hai-Fossil, Urweltmuseum, Holzmaden.


Versteinerte Ammoniten, links mit geschliffener Oberfläche, rechts mit erhalten gebliebener Perlmutteroberfläche.


Versteinerte, ca. 500 Millionen alte Trilobiten aus der Sammlung des Naturhistorischen Museums Bern.


Rekonstruktion eines Ammoniten, Urweltmuseum, Holzmaden.

Neben den Ammoniten gab es die mit ihnen verwandten Nautiloideen, mit geraden, hornförmig gebogenen bis zu spiraligen bunten und ebenfalls perlmuttschimmernden Gehäusen. Manche der mit insgesamt 900 Gattungen bezifferten Nautiloideen hatten die 70 Millionen Jahre zuvor auftretende Kaltzeit nicht überlebt, andere starben während des hier beschriebenen Erdzeitalters des Devon zunehmend aus, wieder andere vermehrten sich in späteren Zeitaltern massenhaft, wie die im Jura 200 Millionen Jahre später auftretenden Belemniten, deren versteinerte Gehäuse im Volksmund »Donnerkeile« genannt werden. All diese Lebewesen waren Zeitgenossen der ersten Schachtelhalme.

Es war eine Zeit, in der sich die Erde schneller drehte als heute, ein Tag dauerte nur zweiundzwanzig Stunden. Die Sonne schien nicht ganz so hell, und auch die Luft war anders: Sie enthielt einiges mehr an Kohlendioxid und nur etwa sechzehn Prozent Sauerstoff.2 Dieser Sauerstoffgehalt entspräche heutzutage dem einer dünnen Höhenluft auf 2600 Metern über dem Meeresspiegel. Dem Menschen hätte dies zu schaffen gemacht, doch es dauerte noch ungefähr 393 Millionen Jahre oder fast sieben Erdzeitalter, bis die ersten menschenartigen Wesen, die Hominiden, erschienen.

Im beginnenden Zeitalter des Devon, der Zeit der ersten Schachtelhalme, war es deutlich wärmer als heute, um durchschnittlich drei bis sechs Grad. 73 Millionen Jahre zuvor hatte ein nicht ganz geklärtes plötzliches Ereignis zu einem Massenaussterben von 85 Prozent der Lebewesen durch eine Eiszeit geführt. In den darauffolgenden Zeitaltern des Silur und nun auch im Devon waren die Temperaturen wieder gestiegen und die Eisschilder der Erde größtenteils geschmolzen. In den Lüften, den Wolken und den Gewässern zirkulierte eine viel größere Wassermenge, sodass die Meeresspiegel ungefähr 150 Meter höher standen als heute. Die Polkappen waren nur mit wenig Eis bedeckt.


Rekonstruktion eines Belemniten, Urweltmuseum, Holzmaden.

Die mehrheitlich gebirgsfreien Urkontinente von Laurussia, auch Euroamerika genannt, Siberia, China und Gondwanaland boten an ihren Ufern ausgedehnte Flachwassergebiete. Gondwanaland, der größte Urkontinent, lag am Südpol und besaß ein kleines polares Eiskäppchen. Der Name »Gondwana« stammt aus dem indogermanischen Sanskrit und bedeutet »Land der Gond«, eine Gruppe indischer Ureinwohner. Aus Gondwana entwickelte sich aber erst ungefähr 270 Millionen Jahre später Indien, Madagaskar, Afrika, Arabien, Südamerika, Neuguinea, Antarktika und Australien.

An Land gab es noch keine Tiere und nur ein paar wenige sehr einfach strukturierte Gefäßpflanzen – das sind Pflanzen, die wasser- und nährstofftransportierende Gefäße im Inneren besitzen, sie werden auch Urfarne genannt –, dazu vermutlich Moose. Doch das sollte sich nun ändern. Denn das Urprinzip des Lebens ließ wieder einmal etwas bislang nie Dagewesenes entstehen, um das vom Urmeer freigegebene jungfräuliche Land zu begrünen. Die Voraussetzungen waren dafür geradezu perfekt.

