Читать книгу Verbotene Liebe - Liebesroman - Marie Louise Fischer - Страница 6

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Erst kurz vor Mitternacht kehrte Peter Hartmann in seine Appartementwohnung in der Widenmayerstraße zurück. Er war mit Sabine vom Hofbräuhaus noch in die Bar „P 1“ gegangen. Sie hatten getanzt und miteinander gealbert. Vor ihrer Haustür hatten sie sich dann lange und leidenschaftlich geküßt.

Es war ein herrlicher Abend gewesen, obwohl gar nichts Besonderes passiert war. Nichts, was Peter nicht schon früher mit anderen Mädchen erlebt hätte. Alles war anders jetzt. Weil Sabine anders war als alle Mädchen, die er früher gekannt hatte. Diesmal, davon war Peter überzeugt, war es kein Spiel, kein Flirt, kein Abenteuer. Zum erstenmal war es wirklich die große Liebe. Leise vor sich hinpfeifend, schloß er die Wohnungstür auf – und im gleichen Augenblick hörte er das Klingeln des Telefons. Sabine! dachte er. Es muß etwas passiert sein!

Er warf die Tür zu, raste durch die Diele in den großen Wohnraum, riß den Hörer von der Gabel.

„Ja?“ meldete er sich atemlos.

„Na, endlich!“ ertönte die helle gedehnte Stimme Erich Krügers. „Ich habe schon den ganzen Abend versucht, dich zu erreichen.“

Peter empfand Erleichterung und Enttäuschung zugleich. „Was gibt’s?“ Er klemmte sich den Hörer zwischen Kinn und Schulter, zündete sich eine Zigarette an.

„Ich habe heute diese Sabine getroffen“, begann Erich absichtlich zögernd.

„Und um mir das zu sagen, rufst du mich mitten in der Nacht an? Das weiß ich längst.“

„Woher denn?“

„Ich bin später noch zu ihr gefahren. Jedenfalls danke ich dir, daß du sie benachrichtigt hast.“

„Gern geschehen. Sie ist wirklich ein reizender Käfer.“

„Ich liebe sie“, erklärte Peter Hartmann sehr ruhig.

„Mach keine Witze!“

„Es ist mir ganz ernst.“

Einen Augenblick lang herrschte Stille in der Leitung.

„Unter diesen Umständen . . .“ sagte Erich Krüger dann. „Ich weiß gar nicht, ob ich es dir sagen soll . . .“

„Was?“

„Na ja, über kurz oder lang würdest du es ja doch erfahren.“

„Erich!“ rief Peter Hartmann. „Wenn du jetzt nicht sofort mit der Sprache herausrückst, lege ich auf!“

„Halt! Nicht doch. Warte . . . Ich . . . ich habe es mir überlegt! Es ist doch besser, du weißt Bescheid. Ich will nicht, daß du mir später Vorwürfe machst.“

„Dir? Warum?“

„Daß ich dich nicht rechtzeitig gewarnt habe.“

Peter begann allmählich zu begreifen, worauf sein Freund hinauswollte. „Etwa vor Sabine?“

„Sie ist eine süße Puppe, ohne Zweifel . . .“ Erichs Stimme wurde ölig. „Aber ich würde mir die Haare einzeln ausraufen, wenn du dich von ihr hereinlegen ließest.“

Peter zog den Atem zischend ein, bevor er explodierte. „Schluß!“ brüllte er. „Ich habe genug von deinem Gewäsch! Mir langt’s!“ Er schmetterte den Hörer auf die Gabel.

Sekunden später klingelte das Telefon wieder. Peter starrte auf den weißen Apparat, noch unentschlossen, ob er den Hörer abnehmen sollte.

Es wäre besser gewesen, sich nicht wieder zu melden. Aber das Gift, das der andere in seine Seele geträufelt hatte, begann seine Wirkung zu tun. Peter nahm den Hörer ab. Er wollte mehr über Sabine erfahren, alles.

