Читать книгу Das gefährliche Leben der Monika Berg - Marie Louise Fischer - Страница 4
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ОглавлениеGestem war meine erste Jugendschutzstreife. War ich aufgeregt? Sehr. Es bedeutete soviel für mich. Mehr noch als meine bestandenen Prüfungen, mehr als meine Einführung ins Amt. Es war sozusagen meine Feuertaufe. Es kommt mir vor, als wenn ich erst seit gestern richtig dabei wäre.
Selbstverständlich habe ich es mir nicht anmerken lassen. Ich weiß von der Polizeischule her, daß die männlichen Kollegen eine Frau am liebsten nicht ernst nehmen möchten. Andere haben Angst, wir könnten sie überrunden. Eine weibliche Vorgesetzte zu kriegen, das ist ihr Alptraum. Na ja. Wahrscheinlich nicht nur bei der Polizei. Man muß sich hier besonders zusammenreißen und darf sich keine Blöße geben.
Deshalb habe ich mir auch lange überlegt, was ich anziehen sollte. Mein Hosenanzug wäre am praktischsten gewesen, hätte aber möglicherweise zu emanzipiert gewirkt. Man kann nie wissen. Deshalb habe ich mein braunes Gabardinekostüm gewählt, darunter eine hellgrüne Polobluse, braune Sportschuhe, braune Umhängetasche — auf den Regenschirm habe ich verzichtet, obwohl es nach Regen aussah. Der hätte womöglich wieder zu weiblich ausgesehen. Mëin dunkles Haar habe ich mir im Nacken mit einer Spange zusammengesteckt.
Als ich einen letzten Blick in den Taschenspiegel warf, bevor ich aus meinem kleinen Auto stieg — ich hatte mit viel Glück einen Parkplatz in der Damenstiftstraße gefunden —, war ich mit meinem Aussehen zufrieden. Ich wirkte zwar ein bißchen blaß ohne jedes Make-up, aber meine Haut war glatt und meine Augen blickten klar, obwohl ich schon acht Stunden Dienst hinter mir hatte. Daran, daß mein Mund ein bißchen zu groß ist, habe ich mich in den dreiundzwanzig Jahren meines Lebens gewöhnen können. Dafür sind die Zähne gesund. Wenn ich lache, bekomme ich Grübchen und sehe entschieden jünger aus. Deshalb war ich fest entschlossen, nicht zu lachen.
Die Kollegen der Kriminal- und der Schutzpolizei waren schon alle im Polizeirevier 23 auf dem Hauptbahnhof versammelt. Ich kannte keinen von ihnen. Herr Schmitt, der Einsatzleiter — er nannte seinen Titel nicht, aber ich tippte auf Polizeihauptkommissar —, machte mich mit den einzelnen Herren bekannt. Sie waren alle in einer Art Räuberzivil erschienen.
Ich war so gespannt auf das, was kommen sollte, daß mir die Namen zu einem Ohr herein- und zum anderen wieder hinausgingen. Es waren an die zehn Herren, und ihre Gesichter waren auch nicht allzu einprägsam.
Nur einer machte eine Ausnahme. Er hielt meine Hand lange fest, wie in einem Schraubstock, sah mich mit einem halb freundlichen, halb spöttischen Lächeln an und wiederholte seinen Namen. »Heller«, sagte er, »mit Vornamen Mark … das ist leicht zu behalten, Sie brauchen bloß an Mark und Pfennig zu denken … Mark Heller!«
Ich verkniff mir eine Erwiderung. »Danke für die Gedächtnisstütze«, sagte ich nur.
Dieser Mark Heller war genau der Typ, den ich nicht ausstehen konnte: groß, schlank, breitschultrig, scharfgeschnittenes Gesicht, blondes Haar, sehr schick angezogen in einer schwarzen Cordsamthose, rotem. Rollkragenpullover, Wildlederschuhen und — wie könnte es anders sein — mächtig von sich eingenommen. Es gab eine Zeit, in der ich auf so etwas hereingefallen wäre, aber inzwischen habe ich meine Erfahrungen gemacht und eine heilsame Lehre erhalten.
Mark Heller, von seiner Unwiderstehlichkeit überzeugt, merkte nichts von meiner Ablehnung und klemmte sich ab sofort dicht an meine Fersen.