Obwohl noch so gut wie keine Landpflanzen existierten, hatten die im Urmeer üppig vorhandenen Algen und Wasserpflanzen über Millionen von Jahren langsam eine Zunahme des Luftsauerstoffs und die Ausbildung einer schützenden Ozonschicht bewirkt. Somit hatte sich die zuvor sehr starke und für Landbewohner schädliche UV-Einstrahlung auf der Erdoberfläche langsam so weit abgeschwächt, dass ein Leben an Land nun möglich wurde. Hinzu kam viel Platz, es gab riesige unbesiedelte Landstriche mit Flachwassergebieten. Zudem existierten keine Fressfeinde, denn bisher war tierisches Leben nur im Meer entwickelt. Warme Temperaturen und ausgiebige regelmäßige Regenfälle trugen ebenfalls zu besten Klimabedingungen bei.

Doch was noch viel wichtiger war: Die Pflanzenwelt benötigt große Mengen Kohlendioxid, um zusammen mit Licht und Wasser Substanz zu erzeugen, während nebenbei Sauerstoff entsteht. Das Kohlendioxid war in der damaligen Atmosphäre in riesigen Mengen vorhanden. Der CO2-Gehalt der Luft war fünfzehn Mal höher als heute und deutlich höher als im Urmeer. Auf Pflanzen wirkt dies als starker Wachstumsbeschleuniger, wie Forschungsergebnisse belegen.3 Auch in der heutigen Pflanzenzucht wird CO2-Begasung als Dünger angewendet. Für Pflanzen wäre der heute viel diskutierte CO2-Anstieg kein Grund zur Besorgnis, ganz im Gegenteil.

Sicher trugen diese äußerst vorteilhaften Klimabedingungen dazu bei, dass sich aus an Land gespülten Algen größere und komplexere Landpflanzen entwickeln konnten, die sich zunehmend rasch und bald in großen Massen vermehrten und eine neue Ära der Erdgeschichte begründeten: Die Schachtelhalme und Farne waren geboren.

Man vermutet heute, dass ihre Vorfahren und überhaupt die Ahnen aller Landpflanzen aus der Gruppe der Armleuchteralgen (Charales) abstammen, einer Grünalgenart.

Die Schachtelhalme jedenfalls begannen durch die Entwicklung wasserführender Gefäße, erstmals ein Leben außerhalb des Wassers möglich zu machen. Durch diese Neuentwicklung waren sie nicht mehr auf das Schwimmen im Wasser angewiesen, sondern konnten das lebensnotwendige Nass entlang der Pflanzenstängel auch vom Gewässer weg transportieren. Zusätzlich benutzten sie ähnlich manchen Algen ein ungewöhnliches Bauprinzip: Sie bauten kleinste Kieselkristalle in ihre Zellwände ein und erlangten so eine Festigkeit, die ihnen ein aufrechtes Wachstum an Land ermöglichte. Bis heute enthält außer Bambus keine andere Landpflanzenart so viel Kieselsäure wie sie. Auch in diesem Sinne (nicht nur aufgrund ihres Alters) kann man die Schachtelhalme als lebende Fossilien bezeichnen, sie haben sich wortwörtlich »versteinert«.


»Armleuchteralge, Chara horrida L. J. Wahlstedt), Biologische Station Hiddensee, Universität Greifswald.

Zunächst waren sie noch klein, später nur einen Meter hoch. Und wie auch die bereits etwas früher aufgetauchten Bärlapparten und die damit verwandten Farne verstreuten sie Sporen für die Vermehrung und Verbreitung mithilfe des Wassers und nun auch der Luft. Erst ungefähr 160 Millionen Jahre später entwickelten andere Pflanzen Blüten zur Vermehrung durch Insektenbestäubung. Doch auch Insekten entstanden erst am Ende des Devonzeitalters, über 50 Millionen Jahre nach den ersten Schachtelhalmen.