Erich Krügers helle Stimme sprudelte sofort los. „Na, Gott sei Dank! Ich dachte schon, du würdest . . . Ich wollte es dir nur schonend beibringen, aber . . .“

„Sag endlich, was du weißt“, forderte Peter Hartmann mit gepreßter Stimme. „Woher kennst du Sabine?“

„Erinnerst du dich an die Silversterparty letztes Jahr im Tennisclub?“

„Idiot! Ich war doch in St. Moritz.“ Peter war immer noch wütend.

„Aber du hast doch bestimmt davon gehört. Es hat da diesen Skandal gegeben . . .“

„Mit dem Mädchen, das auf dem Tisch getanzt und sich eine Flasche Sekt in den Ausschnitt geschüttet hat?“ fragte Peter, und die Ahnung eines nahenden Unheils befiel ihn.

„Von der rede ich. Weißt du, wer es war? Deine Sabine!“

Peter legte heftig den Hörer auf. In seinem Innern tobte es. „Sabine . . .“ preßte er leise hervor.

Peter Hartmann lief wie ein gefangenes Tier durch das Wohnzimmer seines Junggesellenappartements. Das Telefongespräch mit seinem Freund Erich, das er gerade in höchster Erregung abgebrochen hatte, klang noch in ihm nach. Die „Enthüllungen“ über Sabine – Peter wollte sie nicht glauben. Er konnte sich seine Sabine einfach nicht vorstellen, auf einem Tisch tanzend, sich Sekt in den Ausschnitt ihres Kleides schüttend. Er nahm sich vor, Erich Krügers Behauptungen sofort zu vergessen.

Aber er konnte es nicht.

Den ganzen nächsten Tag, während er im Büro statische Berechnungen anstellte und dann die Ausschachtungen an der Baustelle Nord beaufsichtigte, gingen ihm Erichs Worte wieder und wieder im Kopf herum. Hatte der Freund die Wahrheit gesagt? Peter zermarterte sich das Gehirn.

Ich muß Gewißheit haben! schrie es in ihm.

Schon kurz vor fünf Uhr verließ er das Büro. Ohne sich von seinem Vater zu verabschieden. Für sieben Uhr war er mit Sabine verabredet. Zwei Stunden Zeit, um die Wahrheit zu erfahren . . . Peter fuhr mit seinem roten Porsche zum Tennisclub. Im Inneren des Clubhauses war es fast leer. Nur an einem Ecktisch saßen einige Senioren und sprachen über Politik.

„Hallo, Charly!“ sagte Peter Hartmann und schwang sich auf einen der Hocker an der runden Bar.

„’n Abend, Herr Hartmann!“ Der Mixer zeigte seine ebenmäßigen Zähne, deren Weiß das seiner Jacke noch übertraf. „Was darf’s sein?“

„Whisky sauer.“

Während Charly zwei Zitronen auspreßte, überlegte Peter krampfhaft, wie er das Gespräch beginnen sollte. Endlich entschloß er sich, den Stier bei den Hörnern zu packen.

„Sie erinnern sich doch noch an die letzte Silvesterparty, wenn’s auch schon eine ganze Weile her ist?“ fragte er.

„Und ob. Ein unvergeßlicher Abend. Aber Sie waren nicht dabei, wenn ich mich recht erinnere.“

„Stimmt es wirklich, daß ich was versäumt habe?“

Der Mixer ließ zwei Eiswürfel in das Glas klirren, goß einen kräftigen Schuß Whisky dazu. „Wie man’s nimmt. Jedenfalls ist es hoch hergegangen.“

„Ein Mädchen soll an diesem Abend Hausverbot bekommen haben.“

„Richtig. Eine Blonde, sah dabei aus wie ein Engel. So unschuldig.“

Peters Herz zog sich zusammen. „Wie hieß sie denn?“ fragte er so beiläufig wie möglich.

