Читать книгу Verbotene Liebe - Liebesroman - Marie Louise Fischer - Страница 5
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ОглавлениеSabine Kortner erwachte an diesem Morgen in rosigster Laune. Sie ahnte nicht, welch eine Enttäuschung ihr dieser Tag noch bringen sollte.
Natürlich entging den Kolleginnen in der Kanzlei nicht die Veränderung, die mit Sabine vorgegangen war. Man stellte lauernde Fragen, Sabine lächelte nur und schwieg. Aber sie nützte die erste günstige Gelegenheit, um mit ihrem Chef zu sprechen.
„Herr Doktor“, sagte sie, „darf ich Sie bitten, mich heute pünktlich nach Hause zu lassen?“
Rechtsanwalt Dr. Brettschneider betrachtete sie mit einem Lächeln. „Wenn Sie Angst haben, noch einmal im Aufzug steckenzubleiben, können Sie ja die Treppe benutzen, Sabine.“
„Das ist es nicht, Herr Doktor . . .“
„Hm . . . Sie haben wohl eine Verabredung?“
Sabine schwieg.
„Es geht mich zwar nichts an . . .“ Brettschneider runzelte die Stirn. „Aber falls es der junge Hartmann ist, auf den Sie ihre hübschen Augen geworfen haben, so möchte ich Sie warnen.“
„Warnen?“ Sabine fühlte einen Stich im Herzen.
„Sie sind meine tüchtigste Kraft, Fräulein Kortner, das wissen Sie. Es wäre mir sehr unangenehm, wenn . . .“ Dr. Brettschneider unterbrach sich. „Na ja, Sie sind alt genug, um auf sich aufzupassen. Also gehen Sie heute pünktlich. Ich werde mich dann mit Trudi begnügen müssen.“
„Mit Trudi habe ich schon gesprochen.“
„Das war sehr umsichtig von Ihnen. Viel Spaß dann, Sabine!“
„Danke, Herr Doktor!“ sagte sie strahlend.
Punkt fünf Uhr verließ Sabine Kortner die Kanzlei und fuhr geradewegs nach Hause. Sie wusch sich das Haar, aß ein Butterbrot, während sie das nasse Haar mit einem Fön trocknete. Dann machte sie sich sehr sorgfältig zurecht. Sie wählte für das erste Rendezvous mit Peter Hartmann ein leuchtend blaues Leinenkleid mit leicht ausgestelltem Rock, großem, weißem Kragen und dekorativen weißen Knöpfen. Es betonte ihre jugendliche Anmut.
„Laß dich anschauen“, sagte Frau Kortner, als Sabine sich verabschiedete. „Gut siehst du aus!“
Sabine gab ihrer Mutter einen leichten Kuß. „Ich habe getan, was ich konnte“, sagte sie lächelnd.
„Ich hoffe nur, daß sich der Aufwand auch lohnt.“
„Hör auf zu unken, Mutti . . . Es wird heute wieder herrlich werden!“
„Hoffentlich!“ Frau Kortner hob die Stimme. „Ach, Kind, noch etwas. Wir sprachen doch gestern abend über Tante Emmy, meine Schwester. Und wenn man vom Teufel spricht . . .“
„Mutti!“
„Ja, also meine Schwester hat mir einen Brief geschrieben. Er kam heute mit der Post. Sie bittet darum, daß ich ihr eine Bescheinigung beschaffe, in der bestätigt wird, daß sie damals in dem Mütterheim, wo sie ihr uneheliches Kind zur Welt brachte, auch gearbeitet hat. Sie braucht sie für die Rentenversicherung.“
„Das kannst du doch wirklich für Tante Emmy tun“, sagte Sabine und sah ungeduldig auf die Uhr.
„Nein!“ stieß Frau Kortner hervor. „Keine zehn Pferde bringen mich in dieses Mütterheim!“
„Mutti, du bist voreingenommen. Ein Mütterheim ist doch eine gute soziale Einrichtung . . . Weißt du was? Ich werde hingehen und die Bescheinigung besorgen!“
„Ja, geh nur hin!“ rief Frau Kortner aus. „Sieh es dir genau an! Damit es dir zur Warnung dient! Damit du alles vermeidest, was dich selbst dorthin bringen könnte! Ich meine, wenn du . . .“
Sabine lächelte. „Beruhige dich doch. Und denk daran, was du mir versprochen hast. Du wolltest mich nie mehr bevormunden . . .“ Und dann sagte sie etwas, was sie früher nicht gewagt hätte: „Ich weiß nicht, wann ich heute nach Hause kommen werde. Mach dir also keine Sorgen. Und bitte, warte auch nicht auf mich . . .“
Sie hörte den tiefen Seufzer, den ihre Mutter ausstieß, und zog schnell die Wohnungstür hinter sich zu.
