Читать книгу Das gefährliche Leben der Monika Berg - Marie Louise Fischer - Страница 6

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»Das hätten Sie nicht tun sollen«, meint Heller, als er mir in den Streifenwagen hilft, der in der Toreinfahrt auf uns wartet, »ich bin zwar froh, daß ich auf diese Weise erfahren habe, wo Sie wohnen … aber das war ein Fehler.«

»Ich konnte sie nicht einfach abwimmeln!« verteidige ich mich.

»Ach was! Eine Zigarette wäre ihr bestimmt lieber gewesen.«

»Haben Sie denn gar kein Herz?«

»Nicht im Dienst, Monika. Das werden Sie noch lernen müssen. Wer in den Dienst Herz investiert, macht sich nur kaputt. Und außerdem — das brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen —, so einem Flittchen wie dieser Kleinen ist gar nicht zu helfen. Die landet früher oder später doch auf der Straße.«

»Das muß nicht sein«, behaupte ich, »wenn wir sie jetzt nicht fallenlassen!«

Mark Heller schweigt. Aber ich weiß, daß ich ihn nicht überzeugt habe. Er hat Doris Sieben abgeschrieben. Ich denke nicht daran, mich deswegen mit ihm zu streiten. Er würde ihr so und so nicht helfen.

Wieder fahren wir durch das nächtliche München. Ich sitze jetzt auf dem Vordersitz, zwischen dem Fahrer und Mark Heller. Herr Wolff ist auf dem Revier zurückgeblieben.

Heller nimmt durch Sprechfunk Verbindung mit dem anderen Streifenwagen auf. »Hier Isar neun … Isar neun … Isar zwölf, bitte melden …«

Er muß ein paarmal versuchen, bis Herr Schmitt, unser Einsatzleiter, durchkommt. »Hier Isar zwölf … haben drei Festnahmen … fahren zum Revier zurück.«

»Hier Isar neun … kommen vom Revier … sollen wir warten?«

»Fahren Sie Pettenkofer-/Paul-Heyse-Straße.«

»Pettenkofer-/Paul-Heyse-Straße … haben verstanden … Ende!« Heller hängt das Mikrofon zurück.

Wenige Minuten später halten wir hinter Isar zwölf, der mit abgeblendeten Scheinwerfern am Straßenrand parkt. Heller und ich springen raus; diesmal stütze ich mich kurz auf den Arm, den er mir bietet, und lande sicher auf beiden Füßen.

Schmitt kommt uns entgegen. »Kennen Sie den ‚Kalifen‘?«

»Den Ausländertreff in der Sendlinger Straße?« fragt Heller zurück. »Ja, sicher.«

»Der steht als nächstes auf unserem Programm.« Schmitt läßt das Licht seiner Taschenlampe über die Liste gleiten. »Der Wirt heißt … warten Sie mal … Gruhnert, Ralf Gruhnert. Nehmen Sie sich das Lokal mal vor.«

»Wird gemacht.«

»Ich gebe Ihnen noch zwei Leute mit. Müller … Unterhuber!«

Die beiden scheinen nur auf dieses Kommando gewartet zu haben; sie steigen eilig zu uns über.

»Na, dann mal los«, ruft Schmitt, »wir bleiben in Verbindung.«

Heller und ich klettern wieder in unseren Streifenwagen. Der Fahrer gibt so kräftig Gas, daß wir losschießen wie eine Rakete. Wir werden gegen die harte Lehne geschleudert und lachen. Eigentlich ohne Grund. Aber wir sind ein bißchen nervös, ich jedenfalls. Nicht, daß ich Angst habe, ganz bestimmt nicht. Es ist eher ein Gefühl wie Lampenfieber. Und ich weiß schon heute, daß ich das vor einer Razzia nie verlieren werde, solang ich im Polizeidienst bin.

Der »Kalif« macht vorerst einen ganz ordentlichen Eindruck: Tische mit rotkarierten Decken, die allerdings alles andere als sauber sind, Tropfkerzen auf weißen Tellern, einfache Holzstühle.