Charly dachte mit sichtbarer Anstrengung nach. „Und wenn Sie mich totschlagen, Herr Hartmann, der Name fällt mir nicht mehr ein “ Er schüttelte den Kopf. „Komisch! Auch Herr Krüger hat mich gestern nach diesem Mädchen gefragt.“

„Ich weiß“, sagte Peter Hartmann. „Es geht um eine Wette.“

„Ach so, ich verstehe.“

„Vielleicht fällt Ihnen noch etwas ein, was Sie Freund Krüger noch nicht verraten haben. Zum Beispiel: Wie sah dieses Mädchen aus?“

„Erstklassige Figur. Zwar keine Lollo-Formen, eher schlank . . .“

„Schulterlanges Haar?“

„Schon möglich. Sie trug es Silvester hochgesteckt.“

Peter nahm einen tiefen Schluck aus seinem Glas. „Augen?“

„Grau oder blau. Hell auf alle Fälle. Sie hatte so einen Unschuldsblick. Darum waren ja auch alle so überrascht, als was sie sich dann entpuppte.“

„Daß sie auf dem Tisch getanzt hat, meinen Sie?“ Peter bot dem Mixer eine Zigarette an und ließ sich von ihm Feuer geben.

„Das war ein toller Abend!“ schwärmte Charly. „Wissen Sie, so eine richtige, rauschende Silvesternacht. Sekt floß in Strömen. Und die meisten haben ein bißchen verrückt gespielt.“ Charly stieß den Rauch seiner Zigarette durch die Nase. „Also das mit dem Tanz auf dem Tisch und der Sektbrause, das hätte man ihr bestimmt verziehen . . .“

„Aber?“ fragte Peter Hartmann, und die eigene Stimme klang ihm fremd.

„Daß sie sich nachher mit Herrn von Brosig . . .“

„Dem reichen Hotelier?“ unterbrach Peter überrascht.

„Ja, mit dem hat sie sich in das Gerätezimmer zurückgezogen. Aber das war ja nicht das Schlimmste, das Gerätezimmer ist sehr beliebt für solche Sachen . . . Schlimm war nur, daß die beiden sich erwischen ließen, und ausgerechnet von Frau von Brosig! Die kam in den Saal gestürzt wie eine Furie und schrie:,Mein Mann und Sabine‘ . . .“

Charly lächelte selbstgefällig, „Sehen Sie, Herr Hartmann, jetzt ist mir auch wieder eingefallen, wie die Kleine heißt . . . Was ist denn mit Ihnen, Herr Hartmann? Sie sind ja weiß wie die Wand!“

„Geben Sie mir noch einen Whisky“, preßte Peter hervor. „Aber diesmal pur.“

„Mit Vergnügen!“ Charly nahm ein frisches Glas und schenkte ein. „Also, wo bin ich stehengeblieben? Ach ja!,Mein Mann und Sabine!‘ schrie die Brosig wie wild.,In flagranti!‘ Woher sie das Mädchen überhaupt kannte, weiß ich auch nicht.“

Peter trank das zweite Glas mit einem Zug leer. „Und was . . . was geschah mit diesem Mädchen, dieser Sabine?“

„Wurde höflich, aber mit Bestimmtheit hinauskomplimentiert. Die Kleine verschwand, als hätte sie nie existiert. Herr von Brosig aber spielte den Besoffenen.“ Charly feixte breit. „Und am nächsten Tag behauptete er, von nichts mehr zu wissen. Wer kann ihm auch schon einen Vorwurf daraus machen, daß sich ihm ’ne süße Puppe auf den Schoß setzen will?“

„Man kann die Dinge auch anders sehen“, sagte Peter. „Man könnte auch sagen, er hat Sabine betrunken gemacht, um . . .“

„Aber nicht doch, Herr Hartmann! Da kennen Sie aber die Frauen schlecht. Ein Mann mit Geld hat es gar nicht nötig, ein Mädchen betrunken zu machen. Der braucht doch nur mit dem kleinen Finger zu winken, dann kommen sie alle. Und schlecht sieht er auch nicht aus. Nein, nein, es war schon so: Die Kleine hatte es faustdick hinter den Ohren. Die wußte genau, was sie wollte.“

Peter setzte sein Glas mit einer müden Geste ab. „Geben Sie mir noch einen, Charly. Einen doppelten!“

„Sie sehen so aus, als ob Sie die Wette verloren hätten.“

„Mehr als eine Wette“, sagte Peter dumpf. „Viel mehr habe ich verloren!“

Sabine Kortner saß an einem der zierlichen runden Tische im maxburg-espresso und wartete auf Peter. Sie hatte sich eine Tasse Kaffee bestellt und blätterte in einer Illustrierten, aber immer wieder glitt ihr Blick zu der gläsernen Eingangstür.

