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2. Licht, Pläne und Fußball
ОглавлениеWie es kam, dass dort trotzdem Licht brannte, war ein Rätsel für Richard, das seinen Kopf zum Glühen brachte. Ganz sicher war er sich natürlich nicht. Die Sonne hatte noch am Himmel gestanden, als er an dem Haus vorbeigefahren war. Vielleicht hatte er nur eine Spiegelung im Glas des Fensters gesehen. Vielleicht war es eine optische Täuschung gewesen, die seine Neugier weckte. Doch etwas hatte er in diesem Fenster gesehen und daran kam ihm etwas merkwürdig vor. Während das Haus mit dem seltsamen Licht im Fenster langsam hinter ihm zurückblieb, dachte er noch eine Weile darüber nach. Doch als er mit seinem Fahrrad auf den Hof der Fabrik fuhr, hatte er das Licht vergessen. Selbst in den langen Stunden, in denen er am Fließband stand, seiner Arbeit nachging und den Geschichten seiner Kollegen zuhörte, dachte er nicht einmal an das Licht.
So ging das schon seit einigen Wochen. Er fuhr zur Arbeit, ging in Gedanken seine Einkaufsliste oder die Details seiner Schicht durch und dachte nicht an das Licht. Sobald er aber das östliche Stadttor durchquerte, erinnerte er sich an das Fenster, sah immer wieder auf die linke Seite, bis das Haus endlich kam und er zum Fenster hinaufschauen konnte. Doch immer kam etwas dazwischen, sodass er nie mit Sicherheit sagen konnte, ob er das Licht wirklich gesehen hatte, ob es eine Lampe gewesen war, die leuchtete oder etwas anderes das Licht verursachte. Einige Meter grübelte er noch, aber dann kam ihm wieder die Arbeit in den Sinn und spätestens an seinem Arbeitsplatz, an einem der zahlreichen Fließbänder, dachte er nicht mehr daran. Auf dem Nachhauseweg fiel ihm das Licht erst wieder ein, wenn er die Innenstadt längst hinter sich gelassen hatte. Nie hielt er an, um vor dem Haus stehenzubleiben und sich das Fenster genauer anzusehen. Der Gedanke kam ihm zwar ein paar Mal, aber immer erst, wenn er schon am Fenster vorbeigefahren war. Dann nahm er sich das Anhalten für den nächsten Tag vor und vergaß es wieder.
Nach fast zwei Monaten war Richard mit seinen Beobachtungen noch nicht weitergekommen. Das Licht war immer da, egal ob morgens oder abends, ob die Sonne schien oder sich hinter Wolken verbarg. Nur bei Regen hatte er es noch nie gesehen. Deshalb beschloss er an seinem nächsten freien Wochenende in das Haus einzubrechen und einfach nachzusehen, was es mit dem Licht auf sich hatte. Einbruch allerdings klang in seinen Ohren so unlauter. Dabei wollte er doch nichts stehlen, nur kurz hineingehen und nach der Quelle des Lichts suchen. Er würde das Haus also nur besuchen, nicht einbrechen.
Nachdem er dieses kleine moralische Problem gelöst hatte, begann er einen Plan zu schmieden. Durch die Haustür, die an der Frontseite des Hauses lag, kam er nicht hinein, so viel war ihm schon klar. Auch die Fenster im Erdgeschoss auf der Straßenseite waren keine Option. Sie waren fest vernagelt und es würde zu viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen, wenn er mitten am Tag versuchen würde die Bretter zu lösen. Und Aufmerksamkeit war genau das, was er vermeiden wollte. Er würde also durch den löchrigen Zaun, der das Haus und seinen verwilderten Garten umgab, schlüpfen müssen, um auf der Rückseite einen Weg ins Innere des Hauses zu finden.
Sein Fahrrad ließ er an dem Tag am besten zu Hause. Die Diebstahlrate war in diesem Viertel zwar nicht sehr hoch, trotzdem wollte er es nicht riskieren, seinem Chef einen weiteren Verlust erklären zu müssen. Und wo sollte er es verstecken? Jeder entlang dieser Strecke kannte ihn und sein grünes Werksfahrrad. Wenn es irgendwo stand, war klar, dass er in der Nähe zu finden war. Das war ihm zu riskant. Von seinem Wohnhaus bis zu diesem Grundstück war es nur eine halbe Stunde Fußweg, das war für ihn ein Klacks. Einzig die Tatsache durch das Stadtzentrum zu laufen bereitete ihm Sorgen. Sein Passierschein galt zwar für jede Art der Durchquerung - Laufen, Fahrradfahren, Reiten, ja sogar Fliegen war erlaubt. In den seltenen Fällen, die ihn zwangen, zu Fuß zur Arbeit zu gehen, hatte man ihn aber jedes Mal kontrolliert und das würde seinen ganzen Plan über den Haufen werfen. Einen anderen Weg gab es jedoch nicht, es sei denn, er wollte durch die Außenbezirke der Stadt wandern und das war selbst am helllichten Tag gefährlich. Die Gefahr der Kontrolle erschien ihm da als das weitaus kleinere Übel, also würde er dieses Risiko eingehen. Sollte man ihn wirklich kontrollieren, würde er seinen Plan einfach an einem anderen Tag umsetzen.
Lange überlegte er auch, zu welcher Tageszeit er dem Haus einen Besuch abstatten sollte und entschied sich letztlich für die Nachmittagsstunden des Samstags, wenn alle egal zu welcher Schicht sie gehörten, vor dem Fernseher saßen und Fußball schauten. Seine Mannschaft spielte an dem Wochenende bereits am Freitagabend, da würde er nichts verpassen.
In der Nacht von Freitag zu Samstag schlief Richard nicht besonders gut, obwohl sein Team gegen den immerwährenden Meister gewonnen und sich einige Plätze nach vorn geschoben hatte. Unruhig hatte er sich hin und her geworfen, war immer wieder aus seinen Träumen aufgeschreckt und stand schließlich viel zeitiger auf, als er es sich vorgenommen hatte. Er war schlecht gelaunt, müde und kurz davor seinen Plan zu verwerfen. Nach der ersten Tasse Kaffee fühlte er sich schon etwas besser und die Aussicht, endlich dem Licht auf die Spur zu kommen, vertrieb die Müdigkeit und weckte die Abenteuerlust in ihm. Er aß ein reichhaltiges Frühstück, goss dann seine Pflanzen und räumte seine kleine Wohnung etwas auf, ehe ihm einfiel, dass er seinen Rucksack noch gar nicht gepackt hatte. Fluchend rannte er durch die Zimmer, holte lauter unnützes und wenig nützliches Zeug hervor und verursachte dabei mehr Unordnung als sonst in einem halben Jahr. Wenn nicht im Radio die Berichterstattung zu den Spielen des Tages begonnen hätte, wäre ihm niemals aufgefallen, wie spät es schon geworden war. Eilig stopfte er alles in seinen Rucksack, holte noch eine frische Wasserflasche aus der Küche, dazu einige Kekse als Proviant und verließ dann mit einem mulmigen Gefühl im Bauch seine Wohnung. Als er die drei Schlösser der Tür zuschloss, konnte er noch immer nicht fassen, dass er beinahe den Zeitpunkt verpasst hatte, sich auf den Weg zu machen.