Während Heller sich den Wirt kommen läßt und ihm klarmacht, wer wir sind und was wir wollen, drängen sich Müller und Unterhuber schon durch die Reihen. Ich sehe mich noch um. Das Publikum wirkt ziemlich düster: dunkle Gesichter, schwarze Augen, fettige Haare. Männer sind bei weitem in der Überzahl. Obwohl sie wahrscheinlich ganz harmlos sind — redliche Gastarbeiter —, wird mir ein bißchen mulmig bei soviel Fremdartigkeit. Einige starren mich an und grinsen, als hätten sie ziemlich schmutzige, hinterhältige Gedanken.

So ziehe ich es vor, hinter Heller zu bleiben.

Ich beobachte, wie zwei Burschen hastig aufspringen und, ohne zu zahlen, zum Ausgang eilen. Ich mache Heller darauf aufmerksam.

»Einfach ignorieren«, sagt der, »die haben keine Aufenthaltsgenehmigung oder die Taschen voll Stoff … aber das geht uns heute zum Glück nichts an.«

Ein alter Mann spielt auf einem Bandoneon eine melancholisch-wilde Tanzmelodie, die wahrscheinlich ein Sirtaki sein soll. Auf einem freien Platz zwischen den Tischen tanzen danach zwei Männer miteinander. Sie machen große Sprünge und klatschen in die Hände. Ein Mann und eine vollbusige Frau eng aneinandergeschmiegt — und plötzlich sehe ich ein blutjunges Mädchen.

Es hat ein rundes, kindliches Gesicht, trägt das lange, blonde, ziemlich strähnige Haar mit einem Mittelscheitel und hält den Kopf beim Tanzen in den Nacken gelegt, die Augen geschlossen. Ihr Partner ist erheblich älter, kräftig, breitschultrig, hat einen schwarzen Lockenkopf und eine entstellende Narbe vom rechten Mundwinkel die Wange hinauf. Seine rechte Hand ist verbunden.

Jetzt macht der Spieler eine Pause. Auch mein Pärchen geht an seinen Tisch zurück. Ich warte, bis sie sich setzen. Ich will sehen, ob sie zusammengehören. Die beiden nehmen an einem Tisch Platz, an dem noch zwei Männer sitzen. Einer schenkt dem Mädchen aus einer Karaffe Rotwein ein. Ein anderer zündet eine Zigarette an und schiebt sie ihr zwischen die Lippen. Sie nimmt alles hin, lächelt selig und benommen; sie scheint schon reichlich betrunken.

Ich trete zu ihr hin, klappe meinen Polizeiausweis auf und halte ihn ihr unter die Nase. »Jugendschutzstreife!«

Sie reagiert verstört. »Was? Wie?«

»Kann ich mal Ihre Papiere sehen?«

»Papiere?«

»Paß, Personalausweis, Schülerausweis, Führerschein … irgend etwas werden Sie doch bei sich haben.«

Die Kleine stößt den Stuhl nach hinten zurück und springt auf. Ich lege ihr vorsichtshalber die Hand auf den Arm.

Der Mann mit der Narbe erhebt sich langsam und drohend: »Diese Dame sein meine Braut«, erklärt er in mühsamem Deutsch und mit rollendem R. »Sie ihr lassen zufrieden, verstehn? Sie jetzt gehn ganz rasch, ja?«

»Ich bin von der Polizei«, erkläre ich und versuche meinen Worten den nötigen Nachdruck zu geben.

Aber so schnell läßt sich der Mann nicht einschüchtern. »Wir nichts verbrochen«, sagt er, »wir Auf-ent-halts-genehmigung … Ar-beits-erlaubnis … festen Wohnsitz … Ar-beits-platz …«

»Na, das ist ja wunderbar«, sage ich, »um so besser für Sie.« Ich wende mich wieder an das Mädchen. »Und wie steht es mit dir?«

»Aber ich brauche doch sowas nicht«, sagt sie mit schwerer Zunge.

»Ich muß dich bitten, mich zur Feststellung deiner Personalien aufs Revier zu begleiten.« Ich will sie mit sanfter Gewalt in Richtung Ausgang schieben.

Im gleichen Augenblick haut mir ihr Partner die Pranke auf die Schulter. Ich zucke zusammen und will den Angriff mit einem Judogriff parieren …

Aber dazu kommt es nicht mehr.

Heller greift ein. »Pfoten weg!« donnert er. »Das ist Widerstand gegen die Staatsgewalt. Sie machen sich strafbar.«

Der Mann wirbelt herum, hebt die Faust, als wollte er zuschlagen. Aber Auge in Auge mit Heller verliert er den Mut. »Polizei?« wiederholt er dümmlich.