Ihr Herz schlug hoch vor Glück und Erwartung. Sie konnte es noch nicht fassen, daß sich ihr Leben in zwei Tagen von Grund auf geändert hatte. Vorbei die Einsamkeit des Herzens, vorbei die unerfüllte Sehnsucht nach Liebe.

Jetzt liebe ich mit vollem Herzen, jubelte sie still. Und so soll es ewig bleiben . . .

Als Sabine das erstemal auf ihre Armbanduhr blickte, war es halb acht, eine halbe Stunde über die verabredete Zeit hinaus. Sie erschrak.

Peter ist doch nichts zugestoßen? Sie verbot sich diesen Gedanken sofort wieder. Sie bestellte eine zweite Tasse Kaffee und wartete weiter. Wahrscheinlich ist er im Betrieb aufgehalten worden, versuchte sie sich zu beruhigen. Er wird noch kommen . . . Aber die Unruhe in ihr wuchs.

Schließlich ertrug sie es nicht länger. Sie stand auf, ging zur Theke, ließ sich ein Telefonbuch geben und suchte seinen Namen. Hartmann, Peter.

Sie schrieb die Telefonnummer auf ein Zettelchen, ging in die Telefonzelle und rief an. Das Freizeichen ertönte, einmal, zweimal, fünfmal . . . Peter war nicht zu Hause. Sabine hängte ein.

Sie überlegte, ob sie versuchen sollte, ihn in der Firma seines Vaters zu erreichen. Aber sie fand nicht den Mut dazu.

Ich möchte ihm keine Schwierigkeiten machen, sagte sie sich. Denn sein Vater mag mich nicht. Und wenn ich anrufe . . .

Blitzartig durchzuckte sie ein anderer Gedanke: Peters Vater! Er hat ihm verboten, mich wiederzutreffen!

Der Schock war so groß, daß Sabine einen Moment lang schwankte. Mit weichen Knien ging sie zurück zum Tisch. Mit zitternden Fingern suchte sie Geld aus ihrem Portemonnaie und bezahlte. Dann verließ sie das Espresso. Ein Gewitter zog über München herein. Sie hatte keinen Schirm und keinen Mantel bei sich, aber das war ihr auch egal in diesen Minuten.

Sabine fuhr nach Hause. Sie erreichte das alte Haus in der Goethestraße, bevor das Gewitter losbrach. Sie schloß die Wohnungstür so lautlos wie möglich auf und hoffte, unbemerkt von der Mutter ihr Zimmer erreichen zu können.

Aber Frau Kortner hatte sie gehört. „Bist du’s, Sabine?“ rief sie aus der Küche.

Sabine spürte den peinigenden Verdacht, daß die Mutter seit Stunden wie eine Spinne im Netz dagesessen und auf sie gelauert hätte. Sie fühlte, wie häßlich dieser Gedanke war, und verscheuchte ihn sofort.

„Ja, Mutti“, antwortete sie so freundlich wie möglich.

„Komm doch mal her zu mir, mein Kind...“

Sabine stand noch immer in der kleinen Diele. „Sei mir nicht böse. Ich bin sehr müde. Ich möchte gleich ins Bett.“

„Ach! So weit ist es also schon?“ Frau Kortner reagierte mit Bitterkeit. „Wenn dein Freund für dich Zeit gehabt hätte, hättest du ihm ohne Bedenken die ganze Nacht geopfert. Aber wenn ich einmal mit dir sprechen will, bist du müde . . .“

Sabine hatte das Bedürfnis, laut aufzuschreien vor Verzweiflung. Sie atmete tief durch, um sich zu beruhigen, und trat dann in die offene Küchentür.

