Читать книгу Indien, ich komme - Marie J. D. Caulfield - Страница 26
Оглавление20. Das neue Leben, der erste Versuch
Und so passierte es an einem regnerischen Tag um 14.36 Uhr, dass sich die Finger des im Bett liegenden John Feelgood rührten. John war Rechtshänder, also kam von der rechten Hand die erste abtastende Bewegung in Richtung Radio. John liebte die Musik zu jeder Tages- und Nachtzeit. Okay, er hatte gut geschlafen und wie jeden Morgen wollte er die LCC Radio 3 Frühaufdreher hören. Die Moderatoren im Studio waren zu Dritt hinter den Mikros. Eine Frau und zwei Männer. Alle Drei brachten News, seriöse und lustige Unterhaltung und Gags von 5 – 9 Uhr. Er bewunderte sie. Sie waren von Anfang an bestens gelaunt. Der eine Typ sprach im ausgeprägten Dialekt und gab seinen Sprüchen sinnvolle Lachpointen. Die hatten Niveau. Aber an diesem Morgen hatte das Radio gestreikt. Er lag auf dem Rücken, erreichte in dieser Körperlage nicht seinen Nachtschrank, also wollte er sich auf die rechte Seite drehen, um den Radiowecker selber einzuschalten. Aber irgendetwas hinderte ihn daran, sich zu drehen. Er musste nachdenken. Und das schon am frühen Morgen. Wie sonst auch, wenn er nachdenken musste, ging er über die Stirn und rümpfte dann seine Nase. Heute aber klappte das nicht, da John arge Probleme hatte, seine Stirn überhaupt zu berühren. Es war da etwas hartes, was seine Stirn berührte. Also musste er wohl oder übel seine Augen aufmachen. John erschrak, als er nicht das gewohnte Fenster sah, in das die Sonne jeden Morgen hereinschien. Er sah nicht seine Regalwand, in der er seine Rock and Blues CD `s liebevoll eingeordnet hatte. Er konnte nicht den Sternenhimmel an seiner Decke erkennen, den er mal vor Jahren da aufgemalt hatte. Stattdessen sah er in ein Gesicht, in ein fremdes Gesicht. Dieses Gesicht lächelte ihn an. Spätestens jetzt war John wach. Der Schrecken wurde größer, als er dieses Gesicht, ob lächelnd oder nicht, nirgendswo einordnen konnte. Es war ihm fremd, jetzt bekam er Angst. Und immer dann, wenn er Angst bekam, packte er sich an sein linkes Handgelenk, um den Puls zu prüfen. Das mit dem Puls haute auch nicht hin. Was war denn nun schon wieder? Er schaute auf seine rechte Hand und erblickte den Grund, warum er seinen Puls nicht fühlen konnte. Eben, weil seine rechte Hand verbunden war. Jetzt wurde ihm das alles zu viel. „Was ist hier los? Was passiert hier? Was habt ihr mit mir gemacht? Wer sind Sie überhaupt? Verdammt, wer sind Sie? Wo bin ich hier? Wo ist das Radio? Ich höre keine Musik? Hilfe!! Hallo. Hört mich denn keiner? Hilfe!“ John erkannte auch seine eigene Stimme nicht mehr. Diese Stimme war nicht seine. Jetzt hatte er das Gefühl, auszuflippen. „Hey, Hilfe, verdammt. Bitte helfen Sie mir“ Das für ihn fremde aber lächelnde Gesicht beugte sich über ihn, ihre Hände fassten sehr sorgsam seine Schultern an und mit einer mütterlich behutsamen Stimme sagte es: „Ruhig, ganz ruhig bleiben, Mr. Feelgood. Es passiert Ihnen nichts. Bleiben Sie ganz ruhig. schhhhh“ John fühlte ihre feminine Natur. Frauen hatten schon immer eine ganz besondere Ausstrahlung auf ihn gehabt. Für John hatte sich das Leben meistenteils mit und unter Frauen abgespielt. Aber erst viel später sollte es sich herausstellen, dass Frauen die Hauptrolle in seinem Leben spielen würden. Die Frau im Zimmer, die neben seinem Bett stand, wirkte auf ihn beruhigend. Ganz langsam sortierten sich seine Gedanken. Er schaute sich genauer seine rechte Hand an, dann