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Eva eilte die Königsallee in Richtung Schadowplatz hinunter, vorbei an strahlendhell erleuchteten Schaufenstern und sorglos promenierenden Menschen. Trotz der späten Stunde herrschte hier noch ein reges Treiben. Eva fühlte sich wie eine Ausgestoßene. Sie war hundemüde und hätte beinahe vor Selbstmitleid geweint. Aber sie erinnerte sich daran, daß sie dieses Schicksal freiwillig gewählt hatte. Noch konnte sie jederzeit nach Hause. Aber wollte sie das? Nein. Also durfte sie sich auch nicht beklagen.

Trotzdem war sie froh, als sie den Hofgarten erreicht hatte. Sobald sich eine Möglichkeit ergab, wich sie von dem breiten, erleuchteten Hauptweg ab und suchte sich eine leere Bank. Endlich fand sie, was sie suchte. Eine Bank, halb unter einem Fliederbusch versteckt. Sie faltete ihren Regenmantel zusammen, legte ihn unter ihren Kopf und streckte sich aus.

Sie lag furchtbar unbequem, trotzdem schloß sie die Augen und versuchte einzuschlafen. Aber all die Aufregungen des vergangenen Tages wirbelten noch durch ihren Kopf.

Noch wußte sie nicht, wie es weitergehen sollte. Sie wünschte sich von ganzem Herzen, daß Regine noch lebte. Wenn es so war, würde sie ihr selbstverständlich die Handtasche samt Inhalt zurückgeben. Wenn aber nicht — wenn sie verunglückt war …? Wem schadete sie damit, wenn sie die Sachen behielt? Regine würde es ihr bestimmt gegönnt haben, wenn sie darüber hätte entscheiden können. Sie hatte ja gewußt, wie unglücklich Eva zu Hause war.

Eva war fast eingeschlafen, da hörte sie halblaute Stimmen: »Ihre Papiere, bitte!«

Eva richtete sich kerzengerade auf. Eine Bank weiter blitzte eine Taschenlampe auf. Kriminalbeamte waren unterwegs! Unwillkürlich holte sie Regines Paß heraus. Aber wie sollte sie ihnen erklären, warum sie nicht zu Hause, sondern im Hofgarten schlief ?

Kurz entschlossen erhob sie sich und rannte, so leise sie konnte, los. Sie drehte sich nach den Polizisten um und rannte geradewegs in jemanden hinein.

»Hoppla«, sagte eine männliche Stimme, »warum so eilig?«

»Bitte«, flehte Eva und hängte sich bei dem Fremden ein, »bitte, tun Sie so, als wäre ich Ihre Freundin!«

»Was ist los …?«

»Ich heiße Hannes Hausmann«, sagte der Fremde.

Mühsam paßte sich Eva seinen großen Schritten an.

Die Polizisten hatten inzwischen ein Gammlerpaar aufgescheucht. Aus den Gesprächsfetzen ging hervor, daß die beiden keinen festen Wohnsitz nachweisen konnten. Sie meuterten zwar heftig, leisteten aber keinen Widerstand, als sie von den beiden Beamten in die Mitte genommen wurden.

Unwillkürlich versuchte Eva, ihren fremden Bekannten etwas seitlich an den Beamten vorbeizuziehen.

Vielleicht war es gerade das, was die Aufmerksamkeit der beiden Polizisten erweckte. »Moment mal!« sagte der eine und beschrieb mit seiner eingeschalteten Stablampe einen Kreis.

Eva und Hannes blieben sofort stehen.

»Ihre Ausweise, bitte!«

Eva schlug das Herz bis zum Hals. Mit zitternden Fingern kramte sie den Paß aus Regines weißer Lackledertasche und reichte ihn dem Polizisten.

Der schlug den Paß auf, blätterte darin und verglich die Angaben mit irgendeiner Liste.

Eva zuckte zusammen und schloß die Augen, als der helle Schein der Stablampe sie direkt ins Gesicht traf. Sie überlegte, was sie über Regine wissen mußte: geboren am 28. September 1951.

Aber niemand fragte danach.

»In Ordnung«, sagte der Polizist und reichte Eva den Paß zurück.

