Читать книгу Bravo, liebes Hausgespenst - Marie Louise Fischer - Страница 5

Geisterstunde bei hellem Mondlicht

Оглавление

In dieser Nacht kam Amadeus zu Monika. Sie hatte auf ihn gewartet, ihn immer wieder gerufen und versucht, wach zu bleiben. Aber erst als sie es aufgegeben hatte und doch eingeschlafen war, erschien er.

Er machte sich bemerkbar, indem er ihr die Decke wegzog.

„Laß das!“ murmelte sie verschlafen und versuchte sich wieder zuzudecken.

Als sie merkte, daß sie die Decke nicht finden konnte, wurde sie völlig wach. „Amadeus!“ befahl sie. „Gib mir sofort meine Decke wieder! Ich friere!“

Schon am Tag hatten sich die Wolken verzogen. So war jetzt eine sternenklare, mondhelle Nacht. Monika hatte ihre hübsch sich das geblümten Vorhänge nicht ordentlich zugezogen, und so fiel eine breite Bahn hellen Mondlichtes in das Zimmer. Sie sah deutlich, wie ihre Bettdecke, die auf dem kleinen Sessel vor dem Schreibtisch gelegen hatte, sich erhob, auf sie zuschwebte und sich auf sie herabließ. Aber sie wunderte sich nicht mehr darüber, sie war solche Streiche längst gewöhnt.

„Warum kommst du so spät, Amadeus?“ fragte sie. „Ich habe bis nach Mitternacht auf dich gewartet!“

„J’avais peur!“ ertönte eine Stimme aus dem Nichts.

Monika wußte, daß sie Amadeus gehörte. „Was heißt denn das schon wieder?“

„Oh! Ich vergaß, daß du une fille inculte bist … ein ungebildetes Mädchen!“

„Nun werde nur nicht unverschämt!“

„Wer nicht Französisch spricht, ist ungebildet!“ behauptete Amadeus mit Nachdruck.

„Vor zweihundert Jahren vielleicht, aber heute nicht mehr. Wenn man schon eine Fremdsprache können muß, dann Englisch.“

„Ich mag mich nicht mit dir streiten“, erklärte Amadeus blasiert.

„Also raus mit der Sprache! Warum bist du nicht früher gekommen?“

„Ich hatte Angst!“

„Du und Angst! Das ist ja lächerlich!“ Monika rieb sich die müden Augen.

„Ich hatte Angst, daß du mit mir schimpfen würdest.“

Auf dem Sessel, auf dem eben noch die Bettdecke gelegen hatte, bildete sich, im Mondlicht deutlich sichtbar, etwas wie ein Nebel, eine Art kleiner Wolke. Es wurde größer, reckte und streckte sich und nahm menschliche Formen an. Erst waren sie ganz plump wie bei einem Lebkuchenmann. Monika konnte die Konturen von Armen, Beinen, dem Rumpf, dem Hals und dem Kopf unterscheiden. Das sonderbare Gebilde verfeinerte sich immer mehr, bis Amadeus ganz deutlich sichtbar war. Er sah aus wie ein zwölfjähriger Junge – was zu sein er auch vorzugeben pflegte –, der in der Tracht einer längst vergangenen Zeit gekleidet war. Er trug ein reich geschmücktes Hemd mit Rüschen und Spitzen, die ihm aus den Ärmeln und dem Ausschnitt seines hellblauen seidenen Fracks hervorquollen. Seine Hose war unter den Knien über den weißen Strümpfen gebunden, und an den Füßen hatte er schwarze Schuhe mit Silberschnallen. Sein Gesicht war fein gezeichnet, die großen blauen, hübsch bewimperten Augen standen weit auseinander. Auf seinem Kopf saß eine weiße Perücke, die hinten in einem Zopf endete.

Wer ihn nicht kannte, hätte ihn für einen lebendigen Jungen gehalten, wenn er nicht doch immer ein wenig durchsichtig geblieben wäre.