Die Befruchtung benötigte lediglich einen feuchten Untergrund, in dem die Sporen männliche und weibliche Vorkeime (Prothallien) bildeten. Aus den männlichen Prothallien schwärmten dann frei bewegliche, begeißelte Spermatozoiden aus und schwammen im Wasser zu den aus den weiblichen Vorkeimen gebildeten Eizellen, um diese zu befruchten. Hierfür boten die damaligen weit verbreiteten Flachwassergebiete und Sümpfe ideale Voraussetzungen.

Bis heute vermehren sich Schachtelhalme wie auch Farne und Bärlappe ganz unabhängig von Insekten nach diesem über vierhundert Millionen Jahre alten Muster. Vielleicht hat die Beibehaltung dieses uralten Prinzips zum Überleben so mancher Katastrophe beigetragen?

Ohne Konkurrenz oder Fressfeinde konnten sich Schachtelhalme, Farne und Bärlappe ungehindert ausbreiten und bildeten mit der Zeit ganze Urwälder. Auch ihre Größe erreichte gigantische Dimensionen, bis zu dreißig Meter hohe Schachtelhalme wurden in Ablagerungen des späteren Devon und Karbons gefunden.

Nach und nach bildete sich aus diesen Pflanzen verrottendes organisches Material am Boden, das wiederum als Dünger und Nährstoff für weitere Pflanzen und Tiere diente, sodass gegen Ende des Devon bereits Milben, Hundertfüßer, Tausendfüßer, Skorpione sowie Spinnen in diesem neuen Humus herumkrabbelten und die ersten Samenpflanzen entstanden waren.

Vielleicht hat dieser saftig grüne, üppige Urwald, der nun von den Ufern winkte, vom Wasser aus so unheimlich appetitlich ausgesehen, dass er einige Meeresbewohner dazu anspornte, den mühsamen Weg an Land auf sich zu nehmen. Jedenfalls kroch am Ende dieses markanten Zeitalters ein allererster Vierfüßer namens Ichthyostega an Land, der sechs Zehen oder Klauen besaß und sich wie eine Eidechse oder ein Krokodil fortbewegt haben muss. Er hinterließ Spuren, die sich durch Zufälle versteinerten und im heutigen Schottland gefunden wurden. Dennoch waren die Zeitgenossen der ersten Schachtelhalme an Land in ihrer Vielfalt noch spärlich, ganz im Gegensatz zum damaligen Leben im Wasser.

Der erste Urwald aus Schachtelhalm, Bärlapp und Farn absorbierte dermaßen viel Kohlendioxid aus der Luft, dass der CO2-Gehalt während des Devon und noch mehr im darauffolgenden Karbonzeitalter rapide absank: auf Werte, die dem heutigen CO2-Gehalt der Luft entsprechen. Üppige Schichten abgestorbenen Pflanzenmaterials aus diesen Erdzeitaltern verdichteten sich unter Luftabschluss in sauerstoffarmem Flachwasser zwischen Schlammschichten und verwandelten sich so über Jahrmillionen in Kohle. In ihr finden sich reichhaltige Fossilienfunde, die das damalige artenreiche Meeresleben sowie die Schachtelhalm-Farn-Bärlapp-Urwälder belegen.

Auch der Sauerstoffgehalt der Luft veränderte sich markant durch die Fotosyntheseleistung dieser riesigen Urwälder: Er stieg im Verlauf von siebzig Millionen Jahren auf ganze 25 bis 35 Prozent an. Der heutige Luftsauerstoffgehalt beträgt dagegen lediglich 21 Prozent.

Die Menschheit macht heute durch die Verbrennung von Kohle und Erdöl diese Prozesse wieder rückläufig. Das uralte und über Jahrmillionen entstandene Pflanzenmaterial wird wieder in die Lüfte entlassen, wobei nun genau die Umkehrreaktion entsteht, also Sauerstoff verbraucht wird und in großen Mengen CO2 entsteht. Die dabei freigesetzte Wärme oder Energie ist im Grunde Sonnenkraft aus dem Devon- und Karbonzeitalter.


Winterschachtelhalm-Sporenkolben (Equisetum hiemale L.) mit Sporenflug.