Ihr Herz machte einen gewaltigen Sprung: Es hatte geklappt. Niemand hatte gemerkt, daß sie nicht Regine Karlson war. Sie konnte den kostbaren Paß, der sie drei Jahre älter machte, ungefährdet benutzen. Die ganze Welt stand ihr offen.

Der Polizist hatte inzwischen auch den Personalausweis ihres Begleiters geprüft.

»Seit wann ist es verboten, im Hofgarten spazierenzugehen?« fragte Hannes Hausmann, als er den Ausweis wieder zurückbekam und einsteckte.

»Überhaupt nicht«, gab der Polizist ungerührt zurück, »aber Sie sollten nachts wenigstens die beleuchteten Hauptwege benutzen. In Ihrem ureigensten Interesse. Es treibt sich, gerade im Sommer, hier allerhand Gesindel herum.«

»Kommt darauf an, was Sie unter Gesindel verstehen«, sagte Hannes Hausmann herausfordernd.

Eva kniff ihn in den Arm. »Kommen Sie, Hannes, seien Sie friedlich!« Sie lächelte den Polizisten an. »Können wir jetzt gehen? Ich bin ziemlich müde.«

»Ja, bitte. Gute Nacht.«

»Gute Nacht …« Eva zog Hannes Hausmann rasch fort. »Na, das habe ich gerne«, sagte sie, sobald sie außer Hörweite waren, »kaum ist die Gefahr vorbei, da müssen Sie keß werden. Was haben Sie sich eigentlich davon versprochen?«

»Ich bin nun mal allergisch gegen Polizisten …«

Sie hatten jetzt die Inselstraße erreicht, und Hausmann blieb unter einer Laterne stehen. »Überhaupt … von was für einer Gefahr reden Sie eigentlich?«

Sie hielt seinem prüfenden Blick stand und nahm selber die Gelegenheit wahr, ihn sich einmal im Licht genauer anzusehen. Er war noch sehr jung, nicht älter als zwanzig Jahre, hatte scharfe graue Augen, ein frisches Gesicht und schulterlanges blondes Haar.

»Ich bin eben auch allergisch gegen Polizisten«, behauptete Eva schlagfertig, »deshalb sehe ich zu, daß sie mich ungeschoren lassen.«

»Und deshalb haben Sie sich auch an mich rangeschmissen?«

Eva wurde wütend. »Rangeschmissen! Ich hatte Bedürfnis nach männlichem Schutz, entschuldigen Sie schon! Haben Sie vielen Dank für alles und … good bye!« Sie drehte sich um und wollte fort.

»He …« Mit zwei Schritten war er hinter ihr her und hielt sie fest. »Was ist denn los mit Ihnen? Ich habe Ihnen doch nichts getan!«

»Sie waren unverschämt!«

Er lachte und wirkte auf einmal ungemein sympathisch. »Da dürfen Sie sich nicht daran stoßen, das ist mein Kardinalfehler. Aber was ist mit Ihnen …? Irgendwie sitzen Sie doch in der Patsche!«

Sie zögerte. Dann hatte sie das Gefühl, daß er sie nicht verraten würde. »Ich habe keine Unterkunft«, platzte sie heraus.

»Das ist alles?« Er sah sie interessiert an.

»Ja. Ich wollte im Hofgarten übernachten …«

»Und haben sich da gleich ein Feuerchen gemacht?«

Sie schrak zurück. »Wieso?«

Er schnupperte. »Sie riechen so nach Rauch!«

»Ach wirklich?« fragte sie zurück und stellte sich dumm. »Das ist mir noch gar nicht aufgefallen. Weiß auch nicht, woher das kommt. Ich bemerkte die Polizisten und dann … das Weitere wissen Sie ja selber.«

Er schüttelte den Kopf. »Sie sind eine komische Nummer! Und was wollen Sie jetzt tun?«

Sie hob die Schulter. »Weiß noch nicht.«

»Haben Sie denn gar keinen Bekannten in Düsseldorf ?«

»Doch. Das ist eben der Jammer.« Blitzschnell dachte sich Eva eine Erklärung aus. »Ich wollte eine Freundin hier besuchen. In Oberkassel. Sie wohnt allein. Ich habe da schon öfter übernachtet. Aber heute hat niemand aufgemacht. Eine Nachbarin sagte, sie wäre verreist. Sonst kenne ich niemanden.«

