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3. Fenster, Stimmen und Kopfschmerzen

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Wie Richard es erwartet hatte, waren die Straßen sowohl in den Außenbezirken als auch in der Innenstadt beinahe menschenleer. Am ersten Kontrollpunkt auf seinem Weg, als er das Stadtzentrum betrat, winkten ihn die beiden Wachen aus ihrem Häuschen einfach durch. Er kannte die beiden Männer vom Sehen, sie hatten oft Schichten am Wochenende und manchmal hatten sie sogar ein paar Worte mit ihm gewechselt. Sie kannten seine Historie mit Fahrrädern und waren nicht erstaunt, ihn zu Fuß unterwegs zu sehen. Durch das Fenster des Wachhäuschens konnte er den angeschalteten Fernseher sehen, der jedoch ohne Ton lief. Richard wusste nicht, ob es erlaubt war während des Dienstes Fußball zu schauen, aber er wäre der Letzte gewesen, der daran etwas auszusetzen wusste. Er grüßte die Männer im Vorbeigehen und war erleichtert, als er das Tor hinter sich ließ und er seinem Ziel ein großes Stück nähergekommen war.

Beim Bäcker waren noch einige Kunden, um die letzten Kuchenreste zu kaufen, ansonsten war alles ruhig. Der zweite Kontrollpunkt lag ebenfalls verlassen da, aber durch die geöffnete Tür hörte Richard die Hymne eines Fußballvereines. Die Wachen waren beschäftigt und hätten sich wohl auch sonst nicht sehr um ihn gekümmert, da er das Stadtinnere verließ, was beinahe jeder unbehelligt konnte. Er trat durch das östliche Stadttor, warf einen Blick in den Park, der ebenso menschenleer war und näherte sich mit beschwingten Schritten und einem merkwürdigen Kribbeln im Bauch dem Haus mit dem seltsamen Licht.

Als er direkt vor dem Grundstück stand, schaute Richard auf seine alte Armbanduhr. Es war fünf Minuten nach halb vier, Zeit sein Abenteuer zu beginnen. Er zog den Rucksack stramm, damit er ihn nicht verlor, wenn er durch den Zaun schlüpfte und suchte nach dem größten Loch im Zaun. Natürlich war ihm auch der Gedanke gekommen über den Zaun zu klettern. Aber dieses Exemplar war nicht nur sehr hoch, es sah auch sehr unstabil aus und war zu allem Überfluss mit einer Krone aus Stacheldraht verziert. In Gedanken sah Richard sich schon am Zaun festhängen, die Dornen des Drahtes in seine Beine gebohrt und hilflos darauf wartend, dass die Geheimpolizei ihn abholte. Dieses Risiko war ihm einfach zu groß und das Loch direkt neben der Hauswand schien groß genug, um ihn ohne Mühe hindurch zu lassen. Er sah sich noch einmal um, aber es war kein Mensch auf der Straße zu sehen. Auch die Fenster der Häuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite waren bis auf eine alte Katze, die sich dort wie immer auf ihrem Kissen sonnte, verlassen. Vorsichtig bog er die losen Enden des Zaunes nach innen, um sich nicht daran zu verletzen, und kletterte durch das Loch.

Sobald er auf dem Grundstück stand, erfasste ihn eine Unruhe, die vorher nicht da gewesen war. Er schaute sich um, alles sah aus wie vorher und doch hatte er das Gefühl an einem anderen Ort zu sein. Etwas irritierte ihn, er konnte nur nicht sagen, was es war. Langsam schlich er um das Haus herum. Er fürchtete, dass sich jeden Moment irgendwo ein Fenster öffnete und ihn jemand schreiend fragte, was er dort verloren hatte, aber alles blieb ruhig. Der Garten des Hauses war an zwei Seiten von anderen Häusern umgeben, am hinteren Ende sah er die Steine eines eingefallenen Schuppens, die bereits von Unkraut überwuchert wurden und zwischen denen kleine Birken wuchsen. Das Gras sah saftig und grün aus und hätte jeden Vorgartenbesitzer der Innenstadt neidisch gemacht. An einem der Halme knabberte eine kleine Maus, die aber davonsprang, als sie ihn bemerkte. Irgendwo pfiff ein Vogel eine muntere Melodie, sonst war alles still.