seine Umgebung, dann beäugelte er diese Frau von oben bis unten und erkannte, dass sie eine Krankenschwester sein musste. Der Raum, in dem er lag, musste definitiv ein Krankenzimmer gewesen sein. Die helle, fast sterile Wand- und Deckenfarbe, der Geruch und das Bett neben ihm, in dem auch ein Mann lag, ließ nur diesen Schluss zu. John hatte sich etwas abgeregt, blickte die Schwester an: „Hi, wie komme ich hierher? Was ist mit mir passiert? Seien Sie bitte so nett und erzählen Sie es mir. Bitte erzählen Sie mir alles.“ fragte er Schwester Clarissa, die bereits im 1. Monat schwanger war. Sie hatte viele Jahre Erfahrung im Umgang mit Patienten, die schwerverletzt im Krankenhaus lagen und sie war sich der kranken Situation bewusst, in der Mr. Feelgood war. Er hatte unter anderem eine schwere Kopfverletzung erlitten, die ihm vorübergehend sein Kurzzeitgedächtnis lahm legte. So fragte er jeden Tag, nach dem Wecken und nach dem Mittagsschlaf, Schwester Clarissa nach den Gründen seines Krankenhausaufenthaltes. John lag seit 8 Wochen in der Sherwood County Universitätsklinik, wovon er die ersten 6 Wochen als beatmeter Patient auf einer Intensivstation verbrachte, dessen Überlebenschancen zu der Zeit gering waren. Er hatte es aber geschafft, er hatte den ersten Kampf gewonnen. Der Tod blinzelte ihm zu, John blinzelte zurück. Die Nebenwirkungen des Schädelhirntraumas aber waren ausgeprägter Natur. Nicht nur, dass er jeden Tag nach dem Wecken und nach dem Mittagsschlaf Schwester Clarissa dasselbe fragte, warum und wieso er im Krankenhaus lag, dazu kam eine ausgeprägte Logorrhoe. Unterhielt sich John, dann war er stets der perfekte Gesprächspartner in Form eines Monologes. Schwester Clarissa musste die letzten drei Wochen jeden Tag dasselbe erzählen, warum Mr. Feelgood auf Station lag. John wollte jeden Tag alles von neuem wissen. Schwester Clarissa hielt sich aber trotz seiner charmant gehaltenen Bitten an ihre Vorschriften und überließ dem Stationsarzt Dr. Redroof diese Auskunft. Bei der nächsten Visite würden die Diagnosen zur Sprache kommen. John indes schaute sich die Schwester genauer an. Wie sich eben ein Mann eine Frau genau anschaut. Er fing bei den Haaren an, die aus hygienischen Gründen streng zusammengebunden sein mussten. Er stellte sich gerade vor, wie diese Haarpracht wäre, hinge sie lang an ihren Schultern hinunter. Sie hatte dunkles Haar und die Phantasie von John verlieh diesem göttlichen Bild einen Windstoß.
Oh, oh Johnny, lieber John Feelgood, du liegst hier als schwerverletzter Patient im Bett. Denke daran. Dein Kreislauf wurde gerade mal eben stabilisiert. Mehr nicht. Es reicht nur so weit, dass du in Lebendig Wasser als Cartoon Figur aufrecht gehen kannst. Also, jeder ausgeschweifte Gedanke kostet dir hier im Bett eine zusätzliche Rhythmusstörung.
Johnnys Augen aber wanderten vom Gesicht hinunter auf ihren Oberkörper, der mit jedem Model konkurrieren konnte. Wie ein rauschender Fluss sich seine kurvenreiche Wege durch das Gebirge ebnet, wie eine Schlange sich durch die Steppe bewegt, all das spiegelte sich durch die zart angehauchten Kurven dieser Frau wider. Diese körperlichen Betonungen verliehen ihr die Erscheinung, nicht nur ihre Brüste, nein, ihren ganzen Körper von der Göttin Venus bekommen zu haben.
Johnnys Gedanken schweiften in tänzerische Gefilde ab. Wow, jetzt einen Blues mit ihr schwofen. „A whiter Shade of Pale“ von den Procol Harum im verrauchten und gut besuchten Keller einer Fabrik am Stadtrand.