Fünf Minuten vor der verabredeten Zeit war Sabine vor dem Nationaltheater. Es war wieder ein schöner, warmer Spätsommerabend. Von Peter war weit und breit nichts zu sehen, aber das beunruhigte sie nicht. Sie stieg die flachen Stufen hinauf und stellte sich an eine der Säulen, so daß sie den weiten Platz gut überschauen konnte.
Sie sah plötzlich einen blonden jungen Mann in tadellos sitzendem grauen Anzug auf sich zukommen. Aber im nächsten Augenblick sah sie schon über ihn hinweg. Sie wollte sich nicht ansprechen lassen. Erst als sie aus den Augenwinkeln sah, daß der fremde junge Mann sie anlächelte, wurde sie stutzig. Sie drehte den Kopf demonstrativ zur Seite.
Da sprach er sie an. „Fräulein Kortner? Sabine Kortner?“
Langsam wandte sie sich ihm zu. „Ja, so heiße ich“, sagte sie abweisend. „Was wollen Sie von mir?“
„Ich bin Erich Krüger. Ein Freund von Peter!“
Die Enttäuschung traf sie wie ein Schlag. Ihre Hände verkrampften sich. „Er kommt nicht?“ fragte sie heiser.
„Genau!“ bestätigte Erich Krüger lächelnd. „Er hat mich quasi als Ersatz geschickt.“
„Reizend von ihm“, sagte Sabine eisig. Sie hatte sich gefangen und wandte sich zum Gehen.
Erich Krüger blieb an ihrer Seite. „Sie dürfen das nicht so tragisch nehmen“, sagte er unbekümmert. „Wenn Sie Wert auf Peters Freundschaft legen, müssen Sie sich an solche Zwischenfälle gewöhnen. Er ist nun mal ein vielbeschäftigter Knabe.“
Sabine ging schweigend weiter über den Theaterplatz.
„Er war sehr besorgt, wie Sie’s auffassen würden . . .“ Erich Krüger folgte ihr. „Deshalb hat er ja mich geschickt. Ich bin für solche Fälle zuständig, wissen Sie.“
Sabine blieb stehen und musterte ihn. Erich Krüger war ein gutaussehender junger Mann. Er hätte noch besser ausgesehen, wenn seine Züge nicht etwas weichlich und verschwommen gewirkt hätten. Er hatte eine gerade Nase, graue, leicht ins Grünliche gehende Augen, ein schwaches, fliehendes Kinn. Und ein Zug von Verbitterung war in die Mundwinkel eingekerbt.
„Herr Krüger“, stieß sie hervor. „Ich danke Ihnen für Ihre schonende Eröffnung. Bestellen Sie Herrn Hartmann einen schönen Gruß von mir und sagen Sie ihm, daß ich . . . daß ich . . .“
Sie verhaspelte sich und wurde rot vor Verlegenheit.
„Aber!“ Erich Krüger grinste. „Schönes Fräulein, warum so böse? Immerhin, der gute Peter hätte Sie ja auch einfach warten lassen können – bis Sie Schimmel angesetzt hätten!“
„Ich weiß diese überwältigende Rücksichtnahme sehr wohl zu schätzen, Herr Krüger.“ Sie sagte es, weil sie diesen blonden Playboytyp nicht mochte. Sie wollte ihn loswerden. „Leben Sie wohl!“
„Aber wo wollen Sie denn hin?“ rief Erich überrascht. „Hören Sie mal, Sabine. Sie reagieren ganz falsch. Peter hat sie geärgert – warum ärgern Sie ihn nicht wieder? Kommen Sie! Der Abend ist doch viel zu schön, um zu Hause zu sitzen und Trübsal zu blasen. Das hat Peter bestimmt nicht verdient. Ich kenn’ doch meinen Freund Peter! Mädchen sind für den nur Spielzeug. Aber ich . . .“ Er faßte Sabine am Arm. „Ich weiß da ein nettes Gartenlokal in Schwabing . . .“
„Nein. Danke.“ Sie befreite sich, aber sie ging nicht weiter.
