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Ein unerwünschter Besuch

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Da es Monika nicht gelungen war, sich mit Amadeus zu einigen, befand sie sich in einer schwierigen Situation. Sie mußte Norbert, den sie gut leiden konnte, dauernd abwimmeln. Weil sie ihn nicht kränken wollte und ihm auch nicht die Wahrheit sagen konnte, tat sie es mit Gründen, deren Fadenscheinigkeit sie selber nur zu gut merkte.

Norbert verstand überhaupt nichts. Obwohl ihn die Klasse immer noch hin und wieder für sein spitzes st auslachte, litt er doch nicht an Minderwertigkeitskomplexen. Er fühlte, daß er Monika sympathisch war und wußte auch nicht, warum es hätte anders sein sollen. Ingrid mußte immer noch das Bett hüten, und so ergab es sich ganz von selber, daß Monika und Norbert in den Pausen die meiste Zeit zusammen waren. Sie verstanden sich prächtig und konnten über alles miteinander reden. Norbert ließ es sich auch nicht nehmen, Monika von der Schule nach Hause zu begleiten – bis zu dem Punkt, wo die große Wiese, die vor dem Haus am Seerosenteich lag und die zu dem Besitz gehörte, begann. Seit jener sonderbaren Schneeballschlacht ließ Monika ihn nie mehr auch nur einen Schritt über die Grenze machen. Norbert fand ihr Benehmen höchst wunderlich. Er witterte, daß etwas dahintersteckte. Vielleicht, so dachte er, gab es doch einen großen Jungen. Ihrem Benehmen nach konnte er sich aber nicht vorstellen, daß sie mit ihm befreundet war. Er dachte, daß sie eher Angst vor ihm hatte.

Da er gern Abenteuerbücher las, träumte sich Norbert oft in die Rolle eines Helden hinein. Manchmal glaubte er sogar wirklich, daß er einer wäre. Deshalb entschloß er sich, das Geheimnis zu klären und, wenn es wirklich einen anderen Jungen geben sollte, Monika von ihm zu befreien. Daß er gegen einen Jungen von fünfzehn, sechzehn Jahren, wie er nach Monikas Angaben sein mußte, gar nicht ankommen würde, daran dachte er nicht. Er machte sich auch gar keinen festen Plan, sondern wollte es einfach darauf ankommen lassen.

So machte er sich eines Nachmittags auf den Weg zum Haus am Seerosenteich, ohne daß er seinen Besuch vorher angekündigt hatte. Der Schnee auf Wegen und Straßen war inzwischen längst geräumt, so daß man nicht mehr bei jedem Schritt versank. Aber gleich hinter Geretsried leuchtete er noch blendend weiß in der hellen Wintersonne. Hier fuhren keine Autos, die ihn mit ihren Abgasen schwärzen konnten. Auch Industrieanlagen gab es weit und breit nicht.

Unternehmungslustig schritt Norbert aus, seinen Schlitten hinter sich herziehend. Auf dem Weg zum Haus am Seerosenteich geschah gar nichts. Nachdem er seinen Schlitten gegen die Wand gelehnt hatte, betätigte er guten Mutes den Türklopfer. Frau Schmidt öffnete ihm. Er wußte gleich, wen er vor sich hatte, denn auch sie hatte große, grüne Augen und eine helle Haut. Aber ihr Haar war nicht rot, sondern blond.

Norbert wollte einen guten Eindruck schinden und machte deshalb eine kleine Verbeugung. „Guten Tag, Frau Schmidt. Ich möchte gern Monika zum Schlittenfahren abholen!“

„Du bist sicher der Norbert“, sagte Frau Schmidt zögernd.

Norbert strahlte. „Hat sie Ihnen von mir erzählt? Ich bin der Junge mit dem spitzen st!“

Seine Offenheit gefiel Frau Schmidt, und sie lächelte freundlich. „Ja, ich weiß, aber wenn du hier länger lebst, wirst du es dir sicher bald abgewöhnen.“

„Hoffen wir’s. Es ist nicht angenehm, dauernd ausgelacht zu werden.“

„Das kann ich mir denken.“

Unversehens hatte Frau Schmidt ihn während dieses kleinen Gesprächs hereingelassen. Sie standen jetzt in der großen Wohndiele, von der viele Türen in die Küche und die anderen Räume des Erdgeschosses führten. Im Hintergrund gab es einen Erker, der höher lag als das übrige Zimmer. In der Mitte des Raumes stand ein großer Tisch, an dem die Familie aß, aber gelegentlich auch spielte. Auch der Fernseher und das Radio befanden sich in der Diele. Der Boden war aus altersdunklem Holz, und die Wände waren holzgetäfelt.

Norbert gefiel es hier. „Könnten Sie Monika jetzt bitte holen?“ fragte er.