Der Raum ist voller Menschen. Die Band spielt ihr seelisches Können auf den hochsensiblen Instrumenten, das musikalische Genie Gary Brooker mit seiner reinen, unverbrauchten Stimme „we skipped the light fandango“ und seinem zweiten Ich, dem Klavier. Matthiew Fisher an seiner Hammond, der die für diesen Song notwendigen himmlischen Töne perfektioniert und schon bewegen sich die Beiden genüsslich im süßen Sound des Honigs, ihre Gedanken verschmelzen sich. Im langsamen und gefühlvollen Takt des Liedes nähern sich ihre Körper. Ganz vorsichtig, Schritt für Schritt. Sie schmiegen ihre Körper an sich und genießen die bluesige Atmosphäre in dem Raum, der den Sound der menschlichen Nähe ganz allein für sich beansprucht. Er lächelt sie an, sie lächelt zurück. Die Musik wird intensiver. „Turned a whiter shade of Pale“ motorisiert ihre Seelen und Herzen, aber auch seine rechte Hand, die von der rechten Taille weiter hinunter zu ihrem körperlich betonten weiblichen Hi…….
Schluss! Aus! John Feelgood, jetzt reicht es. Was glaubst du, wer du bist? Willst du hier den Macho heraushängen lassen? So kenne ich dich noch gar nicht. War der Schlag auf deinem Schädel zu heftig? Wo bleibt der Respekt? Okay, jetzt komme wieder zu dir. Ganz langsam hast du dich wieder im Griff. Ordne deine Gedankenwelt in einem für dich entsprechend gesünderen Bereich. Versuch, cool zu bleiben. Hey Mann, kühl dich ab.
„Mr. Feelgood, hallo, Mr. Feelgood. Es ist Zeit für eine Turnübung.“ ließ Schwester Clarissa lächelnd dem Patienten Feelgood wissen, der wohl gerade mit offenen Augen geträumt haben muss.
James T. war bereits im Zimmer, der mit seinem Patienten eine kleine Runde mit dem Rollator drehen wollte. James T. war ein erfahrener Therapeut aus der Krankengymnastik. Er wusste, dass es heute wieder Probleme mit dem Patienten Mr. Feelgood geben würde. Seit dem dieser Mann auf der normalen Station lag, glaubte er sich so fit, dass das krankengymnastisches Training ein leichtes Ding für ihn wäre. James T. erklärte ihm das Training jeden Tag von neuem: „Mr. Feelgood, ich bin von der physiologischen Abteilung und möchte mit ihnen ein paar Schritte gehen. Mein Name ist James T. McGallum. Bitte nehmen sie jetzt bitte diesen Rollator fest in ihre Hände. Atmen Sie ruhig ein und aus. Fangen Sie mit dem rechten Fuß an und gehen Sie zehn Schritte. Übernehmen Sie sich nicht. Zehn Schritte, okay?“ „Hey, das ist easy, Mann“ antworte John Feelgood übermütig jeden Tag und war aber bereits schon nach wenigen Schritten fertig. James T. hatte als Physiotherapeut gelernt, sehr viel Geduld mit Patienten wie Mr. Feelgood zu haben. Dieser Mann hatte einen schweren Unfall überlebt. Durch die vielen Frakturen und inneren Verletzungen am ganzen Körper war er sehr geschwächt. Sehr viele Operationen am ganzen Körper hatte er überstanden. Eine Menge an Blut hatte er bekommen. Eine schwere Blutung im Schädel wurde gestoppt. Wow, das Quäntchen Glück und ein starker Kampfeswille haben ihn aber am Leben gehalten. Arzt, Krankenschwester und KG Therapeut waren gefordert, John Feelgood wieder herzustellen. Jetzt musste James T. versuchen, den Kampfeswillen dieses Mannes aufrecht zu erhalten, und zwar immer dann, wenn er nach ein paar Schritten sitzen musste, weil er einfach nicht mehr konnte. Nun war es wieder soweit. James wurde aus seinem Bett geholfen, leichte Sportschuhe und ein längs gestreifter Nachtmantel wurden ihm angezogen, der Rollator kam in Johns Hände und so versuchte John mit ganzer Kraft auf seinen Füßen zu stehen. Dabei half ihm der gut durchtrainierte James T. und