„Nun seien Sie doch nicht so! Sehen Sie mich mal an! Ich bin doch schließlich auch nicht übel. Und Peter, na ja . . .“
„Bitte“, sagte Sabine, sie konnte nur noch mit Mühe die Tränen zurückhalten, „bitte, lassen Sie mich in Ruhe.“
„Ich mein’s doch nur gut mit Ihnen.“ Wieder erfaßte er ihren Arm.
„Sie interessieren mich nicht!“ rief Sabine plötzlich außer sich. „Begreifen Sie doch endlich . . . Lassen Sie Ihre Hände von mir!“
Erich Krügers Augen bekamen einen gefährlichen grünen Schimmer. „Sie sind ja hysterisch“, sagte er böse.
„Denken Sie von mir, was Sie wollen, doch hören Sie endlich auf, mich zu belästigen!“
Sie lief einfach davon. Der Rock ihres blauen Kleides schwang um ihre schlanken Beine, ihr aschblondes Haar wehte wie eine Wolke um ihren Kopf. Sie sah bezaubernd aus, noch in ihrer Erregung.
Aber der Blick, mit dem Erich Krüger ihr nachsah, zeigte keine Bewunderung, sondern kalte Wut. Eine Wut, die aus Neid erwuchs, aus gekränkter Eitelkeit und aus Rachsucht . . .
„Schon zurück?“ fragte Frau Kortner, als Sabine eine halbe Stunde später nach Hause kam. Es fiel der Mutter schwer, ein Lächeln der Genugtuung zu unterdrücken.
„Bitte, Mutti . . . bitte, frag mich nicht.“
„Na, ich kann es mir auch selber zusammenreimen. Hat dich sitzenlassen, der feine Kavalier!“
Sabine warf ihr einen flehenden Blick zu.
„Schon gut . . . Kein Wort mehr darüber“, sagte Frau Kortner hastig. „Dieser Mann ist es nicht wert. Ja, einem armen Mädel den Kopf verdrehen, das kann er, aber dann . . . Entschuldige bitte, ich bin schon still. Ich werde jetzt schnell das Abendessen richten und . . .“
„Danke, Mutti, ich habe keinen Hunger.“ Sabine schluckte krampfhaft.
„Kind, ich verstehe ja, wie unglücklich du jetzt bist . . .“
Sabine lief in ihr Zimmer, drückte die Tür hinter sich zu. Sie warf sich über das Bett und ließ ihren Tränen freien Lauf.
Sie hat ja recht, hallte es in ihrem Kopf, hämmerte es in ihrem Herzen. Dieser Erich Krüger hat es auch gesagt . . . Ich bin nur ein Spielzeug für Peter. Es kann nicht anders sein. Ich bin ja nur ein kleines, unbedeutendes Mädchen . . .
Leise öffnete sich die Tür, und ihre Mutter kam herein.
„Wein doch nicht, mein Kind“, sagte Frau Kortner. „Dieser Mann ist es gar nicht wert. Die wollen doch alle nur das gleiche. Und die armen Mädchen landen dann im Mütterheim . . .“
Der Vertrag mit den Vertretern des Chemiekonzerns wurde kurz vor acht Uhr unterschrieben. Es ging um ein Bauprojekt, das nach vorsichtiger Schätzung etwa 95 Millionen Mark verschlingen würde.
Paul Hartmann legte den unterschriebenen Vertrag sorgfältig in eine Ledermappe und sah dann lächelnd auf. „Ich glaube, meine Herren, dieser Abschluß sollte gefeiert werden. Ich habe bereits ein entsprechendes Programm zusammengestellt, das Ihren Ansprüchen gewiß gerecht werden wird . . .“
Peter Hartmann blickte auf seine goldene Armbanduhr. Er hatte während der ganzen Verhandlung unentwegt an Sabine denken müssen. Es war nicht aufgefallen, denn sein Vater hatte das schwierige Gespräch mit den Chemieleuten ganz im Alleingang geführt.
Ich muß sie sehen! beschloß er. Sabine, mein Liebes...