So stellt man sich den allerersten Vierfüßer vor: Modell des Ichthyostega im Naturhistorischen Museum Bern.


Versteinerte Blätter eines Calamiten (einer Schachtelhalmart) mit farnlaubiger Pflanze aus dem späten Karbon, ca. 300 Millionen Jahre alt. Naturhistorisches Museum Bern.

FÜNFZEHN MALE MASSENAUSSTERBEN – ER ÜBERLEBT

Doch dann, gegen Ende des Devonzeitalters, vor ungefähr 372 Millionen Jahren, kam es schlagartig zu einem dramatischen Ereignis in der Erdgeschichte, dem fünfzig bis fünfundsiebzig Prozent der Zeitgenossen der Schachtelhalme zum Opfer fielen, vor allem die Bewohner flacher Gewässer. Viele Korallen, viele der zahlreichen Trilobitenarten und zahlreiche Fische. Es muss, wie heute angenommen wird, zu einer rapiden Abnahme des an der Basis der Nahrungspyramide stehenden Phytoplanktons (vor allem Algen) durch Sauerstoffmangel gekommen sein. Extreme Vulkantätigkeiten mit Giftgasausstößen und riesigen Aschewolken, Meteoriteneinschläge mit Sonnenverdunkelungen und dramatische Änderungen der Sonneneinstrahlung mit raschen Veränderungen der Meeresspiegelhöhe werden als Ursache diskutiert. Schachtelhalme, Farne und Bärlappe jedoch überlebten.

Wieder entstanden über die folgenden Millionen Jahre viele neue Arten, manche entwickelten sich aus ein paar Restarten, die dieses Ereignis überlebt hatten, und passten sich noch besser an die Umweltbedingungen an.

Doch für Erdzeitalterverhältnisse »nur« ein paar Millionen Jahre später gab es erneut ein Aussterbeereignis, noch verheerender als das letzte. Ihm fielen die mit ungefähr einhundert Arten doch sehr erfolgreichen und mit ihren starren Kopf- und Brustplatten gut bewehrten Panzerfische sowie einige weitere Zeitgenossen gänzlich zum Opfer und starben komplett aus. Man findet die Panzerfische heute nur noch als Versteinerungen.

In den darauffolgenden 359 Millionen Jahren bis zur heutigen Zeit, die in sechs weitere Erdzeitalter eingeteilt wird, fanden noch ungefähr vier drastische, nach manchen Autoren auch bis zu dreizehn solcher Massenaussterbeereignisse statt, durch die jeweils vierzig bis sogar neunzig Prozent der Arten ausgerottet wurden. Und so sind von den Zeitgenossen der ersten Schachtelhalme im Devon fast alle ausgestorben. Die in einer riesigen Fülle und Artenzahl vorkommenden schillernden Ammoniten sind gänzlich verschwunden. Von ihrer einstigen Vielfalt erzählen heute nur noch gut erhaltene Versteinerungen.


Die Überlebenskünstler heute (oben): Riesenschachtelhalm (Equisetum telmateia Ehrh.), Wurmfarn (Dryopteris sp.), Waldbärlapp (Lycopodium annotinum L., unten).


Versteinerte Ammoniten aus der Ausstellung des Naturhistorischen Museums Basel.

Viele der Gliederfüßer, die variantenreichen Trilobiten und die monsterhaften Seeskorpione teilen gleichfalls dieses Los. Ebenfalls ausgestorben ist die große Artengruppe der Stachelhaie, und auch die Geradhörner existieren nur noch als Versteinerungen.


Nachbildung eines Quastenflossers (Latimeria), Naturhistorisches Museum Bern.


Überlebenskünstler Schachtelhalm, hier Sumpfschachtelhalm (Equisetum palustre L.), im Frühjahr.