»Das sage ich ja die ganze Zeit!« erkläre ich.

»Sie wollen doch nicht ausgewiesen werden — oder?« fragt Heller. »Also seien Sie schön brav, zeigen Sie mir Ihre Papiere!« Während der Mann noch in seinen Taschen kramt, wendet Heller sich an die beiden anderen Männer. »Und Sie auch!«

Ich führe das Mädchen nach vorn. Im Vorbeigehen greift sie nach ihrem Regenmantel.

Herr Gruhnert, der Wirt, holt Gläser aus dem heißen Wasser im Spülbecken und stellt sie zum Abtropfen mit der Öffnung nach unten auf die Theke. Ohne daß ich ihn deswegen frage, beteuert er, das Mädchen noch nie gesehen und keine Ahnung zu haben, wie sie in das Lokal gekommen ist.

»Das nutzt Ihnen gar nichts«, sage ich, »Sie müssen sich auf eine Strafanzeige gefaßt machen.«

»Aber wieso denn? Wenn ich Ihnen doch sage …«

»Passen Sie in Zukunft besser auf! Und jetzt geben Sie mir eine Tasse Kaffee.«

Eilig macht er sich an der Kaffeemaschine zu schaffen. Anscheinend hofft er, durch Dienstfertigkeit an einer Anzeige vorbeizukommen. Aber da hat er sich geschnitten. Eine Geldstrafe ist das mindeste, womit er rechnen muß. Vielleicht wird ihm sogar das Lokal geschlossen. Ich habe kein Mitleid mit ihm.

Ich schiebe die Tasse Kaffee, die er mir reicht, dem Mädchen zu. »Los, trink! Damit du wieder zu dir kommst. Wie heißt du?«

»Ingrid Haas«, sagt sie, kaum hörbar.

»Und wo wohnst du?«

»In Freiburg.« Das kommt noch leiser.

Ich warte, bis sie die Tasse geleert hat. »Na, gehen wir!«

Nachdem ich Ingrid in unseren Streifenwagen bugsiert habe, hält Mark Heller mich zurück. Er winkt Unterhuber, sich neben sie zu setzen.

»Der Mann heißt Slavic Perco«, berichtet er, »seine Papiere sind in Ordnung. Er wohnt in der Einsteinstraße, im gleichen Zimmer wie seine beiden Kumpane und noch zwei Landsleute. Er ist krank geschrieben und war deshalb heute nicht zur Arbeit. Hatte das Zimmer tagsüber für sich. Die Kleine hat er heute nachmittag in einem Strafiencafé aufgegabelt und gleich mit hochgenommen. Das nur zu Ihrer Information.«

»Danke«, sage ich, obwohl ich ihm gar nicht dankbar bin. Im Gegenteil, ich ärgere mich über Hellers Auskunft, obwohl ich doch genau weiß, daß er nicht für die Dummheit des Mädchens verantwortlich ist.

Bevor wir losfahren, nimmt Heller Verbindung mit der Funkzentrale auf und erfährt, daß Isar zwölf noch auf dem Revier ist.

Wir fahren schweigend zurück. Ich habe keine Lust, mich in Anwesenheit der Männer mit Ingrid zu unterhalten.

Als wir auf dem Polizeirevier 23 eintreffen, sind die anderen fertig. Das kleine Vernehmungszimmer steht mir wieder zur Verfügung. Unterhuber und Müller schließen sich der nächsten Streife an. Mark Heller bleibt, und obwohl ich ihn eigentlich nicht mag — er strotzt nur so von männlicher Überlegenheit —, finde ich das eigentlich doch sehr kameradschaftlich.

»Machen Sie zu, Monika«, drängt er, »damit wir bald wieder loskönnen.«

»Würden Sie inzwischen die Angaben des Mädchens nachprüfen?« bitte ich ihn.

»Klar! Ich setze mich sofort mit dem Polizeipräsidium in Verbindung. Welches Alter gibt sie denn an?«

»Hab ich noch nicht gefragt.«

»Ich werd’s schon rausbringen.«

Ingrid steht mitten in dem nüchternen kleinen Zimmer und sieht sich unsicher um.