Frau Kortner saß am Küchentisch und etikettierte Gläser mit Eingemachtem. Sie sah ihrer Tochter mit zusammengekniffenen Augen entgegen. Auf ihrer Stirn standen steile Falten. „Setz dich zu mir und erzähle!“

„Bitte, Mutti, quäl mich nicht . . .“

Frau Kortner stand langsam auf, trat auf ihre Tochter zu und legte ihr einen Arm um die Schulter. „Ich bin doch deine Mutter, mir kannst du alles anvertrauen.“

Sabine wich dem forschenden Blick aus. „Es gibt nichts zu erzählen.“

Frau Kortner ließ Sabine los und wandte sich ab. „Du willst also nicht!“ sagte sie beleidigt. „Gib doch zu, du hast kein Vertrauen mehr zu mir.“

„Aber Mutti!“

„Ich mache mir Sorgen um dich, Sabine, ich zerbreche mir den Kopf, wie ich dir helfen kann! Und du, du hältst es nicht einmal für nötig . . .“ Auf Frau Kortners Wangen erschienen hektische rote Flecken. „Glaubst du, es ist einfach für eine Mutter, mitanzusehen, wie sich ihre einzige Tochter wegwirft? Dieser junge Mann hat es doch keine Sekunde lang ernst mit dir gemeint! Ich kenne solche Herren aus reichem Haus, ich hätte dir gleich voraussagen können . . .“

Sabine ertrug es nicht länger. „Sein Vater hat ihm verboten, mich wiederzusehen!“ schrie sie heraus.

Frau Kortner sah ihre Tochter entgeistert an.

„Was starrst du mich so an?“ fragte Sabine mit bebender Stimme. „Gib doch zu, daß du froh darüber bist. Wahrscheinlich hast du sogar dafür gebetet.“

Ein Lächeln zog sich über das Gesicht der Frau. „Sei mir dankbar dafür, daß ich es so gut mit dir meine.“

Sabine glaubte, ihre Mutter triumphiere noch über ihr Unglück. „Ja, verdammt gut, das kann man wohl sagen!“ schrie sie außer sich. „Du glaubst, daß ich eine alte Jungfer werde! Wenn du mich wirklich liebtest, würdest du jetzt mit mir leiden. Aber du denkst ja nur an dich! Du hast Angst davor, allein zu bleiben, gib es doch zu! Was aus mir wird, ist dir ganz egal!“

In der Ferne ertönte der erste dumpfe Donnerschlag, aber die beiden Frauen achteten nicht darauf.

„Ich wollte doch nur . . .“, sagte Frau Kortner hilflos, überrumpelt von der ungewohnten Heftigkeit ihrer Tochter, „ . . . ich wollte doch nur, daß du dich nicht wegwirfst, daß du wartest, bis der Richtige kommt!“

„Peter ist der Richtige!“

„Die Zeit heilt alle Wunden.“ Die Mutter versuchte, ihre Tochter in die Arme zu schließen.

Sabine wich ihr aus, holte tief Atem und zwang sich, ruhiger zu werden. „Mutti, du verstehst mich nicht. Wir sprechen zwei verschiedene Sprachen Es hat keinen Sinn . . .“

Frau Kortner schlug plötzlich die Hände vor das Gesicht. Ihre Schultern begannen zu zucken. „Du liebst mich nicht mehr“, preßte sie unter Schluchzen hervor. „Du haßt mich!“

„Mutti, ich flehe dich an . . .“ Sabine zitterte vor Erregung. Sie ballte die Hände.

„Was bin ich denn noch für dich?“ weinte die Mutter. „Deine Putzfrau, deine Haushälterin. Gut genug, für dich zu sorgen. Damit du Zeit für deine Vergnügungen hast. Damit du dich mit Männern herumtreiben kannst . . .“

„Mutti, du bist ungerecht!“ Mit letzter Kraft bewahrte Sabine ihre Fassung.