Auf Monika machte seine Verwandlung, die sie nun schon so oft gesehen hatte, gar keinen Eindruck. „Schimpfe hast du ja auch wohl verdient. Du hast mir mit deiner Schneeballwerferei einen schönen Schrecken eingejagt.“

„Das war doch lustig!“

„Lustig schon! Aber gegen unsere Abmachung! Du weißt genau, daß außer uns und Schorsch und Ingrid niemand was von deiner Existenz wissen darf. Sonst kommen uns noch Leute von der Zeitung, vom Radio und möglichst noch vom Fernsehen ins Haus …“

„Das wäre ein Spaß!“

„Für uns nicht! Dann wäre es mit unserem Frieden nämlich vorbei!“

„Friede ist ennuyant!“ Amadeus schlug elegant die Beine übereinander und legte sich im Sessel zurück.

„Langweilig, meinst du? Soviel Französisch habe ich inzwischen schon von dir gelernt. Nein, Frieden ist keineswegs langweilig, und ein fröhliches gemütliches Zuhause zu haben ist wunderbar. Wir wollen keine Fremden, die durchs Haus trampeln und alles mögliche über uns berichten, von dem vielleicht nur die Hälfte wahr ist.“

„Ich bin eben eine interessante Persönlichkeit!“ sagte Amadeus hochnäsig.

„Ja, das bist du. Aber wir wollen keinen Rummel.“

„Und wenn ich ihn nun will? Ihr könntet mir schon auch einmal einen Gefallen tun. Allein hättet ihr nie den Schatz in der Ruine gefunden, ihr hättet das Haus nicht kaufen können und auch nicht den Bodo … ja, nicht einmal zur Miete hättet ihr hier wohnen können.“

„Dafür sind wir dir ja auch sehr dankbar.“

„Aber zum Fernsehen wollt ihr mich trotzdem nicht lassen! Stell dir nur vor, was für ein Spaß das wäre, wenn ich auf der Mattscheibe erschiene!“

Die Schmidts saßen öfters am Abend beim Fernsehen zusammen, deshalb war Amadeus dieses Phänomen durchaus vertraut, wenn er auch nicht verstand, wie es zustande kam. Aber das wußte Monika und viele andere auch nicht.

„Wer weiß“, meinte Monika nachdenklich, „ob du überhaupt zu sehen sein würdest.“

„Warum denn nicht?“

„Weil du …“, Monika suchte behutsam nach Worten, die Amadeus nicht verletzen konnten, „… auch wenn du dich blicken läßt, immer noch ein bißchen durchsichtig bist.“

„So? Bin ich?“ Amadeus schaute an sich herunter.

„Doch, bestimmt. Ich kann die Noppen vom Sessel hinter dir sehen, und auch seine Farbe schimmert durch.“

Amadeus runzelte die Stirn. „Vielleicht läßt sich das ändern.“

„Vielleicht“, stimmte Monika friedfertig zu. „Aber damit solltest du dich zuerst mal befassen, bevor du an einen Auftritt im Fernsehen denkst.“

„Hm“, machte Amadeus. Indem er seine entspannte Lage änderte, zeigte er, daß Monikas Argumente ihn beeindruckt hatten. Er stützte den rechten Ellbogen auf sein Knie und legte das Kinn in die Hand. So saß er jetzt in der Pose eines Denkers da.

Monika wartete ab.

Endlich sagte er: „Aber auch wenn man mich nicht sieht, würde es doch sehr lustig sein. Ich kann Dinge durch die Luft fliegen lassen. Damit mache ich immer Effekt.“

„Nicht beim Fernsehen!“ widersprach Monika entschieden. „Die Leute würden glauben, es sind nur Tricks.“

„Meinst du wirklich?“ fragte Amadeus enttäuscht.

„Ja. Ich bin davon überzeugt: Es ist viel besser, du hebst dir deine Kunststückchen für uns auf.“

„Aber ihr kennt doch schon alle!“

„Du mußt dir eben etwas Neues einfallen lassen. Gib dir Mühe!“

Amadeus seufzte tief.

„Jedenfalls bleibt es bei unserer Abmachung: Du darfst keine Fremden erschrecken“, beharrte Monika.