Ich nehme ihr den Regenmantel ab und hänge ihn auf einen Haken. »Setz dich!« Ich weise auf den Stuhl gegenüber dem Schreibtisch und lächle ihr zu, um sie zu beruhigen. »Du brauchst keine Angst zu haben, Ingrid. Ich will dir nichts tun, sondern nur versuchen, dir zu helfen.«

»Wozu?« erwidert sie trotzig. »Ich werd’ ganz gut allein fertig.« Sie ist nicht besonders hübsch, ihre Augen sind ausdruckslos, das Kinn ist spitz.

»Indem du mit wildfremden Männern schläfst?«

»Ich, nein, ich habe nicht …« Sie wird rot und gerät ins Stottern.

»Wir haben die Aussage dieses Slavic. Er hat dich doch gleich mit auf sein Zimmer genommen.«

»Ja. Ach … wegen meiner Sachen. Ich mußte doch irgendwo schlafen.«

»Du hast also deinen Koffer in der Einsteinstraße?«

»Nein. Keinen Koffer. Ich bin ja heimlich weg. Nur eine blaue Leinentasche.«

»Wegen der brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Die holen wir dir schon.« Ich spanne eines der rosa Formblätter ein.

»Ich mache mir auch keine Gedanken. Überhaupt nicht. Von mir aus können Sie mich ruhig in ein Heim sperren. Das ist mir auch egal.«

»So weit sind wir noch lange nicht. Jetzt gib mir erst mal deine Adresse …«

Ich schreibe Ingrids Personalien auf. Sie behauptet achtzehn zu sein. Das glaube ich nicht. Also lasse ich da vorerst einen freien Platz.

»Du hast also Schwierigkeiten mit deinen Eltern?«

»Nicht direkt.« Sie zerrt nervös an ihrem Rocksaum herum.

Heller kommt herein, er stellt sich schräg hinter mich und überfliegt, was ich getippt habe. »Sie ist fünfzehn«, sagt er, »heute früh von zu Hause ausgekniffen, anstatt zur Arbeit zu gehen. Eltern haben kein Telefon. Soll ich sie schon bei einem Verwahramt anmelden?«

»Das wäre nett.«

Heller läßt uns allein.

»Also doch ins Heim«, stößt Ingrid hervor.

»Vorerst. Nur für diese Nacht. Also, was ist los mit dir? Warum bist du von zu Hause weg? Du gehst in eine Lehre, ja?«

»Seit dem vorigen Herbst. Schneiderei. Ich habe das immer gern getan … Puppenkleider genäht und so … überhaupt handarbeiten. Und zeichnen tu ich auch gern, Modelle entwerfen.« Sie sieht an ihrem Sommerkleid hinunter. »Das habe ich zum Beispiel selbst gemacht.«

»Dann hast du ja eine richtige Begabung!«

»Das habe ich auch gedacht!« stößt Ingrid bitter hervor. »Aber Fräulein Knobel, das ist die Meisterin, die hat mich behandelt wie den letzten Menschen! Am Anfang war sie ja noch zuckersüß … und ich habe mir auch alle Mühe gegeben … getrennt und gesäumt, Nähte sauber gemacht und die Stube gekehrt wie eine Verrückte. Ich dachte, das wäre nun mal so … und einen oder zwei oder sogar drei Monate hätte ich mir das auch gefallen lassen. Aber als dann immer noch nichts passierte, da habe ich natürlich gemotzt. Ich wollte auch mal was Richtiges machen, was Interessantes … und was lernen! Da ist die Knobel furchtbar sauer geworden, und danach hat sie mich dauernd runtergeputzt. ‚Du hast zwei linke Hände’, hat sie immer gemeckert, also mir kam das schon zu den Ohren raus!«

»Hast du mit deinen Eltern darüber gesprochen?«

»Versucht!« Ingrid zuckt mit den mageren Schultern. »Aber die wollten nichts wissen. Die haben immer bloß gesagt, ich müßte durchhalten, ich müßte endlich mal was fertigbringen, und das wäre nun mal so in der Lehre. Jeder würde klein anfangen. Ich wäre eben bloß das Arbeiten nicht gewohnt.«