Peter erhob sich und flüsterte seinem Vater zu, aber so, daß es zwei der Herren auch hörten: „Entschuldige mich bitte. Mir ist nicht gut . . . Eine Grippe, glaube ich . . .“
Ohne die Antwort seines Vaters abzuwarten, hastete er aus dem Konferenzzimmer, rannte zu seinem Sportwagen, den er auf dem Parkplatz im Hof abgestellt hatte. Er fuhr in die Goethestraße.
Peter hatte Sabines Bitte, sie nicht zu Hause aufzusuchen, zwar nicht vergessen, aber sie schien ihm bedeutungslos. Einmal muß ich mich der Mutter ja doch vorstellen, sagte er sich. Warum nicht heute?
Zwei Stufen auf einmal nehmend, rannte er die ausgetretenen Treppen des düsteren Hauses hinauf und klingelte an der Wohnungstür.
Frau Kortner öffnete. Sie trug ein einfaches Hauskleid. Ihr Haar, schon von grauen Strähnen durchzogen, war straff zurückgekämmt.
„Guten Abend“, sagte Peter höflich. „Ich möchte Fräulein Sabine Kortner sprechen!“
Frau Kortner kniff die blaßblauen Augen mißtrauisch zusammen.
„Ich bin Peter Hartmann . . .“
„Ach so. Sie sind das!“ Abwehr lag in Maria Kortners Stimme.
„Würden Sie wohl bitte Ihrer Tochter sagen, daß ich da bin?“
„Ich weiß nicht . . .“
Peter Hartmann drückte einfach die Tür auf und trat in die kleine Diele.
Frau Kortner war so verdutzt, daß sie fast gegen ihren Willen sagte: „Bitte, kommen Sie ins Wohnzimmer.“
Das Wohnzimmer war ein freundlich eingerichteter Raum, der gemütlich hätte wirken können, wenn er nicht so überaus aufgeräumt gewesen wäre. Jeder Stuhl, jedes Kissen, jedes Ding hatte seinen ganz bestimmten Platz. Es sich hier bequem zu machen, hätte einer Entweihung geglichen. Die Möbel waren weder alt noch neu, durchaus nicht häßlich, aber unpersönlich, als wären sie nach dem Katalog eines Versandhauses bezogen worden. Es gab einen üppig wachsenden Gummibaum, dessen glänzende Blätter verrieten, daß sie jeden Tag abgestaubt wurden.
Über der Couch dominierte das Bild einer bayrischen Landschaft in Öl. Auf einem Büfett standen zahlreiche Familienfotos, sorgfältig gerahmt und hinter Glas: Sabine als Baby, Sabine als Schulkind, Sabine als Teenager, Sabine und immer wieder Sabine. Ein größeres oval gerahmtes Foto zeigte das Brustbild eines blonden Herrn mit lustigen Augen. Peter Hartmann war sicher, daß es sich um Sabines tödlich verunglückten Vater handelte.
Er hatte Zeit genug, sich umzusehen, denn es dauerte eine ganze Weile, bis Frau Kortner, die die Tür sorgfältig hinter sich geschlossen hatte, wieder eintrat.
„Sabine kommt gleich“, sagte sie, und in ihrer Stimme klang äußerste Mißbilligung.
„Hübsch haben Sie es hier“, erklärte Peter Hartmann, dem daran lag, Sabines Mutter für sich zu gewinnen.
„Es ist sicher nicht so elegant, wie Sie es von zu Hause gewohnt sind“, gab Frau Kortner spitz zurück. „Wir sind einfache Leute . . .“
Eine peinliche Pause entstand. Peter Hartmann fiel beim besten Willen nichts ein, womit er dieses Gespräch hätte fortsetzen können. Er war unendlich erleichtert, als die Tür sich öffnete und Sabine ins Zimmer trat. Ihre Augen waren vom Weinen etwas gerötet, ihr hübsches blaues Leinenkleid war leicht zerknittert.