»Wissen Sie was … Wie war gleich Ihr Name?«

»Regine Karlson.«

»Ach ja, Fräulein Karlson. Kommen Sie doch einfach mit zu mir. Mein Atelier ist zwar nicht gerade ein Luxussalon, aber irgendwie wird es schon gehen. Immerhin haben Sie es dort bequemer als auf den Rheinwiesen.«

Eva überlegte. Zwar behagte ihr der Gedanke, bei einem völlig fremden Mann zu übernachten, ganz und gar nicht. Aber andererseits wußte sie auch nicht, wie und wo sie die Stunden bis zum Morgen sonst herumbringen sollte. Außerdem war sie todmüde und fror.

»Einverstanden«, erklärte sie so unbefangen wie möglich, »das ist sehr nett von Ihnen.«

Hannes kam, wie Eva bald erfuhr, aus Norddeutschland und studierte an der Düsseldorfer Kunstakademie Malerei. Er hatte ein Atelier im obersten Stock eines modernen Mietshauses in der Freiligrathstraße. Es bestand aus einem einzigen großen Raum, in dem es durchdringend nach Ölfarben und Terpentin roch. An den Wänden lehnten Bilder. Es gab eine Staffelei, ein Matratzenlager, einen Stuhl und einen selbstgezimmerten Tisch. Durch das riesige Atelierfenster sah man den besternten Himmel. Die beiden Nebenräume, ein Bad und eine Kochnische, waren winzig.

Eva benutzte das Bad. Dann zog sie einen cognacfarbenen Bademantel von Hannes an. Die Ärmel stülpte sie so lange um, bis die Hände bequem herausschauen konnten. In der Hoffnung, daß Hannes inzwischen schon schlief, öffnete sie leise die Tür und ging auf Zehenspitzen ins Zimmer.

Aber sie irrte sich. Er lag, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, auf dem breiten Matratzenlager. Neben ihm brannte eine große rote Vasenlampe. Auf dem Boden stand ein Glas mit einem hellen Getränk.

»Na endlich« sagte er, »nun komm schon.«

Vor Verlegenheit wurde ihr fast schwarz vor den Augen. Aber sie brachte doch noch ein »Wo soll ich schlafen?« heraus.

»Wo schon? Bei mir natürlich«, gab er schnoddrig zurück.

»Kommt nicht in Frage.«

Er richtete sich lässig auf und nahm das Glas in die Hand. Sein Oberkörper war nackt. »Das hätte ich wissen sollen!«

»Ich auch!« Mit gespielter Sicherheit warf Eva den Kopf in den Nacken. »Sie haben mir ein Nachtquartier versprochen. Von Beischlaf war nicht die Rede.«

Er lachte. »Aber so was ist doch selbstverständlich.«

»Für mich nicht!«

»Du lieber Himmel, ich wußte gar nicht, daß es so was Altmodisches noch gibt! Die einzige eiserne Jungfrau in unserem Breitengrad … und ausgerechnet an die muß ich geraten.«

Eva ließ sich nicht beirren. »Ich bin weder eisern noch altmodisch. Aber ich mag das nur, wenn ich Lust dazu habe und nicht gezwungenermaßen … Falls Ihnen das nicht paßt, verschwinde ich eben wieder.«

Sie starrten sich quer durch den Raum wütend in die Augen. Dann gab Hannes mit einem Lachen nach. »Na schön. Wer nicht will, hat schon gehabt. Schließlich herrscht bei mir kein sexueller Notstand. Wenn Sie darauf bestehen, schlafe ich eben allein.« Er warf die Decke von sich und sprang auf.

Eva sah, daß er eine buntgeblümte Pyjamahose trug.

Er machte sich daran, sein Lager zu teilen. Als Eva merkte, daß er sich ehrlich um eine zweite Liegemöglichkeit bemühte, half sie ihm dabei. Dann kramte er aus einer Truhe eine zweite Decke.

Vorsichtig wartete sie, bis er sich auf seinem Platz langlegte, bevor sie selber, ohne den Bademantel abzulegen, unter die Decke schlüpfte. Er knipste das Licht aus. Aus halb geschlossenen Augen sah sie zu ihm hinüber. Der Mond warf eine breite Lichtbahn in das Atelier. Das lange helle Haar des jungen Mannes schimmerte wie ein Heiligenschein.