„Ungerecht?“ Frau Kortner sah ihre Tochter aus tränennassen Augen an. „Das mußt du mir sagen, du . . . du undankbares Geschöpf. Ich, deine Mutter, habe alles für dich getan. Ich habe mir selbst keine Freude gegönnt. Du hast mich ausgenutzt...“

Sabine schloß erschüttert die Augen. Ein dumpfer Schmerz erfüllte ihr Herz.

„Ich werde dich nicht länger ausnutzen“, sagte sie mit tonloser Stimme. „Du willst frei sein. Und ich will frei sein. Also muß ich gehen . . .“

Sie drehte sich um und lief in ihr Zimmer.

„Sabine!“ schrie ihre Mutter und stürzte hinterher. Sie sah, wie Sabine den kleinen Koffer vom Schrank riß . . .

Es war alles so wie schon vor zwei Tagen, als es Streit gab, weil Sabine sehr spät nach Hause gekommen war. An diesem Abend hatte sie Peter Hartmann kennengelernt.

Frau Kortner glaubte nicht, daß ihre Tochter Ernst machen würde, denn auch vor zwei Tagen hatte sie sich schließlich anders besonnen.

Sabine handelte wie mechanisch. Wieder packte sie nur das Nötigste in den kleinen Koffer. Sie schlug den Deckel zu, drückte die Schlösser fest und faßte nach dem Griff.

Maria Kortner stand in der Tür und versperrte den Weg. „Willst du wirklich fort?“ fragte sie ängstlich.

„Ja, Mutti“, antwortete Sabine ruhig. „Es ist besser so. Ich gehe, weil ich dich liebhabe. Ich weiß, wenn ich bliebe, müßte ich dich eines Tages wirklich hassen. Denn du kannst nicht anders, du würdest mich immer nur bevormunden, wie ein Kind behandeln. Ich aber möchte endlich mein eigenes Leben führen dürfen.“

Frau Kortner streckte die Arme aus. „Kind, mach doch keine Dummheiten. Überschlaf es, und morgen ist dann alles wieder gut. Ich verspreche dir . . .“

„Mutti, versprich doch nichts!“

Frau Kortners Stimme wurde wieder schriller. „Gib es doch zu, du willst nur zu diesem Kerl!“

Sabine lächelte voller Wehmut. „Es hat keinen Sinn. Du fängst schon wieder an . . .“ Sie trat auf ihre Mutter zu, zog sie für ein paar Augenblicke in die Arme und küßte sie mit steifen Lippen. „Leb wohl. Ich danke dir für alles. Ich weiß, du hast es gut mit mir gemeint. Aber es geht nicht mehr weiter. Wir können beide nicht mehr frei atmen.“

Sanft drückte sie ihre Mutter zur Seite und verließ mit dem kleinen Koffer das Zimmer, das sie fast zwanzig Jahre lang bewohnt hatte. Dieses Zimmer war ein Stück ihres Lebens . . .

Ein starker Donnerschlag ertönte.

„Ein Gewitter!“ sagte die Mutter beschwörend. „Du kannst doch jetzt nicht auf die Straße! Warte doch wenigstens, bis . . .“

Sabine nahm wortlos ihren Regenmantel vom Garderobenhaken.

„Wo willst du denn hin?“ fragte die Mutter. „Wer wird dich aufnehmen? Du gehst wirklich nicht zu diesem Mann?“

„Nein“, antwortete Sabine und kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen. Peter, warum bist du heute nicht gekommen? Hat dein Vater es dir wirklich verboten? Oder bist du wieder nur geschäftlich verhindert worden? Fragen, auf die Sabine jetzt keine Antwort wußte.

Sie zog ihren Mantel an, „Ich gehe zu meiner Freundin Trudi. Und schon morgen werde ich mir ein Zimmer suchen. Ich hole dann meine Sachen.“ Sie sah ihre Mutter noch einmal voll an. „Auf Wiedersehen, Mutti. Wenn du willst, komme ich dich besuchen. So oft wie möglich. Aber jetzt muß ich gehen, es tut mir selbst weh . . .“

Die letzten Worte konnte sie nur noch flüstern. Sie griff nach ihrer Handtasche, faßte den kleinen Koffer fester und öffnete die Wohnungstür. Sie wußte: Ihre Kraft war erschöpft. Nur noch wenige Sekunden, und ihr Entschluß würde zusammenfallen wie ein Kartenhaus. Und alles würde von vorn beginnen, die ewigen Vorwürfe, die endlosen Ermahnungen: Tu das nicht, tu jenesnicht . . .