„Sabine!“ Peter trat mit einem raschen Schritt auf sie zu. „Sabine, sei mir nicht böse, daß ich dich so überfalle, aber ich habe es einfach nicht ausgehalten. Ich mußte dich heute noch sehen!“
Bei diesen impulsiven Worten schmolz der letzte Rest von Erbitterung und Groll in ihrem Herzen dahin. „Peter“, sagte sie strahlend, „ich bin ja so froh!“
„Warst du sehr enttäuscht? Es hat mir so leid getan, aber mein Vater . . .“
„Du brauchst mir nichts zu erklären“, sagte Sabine mit einem Seitenblick auf ihre Mutter.
Peter Hartmann verstand sofort. „Du hast recht, wir wollen nicht mehr darüber sprechen. Wir fahren jetzt irgendwohin zum Essen. Nachher vielleicht ein bißchen tanzen . . . Sie haben doch nichts dagegen, Frau Kortner?“
„Meine Tochter ist erwachsen, Herr Hartmann. Sie kann tun und lassen, was sie für richtig hält.“ Frau Kortner ließ zwischen ihren Worten deutlich durchblicken, wie sehr sie Sabines Verhalten verurteilte.
Sabine überhörte es. „Dann bis nachher, Mutter“, sagte sie und drückte ihr einen herzlichen Kuß auf die Wange. „Komm, Peter! Ich hab’ wirklich Hunger!“
„Dann fahren wir in,Gustl’s Kanne‘. Einverstanden?“
„Wohin du willst!“
Auf der Fahrt in das elegante Eßlokal erklärte Peter noch in allen Einzelheiten, warum er zu dem Rendezvous am Nationaltheater nicht kommen konnte.
„Ich war ganz verzweifelt“, sagte er, „aber was sollte ich machen? Zu Hause hast du kein Telefon, und in der Kanzlei wollte ich nicht anrufen . . .“
„Es war blöd von mir, so beleidigt zu reagieren“, gestand Sabine. „Ich hätte mir gleich denken sollen, daß etwas Geschäftliches dazwischengekommen ist.“
„Was hast du dir denn gedacht?“
Sabine senkte den Blick. „Ich weiß nicht. Dieser Erich Krüger hat so komische Bemerkungen gemacht . . .“
„Das sieht ihm ähnlich! Er kann die blöden Witze nicht lassen! Ich glaube, dem werd’ ich mal Bescheid geben müssen.“ Peter Hartmann zog den roten Porsche rasant durch eine Kurve. „Aber ansonsten ist er ein guter Junge. Man darf ihn bloß nicht ernst nehmen.“
„Ihr seid Freunde?“
„Na, wie man’s nimmt. Ich habe am Anfang meines Studiums ein Jahr lang mit ihm in der gleichen Bude gehaust. Sowas verbindet.“
„Ich war ziemlich abweisend zu ihm. Glaubst du, er wird mir das übelnehmen?“
„Ach was! Mach dir darüber keine Gedanken! Das werd’ ich schon wieder einrenken.“ Er legte den Arm um Sabines Schulter und drückte sie liebevoll an sich. „Ich bin so froh, daß ich diesen Abend doch noch mit dir verbringen kann. Freust du dich auch?“
„Ja, Peter“, sagte sie und kuschelte ihren Kopf an seine Schulter.
„Viel mehr Sorgen macht mir deine Mutter. Sie ist nicht gerade gut auf mich zu sprechen . . .“ Er nahm die zweite Hand wieder ans Lenkrad.
„Auf keinen Mann.“ Sabine wurde plötzlich ernst. „Aber das ist mir egal!“
Eine kleine Pause entstand. Dann sagte Peter mit veränderter Stimme: „Sabine, vielleicht hältst du mich jetzt für verrückt . . . Aber ich . . . ich meine es ernst mit dir . . .“
Sie hielt den Atem an, ihr Herz begann wild zu pochen. Sprich weiter! flehte sie im stillen. Liebster, sprich bitte weiter . . .
Peter starrte durch die Windschutzscheibe. „Du bist die erste Frau, die mir etwas bedeutet.“
Er trat auf die Bremse, brachte den offenen Sportwagen am Bordstein zum Stehen und nahm Sabine, ohne sich um die Passanten zu kümmern, in die Arme. „Sabine, ich liebe dich! Ich liebe dich mehr als alles auf der Welt!“
Ihre Antwort, das selige Geständnis ihrer Liebe zu ihm, erstickte in seinem Kuß . . .