Bei den Quastenflossern dachte man zunächst ebenfalls, dass sie ganz ausgestorben seien, bis 1938 und 1997 je eine überlebende Art an den Küsten Südafrikas und Sulawesis entdeckt wurde. Von ihnen haben also gerade mal zwei von damals ungefähr siebzig Arten überlebt. Wie die Schachtelhalme werden auch sie als lebende Fossilien bezeichnet. Von den insgesamt neunhundert Nautiloideen-Gattungen oder Perlbooten hat nur eine einzige Art überlebt, von den Lungenfischen gerade mal zwei Gruppen.

Zwischen diesen Erdkatastrophen entstanden jedes Mal neu riesige Mengen an Arten von Tieren und Pflanzen, die immer ausgefeilter und komplexer wurden. Einprägsam sind die ungefähr 140 Millionen Jahre nach den Schachtelhalmen erstmals auftauchenden Dinosaurier, die es immerhin fast 200 Millionen Jahre lang gab. Schachtelhalme stellten für so manches dieser Riesentiere eine der nahrhaftesten Futterquellen dar, wie anhand fossiler Funde gezeigt werden konnte.

Es hat wohl seine Gründe, dass man Ackerschachtelhalm heute oft an Bahngleisen sieht. Dieser Standort muss ihn an seine gemeinsame Zeit mit den Dinosauriern erinnern, als diese tonnenschweren Tiere sicher ähnlich schnell wie Züge herangerast kamen. Bei ihrem Getrampel hat der Boden wohl auch vibriert und wurde unter der Tonnenlast extrem verdichtet. Der Dinosaurierkot war zudem eine gewaltige Ladung Dünger, vergleichbar vielleicht mit (zumindest früher) regelmäßig entleerten Zugtoiletten. Sogar die Geräusche der Dinos könnten sich so ohrenbetäubend kreischend angehört haben wie Eisenbahnräder auf kurvigen Gleisen.

Vielleicht hat der Schachtelhalm aus den Saurierzeiten gelernt, sich an Monsterhaftes anzupassen, und damit spätere Katastrophen besser überlebt? Bis heute jedenfalls erträgt der Ackerschachtelhalm die extremen Bedingungen stark verdichteter Böden unter schweren Zügen, Steinen oder riesigen modernen Landmaschinen und widersteht selbst so manchem ausgeklügelten chemischen und hochgiftigen Unkrautvernichter. Dazu tankt er wohl Energie aus den kleinen stärkehaltigen Wurzelknöllchen, die er bis zu einem Meter tief unter der Erde bildet.

Vor 66 Millionen Jahren fand erneut und noch ausgedehnter ein Massensterben statt, das vermutlich durch einen monströsen Meteoriteneinschlag verursacht wurde. Verschiedene Forscher zeichnen hierzu ein globales Katastrophenszenario, das schon einige Regisseure und Science-Fiction-Autoren zu Filmen und Büchern inspiriert hat. Weltweite großflächige Brände mit riesigen Rauchwolken und ein schlagartiger Temperaturanstieg werden diskutiert, dazu eine Sonnenverdunkelung und ein schlagartiger Abfall auf Eiszeitniveau. Durch die weltweite Erderschütterung ausgelöste massenhafte Vulkanausbrüche mit Giftgas- und Aschewolken und nachfolgendem Sauerstoffabfall erscheinen außerdem plausibel. So oder ähnlich muss es wohl zugegangen sein, als die meisten Dinosaurier ziemlich plötzlich ausstarben. Übrig blieb nur eine Gruppe, die sehr wahrscheinlich die Vorfahren heutiger Vögel waren.


Ackerschachtelhalm (Equisetum arvense L.), unter der Tonnenlast eines Zuges im Juni.


Rekonstruktion von Dinosauriern, Urweltmuseum, Holzmaden.

Manchen Schätzungen zufolge sind bis heute insgesamt 95 Prozent der früheren Arten ausgestorben, nicht jedoch die Schachtelhalme. Als uralte Zeugen erlebten sie die Besiedlung des Landes durch Pflanzen und Tiere, die gesamte Entwicklung und Ausformung aller Wirbeltiere wie auch des Menschen von Anbeginn an. Sie sind Zeugen der Entwicklung von Blütenpflanzen, Bäumen und der ganzen Erdgeschichte seit etwa vierhundert Millionen Jahren.