»Und deshalb bist du gestern abgehauen?«

»Nein, da war noch was. Gestern … ja, das war gestern … da hat es wieder mal Ärger mit der Knobel gegeben. Ich bin frech geworden. Und da hat sie mir eine geschmiert.« Ingrids Augen füllten sich mit Tränen. »Na, und das war mir zuviel … weil meine Mutti auch wieder nicht mit der Alten sprechen wollte!«

Meine Finger ratterten über die Tasten. »Und wie bist du dann nach München gekommen?«

»Per Anhalter.«

»Irgend was unterwegs passiert? Ist einer zudringlich geworden?«

»Nein, gar nicht. Die waren alle sehr nett.«

»Und Slavic Perco?«

»Man kann doch nichts verlangen, ohne was zu geben, nicht?« fragt sie, ohne den Blick zu senken. »Ich wollte ja was von ihm. Ein Bett für die Nacht. Und natürlich habe ich gesagt, ich bin achtzehn.«

»Aber in diesem Zimmer schlafen doch noch vier andere Männer. Bist du nicht auf die Idee gekommen, daß auch die …?«

»Slavic hätte schon aufgepaßt.«

»Und wenn nicht?«

Sie zuckt wieder mit den Schultern.

»Du hattest also schon Erlebnisse in Freiburg?«

»Einen Freund, ja. Aber das war auch nicht der Richtige.«

»Na, jedenfalls«, muß ich ihr sagen, »kannst du froh sein, daß wir dich schon heute erwischt haben. Wer weiß, wo du sonst noch gelandet wärst.«

Ich beeile mich mit dem Protokoll. Wenn Ingrids Eltern Strafanzeige stellen, wird Perco sich vor dem Richter verantworten müssen. Er hätte sehen müssen, wie alt Ingrid ist. Das Freiburger Jugendamt wird Ingrids Lehrherrin auf die Finger klopfen; sie hätte das Mädchen nicht schlagen dürfen. Wahrscheinlich wird Ingrid eine andere Lehrstelle bekommen.

Das ist ein Fall, den ich auch innerlich abschließen kann. Ingrid sind wir gerade noch im richtigen Moment begegnet.

Nachdem ich sie Herrn Wolff vom Jugendamt übergeben habe, wartet Mark Heller schon im Streifenwagen auf mich. Wir brausen los, weil wir uns vor dem »Lido« in der Schillerstraße mit der anderen Gruppe treffen sollen.

Es klappt, und unsere ganze Mannschaft drängt sich in das große, verhältnismäßig elegante Lokal, das durch die zahlreichen Wandspiegel noch größer wirkt.

An einem Tisch sehe ich zwei Mädchen, die mir reichlich jung Vorkommen, sie unterhalten sich lebhaft mit einem Mann. Aber nicht wegen der Mädchen stutze ich …

Der Mann ist es, der mir seltsam bekannt vorkommt. Ich kann ihn nur im Halbprofil sehen, aber er hat auffallende Ähnlichkeit mit Conny Kowalski, dem Mann, den ich einmal geliebt habe und der mich so unglücklich gemacht hat.

Und in dem Augenblick mache ich einen Fehler.

Anstatt weiterzugehen und mir den Mann, der mich an Conny erinnert, vorzunehmen, wende ich mich in eine andere Richtung.

Warum nur — warum tue ich das? Habe ich immer noch Angst vor ihm? Angst, ihm wieder zu verfallen? Angst, er könnte mich erkennen?

Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß ich nicht die Kraft aufbringe, ihm ins Gesicht zu sehen.

Aus den Augenwinkeln beobachte ich, wie Mark Heller mit den Mädchen spricht und sich die Ausweise zeigen läßt. Auch der Mann hält ihm ein Papier hin. Das Gespräch scheint lebhaft zu sein. Aber die Gruppe ist zu weit entfernt, die Musik der kleinen, reichlich altmodisch mit roten Jacken kostümierten Band ist zu laut, als daß ich ein Wort verstehen könnte.

Doch es scheint mit den dreien alles in Ordnung zu sein. Heller will weiter, dreht sich um, stellt fest, daß ich nicht mehr hinter ihm bin. Seine Blicke gleiten suchend durch den großen Raum, finden mich, und schon kommt er auf mich zu.