Das Restaurant „Die Kanne“ in der Maximilianstraße war mehr als gut besetzt. Es ist ein berühmtes Feinschmeckerlokal und wird von Künstlern, Wissenschaftlern, Medizinern und von Verliebten besucht. Der Ober führte Peter und Sabine zu einem freien Tisch, auf dem eine goldene, nach Honig riechende Kerze flackerte.
Peter ließ sich die Speisekarte bringen. „Auf was hast du Lust?“ fragte er. „Vielleicht Schnecken als Vorspeise? Magst du Schnecken, Sabine?“
Er blickte von der Speisekarte auf, wurde plötzlich blaß unter der braunen Haut.
„Was hast du?“ fragte Sabine erschrocken.
„Mein Vater . . . Bitte, dreh dich nicht um. An dem Tisch schräg hinter dir sitzt mein Vater mit Geschäftsfreunden!“
„Und?“ fragte sie. Dann las sie in Peters Augen das drohende Unheil, und ihr Körper verkrampfte sich. „Was ist?“ flüsterte sie angstvoll.
„Er hat uns gesehen. Er steht auf . . . Er . . . er kommt an unseren Tisch!“
Sabine wagte nicht, sich umzusehen, dem näherkommenden Mann entgegenzublicken. Unwillkürlich zog sie den Kopf zwischen die Schultern. Sie starrte in Peters bleiches Gesicht.
Er stand auf und sagte mit beherrschter Stimme: „Guten Abend, Vater!“
Der Schatten des großen Mannes fiel zwischen die Liebenden.
Paul Hartmann verzichtete auf jeden Gruß. „Ich habe mit dir zu sprechen.“
Peter hielt dem Blick seines Vaters stand. „Du siehst, daß ich nicht allein bin“, sagte er gefaßt. „Darf ich dich mit Fräulein Sabine Kortner bekannt machen?“
Jetzt erst sah Paul Hartmann die Freundin seines Sohnes an. Aus seinen dunklen Augen – so ähnlich denen seines Sohnes und doch so anders – glänzte eisige Kälte. Sein Gesicht verriet die zwingende Kraft eines Mannes, der seit Jahren gewohnt war zu befehlen.
Sabine erhob sich zögernd und wußte im gleichen Augenblick, daß es falsch war – eine Dame steht nicht auf, wenn ihr ein Herr vorgestellt wird. Sofort setzte sie sich wieder – und machte so ihren Fehler nur krasser. Sie reichte Peters Vater auch nicht die Hand.
Für Sekunden herrschte eine peinliche Stille. Sabine saß wie erstarrt auf ihrem Stuhl. Paul Hartmanns Mundwinkel verzogen sich verächtlich.
„Fräulein Kortner und ich“, sagte Peter, um die Peinlichkeit zu überspielen, „wir waren zusammen im Lift eingesperrt. Ich habe dir doch davon erzählt, Vater.“
Paul Hartmann wandte sich mit einer brüsken Kopfbewegung seinem Sohn zu. „Du bist mir über die Art, wie du deine Bekanntschaften machst, keine Erklärung schuldig. Du weißt, ich habe immer Verständnis für deine Eskapaden gehabt . . .“
„Du mißverstehst die Situation!“ erwiderte Peter. Seine Wangenmuskeln spannten sich unter der Anstrengung, beherrscht zu bleiben.
„Das ist nicht meine Schuld“, sagte sein Vater eiskalt. „Die Situation ist brüskierend, nicht nur für mich, sondern vor allem für die Herren vom Chemiekonzern. Darf ich dich daran erinnern, daß du dich nach der Vertragsverhandlung heute abend mit einer fadenscheinigen Ausrede verabschiedet hast? Jetzt treffen wir dich hier in Gesellschaft einer . . .“
Er zögerte, ließ sich deutlich anmerken, daß es ihm schwerfiel, das Wort, das er schon auf der Zunge hatte, nicht auszusprechen. „ . . . eines Mädchens“, erwiderte er schließlich.
„Ich kann nichts Unrechtes darin sehen“, gab Peter zurück.
„Dein Benehmen ist eine Beleidigung. Für mich und für unsere Geschäftsfreunde.“ Herr Hartmann verneigte sich kurz und verächtlich vor Sabine, wandte sich ab und schritt zu seinem Tisch zurück.