„Das geht leider nicht.“

Norbert war es, als entdeckte er bei Frau Schmidt die gleiche Unsicherheit, die er manchmal bei Monika bemerkt hatte. „Warum denn nicht?“ fragte er.

„Weil sie schläft.“

„Jetzt? Am hellen Tage?“

„Ja, sie … sie pflegt ein Mittagsschläfchen zu halten.“ Frau Schmidt nestelte an ihrem Gürtel.

„Ist sie für so was denn nicht schon zu alt?“

„Sie schläft nachts schlecht, weißt du, und sie ist sehr zart, deshalb … nun eben, um den nächtlichen Schlaf aufzuholen, legt sie sich mittags hin.“

„Das halte ich aber für verkehrt“, erklärte Norbert, der durchaus nicht schüchtern war. „Wenn sie tags aufbleiben würde, könnte sie bestimmt nachts besser schlafen.“

„Sei mir nicht böse“, sagte Frau Schmidt, „aber es gibt Dinge, von denen du nichts verstehst. Sie öffnete die Haustür. „Ich werde Monika erzählen, daß du dagewesen bist.“

Norbert machte keine Anstalten hinauszugehen. „Das ist nicht nötig. Ich werde einfach auf sie warten.“

„Ausgeschlossen. Ich will gerade hinüber in meine Töpferei, und da kann ich dich doch nicht hier allein lassen!“

„Warum eigentlich nicht?“ fragte Norbert.

Frau Schmidt blickte ihn nachdenklich an. Wäre er ein gewöhnlicher Junge aus Heidholzen oder Geretsried gewesen, hätte sie sich von seiner Hartnäckigkeit nicht beeindrucken lassen, sondern ihn einfach fortgeschickt. Aber sie wußte, daß er neu in Monikas Klasse war und Schwierigkeiten hatte, sich einzugewöhnen. So brachte sie es nicht übers Herz, ihn vor den Kopf zu stoßen.

„Ja, warum eigentlich nicht?“ wiederholte sie unschlüssig und fügte dann hinzu: „Weißt du was, komm mit mir in die Töpferei! Du kannst mir Gesellschaft leisten, bis Monika wach wird.“

„Darf ich wirklich?“ rief Norbert begeistert. „Das ist dufte!“

„Komm nur mit!“ Frau Schmidt ging voraus.

Sie überquerten ein Stück der Wiese, die jetzt völlig von dem weißen Schnee verdeckt war. Kaspar, der riesige, bernhardinerartige Hund streckte den Kopf aus seiner warmen Hütte, blaffte kurz, um zu zeigen, daß er Norberts Dasein zur Kenntnis genommen hatte. Sofort gab er sich aber wieder zufrieden, da er ihn in der Begleitung von Frau Schmidt sah.

„Mit dir muß nachher auch noch jemand spazierengehen!“ rief Frau Schmidt ihm zu.

„Das können wir doch machen, Monika und ich“, erbot sich Norbert.

„Das wäre lieb von euch. Kaspar gehört eigentlich Peter, Monikas großem Bruder. Aber er findet leider nur Zeit für ihn, wenn er gerade Lust hat.“

Sie öffnete die Tür zu der riesigen Scheune, deren eine Hälfte zur Garage, die andere zu einer Töpferei umfunktioniert war. Der Raum war in der Mitte unterteilt, und Herr Schmidt, der vieles selber machen konnte, hatte auch eine Zwischendecke eingezogen, damit er leichter zu heizen war.

Der erste Eindruck war enttäuschend. Im großen ganzen wirkte die Töpferei schmutzig. Das kam von dem Ton, der überall seine Spuren hinterlassen hatte. Nur im hinteren Regal standen fertig bemalte und zum zweitenmal gebrannte Stücke –, Aschenbecher, Töpfe und Übertöpfe, Kerzenständer und Vasen –, die bunt leuchteten. Auch an den anderen Wänden zogen sich Regale entlang, sie waren mit bräunlichen oder roten, zum erstenmal gebrannten Gegenständen gefüllt. In der Mitte stand ein großer rechteckiger Brennofen, der schwache Wärme ausstrahlte. Außerdem gab es eine Töpferscheibe, einen einfachen Holztisch und eine Bank.

„Hier, zieh das über!“ Frau Schmidt gab Norbert einen grauen Kittel, der rückwärts und an den Handgelenken zugebunden wurde, und schlüpfte selber in ein ähnliches Kleidungsstück. „Ich nehme an, du willst es auch mal probieren?“

„O ja, gern!“

Frau Schmidt entfernte eine Plastikhülle von einem Eimer und wickelte einen großen Klumpen aus vielen feuchten Tüchern.

„Arbeiten Sie an der Scheibe?“ erkundigte sich Norbert.