seine 25 jährige Erfahrung. Wollte John losstapfen, so kam die Anfeuerung von seinem Bettnachbarn Jeff. „Hey John, du alter verbogener Düsenjet. Nutze die Kraft von den vielen Chicken Nuggets, die du täglich verputzt. Benutze deine verfluchten Muskeln und lass deinen Motor laufen, auch wenn du nur auf allen vieren rumkriechen kannst. Hi Ho und yippieh, hau rein junger Mann, gib Gas!! “ Jeff selbst war auch ein Kämpfer. Dieser Aufenthalt war schon sein sechster in kürzester Zeit. Einmal war es der Magen, dann seine Leber, dann spann seine Pumpe. Mit seiner Lunge hatte er ziemliche Probleme. Als Asthmatiker war er fast jeden Tag gefordert, durchzuatmen. Diese Lungenkrankheit bekam er schon als Jugendlicher. Sport und schnelle Bewegungen waren Gift für ihn. Als wenn das nicht genug gewesen wäre, lag er hier nun wegen eines komplizierten Oberschenkelbruches. Er wartete auf eine künstliche Hüfte. Dieser Mann hatte trotz allem einen so stolzen Lebensmut, so dass er immer zu komischen Sprüchen aufgelegt war. Gerade deswegen erkannte John ihn immer wieder. Wenn er fast alles vergaß, aber diesen Mann hatte er in sein Herz geschlossen. Sie wurden sogar Freunde und Freunde vergaß John nie. „Hey du alter Sack“ antwortete John lachend „ich zeige dir nun, wer hier die besseren Muckies hat. Sieh du zu, dass du mit deiner verdammten Pusterei die neue eiserne Hüfte in den Griff kriegst. Das Gehen mit diesem rollenden Kleinvieh hier ist für mich ein Kinderspiel. Alles easy, Mann“ und ging los. Ach ja, John hatte auf seinem Rücken ein Schmerzpflaster. Er sollte ohne Schmerzen sein und durch die vielen Operationen musste es etwas höher dosiert bleiben. Diese Schmerzfreiheit verlieh ihm jeden Tag neue Kräfte und so war er stark motiviert, alles zu versuchen, um wieder gesund zu werden. Das Betäubungspflaster hatte eine lustige Nebenwirkung. Seine Jugendfreundin Cher, die ihn täglich mit seiner Schwester Clara besuchte, bekam auf diese Art unzählige Heiratsanträge, worauf sich die beiden Ladies königlich amüsierten und Cher ihm antworte „ I am not amused, my Dear“ imitierte sie die Queen of England „You are an awful Lier, aren`t you, Mr. Feelgood?“ und küsste ihm herzlich auf seine Stirn. Wie ich schon erwähnte, hatte John sehr gerne Frauen um sich. Kam es aber zu einer Entscheidung, sich in Form einer Heirat fest zu binden, dann war er ein Weltmeister im Rückzug. Naja, das Rückenpflaster und sein Schädelhirntrauma ließen eine Hochzeit in der LCC Kathedrale zu. „Ist ja alles easy, Mann“
Er holte tief Luft, zählte: „a one.. a two.. a three..come on, come on Johnny, rock on!” und ging los. Wow, wie vor einem 100 Meter Final im Laufen fühlte sich der kranke John Feelgood. Voller Tatendrang aber ohne jede vorher besprochene Lauftaktik wollte er starten. Er erinnerte sich dabei an die Zeit, in der er als, naja, in der er nicht gerade als schlanker 14 jähriger die jährlichen Sportfestspiele in der Cleanwood Bay Jimi Hendrix Highschool antrat. Es war der 100 Meter Endlauf. Keiner von den 56 Mitschülerinnen, die auf dieser gemischten Highschool waren, gaben dem Pummelchen eine Chance. Die Mädels achteten mehr auf den athletisch gebauten Eric Maden, der sich seine Waden von Helena einmassieren ließ. Johnny war neidisch auf ihn, auf den blöden Sonny Boy, der eigentlich nur noch bescheuert aussah. Der war doch kein Typ, der war `ne Memme. So sah Johnny in dem Laufen eine Chance, es ihm und den Mädels zu zeigen. Nach zwei Fehlstarts, von denen Johnny immer den ersten machte, weil er mit seinen Gedanken schon als Sieger auf dem Podest