Peter legte seine Hand beruhigend auf Sabines Arm. „Komm“, sagte er, „gehen wir! Die Atmosphäre hier gefällt mir nicht!“ Er drückte dem Kellner, der herankam, um die Bestellung entgegenzunehmen, ein Trinkgeld in die Hand und zog Sabine mit sich zum Ausgang.
„Lassen wir den Wagen stehen“, sagte er, als sie draußen auf der Straße standen, „und gehen wir zum Hofbräu. Wenn wir Glück haben, bekommen wir einen Tisch im Garten.“
Sabine ließ sich widerstandslos mitziehen, aber sie wagte nicht, Peter anzusehen. „Ich habe mich dumm benommen“, sagte sie leise. „Ich war der Situation einfach nicht gewachsen.“
Er drückte ihre Hand. „Wie solltest du auch? Wer konnte denn damit rechnen, daß sich ein erwachsener Mann wie ein Verrückter benimmt.“
Peter schritt kräftig aus. Er spürte das Bedürfnis, seine Erregung durch körperliche Bewegung abzureagieren. Sabine hatte Mühe, auf ihren hohen Absätzen mit ihm Schritt zu halten.
„Es tut mir so leid“, sagte sie atemlos und strich sich mit der freien Hand das seidige aschblonde Haar aus der Stirn. „Meinetwegen bist du jetzt mit deinem Vater aneinandergeraten.“
„Mach dir nichts daraus. So etwas kommt in den besten Familien vor. Im übrigen . . . ich bin sicher, daß es meinem Vater jetzt schon wieder leid tut. Er ist nämlich ein anständiger Kerl. Wir sind bisher einigermaßen gut miteinander ausgekommen.“
„Um so schlimmer“, sagte Sabine.
Sie waren von der Maximilianstraße in die schmale Gasse eingebogen, die zum Hofbräuhaus führt.
„Was willst du damit sagen?“ Er verhielt so plötzlich seinen Schritt, daß sie fast ins Stolpern geriet.
„Machen wir uns doch nichts vor“, sagte sie tapfer. „Dein Vater hat deutlich gezeigt, was er von mir hält. Er akzeptiert mich einfach nicht!“ Sie blickte auf das Straßenpflaster. „Peter . . . ich möchte nicht, daß du dich meinetwegen mit deinen Eltern überwirfst.“
Er zog sie sanft an sich. „Dazu wird es nie kommen, Sabine. Ich bin der einzige Sohn, vergiß das nicht. Natürlich werden sie sich zuerst aufregen, wenn sie merken, wie ernst es mir mit dir ist. Aber dann werden sie sich in das Unvermeidliche fügen. Und sie werden dich liebgewinnen!“
Sie sah ihn zweifelnd an. „Glaubst du?“
Seine nußbraunen Augen glänzten zärtlich. Er drückte Sabines Kopf gegen seine Brust. „Mein Liebes, hör auf, dich und mich verrückt zu machen. Und damit du ganz klar siehst: Ich pfeife auf das Geld meines Vaters!“
„Du fürchtest also doch . . .“
„Nein, Sabine . . . Versteh mich doch richtig! Ich will dir nur klarmachen: Es kommt nicht darauf an, was meine Eltern denken. Wichtig ist nur, daß wir beide uns lieben.“ Er legte seinen rechten Arm um ihre Schulter. „Und nun komm weiter!“
„Aber du kennst mich noch so wenig“, sagte sie zaghaft.
Er preßte sie an sich. „Genug, um dich zu lieben, wie ich noch kein Mädchen geliebt habe.“
„Dein Vater wird dich einfach auslachen, wenn du . . .“
Er fiel ihr ins Wort: „Darf ich dir einen Vorschlag machen?“
„Ja?“ fragte sie erwartungsvoll.
„Es ist ein herrlicher Abend, unser erster wirklicher Abend zu zweien. Wie wäre es, wenn wir für heute alle trüben Gedanken streichen würden? Schließlich . . . es gibt doch eine ganze Menge Dinge, die viel wichtiger sind . . .“
„Du!“ sagte sie lächelnd.
„Du!“ flüsterte er zärtlich.
Sie berührten sich mit den Nasenspitzen, mußten lachen, und dann waren alle Sorgen und Bedenken verflogen. Beide fühlten, wie sehr sie sich liebten. Die Zukunft lag voller Verheißung vor ihnen.