Was für ein Glück, daß sie ihn gefunden hatte! Genausogut hätte sie auch an eine ganz üble Type geraten können.

»Danke, Hannes«, sagte sie. Aber er antwortete nicht. Sie lauschte noch eine Weile, bis ihr seine gleichmäßigen Atemzüge verrieten, daß er schon eingeschlafen war.

Am nächsten Morgen erwachte Eva von Musik. Bevor sie die Augen aufschlug, mußte sie sich erst besinnen, wo sie war.

Hannes Hausmann plätscherte im Bad. Er hatte sein Transistorradio eingestellt.

Gerade, als sie aufstehen wollte, kam er. Rasiert und frisch gewaschen, von einem Badetuch umgeben, trat er vor sie hin. »Morgen, Gina«, sagte er fröhlich. »Gut geschlafen?«

»Einmalig gut.«

»Das freut mich. Wenn Sie ins Bad wollen … ich mache uns inzwischen Frühstück …«

»Soll ich das nicht lieber?«

»Nee, danke. Sonst werfen Sie mir nachher noch vor, ich hätte Sie Ihr Nachtquartier abarbeiten lassen. Aber wenn Sie mir den Bademantel geben würden, könnte ich mich etwas besser bewegen.«

Eva sah sich an. »Oh, Entschuldigung, damit habe ich ja geschlafen …« Unwillkürlich sprang sie auf und löste den Gürtel.

Dann zog sie den Mantel ganz aus und warf ihn über einen Stuhl in der Nähe der Badezimmertür. Fast im selben Augenblick war sie, nur noch mit einem Slip bekleidet, im Bad verschwunden.

Als sie vor dem Spiegel stand, nahm sie eine Haarsträhne zwischen die Finger und schnupperte daran. Wahrhaftig, Hannes Hausmann hatte recht gehabt — es roch nach Rauch. Bei nächster Gelegenheit mußte sie es unbedingt waschen. Sie machte kleine Katzenwäsche, zog Hose und Pulli an.

Als sie ins Atelier zurückkam, war Hannes Hausmann mit dem Frühstück noch nicht fertig. Sie brachte die Matratzen wieder in Ordnung.

Sie redeten dabei über alles mögliche, neckten sich und lachten miteinander.

Als sie frühstückten, kamen Radionachrichten, und plötzlich hörte Eva: » … Das Feuer forderte zwölf Todesopfer, von denen inzwischen elf identifiziert werden konnten. Siebzehn junge Menschen mußten mit schweren Brandverletzungen in die umliegenden Kliniken gebracht werden. Mehrere von ihnen schweben noch in Lebensgefahr. Die Beerdigung ist für Freitag zehn Uhr auf dem Südfriedhof angesetzt worden. Man erwartet eine große Anteilnahme der Bevölkerung. Das ist die schwerste …«

»Wieso interessieren Sie sich so sehr dafür?« fragte Hannes.

Eva hatte betroffen gelauscht. Es dauerte eine Weile, bis sie in die Wirklichkeit zurückfand.

»Wieso, Sie nicht ?« meinte sie abwesend. »Ist doch ein entsetzliches Unglück.«

Hannes Hausmann blieb unbeeindruckt. »Täglich und überall sterben junge Menschen eines gewaltsamen Todes, sei es in Vietnam oder sonstwo. Ich seh’ nicht ein, warum es schrecklicher sein soll, wenn es zwölf beim Tanzen erwischt hat.«

»Aber so ganz in unserer Nähe!«

Er grinste. »Sentimental sind Sie auch noch.«

»Sie werden mich bald genug los sein«, sagte sie beleidigt.

Er zuckte die Schultern. »Von mir aus können Sie bleiben, so lange Sie wollen. Nur auf mich müssen Sie jetzt verzichten. Ich geh’ in die Akademie und komme erst gegen Abend wieder. Wenn Sie das Atelier verlassen, dann schieben Sie den Schlüssel unter die Matte. Zu klauen gibt es bei mir nichts.«

Herzen in Aufruhr

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