Befasst man sich mit den Schachtelhalmen, erfährt man Entstehungsgeschichten stets neuer Arten und Lebewesen, die meist nach einigen Millionen Jahren wieder verschwanden, um gegen neue Arten ausgetauscht zu werden – ein stetes Entstehen und Vergehen. Es ist äußerst beeindruckend, dass Schachtelhalme, Farne und Bärlappgewächse alle diese Katastrophen wie Dunkelzeiten, Giftgaswolken, Wellen verschiedenster Weltraumstrahlungen, rapide Temperaturstürze, die wiederholten Wechsel von Eiszeiten und Heißzeiten, Meteoriteneinschläge, Sintfluten und wüstenartige Trockenperioden überlebt haben.

Wie haben diese Pflanzen das nur geschafft? Und welche Heilwirkungen entwickeln sich wohl in solchen Überlebenskünstlern? Um all das soll es in diesem Buch gehen. Wie keine andere Pflanzenfamilie tragen die Schachtelhalme, wie auch Farne und Bärlappgewächse, das Thema des schier ewigen, Hunderte Millionen von Jahren alten Lebens und der Wiederauferstehung in sich.

Könnte man den Schachtelhalm fragen, was er zu den heutigen Sorgen in Bezug auf Klimaveränderungen, CO2-Ausstoß, Weltraumstrahlen, Anstieg der Meeresspiegel und noch so manch anderer Endzeitbefürchtung zu erwidern hätte, würde er wohl recht gelassen antworten. Vielleicht würde dieser alte Weise ganz gelassen erwidern, dass er mit den Farnen und Bärlappgewächsen verschiedenerlei Klimaveränderungen erlebt und überlebt habe. Dass die aktuellen Klimaveränderungen dagegen nicht besonders extrem wären, zumindest nicht im Vergleich zu all dem, was er schon erlebt habe. Dass es immer wieder Wechsel gegeben hätte, von Warmzeiten und Kaltzeiten, von Zeiten mit viel und wenig Sauerstoff und Kohlendioxid, von viel und wenig Sonneneinstrahlung, hohen und tiefen Meeresspiegeln. Vielleicht würde er anfangen, alle die Arten aufzulisten, deren Entstehen und Vergehen er miterlebt hat. Oder beschreiben, wie es kam, dass die ersten Menschen sich entwickelten, und wie sie so lebten.

Ja, es wäre spannend, könnte man diesen Zeitzeugen zu den sagenhaften Urgeschichten befragen, die doch wahr sind. Und wenn ich mir das vorzustellen versuche, schillert ein personifiziertes Pflanzenwesen mit langen weißen Haaren und weißem Bart in meiner Vorstellung, ein uralter und doch ewig junger Weiser mit äußerst beruhigender Ausstrahlung.

Die Kraft seines immerwährenden Überlebens gelangte auf mysteriöse Weise in die Volksmythologie. Man fragt sich dabei, woher die ersten Geschichtenerzähler aus grauer Vorzeit von dieser extremen Wiederauferstehungsfähigkeit der Schachtelhalme wussten, die ja in Zeiten lange vor Erscheinen der Menschheit auf der Erde zurückreicht. Auch die Wurzeln des volksheilkundlichen Pflanzenwissens gehen oft sehr weit in die Vorzeit zurück. So manche Parallelen durchziehen die Pflanzenerzählungen und Pflanzenverwendungen in Bezug auf die Schachtelhalme bei weit entfernt lebenden Völkern wie den nordamerikanischen Indianern und den Eurosibiriern. Sie lassen erahnen, dass der Ursprung auf gemeinsame Urzeiten gründet, die teilweise auf das Ende der letzten Eiszeit deuten, also bis zu zehntausend Jahre vor unserer Zeitrechnung zurückreichen könnten. Dennoch ist dieser für die Menschheitsgeschichte riesige Zeitraum aus Sicht der Schachtelhalme nur ein Wimpernschlag, gerade mal ein winziges Zehntausendstel ihres Daseins.

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