Wie es den Vorschriften entspricht — sämtliche Verhöre von Mädchen bis zu achtzehn und Jungen bis zu vierzehn Jahren sollen von Beamtinnen durchgeführt werden —, war außer mir noch eine andere Dame mit von der Partie: Frau Lehnert, etwa vierzig Jahre, aus dem Korps der weiblichen Kriminalpolizei, die bis vor einem Jahr ein geschlossener Verein war und nun auf die verschiedenen Ressorts aufgeteilt ist. Sie wirkte sympathisch, selbstbewußt und energisch, wenn auch ein bißchen altjüngferlich.
Frau Lehnert war zusammen mit einem Herrn Wolff vom Jugendamt gekommen, einem gemütlich wirkenden Herrn Mitte Dreißig, mit Brille, beginnender Glatze und Pfeife. Er hatte mit der eigentlichen Razzia nichts zu tun und hätte auf dem Revier warten können, bis aufgegriffene Jugendliche eingeliefert wurden. Doch er zog es vor, zuerst einmal mitzufahren.
Kurz nach zweiundzwanzig Uhr verteilten wir uns in die Streifenwagen, die bekannten grünen Kastenwagen mit vergitterten Fenstern und vier Bankreihen hintereinander. Ich kletterte in den ersten Wagen, Isar neun, in dem der Einsatzleiter sich schon neben den Fahrer gesetzt hat. Er gibt der Funkzentrale durch, daß es losgeht. Mark Heller quetscht sich, wie könnte es anders sein, neben mich. »Komisch, daß ich Sie noch nie gesehen habe«, sagt er.
»Nicht so komisch«, erwidere ich, »ich bin noch nicht lange dabei.«
»Machen Sie so etwas heute etwa zum erstenmal mit?«
»Ja. Wünschen Sie sonst noch Auskünfte?«
Er ist gar nicht beleidigt, sondern lacht nur. »Wie sind Sie auf die Idee gekommen, zur Polizei zu gehen?«
Ich hätte Lust, ihm eine runterzuhauen. »Aus denselben Gründen wie Sie wahrscheinlich!«
»Glaube ich Ihnen nicht. Ich bin zur Polizei gegangen, weil man in dem Verein Aufstiegschancen hat wie nirgends. Das trifft aber nicht — oder wenigstens noch nicht — auf das weibliche Geschlecht zu.«
»Vielleicht setze ich darauf, daß das noch kommt«, behaupte ich. Warum soll ich ihm auf die Nase binden, daß ich ein ganz persönliches Interesse daran habe, gefährdete junge Menschen zu schützen und den Verbrechern, die ihre Situation ausnutzen wollen, das Handwerk zu legen. Es geht ihn nichts an, und ich wette, er würde es sowieso nicht verstehen.
»Tun Sie das lieber nicht«, warnt er mich. »Für Damen ist das hier nicht das Richtige. Oder können Sie sich einen weiblichen Einsatzleiter vorstellen?«
»Warum nicht?«
»Sie haben eine ausschweifende Phantasie!«
Ich weiß, daß er all das nicht so meint, wie er es sagt, daß er mich nur ärgern will, um mein Interesse zu wecken. Aber gerade das stört mich. Ich bin kein Objekt für männliche Eroberungslust. Also schweige ich.
Wir brausen durch die nächtliche Großstadt, ohne Martinshorn und Blaulicht zwar, aber in einem ziemlich rasanten Tempo. In einer Kurve werde ich gegen Heller geschleudert, und er benutzt die Gelegenheit, mich festzuhalten. Seine Hände sind warm, sein Griff ist zupackend. Ich befreie mich schleunigst.
Unser Streifenwagen fährt in den Garagenhof einer Tankstelle, wendet und hält.
Schmitt setzt sich mit der Funkzentrale in Verbindung.
»Hier Isar neun … Zentrale, bitte melden! Sind auf der Goethestraße … nehmen uns den ‚Vampyr’ vor! Bis jetzt keine besonderen Vorkommnisse. Melden uns anschließend wieder. Ende.«
Wir anderen sind schon hinausgesprungen. Das Trittbrett des Streifenwagens liegt hoch, und Mark Heller bildet sich ein, mir die Hand reichen zu müssen. Natürlich nehme ich sie nicht, bin eine Sekunde unsicher und komme so hart auf dem Betonboden auf, daß ich mir fast den Knöchel verstaucht hätte. Dabei habe ich die Sportprüfung mit Auszeichnung gemacht!