„Selten. Eigentlich nur, wenn ich einen Gebrauchsgegenstand für meine eigene Küche herstellen will. Wenn die Dinge ein bißchen unregelmäßig werden, gefallen sie mir besser.“ Frau Schmidt teilte ein Stück Ton von dem Klumpen ab und gab es Norbert. „Da, fang schon einmal an.“ Sie schaltete den Brennofen aus und öffnete die Tür.

Norbert blickte hinein und stellte fest, daß der Innenraum verhältnismäßig klein und vielfach beschichtet war. Er war voll mit bunt bemalten, getöpferten Gegenständen.

„Holen Sie die jetzt heraus?“ fragte er.

„Nein, die müssen mindestens zwölf Stunden auskühlen.“

Sie setzten sich einander gegenüber an den Tisch, und auch Frau Schmidt nahm ein Stück Ton in die Hand. Jetzt, da der Ofen geöffnet war, wurde es sehr viel wärmer in der Scheune.

„Was willst du machen?“ fragte Frau Schmidt.

„Ich weiß noch nicht.“ Norbert knetete an seiner Tonmasse herum. „Aber es macht Spaß. Ist so ein Ofen eigentlich sehr teuer?“

„Ja. Aber wir konnten ihn uns leisten, weil Monika den Schatz gefunden hat.“

„Was!?“ fragte Norbert verblüfft.

„Hat sie dir das nicht erzählt? Wirklich, sie hat einen Schatz gefunden … da oben in der Ruine auf dem Hügel. Davon konnte sie sich auch Bodo kaufen, ihr Pferd, und wir konnten das Haus anzahlen.“

„Das ist ja toll! Wie hat sie denn das gemacht?“

Frau Schmidt wollte schon antworten, aber dann machte sie sich klar, daß es vielleicht nicht gut war, von einem Ereignis zu sprechen, das mit Amadeus zu tun hatte, ohne seinen Namen zu nennen. Er war zwar bisher noch nie in der Töpferei gewesen – jedenfalls hatte sie seine Anwesenheit noch nie bemerkt –, deshalb hatte sie auch gewagt, Norbert hierher mitzunehmen. Aber man konnte nie wissen.

„Das laß dir lieber von Monika selber berichten“, sagte sie, „ich war ja nicht dabei.“

„Hat sie den Schatz ganz zufällig gefunden?“ forschte Norbert.

„Nein. Aber sprechen wir lieber von etwas anderem.“

„Warum denn? Die Geschichte ist doch furchtbar interessant.“

„Ich weiß nicht genug darüber.“

„Hat Ihnen Monika denn nicht alles geschildert? Wenn mir so was gelänge, ich würde tagelang von nichts anderem reden.“

Tatsächlich hatte auch Monika das getan, aber Frau Schmidt wollte es nicht zugeben und schwindelte: „Monika ist eben anders.“

„Sie ist komisch, das ist mir auch schon aufgefallen.“

Norbert knetete mit nachdenklichem Gesicht an seinem Ton herum.

„Komisch? Wieso?“

„Manchmal sagt sie, glaube ich, gerade, was ihr einfällt, und manchmal sagt sie auch gar nichts. Warum zum Beispiel hat sie mir das mit dem Schatz nicht erzählt? Ich glaube, niemand in der Klasse weiß es. Statt dessen hat sie einmal behauptet, sie hätte einen Freund … einen mit einem ganz komischen Namen. Wie hat sie ihn noch genannt?“ Norbert kratzte sich mit dem lehmigen Finger in den blonden Locken. „Ach ja, Amadeus! Aber als ich nachgebohrt habe, hat sie gestanden, daß das gar nicht stimmt. Warum redet sie so was daher?“

Frau Schmidt wurde es heiß und kalt. „Ach, sie wollte sich wohl nur wichtig machen“, behauptete sie so beiläufig wie möglich.

„Aber das hat sie doch gar nicht nötig!“

„Vielleicht war es auch nur ein Witz.“

„Ich finde das gar nicht zum Lachen.“

Frau Schmidt holte tief Luft. „Norbert“, sagte sie, „ich finde es nicht nett, wenn wir hinter Monikas Rücken über sie sprechen …“

„Aber ich möchte sie doch nur besser kennenlernen! Ich versteh sie nicht!“

„Trotzdem, Norbert, erzähl mir lieber was von dir! Bist du gern nach Bayern gekommen? Bist du gern hier? Wie gefällt es dir in der neuen Schule? Hast du früher schon auf dem Land gelebt oder in der Stadt?“

Norbert gelang es, alle vier Fragen in kürzester Form und in einem Atemzug zu beantworten: „Ja, ja, einigermaßen, in der Stadt!“ sagte er. „Aber wie kommt sie nur auf den komischen Namen Amadeus?

„Norbert!“ sagte Frau Schmidt vorwurfsvoll, aber sie mußte doch lachen.

Bravo, liebes Hausgespenst

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