Als die Wohnungstür mit einem leisen Ton hinter ihr ins Schloß fiel, war es Sabine, als zerreiße etwas in ihrem Herzen. Die Tränen schossen aus den Augen hervor und machten sie blind. Sie lief die Treppe hinunter, stolperte, fing sich wieder, lief weiter. Verzweiflung wühlte ihr Inneres auf. Das Bewußtsein, ihre Kindheit hinter sich zu lassen, erschütterte sie zutiefst. Ich darf nicht umkehren! hämmerte sie sich ein. Ich darf nicht . . . Doch sie hatte plötzlich Angst vor der Zukunft. Peter, du mußt mir helfen. Wenn du mich noch liebst . . .

Sie rannte auf die Straße hinaus, hastete weiter. Regen schlug ihr entgegen. Der schwarze Himmel wurde von grellen Blitzen zerrissen. Donnerschläge hallten zwischen den Mietshäusern wider.

Sabine spürte, sah und hörte nichts. Ihre Füße trugen sie mechanisch weiter, die Goethestraße entlang, hinein in die Schwanthaler Straße.

„Mutti“, kam es leise über ihre Lippen.

Ihre Augen waren blind von Tränen der Verzweiflung.

„Mutti, verzeih mir, aber ich wußte keinen anderen Ausweg . . .“ Reue brach über sie herein, zog ihr das Herz zusammen.

Sabine wollte über die Straße. Sie verließ den Bürgersteig und achtete nicht auf das Auto, sie sah es gar nicht.

Plötzlich waren die Scheinwerfer vor ihr, wie gierige Arme. Reifen quietschten. Es war zu spät.

Sabine spürte noch den furchtbaren Schlag, fühlte noch, daß ihr der Boden unter den Füßen weggerissen wurde, dann schlug sie auf. Eine grauenhafte Explosion schien ihren Kopf zu zersprengen.

Als das Auto dreißig Meter weiter zum Stehen kam, lag Sabine ohnmächtig auf dem regennassen Pflaster. Der Fahrer stürzte hinzu, beugte sich über sie und murmelte: „Ich konnte nichts dafür. Sie ist mir direkt vor den Wagen gelaufen...“

Eine zweite Stimme neben ihm bestätigte: „Es war, als wollte das Mädchen Selbstmord begehen.“ Die Stimme gehörte einem Mann, der vom Bürgersteig aus das Unglück mitangesehen hatte. „Lebt sie denn noch?“

„Ich hoffe“, sagte der Fahrer. „Sie muß sofort ins Krankenhaus.“ Er rannte davon.

Fünf Minuten später war die Polizei mit einem Unfallwagen zur Stelle. Im gleichen Moment, da der erste Polizist sich über sie beugte, schlug Sabine die Augen auf. Sie spürte einen bohrenden Schmerz im Kopf. Dann kam die Erinnerung zurück, und sie wunderte sich, daß sie noch lebte.

„Ganz ruhig liegen bleiben“, mahnte der Polizist.

Sie wurde auf eine Trage gehoben, zum Unfallwagen getragen und in ein Krankenhaus gefahren.

Sabine fühlte sich unendlich müde, der Schmerz im Kopf war dumpfer geworden. Im Krankenhaus wurde sie von einem jungen Arzt untersucht. Sein Bild drang nur schwer in ihr Bewußtsein: ein schmaler hoher Kopf, ernste graue Augen, eine schmale hohe Gestalt mit langen rücksichtsvollen Händen.

„Können Sie sprechen?“ fragte der junge Arzt.