stand, liefen sie los. Johnny lief zum ersten Mal mit den neuen Schuhen, die diese Nadeln unter seiner Sohle hatten. Damit liefen die olympischen Stars auf. Nach den ersten Metern war er tatsächlich schon in ganz leichter Führung. Eric lief in Reihe eins, gleich rechts neben ihm und war einen Laufschritt hinter ihm. Johnny rannte und fixierte ihn und Helena, in die er heimlich verliebt war. Sie war die höchste Motivation, von allen am schnellsten zu sein. Nach schon 25 Metern kam der junge und sehr ehrgeizige Johnny Feelgood ins Straucheln. Die Spikes unter seinen Sohlen waren ihm noch zu neu gewesen. Da lag er schon und rutschte mit seinen Oberschenkeln auf der Aschebahn. Autsch, verdammter Mist. Er fing sofort an zu bluten, aber Johnny ignorierte dieses kleine Unglück, sah seinen Konkurrenten laufen, der ihm höhnisch zulächelte, und schon war er wieder auf den Füßen. Eric war knapp vorne, Johnny mobilisierte seine letzten Kräfte und lief und lief und lief. Er sah die ultimative Linie. Die Linie, die er nach hundert Metern erreichen musste. Die Linie, auf die er Monat für Monat im Schweiße seines Angesichts hintrainiert hatte. Er wollte die Linie als erster erreichen. Nur noch 10 Meter, 9, 8, 7,6, 5, 4, 3, 2 und dann war es soweit. Johnny hatte nach seinem unglücklichen Sturz, an dem nur diese blöden Spikes Schuld waren, die Linie als …… hey, als zweiter erreicht. Oh no, was war das für eine herbe Enttäuschung. Eric war als erster angekommen und er war nur der Zweite. Der Zweite? Mit einem Schock, den nur ein ehrgeiziger Schüler einer Highschool aus Cleanwood Bay haben kann, sah er, dass nicht nur Eric schneller war. Harvey jr. lief auch noch vor ihm durchs Ziel. Johnnys Blicke richteten sich beim Laufen nur auf Eric. Der lief rechts von ihm und auf die Reihe links hatte er nicht geachtet und da lief eben Harvey, der natürlich auch den Ehrgeiz besaß, schneller als andere zu sein. Verdammt, Johnny war für heute erledigt. Nun sah er auch noch zu seinem Unglück, dass Eric von Helena beglückwünschte wurde. Sie lächelten sich dabei an. Da stieg in dem noch sehr jungen Johnny eine unbeschreiblich fiese Eifersucht hoch. Mann hey, tat das weh. Okay, das war vor 44 Jahren und hier in der Sherwood County Universitätsklinik hatte er noch einmal die Chance, hundert Meter zu laufen und das ohne Eric, ohne Helena, nur er. Er hatte sogar einen Aufpasser dabei. James T. sollte darauf aufpassen, dass John die hundert Meter Linie erreichen würde. Ach ja, die hundert Meter waren ja in Wirklichkeit nur ein paar Meter.
Okay, John, Hey Alter, das schaffst du. Damals mit 14 hast du das Blut auf deinem Oberschenkel nicht gesehen, weil du es nicht sehen wolltest. Du bist aufgestanden und bist weitergerannt. John Feelgood, du bist nun zum zweiten Mal gestürzt, auch wenn es dieses Mal mit deinem Auto war. Von wegen Blutspuren, gab es überhaupt welche? Hey, alter Junge, streng` dich gefälligst an und, ja, dosiere dein Tempo etwas. Gehe mit deiner Kraft, von der nicht mehr viel übrig geblieben ist, sorgsam um. Du bist zwar keine 14 mehr, ich habe aber noch so einiges mit dir vor. Zeige es mir, nein, zeige es dir selbst, was du noch drauf hast. Johnny, du bist eben wieder aufgestanden. Beweise es dir. Rock on und gehe nur ein paar Schritte. Ich stehe für Helena an der Linie und werde dich beglückwünschen. Naja, ich bin ich und nicht Helena. Ich bin dein Ich, nein, ich bin dein Schatten und ich werde dich ab sofort begleiten, sowohl im Guten als auch im Bösen. Hier im Buch heißt es, sowohl in Lebendig Wasser, als auch in Totes Wasser.