Er grinst, und ich muß mich sehr zusammennehmen, um nicht zu hinken. Aber die Freude mache ich ihm nicht.
Das Wort »Vampyr« zuckt in grellroten Leuchtbuchstaben über dem Eingang des Lokals. Sonst ist alles dunkel, bis auf die Schaukästen, in denen Glanzfotos verschiedene Striptease-Tänzerinnen in unnatürlichen Posen zeigen.
»Bleiben Sie draußen«, sagt Heller, »das da drin ist nichts für Sie.«
Ich werde böse. »Herrje, hören Sie auf, mich wie ein Baby zu behandeln!«
»Der Kollege hat recht«, behauptet Herr Schmitt, »es ist wirklich nicht nötig, daß Sie mitkommen, Fräulein Berg. Wir werden da kaum ein Mädchen oder einen kleinen Jungen aufgreifen.«
Ich will mich auf keinen Fall abschieben lassen. »Warten wir’s ab«, sage ich und dränge mich vor.
»Sie wollen wohl unbedingt was erleben?« frotzelt Heller.
Der Einsatzleiter bestimmt sechs von unserer Mannschaft, darunter auch mich, die Kontrolle durchzuführen, die anderen sollen draußen warten. Ich bin froh, daß ich es geschafft habe. Mein Tatendrang ist groß.
Drinnen ist es kaum heller als draußen. Nur die winzige Bühne wird von verschiedenfarbigen Scheinwerfern erleuchtet. Ein Mädchen im weißen Brautkleid mimt eine Braut in der Hochzeitsnacht und entkleidet sich gekonnt. Die Gäste starren gebannt zu ihr hinauf, die Gesichter im Schatten der kleinen roten Tischlampen.
Während Herr Schmitt noch nach dem Geschäftsführer fragt, um ihm den Zweck unseres Hierseins zu erklären, schwärmen wir schon aus.
Die meisten Gäste sind offensichtlich älter als achtzehn Jahre, viele haben sogar die Mitte des Lebens schon überschritten. Es gibt erstaunlich viele alte Herren und ältere Ehepaare, die anscheinend Erinnerungen auffrischen oder sich anregen lassen wollen. In Zweifelsfällen fragen wir nach den Papieren. Zwei junge Männer werden herausgeholt.
Die Stripperin ist jetzt nur noch mit ellenbogenlangen weißen Handschuhen und einem auf dem blonden Haar festgesteckten Schleier bekleidet. Ich schaue mir nicht gern so was an, aber ich zwinge mich dazu, um Heller zu beweisen, daß ich alles andere als zimperlich bin.
So kommt es, daß ich stutzig werde. Das Gesicht des Mädchens ist derart stark geschminkt, daß man ihr Alter unmöglich schätzen kann. Aber der Körper mit dem kleinen Busen, den schmalen Schultern und dem leichten Bauchansatz kommt mir geradezu kindlich vor.
Mark Heller ist, wie könnte es anders sein, dicht hinter mir.
»Ich schau mal in die Garderobe«, flüstere ich ihm zu.
»Wegen der da?« fragt er mit einer Kopfbewegung zur Bühne. »Ich komme mit!«
Es stellt sich heraus, daß es nur eine einzige Garderobe für die fünf Stripperinnen gibt. Hier sitzen sie schlampig und lustlos herum. Es riecht nach Schweiß und Schminke. Eine schreit auf, als wir eintreteft. Sie wirft einen Schuh nach uns, der Heller fast am Kopf getroffen hätte. Er kann sich gerade noch bücken. Von denen ist keine unter Zwanzig. Ich ziehe ihn rasch wieder auf den Flur hinaus, aber ich habe noch festgestellt, daß es keine andere Tür aus der Garderobe gibt, dafür aber zwei Fenster. Sie sind verriegelt, aber das besagt nichts. Der »Vampyr« liegt zu ebener Erde. Also kann man theoretisch leicht auf den Hof hinaus.
»Jetzt können Sie mich auslachen!« Mark Heller reibt sich die Stirn, dort, wo ihn der Schuh beinahe getroffen hätte.
»Ich bin nicht schadenfroh«, erkläre ich. Tatsächlich bin ich im Augenblick sogar ganz froh, ihn in der Nähe zu wissen.
Jetzt kommt die junge Stripperin von der Bühne. Sie hat sich einen schmierigen Morgenmantel übergeworfen, den sie unter dem Kinn zusammenhält. Unten klafft er weit auseinander und enthüllt ihre langen Beine.