„Das werde ich auch nicht.“ Amadeus richtete sich auf und erklärte mit der ihm eigenen Logik: „Wenn ihr keine Fremden hereinlaßt!“

„Aber, Amadeus, der Briefträger …“

„Ich rede nicht vom Briefträger und nicht vom Mann vom Elektrizitätswerk, das weißt du ganz genau … obwohl ihr denen auch mal einen kleinen Spaß gönnen könntet …“

„Untersteh dich!“

„Jedenfalls will ich keine garçons étrangers … keine fremden Jungen hierhaben!“

Monika gab nicht auf. „Jetzt hör mal zu, Amadeus! Norbert ist kein fremder Junge, er geht in meine Klasse …“

„Ich kenne ihn nicht!“

„Er ist sehr nett …“

„Nett?!“ fiel Amadeus ihr ins Wort. „Il est épouventable!“

Sie verstand zwar nicht, was das hieß, bat aber nicht um eine Erklärung, weil sie es sich ohne weiteres selbst zusammenreimen konnte. „Mit dir kann er sich natürlich nicht vergleichen, Amadeus“, schmeichelte sie ihm, „so elegant, so geistreich und so gesittet wie du ist kein anderer Junge!“

Amadeus fand das durchaus nicht übertrieben, sondern nickte wohlgefällig. „Gut, daß du das einsiehst. Und ich bin dein Freund, vergiß das nicht. Also brauchst du auch keinen anderen.“ Als wenn die Sache damit entschieden wäre, begann er sich vor ihren Augen aufzulösen.

„Hör mir doch zu, Amadeus!“ rief Monika hastig. „Norbert ist nicht mein Freund, und er wird es auch nie werden. Aber er ist neu in der Gegend, und er sucht Anschluß. Er will sich mit mir befreunden, nicht ich mit ihm. Du darfst ihn nicht ärgern, wenn er auftaucht, sonst …“

Aber Amadeus schien nicht mehr auf sie zu hören und zerfloß sehr schnell in das wolkige Gebilde, aus dem er sich entwickelt hatte.

„Amadeus, lauf nicht weg!“ rief Monika. „Ich habe dir noch nicht alles gesagt! Wenn es herauskommt, daß du hier bei uns lebst, dann werden nicht nur die Leute von den Medien kommen …“

„Was heißt das denn nun schon wieder?“ ertönte seine Stimme.

„Ach, bin ich froh, daß du noch hier bist! Medien, das sind die Vermittler … die, die das, was in der Welt geschieht, den Menschen vermitteln … Zeitungen, Zeitschriften, Radio, Fernsehen …“

„Warum sagst du das nicht gleich?“

Monika ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. „Nicht nur die werden kommen“, sagte sie eindringlich, „sondern auch solche, die sich auf Gespenster verstehen!“ Monika wußte sehr wohl, daß Amadeus dieses Wort „Gespenst“ nicht liebte und stets behauptete, kein Gespenst, sondern ein normaler zwölfjähriger Junge zu sein, der nur zufällig seit über zweihundert Jahren lebte, sich sichtbar und unsichtbar machen konnte und nicht zu essen und zu schlafen brauchte. Aber jetzt benutzte sie es absichtlich, um ihm den Ernst der Gefahr klarzumachen. „Es gibt Leute, die Gespenster bannen … die dich von hier vertreiben können, Amadeus! Deshalb ist es in deinem Interesse, wenn so wenige wie nur möglich wissen, daß du hier spukst …“

Monika sprach noch eine ganze Weile weiter, bis sie das untrügliche Gefühl überkam, daß Amadeus sich nicht mehr im Raum befand.

„Typisch für dich“, murmelte sie wütend, „wenn dir was unangenehm ist, verduftest du einfach. Aber das ist doch keine Lösung.“

Sie sprang aus dem Bett, zog die Vorhänge so fest zu, daß kein Mondstrahl mehr in ihr Zimmer dringen konnte. Wenige Minuten später war sie trotz aller Sorgen fest eingeschlafen.

Bravo, liebes Hausgespenst

Подняться наверх