John spurtete los, machte einen Schritt nach dem andern, entwickelte einen Ehrgeiz so wie früher, aber schon nach 8 Metern war es soweit. Nach 8 Metern verließen John die Kräfte. Er fühlte, wie seine Beine weich wurden. Er fühlte, wie Kälte und Hitze nacheinander und sich immer wiederholend in den Kopf schossen. War es das schon? War er jetzt schon fertig? Nein, bestimmt nicht. Er musste das ignorieren und einfach weiterlaufen. Er fixierte James T. neben ihm und die Linie vor ihm. Die hundert Meter Linie, die er unbedingt erreichen musste. Aber alles, was er dann noch realisierte, war die Hand seines Therapeuten, die sofort helfend in dieses leidige Geschehen eingreifen wollte. Es war zu spät. John hatte sich zu schnell an dem Rollator festgehalten und kam bei diesem Sturz mit seinem Nachtmantel an den linken Griff. Er lag auf dem Boden, genauso wie früher als 14 jähriger Schuljunge bei den Sportfestspielen, nur dass er heute mit 58 Jahren keine Kraft mehr hatte. Sein Mantel hatte sich von seinem Körper losgerissen und sein Pyjama Hemd auch. John lag auf dem Boden. Er hörte nichts mehr außer seiner eigenen Stimme, die lauthals „Oh Shit, Madre mia, verdammte Scheiße, was ist denn das?“ rausschrie. Nicht nur, dass er kraftlos, ohne jede kleinste Power auf dem Boden lag, nein, was er jetzt sah, das konnte doch nicht sein Bauch sein. Dieser Bauch sah anders aus. Da, wo sonst sein Bauchnabel war, da war eine sehr helle, fast durchsichtige und glänzende Oberfläche. Das sah niemals wie sein Bauch aus. „James T.“ sprach John mit letzter Kraft und sehr kurzen Atemzügen „James T. was ist das da auf meinem Bauch? Wie kommt das da hin?“ Durch den Lärm, den der Sturz verursacht hatte, kam der Stationsarzt Dr. Redroof dazu geeilt, der sich zur Visite in einem der Zimmer auf diesem Flur aufgehalten hatte. „Mr. Feelgood, du lieber Himmel, sie schon wieder auf dem Boden. Setzen Sie sich hin. James T. hilft ihnen dabei. Setzen sie sich ruhig hin.“ Dr. Redroof war ein guter Arzt. Nicht nur, dass er unfallchirugisch gut drauf war, er konnte durchgeschnittene Sehnen im Schlafe finden und sie ihren ursprünglichen Bestimmungen per Naht zusammenbringen und zuordnen. Er war der Mann, der durch sein Einfühlungsvermögen jedem Patienten auf seiner Station helfen konnte. Er gab jedem Patienten, mit dem er sich über dessen Probleme unterhalten hatte, das Gefühl, als Mensch verletzbar und unvollkommen sein zu dürfen. Ein Mensch mit Haken und Ösen. In einer Zeit, in der jede Sekunde auf Station mit einem klingelnden Kassengeräusch assoziiert wurde, hatte dieser medizinische Profi menschlichere Prioritäten. Das verursachte eine gastrointestinale Unstimmung bei der Klinikdirektorin Miss Redcliff, worauf Dr. Mike Redcross, 46 Jahre jung und körperlich sehr gut durchtrainiert, in ihrem Büro bei einem Glas Wasser eine wirtschaftswissenschaftliche Lektion über den profitablen Betrieb eines Krankenhauses hören musste. John mochte ihn sehr, hatte er Ähnlichkeiten mit seiner Mutter. Okay, John setzte sich mit Hilfe von James T. und Dr. Redcross auf den nächsten Stuhl und war heftig durchgeschüttelt. Nicht durch den Sturz, sondern durch den Anblick seines Bauches, War das wirklich sein Bauch? Der herabhängende Pflasterverband wurde notdürftig wieder angebracht, John schüttelte seinen Kopf und schaute abwechselnd seinen