An der Zaunseite des Hauses gab es weder Fenster noch Türen, daher lagen Richards sämtliche Hoffnungen auf der Rückseite. Seine Erwartungen wurden nicht enttäuscht. So gut das Haus von vorn auch verschlossen gewesen war, von hinten stand es einladend und offen da. Er hielt kurz inne. Irgendwo an einem der benachbarten Häuser öffnete sich plötzlich ein Fenster und er konnte die näselnde Stimme eines Kommentators hören, der gerade ein Spiel besprach. Er mochte ihn nicht besonders. Egal welches Spiel er gerade kommentierte, eigentlich sprach er immer nur über ein Team und das war nicht Richards Team und wurde überhaupt von allen überbewertet. Er wartete noch ein wenig, darauf gefasst ein wütendes Gesicht zu sehen, aber mehr tat sich nicht.

Wie vermutet gab es hinter dem Haus zunächst eine schmale Treppe, die hinunter zum Keller führte. Doch dort war kein Durchkommen, die Tür war ebenfalls zugemauert. Also stieg Richard vorsichtig die zwei eingefallenen Stufen zur Terrasse hinauf und musste schmunzeln. Man hatte zwar die Terrassentür zugemauert, die Fenster daneben aber vergessen. Und eines dieser Fenster stand offen. Richard zögerte und sah sich noch einmal um. Der Garten war leer, an den Fenstern in seinem Blickfeld war niemand zu sehen. Die näselnde Stimme des Kommentators war immer noch zu hören und irgendwo fand ein leises Gespräch statt. Er hörte murmelnde Stimmen, aber keine genauen Wörter. Schließlich fasste er seinen Mut zusammen und stieß das Fenster weiter auf. Es knarrte leise, ließ ihn aber ohne weitere Proteste ins Innere des Hauses.

Auf dem Boden lagen einige frische Erdbrocken, ansonsten war das Zimmer erstaunlich sauber, hier gab es weder Staub noch Müll in den Ecken. Dafür stellte er nun fest, dass die Stimmen, die er vor dem Haus gehört hatte, in Wirklichkeit aus dem Haus kamen. Richard hielt mitten in einem Schritt inne und überlegte. Sollte er wieder gehen, das Haus verlassen und nie wiederkommen? Einen anderen Weg zur Arbeit nehmen und das Licht einfach vergessen? Das konnte er nicht, die Ungewissheit würde ihn auffressen. Also blieb ihm nur sich näher an die Stimmen heranzuschleichen, die aus dem oberen Stockwerk kamen und dabei unbemerkt zu bleiben.

Er schlich durch den Raum, bemüht kein Geräusch zu machen und schlüpfte durch die Tür, hinter der er die Treppe nach oben vermutete. Als er hindurchtrat, sah er einen Schatten, der sich schnell auf ihn zubewegte. Dann fühlte er einen Schlag auf den Kopf und im nächsten Moment war alles um ihn herum dunkel.

Als Richard erwachte, spürte er ein dumpfes Dröhnen in seinem Schädel. Jemand schien immer wieder mit einem kleinen Hammer auf eine Stelle hinter seinem linken Ohr zu schlagen. Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, seit man ihn niedergeschlagen hatte, aber er lag noch im selben Zimmer nahe der Treppe, wo er zu Boden gegangen war. Seine Umgebung hatte sich allerdings ein wenig verändert. Der Schatten war weg. Stattdessen standen dort, keine fünf Meter von ihm entfernt, zwei Männer, die merkwürdig gekleidet waren und sich flüsternd unterhielten.

Er hielt den Atem an. Er hatte sie gesehen. Das konnte nichts Gutes heißen. Er versuchte, sich ein klein wenig zu bewegen, und stellte fest, dass man ihn nicht gefesselt hatte. Das war seltsam. Wer waren diese Männer und warum hatten sie ihn niedergeschlagen, wenn sie ihn dann nicht fesselten? Wobei hatte er sie unterbrochen? Er stieß einen kaum hörbaren Seufzer aus und sofort schauten die beiden Männer zu ihm. Die Augen des einen waren grau, beinahe farblos. Der andere Mann hatte unnatürlich grüne Augen, die ihn sofort in ihren Bann zogen.

Fenster mit Licht

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