»Lassen Sie mich rein«, sagt sie und will an uns vorbei.
Ich klappe meinen Ausweis auf. »Jugendschutzstreife!«
»Na und?« fragt sie gleichgültig, aber das Erschrecken in ihren runden blauen Augen, deren Lider schwer von den angeklebten Wimpern sind, verrät sie.
»Wie alt bist du?« frage ich.
»Achtzehn«, behauptet sie, aber ich weiß, daß es gelogen ist.
»Zeig mir mal deine Papiere!«
Sie lacht. »Glauben Sie etwa, mein Kostüm hat Taschen?«
»Gut, dann gehen wir zusammen rein.« Ich öffne die Tür zur Garderobe.
»Ich bleibe hier«, verspricht Heller. »Sie brauchen bloß einen Laut von sich zu geben, wenn jemand frech wird.«
»Danke.«
Die Stripperinnen starren uns an.
»He, was soll das?« fragt mich eine fette Negerin. »Bist du etwa die Tante von der Kleinen? Oder was?«
»Ich bin Kriminalbeamtin, aber lassen Sie sich durch mich nicht stören. Ich interessiere mich nur für die Kleine.«
Es wird plötzlich still in dem überhitzten Raum.
Das Mädchen hat sich bis zu einem der Schminktische durchgedrängt. Sie macht sich an ihren Sachen zu schaffen, so, als wolle sie ihren Ausweis suchen. Dann, mit einer plötzlichen Bewegung, will sie das Fenster aufreißen.
Ich packe sie beim Handgelenk. »Das hat doch keinen Sinn, wie weit, glaubst du wohl, wirst du in dieser Aufmachung kommen? Es stehen noch sechs Leute von uns draußen.«
Sie gibt sich geschlagen. »Ich habe keine Papiere.«
»Soll das heißen, daß man dich einfach so, ohne lang zu fragen, hier eingestellt hat?«
Sie nickt mit zusammengepreßten Lippen.
»Und du bist auch noch keine achtzehn. Hör auf zu lügen. Wir werden dich mit auf die Wache nehmen und so oder so alles über dich herausbekommen.
»Fünfzehn«, gesteht sie kaum hörbar.
Das trifft mich wie ein Schlag. Ich habe sie zwar für minderjährig gehalten — aber doch nicht für so jung! Ich habe Mühe, mir mein Mitleid und mein Entsetzen nicht anmerken zu lassen. »Und wie heißt du?«
»Doris … Doris Sieben …«
»Damit du weißt, mit wem du es zu tun hast … ich heiße Monika Berg. Und nun zieh dich mal schön an und pack deine Sachen zusammen.«
Doris hat sich auf den Hocker gesetzt, reißt sich eine ihrer falschen Wimpern ab und blickt mich von unten herauf an. »Wollen Sie mich verhaften?«
»Unsinn! Du bist ja noch ein Kind.«
»Dann, bitte … würden Sie wohl draußen warten, bis ich …?« Ihr Blick ist herzzerreißend. »Es ist mir peinlich, mich vor Ihnen umzuziehen.«
»Das nehme ich dir nicht ab, Doris. Mach keine Geschichten. Also los!«
Mir ist es peinlicher als ihr, ihr beim Umziehen zuzusehen. Aber ich muß es tun, denn dieses Mädchen scheint zu jedem Trick fähig. Ihr weißer, noch so unberührt wirkender Körper wirkt so kindlich, und doch, was mag sie schon alles damit angestellt haben! Fünfzehn Jahre! Ich selbst war immerhin sechzehn gewesen, als ich Conny in die Hände fiel, dem Mann, der mein Leben beinahe zugrunde gerichtet hätte.
Als sie fertig ist, durchstöbere ich ihre Handtasche, ein erbärmliches Ding aus weißem Plastik. Aber es ist nichts darin außer zwei Lippenstiften, einem Kamm, einem schmutzigen zerknüllten Taschentuch, einem Täschchen mit etwas Kleingeld. In einem Seitenfach entdecke ich ein paar größere Scheine und eine Packung mit Präservativen.
Unwillkürlich blicke ich sie an.
Sie wird ein bißchen verlegen, und das zeigt mir, daß sie doch noch nicht ganz verloren ist. In diesem Augenblick entschließe ich mich, sie auf den richtigen Weg zurückzubringen.