»He, Monika«, ruft er, Sie haben aber ’ne Art, sich selbständig zu machen!«

»Und warum nicht?«

»Weil jemand wie Sie einen Mann zur Seite braucht.«

»Ich kann Judo.«

»Das genügt auch nicht immer. Kommen Sie, machen wir weiter.«

Wir drängen uns durch die Tische und fallen in unserem Räuberzivil ziemlich aus dem Rahmen. Die meisten Gäste sind fein angezogen. Die Damen tragen Ausgehkleider, die Herren zumindest Oberhemd und Krawatte.

Ich überlege, wie ich meine Frage möglichst beiläufig anbringen kann. »War da drüben nichts?« frage ich mit gedämpfter Stimme. Ich mache dabei eine Kopfbewegung in Richtung des Tisches, den Heller eben kontrolliert hat.

»Die beiden Schnepfen sind achtzehn«, antwortet er mit einem Achselzucken.

»Aber Sie meinen … sie sind …?«

»Strichmädchen. Unbedingt. Von der besseren Sorte. So was riecht man doch. Und der Kerl läßt sie anschaffen.«

»Aber die dürfen sich doch im Bahnhofsbezirk nicht mehr aufhalten!«

»Sehr richtig, aber erstmal muß man ihnen was nachweisen können. Meine Nase allein genügt da nicht. Haben Sie Lust, sich hier hineinzusetzen und abzuwarten, bis er sie an den Mann bringt? Das kann ’ne Weile dauern. Und außerdem lohnt es sich nicht.«

Es brennt mir auf der Zunge, mich nach dem Namen des »Kerls« zu erkundigen. Aber ich wage es nicht. Ich habe sowieso schon das Gefühl, zuviel gefragt zu haben.

Schweigend gehen wir weiter, mustern jeden einzelnen der Gäste, besonders die weiblichen. Gleichzeitig mit uns schwärmt die Mannschaft der beiden Streifenwagen durch den großen Raum, und die riesigen Spiegel vervielfachen noch unsere Zahl.

Wir kommen zu den Toiletten.

Vor der Tür mit der Aufschrift »Damen« bleibt Heller stehen. »Das machen Sie wohl besser allein.«

Ich muß grinsen. »Trauen Sie mir das zu?«

Er bleibt ganz ernst. »Schreien Sie, wenn was los ist!«

Doch ich entdecke nichts, aber auch gar nichts Verdächtiges, obwohl ich sogar in die Wasserkästen greife: beliebte Verstecke für gebrauchte Spritzen. Doch hier ist alles sauber. Eine nicht mehr ganz junge Frau erneuert ihr Make-up.

»Nichts«, sage ich, als ich herauskomme.

»Na dann … zurück, marsch, marsch! Die Kollegen waren schon bei, Herren’. Wir sind die letzten.«

Draußen, auf dem Flur, sehe ich eine schmale Tür ohne Aufschrift. Ich weiß selbst nicht, warum sie mir auf fällt, aber irgend etwas drängt mich, sie zu öffnen.

Drinnen ist es dunkel. Ich erkenne Besen und Putzeimer.

»Jetzt müßte man eine Taschenlampe haben!« sage ich.

Heller faßt neben den Türrahmen in die Abstellkammer. Licht flammt auf.

Unter einem Regal mit Putzmitteln kauern zwei Mädchen. Die eine ist rothaarig, die andere schwarz, und beide tragen sie schulterfreie Cocktailkleider. Sie starren uns verstört an.

»Na, nun kommt schon«, sagt Heller ganz freundlich, »ist doch reichlich unbequem da drinnen. Soll ich euch helfen?« Er reicht einer nach der anderen die Hand und zieht sie hoch.

Die Rothaarige findet als erste die Sprache wieder. »Was wollen Sie denn von uns? Wer sind Sie überhaupt?«

»Frag nicht so blöd«, antwortet Heller, immer noch in freundlichem Ton, »wenn ihr das nicht wüßtet, hättet ihr euch nicht versteckt.«

Ich halte ihnen meinen Ausweis unter die Nase. »Jugendschutzstreife.«

»Wir haben doch nichts verbrochen!« protestiert die Rothaarige.

»Habt ihr zufällig einen Ausweis bei euch?« fragt Heller. »Kann auch ein Führerschein oder etwas Ähnliches sein.«

Nein, das haben sie nicht.

»Dann fahrt mal schön mit uns zur Wache. Da wird sich Fräulein Berg in aller Ruhe mit euch unterhalten.«

Das gefährliche Leben der Monika Berg

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