Читать книгу Ist das wirklich Isabell? - Marie Louise Fischer - Страница 4

Ein verheißungsvoller Anfang

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Es ist ein feines Gefühl, morgens aufzuwachen und zu wissen: Heute habe ich Geburtstag!

Isabell, die sich sonst immer erst beim dritten Wecken entschloß, munter zu werden, sprang bei diesem Gedanken mit einem Satz aus dem Bett.

„Hurra, ich hab’ Geburtstag!“ rief sie begeistert.

Sie packte ihr Nachthemd mit beiden Händen und tanzte wie ein Kreisel durch das Zimmer, bis ihr schwindelig wurde und sie sich auf den Sessel vor ihrem kleinen Toilettentisch setzen mußte.

Ja, ihr habt richtig gelesen: Isabell hatte einen eigenen Toilettentisch mit einer Glasplatte, auf derKammund Bürste lagen, beide mit Silbergriffen und Monogrammen, zwei Cremedosen standen daneben und ein Fläschchen Kölnisch Wasser. Aber die Hauptsache war der große ovale Spiegel, den man nach vorn oder nach hinten kippen konnte, je nachdem, wie man sich betrachten wollte.

Isabell blickte in den Spiegel, und das, was sie sah, befriedigte sie sehr. Hellblondes Haar ringelte sich um ihr schmales Gesicht, die Wimpern ihrer großen grauen Augen waren lang und schwarz und schön gebogen, auch die Brauen waren dunkel und kräftig gezeichnet, der Mund war rund und voll — nur die Nase zeigte einen leichten Schwung nach oben. Isabell klemmte die Nasenflügel zusammen und drückte die Nasenspitze herunter. So hielt sie es eine ganze Weile aus, aber dann, als sie es satt bekam und die Nase losließ, richtete sie sich sofort wieder nach oben.

„Bäh!“ sagte Isabell und streckte ihrem Spiegelbild die Zunge heraus.

Sie glich in diesem Augenblick nicht im geringsten mehr der zarten kleinen Prinzessin, die sie gerne sein wollte, sondern eher einem rechten Lausbuben.

Eine Viertelstunde später, als sie am Frühstückstisch erschien, war sie wieder ganz Dame. Sie hatte ihr allerbestes Schottenkleid angezogen, mit dem gerüschelten Kragen und den gerüschelten Manschetten; ihr blondes Haar war schön gebürstet und fiel in weichen Wellen bis auf die Schultern, und ihr schmales Gesicht strahlte engelhafte Bravheit aus.

„Guten Morgen, mein Schatz … meine allerherzlichsten Glückwünsche!“ Die Mutter, die am Kopfende des Tisches gesessen hatte, stand auf und nahm Isabell zärtlich in die Arme, küßte sie auf beide Wangen. „Wie fühlst du dich als Geburtstagskind?“

„Na, zehn Jahre alt zu werden, das ist keine Kleinigkeit“, erklärte Isabell mit Würde und setzte sich auf ihren Platz; ihr Gedeck war mit einem Blumenkranz umgeben. „Kann ich, bitte, ein Stück Kuchen haben?“

Frau Grunert schnitt ein Stück von dem schokoladenüberzogenen Gugelhupf ab. „Ich habe ihn selber gebacken“, sagte sie, „Torte gibt es erst heute nachmittag!“ Sie schenkte ihrer kleinen Tochter Tee ein.

„Wo sind die anderen?“ fragte Isabell.

„Elke muß schon um sieben Uhr aus dem Haus, das weißt du doch, Bernd wird bestimmt gleich kommen, und Vater habe ich noch nicht geweckt. Heute mittag sind wir alle beisammen. Elke kommt deinetwegen zum Essen nach Hause.“

„Gehört sich auch so“, sagte Isabell und steckte sich noch ein Stück Kuchen in den Mund.

„Schmeckt es dir?“

„Danke, ausgezeichnet! Wann ist die Bescherung?“

„Sobald du aus der Schule kommst!“

„Warum nicht gleich?“

„Aber, Isabell … wir haben doch immer erst mittags beschert!“

„Weiß ich. Aber ich habe doch ausdrücklich gesagt, daß ich diesmal nicht so lange warten will!“

Die Mutter seufzte. Ich habe es ausdrücklich gesagt! — für ein zehnjähriges Mädel eine recht dreiste Rede. Das fand sogar Frau Grunert, Isabells allzu nachgiebige Mutter.

„Ist doch wirklich wahr“, murrte Isabell, „es dauert schon sowieso immer ein ganzes Jahr, bis es soweit ist, und dann noch bis mittags warten … das grenzt ja an Tierquälerei!“

„Isabell … bitte!“

„Verrat mir wenigstens, was ich kriege!“

„Da du, wie du selber gesagt hast, schon ein ganzes Jahr auf diesen Geburtstag gewartet hast, kommt es doch auf die paar Stunden auch nicht mehr an.“

„Doch. Unbedingt. Ich halte es einfach nicht mehr aus … bitte, bitte, liebe, süße, gute Mama, ich flehe dich an … sag mir, was ich kriege! Ich verrate auch den anderen kein Sterbenswörtchen, daß ich es schon weiß!“ Isabell war aufgesprungen, hatte die Arme um den Hals ihrer Mutter gelegt und drückte das Gesicht an ihre Wange.