„Ja“, antwortete Sabine mühsam. „Was ist mit mir?“

„Sie haben Glück gehabt. Ein paar Prellungen, ein paar Hautabschürfungen, eine ansehnliche Beule am Kopf.“

Sabine tastete nach der Beule. Die Berührung war schmerzhaft, aber Sabine stellte erleichtert fest, daß sie nicht blutete. Die Kopfhaut war nicht geplatzt.

„Ist Ihnen schlecht?“ fragte der Arzt.

„Nein“, antwortete Sabine. „Nur erschöpft, müde.“

Der junge Mediziner zog eine Spritze auf. „Ich gebe Ihnen eine Injektion, und dann werden Sie schlafen. Nur eines muß ich noch wissen: Laut Ausweis, den man bei Ihnen fand, heißen Sie Sabine Kortner und wohnen in der Goethestraße. Leben Sie bei den Eltern oder allein?“

Sie brachte es nicht über sich, zu lügen: „Ich lebe mit meiner Mutter zusammen. Aber bitte . . .“ Sabine brach ab. Eine Woge sich streitender Gefühle und Gedanken überschwemmte sie. Da war ihr Stolz. Da war das Gefühl, allein verantwortlich zu sein für das, was geschehen war. Aber da war auch die Sehnsucht nach der mütterlichen Fürsorge und Liebe.

Sie kämpfte gegen den Wunsch an, die Mutter rufen zu lassen. „Bitte sagen Sie ihr nichts“, flüsterte sie.

„Aber wird sie sich denn nicht wundern, daß Sie nicht nach Hause kommen?“

„Nein . . . Bitte, fragen Sie nicht weiter.“

Der Arzt dachte an den kleinen Koffer, der mit der Verunglückten ins Krankenhaus gebracht worden war, aber er verstand das Ganze nicht.

„Fräulein Kortner, es könnte sein, daß es Ihnen schlechtergeht. Ich meine . . .“

„Ja“, antwortete Sabine sofort. „Dann rufen Sie meine Mutter.“

„Es gibt durchaus keinen Grund zur Sorge“, versuchte der Arzt zu beruhigen. „Wir werden Sie beobachten. Falls nicht irgendeine Komplikation eintritt, können Sie vielleicht schon übermorgen entlassen werden . . .“

Sabine bekam die Injektion und wurde dann in ein Vierbettzimmer gebracht. Zwei Betten waren bereits belegt. Sabine wurde von dem Arzt und der Nachtschwester in eines der beiden freien Betten getragen. Alles geschah so lautlos, daß die beiden anderen Patientinnen nicht aufwachten.

„Gute Nacht“, flüsterte der junge Arzt und blickte auf Sabines bleiches Gesicht hinab. Ein Engel, dachte er. So rein und unschuldig wie ein Engel . . .

Sabine schlief schnell ein. Schon eine Stunde später aber wurde sie von der Nachtschwester, einer gutmütigen, vollschlanken Frau von etwa dreißig Jahren, wieder geweckt. Es gehörte zu der medizinischen Beobachtung, denn es lag Verdacht auf Gehirnerschütterung vor.

Als die Schwester zum zweitenmal kam, riß sie Sabine aus einem Traum. Über dem bleichen Gesicht unter den seidigen blonden Haaren lag jetzt ein glückliches Lächeln.

Sabine hatte von Peter geträumt. Es war ein schöner Traum gewesen, und er verjagte alle Zweifel an Peters Liebe. Die Sehnsucht nach ihm war mit dem Traum erwacht.

„Schwester“, flüsterte Sabine. „Wie spät ist es?“

„Gleich Mitternacht.“

„Können Sie mir einen großen Gefallen tun?“ bat Sabine. „Bitte rufen Sie Herrn Peter Hartmann an und sagen Sie ihm, was geschehen ist . . .“ Sie nannte seine Nummer und dachte: Er wird kommen, und alles wird wieder gut sein . . . Morgen schreibe ich auch einen lieben Brief an Mutti . . .

Mit dem Herzen voller Hoffnung schlief Sabine ein.

Verbotene Liebe - Liebesroman

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