Bauch, James T. und Dr. Redcross an. „Was zur Hölle ist mit dem Bauch? Hey, erklären Sie mir das, bitte“ Je mehr er sich in dieses Das-ist-nie-mein-Bauch Gefühl hineinsteigerte, desto schneller wurden seine Atemzüge. Schon nach Sekunden glich seine Atmung einer Formel 1 Maschine und es fing an. John nahm kaum noch etwas wahr. Die Angst hatte ihn so hart und aufdringlich im Griff, bis sie ihn kontrollierte. Geist, Körper und Nervensystem liefen auf Hochtouren. Das Leben spielte sich in seinen letzten Sekunden ab. John hatte keinen Einfluss mehr auf die Motorik seiner Arme, seiner Hände und Beine. Er fing an zu krampfen. Der Körper wurde ein unkontrolliert schlagendes Herz ohne jedes Gefühl für Gleichmäßigkeit. Die Welt um ihn wurde nebensächlich. Er fiel tiefer und tiefer und der Teufel schrie ungöttlich ein Halleluja. Er nahm seinen vergifteten Dreizack und beugte sich mit seinem schwarzen und feuerroten Kopf über ihn und öffnete sein halb verwestes Maul, und.. und…und…Aber.. John fühlte plötzlich, wie sich dieser diabolische Horror ganz langsam verabschiedete, wie diese unwirkliche Welt eines wild um sich schlagenden Herzes die Regionen verließ, in denen sein menschlicher Geist wohnte. John erkannte Dr. Redcross wieder, der seine Hand väterlich auf Johns Schulter legte: „Hey Mr. Feelgood. Hey John, geht es ihnen jetzt besser? Müssen Sie uns denn immer so einen Schrecken einjagen? Hey, junger Mann, James T. bringt Sie nun in ihr Zimmer und sie legen sich etwas hin. Ich habe ihnen etwas zur Beruhigung gespritzt und das macht sie müde. Ich komme gleich nach der Visite zu Ihnen und wir unterhalten uns noch einmal über ihre Verletzungen. Ist das ok? Also bis gleich“ kehrte um und ging in das nächste Zimmer seiner Visite. Sein Magen knurrte und er dachte sehnsüchtig an eine Pause, die ich Ihnen, verehrte Leserin und verehrter Leser, jetzt auch vorschlage.
Ich musste Sie am Anfang meines Buches auf so manche Dinge hinweisen. Dieses Mal ging es nur um die schimmernde Bauchhaut, die sogenannte Faszie, die John zu schaffen machte. Es wird bald krasser, verlassen Sie sich drauf. Stephen King könnte spätestens dann neidisch werden. Jetzt entspannen Sie sich erst einmal und widmen Sie sich Ihrem Partner, der bestimmt gelangweilt Fernsehen schaut, weil da mal wieder nur Mist kommt. Weil er sich jedes Mal ärgert, wenn die Gebühren für dieses dämliche Programm fällig werden, die er Monat für Monat aus dem Fenster schmeißt. Nehmen Sie ihn in die Arme, sagen Sie ihm etwas Schönes, geben Sie ihm einen zärtlichen Kuss und sagen Sie ihm, dass Sie ihn lieben. Was, Sie haben keinen Partner, sie sind auch in keiner lockeren Beziehung und/oder sind auch nicht verheiratet? Sie liegen immer noch alleine im Bett oder sitzen tatsächlich immer noch alleine im Wohnzimmer bei offener Flamme am Kamin, die tanzend von einem Holzscheit zum anderen hüpft, weil ihr Superstar noch arbeitet? Ja dann streicheln Sie doch Ihren Hund oder Ihre Katze. Haben Sie weder und noch, dann stehen Sie auf, öffnen das Fenster, weil Ihre Kurzatmigkeit, die Sie von John übernommen haben, die Zimmerluft beeinträchtigte und stecken sich zu der gerade angeschmissenen Funky Musik eine Zigarette an. Wie, Sie rauchen nicht? Wie klug von Ihnen. John wird nie klug. Er hört mal auf, fängt dann wieder an, dann pafft er und ist Sitting Bull, der mit einer