Frau Grunert versuchte, sie abzuwehren. „Bitte, mach es mir nicht so schwer, Schatz!“

„Aber ich will es dir schwer machen, Mamutschka! Was ist denn schon dabei, wenn du es mir jetzt sagst! Heute mittag erfahre ich es ja doch!“

„Eben. Also gedulde dich!“

„Aber ich kann es nicht … ich kann es wirklich nicht! Glaubst du denn, ich könnte in der Schule auch nur fünf Minuten aufpassen, wenn ich nicht weiß, was zu Hause auf mich wartet?“

Frau Grunert holte tief Luft, dann sagte sie: „Na schön! Dann …“

Aber sie kam nicht dazu, ihren Satz zu Ende zu sprechen, denn in diesem Augenblick trat Bernd, Isabells achtzehnjähriger Bruder, ins Zimmer.

„Guten Morgen, Kleines“, sagte er, packte Isabell am Nacken und schüttelte sie ein bißchen, „gratuliere zum Geburtstag!“

„Au … du tust mir ja weh!“ rief Isabell empört.

„Die Prinzessin auf der Erbse!“ Bernd beugte sich über seine Mutter, küßte sie. „Guten Morgen, Mama!“

„Gut geschlafen, Großer?“

„Prima, wie immer!“

Isabell setzte sich wieder auf ihren Platz. Sie war wütend. Wenn Bernd nicht im ungeeignetsten Moment gekommen wäre, das wußte sie ganz genau, hätte die Mutter ihr ihre Geschenke verraten.

Bernd betrachtete sie erstaunt. „Was ist denn los mit dir, Kleines? Ist dir die Petersilie verhagelt?“

„Laß mich in Ruh!“

„Ärgere sie nicht, Bernd!“ sagte die Mutter. „Sie hat nur wissen wollen, was sie geschenkt kriegt!“

„Ach so!“ Bernd lachte. „Und wie ich dich kenne, Mamutschka, wärst du bestimmt weich geworden, wenn ich nicht hereingeplatzt wäre! Ich habe es ja schon oft gesagt, du und Vater, ihr seid dieser kleinen Kröte einfach nicht gewachsen.“ Er lachte noch mehr, als er Isabells zorniges Gesicht sah.

„Komm, komm! Nur nicht wild werden. Das ist eine ganz falsche Taktik. Versuch’s doch mal mit mir! Wer sagt dir denn, daß ich dir nicht verraten kann, was heute mittag auf dich wartet?“

Isabells Gesicht hellte sich auf, aber ihre Stimme klang noch sehr mißtrauisch, als sie fragte: „Wurdest du es tun?“

„Vielleicht.“ Er steckte sich einen Bissen Kuchen in den Mund, drückte ihn hinunter, sagte dann: „Wenn du mich recht schön bittest!“

Isabell sah in das verschmitzte Gesicht ihres Bruders. „Den Gefallen tu ich dir nicht“, erklärte sie von oben herab, „wie käme ich denn dazu? Wenn du mich auf den Arm nehmen willst, mußt du früher aufstehn.“

„Bitte, hört auf, euch zu zanken!“ sagte Frau Grunert energisch. „Ihr wißt, wie sehr ich das hasse … noch dazu an Isabells Geburtstag!“

„Bernd hat angefangen. Er will mich durchaus ärgern!“

„Wirklich, Bernd, du solltest dran denken, daß du älter bist!“ sagte Frau Grunert. „Du als ihr großer Bruder solltest sie eigentlich beschützen!“

„Glaubst du wirklich, Isabell braucht Schutz, Mamutschka? Da kann ich ja nur kichern. Das einzige, was ihr fehlt, sind hin und wieder einmal ein paar hinter die Ohren!“

„Bernd … aber wirklich!“ sagte Frau Grunert ärgerlich.

„Kränk dich nicht, Mama“, sagte Isabell mit heuchlerischer Sanftmut, „er versteht es nun einmal nicht besser!“ Sie schnitt dem großen Bruder blitzschnell eine Fratze.

„Möchtest du noch ein Stück Kuchen, Isabell?“ fragte die Mutter.

„Nein, danke … ich muß jetzt laufen!“ Isabell stand auf, legte die Serviette zerknüllt neben den Teller, küßte ihre Mutten. „Bis heute mittag, Mama!“

Frau Grunert runzelte die Stirn. „Sag mal, willst du wirklich in diesem Kleid in die Schule?“

„Warum nicht? Es ist doch sehr schick.“

„Sicher. Aber es ist doch viel zu schade für die Schule!“

„Du vergißt, daß ich heute Geburtstag habe!“

„Das habe ich keineswegs vergessen“, sagte Frau Grunert, und es war ihr anzumerken, wie sehr sie sich bemühte, streng zu sein, „aber ich finde nicht, daß das ein Anlaß ist, dich vor deinen Klassenkameradinnen aufzuspielen!“

„Aufspielen … wie kommst du denn darauf?“

„Mama“, sagte Bernd, „warum läßt du dich mit dem Kind auf Diskussionen ein? Befiehl ihr einfach, sich umzuziehen … und schon ist der Fall erledigt!“

Isabell war schon in der Tür. „Leider, mein verehrungswürdiger Bruder“, sagte sie mit einem süßen Lächeln, „bleibt mir dafür keine Zeit mehr!“

„Aber die Serviette könntest du wenigstens Zusammenlegen!“ rief Bernd.

Isabell hörte es noch in der Diele, aber sie dachte nicht daran, noch einmal zurückzugehen. Sie war mit sich zufrieden. Wenn sie auch nicht herausgebracht hatte, was sie geschenkt bekam, so hatte sie sich doch wenigstens von Bernd nicht kleinkriegen lassen. Das war schon viel wert.

Ist das wirklich Isabell?

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