Friedenspfeife am Lagerfeuer sitzt. Der Feuerlöscher ist vorsichtshalber in der Nähe. Der Mann kann es einfach nicht lassen, rauchen und Kind bleiben. Er weiß, dass die Qualmerei auf die Dauer nichts für die Haut ist, Den Sex kann er sowieso abhaken. Nicht nur wegen des abartigen Mundgeruchs, vorher und nachher, nein, Kinderwünsche werden zu Albträumen. Antonio, der Barkeeper, hat es schon längst begriffen, aber John? Dieser verdammte Suchtbolzen. Naja, mit 58 Jahren will der doch keine Kinder mehr zeugen, oder? Auf eine Haut mit Falten braucht er eh nicht mehr zu achten, die hat er schon. Okay, nun aber weiter zu Ihnen. Statt der Qualmerei trinken sie besser eine Coke ( Nein, ich werde nicht von dieser Firma gesponsert, die das dunkle one and only prickelnde Wasser herstellt, das verdammt erfrischt, wenn ich vom Sport gekommen bin und eine gemütliche Pause brauche) oder einen Whiskey, der Sie ins schottische Hochland befördert, der Ihnen die Bagpipes und den Kilt zum Kult werden lässt und fragen Sie sich bitte nicht, ob John noch lebt. Ja, natürlich lebt er noch. Er sitzt gerade in seinem Café La Vita, das sein italienischer Freund Sandro mit mediterraner Leidenschaft führt, und trinkt einen Espresso, dazu liest er Zeitung. Er fühlt sich gut und genießt die Adventszeit. Nach all den Jahren hat er es sich verdient. Wow, er lebt wieder. Hmm, um Gottes willen, ich bin noch lange nicht fertig mit dem Buch. Ich nehme Ihnen doch nicht das Ende vorweg. Ich bin doch nicht blöd. Ich habe mich soeben an das Schreiben gewöhnt. Nein, liebe Leserin und lieber Leser in LCC, in Cleanwood Bay oder Tekcity Forest, in Europa oder Asien, Australien oder Afrika, auf einer Insel oder unter Wasser, es geht gleich weiter. Ich stehe jetzt auf und trinke meine Coke, freue mich jetzt schon auf das Prickeln unter und über meiner Zunge. Bis gleich.
Haben Sie die Pause genossen? Was für einen Drink hatten Sie? Hmm, einen 25 Jahre alten Scotch Malt haben Sie zur Feier des Tages geöffnet, weil Ihr Partner Sie nach 16 Jahren Ehe heute zu Hause sitzen gelassen hat? Sollte mir das zum Denken Anlass geben? Ich glaube nicht. Nach so vielen Jahren der trauten Zweisamkeit, wovon sie sich in den letzten Monaten nichts mehr zu sagen hatten, weil es einfach nichts mehr zu sagen gibt, vertrauen Sie Ihrem Partner voll und ganz. Hey, das ist cool. Nippen Sie noch einmal am Glas. Beweisen Sie Ihren guten Geschmack und lesen Sie weiter. Wo war ich? Ach ja, der alte John hatte sich ganz schön auf das Maul gelegt. Eigene Schuld, wenn der Dickkopf grundsätzlich das macht, was er nicht machen soll. Er lag auf den Boden, bekam eine Spritze und war wieder im Zimmer………
John hatte keine Mühe, sich ins Bett zu legen. Er war fertig, fix und fertig, er war alle. Das Beruhigungsmittel zeigte seine Wirkung. Er wollte nur noch schlafen und legte sich auf die linke Seite und schloss die Augen. Bekam er jetzt die Ruhe, die haben wollte? Nach ein paar Minuten wollte das Einschlafen aber nicht so recht klappen. Er war trotz der Spritze innerlich noch ziemlich aufgewühlt. „Verdammt“ dachte er „ich will endlich pennen. Was ist mit dieser Spritze? Wirkt die nicht mehr?“ und legte sich auf seine rechte Seite und zog sich die Bettdecke über seinen Kopf. Er versuchte es mit langen Atemzügen. Einatmen… ausatmen… einatmen… ausatmen…ein…..aus….ein...aus…