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Leonas beste Freundin

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„Menschenskind, du ahnst nicht, wie ich mich auf morgen freue!“ Babsi gab Leona, ihrer um einen guten Kopf größeren Klassenkameradin einen wohlmeinenden Rippenstoß. „Paß mal auf, das wird der Wandertag des Jahrhunderts!“

Die beiden Mädchen schlenderten, die Mappen unter dem Arm, von der Schule nach Hause. Der große Pulk hatte sich schon aufgelöst, und sie gingen jetzt, da sie Nachbarinnen waren, das letzte Stück allein.

„ Na denn … viel Spaß!“ erklärte Leona herablassend.

Babsi blieb stehen. „Soll das etwa heißen, daß du wieder nicht mitkommst?“

„Du sagst es.“

„Aber Leona, das kannst du nicht machen!“ rief Babsi. „Du kannst dich nicht schon wieder ausschließen! Das ist unmöglich!“

Leona blieb gelassen. „Was regst du dich über meine Probleme auf?“

„Weil ich es gut mit dir meine!“

„Danke. Aber ich erinnere mich nicht, daß ich dich um Hilfe gebeten habe.“

„Nein, das hast du nicht! Du bildest dir nur ein, du brauchst niemanden von uns. Das habe ich längst gemerkt, ich bin ja nicht blöd. Aber du kannst dich nicht so absondern. Jeder Mensch braucht Freunde.“

Leona warf mit Schwung ihr langes, hellblondes Haar in den Nacken. „Die habe ich ja.“

„Du? Da bin ich aber mal gespannt. Es gibt niemanden in der Klasse, der dich leiden kann. Außer mir. Und aus mir machst du dir ja auch nichts.“

„Das ist nicht wahr!“ protestierte Leona jetzt doch. „Ich finde dich ganz annehmbar, wirklich.“

„Ich bin also annehmbar… wie ungeheuer schmeichelhaft.“ Babsi lachte. „Annehmbar für die große, überlegene Leona Heuer aus der siebten Klasse! Darauf kann ich mir wohl was einbilden!“

„Sei nicht albern. Du weißt schon, wie ich’s meine. Du bist wirklich nett. Bloß … an meine Mutter kannst du natürlich nicht tippen.“

„Deine Mutter?“ fragte Babsi verständnislos. „Was hat die denn damit zu tun?“

„Sie ist meine beste Freundin.“

„Deine Mutti!? Sag das noch mal! Ich glaub, mein Schwein pfeift!“

„Du hast mich ganz gut verstanden.“

Leona war jetzt an dem Mietshaus in der Holbeinstraße angelangt, in dem sie mit ihren Eltern lebte, und bog in den schmalen Vorgarten ein.

Babsi gab noch nicht auf. „Ich gebe ja zu, sie ist sehr süß, aber … “

„Red nicht über Dinge, von denen du nichts verstehst!“ fiel Leona ihr ins Wort. „Dann also … bis übermorgen.“

Babsi lehnte sich gegen den niedrigen Pfeiler. „Du kommst also wirklich nicht mit?“

„Habe ich das nicht schon unmißverständlich erklärt!“

„Dann bist du nicht zu retten!“ Jetzt machte Babsi, daß sie weiterkam.

Leona hatte an der Haustür geklingelt, drückte auf, als der Summton erklang. Mit großen Schritten lief sie die Treppen bis in den zweiten Stock hinauf Die Wohnungstür war schon geöffnet und nur angelehnt.

„Hallo, Mutti!“ rief Leona im Eintreten. „Was gibt’s heute Gutes?“ Sie stellte die Schulmappe ab und betrachtete sich kritisch im Garderobenspiegel. Wie immer fand sie sich etwas farblos. Nur die grauen Augen, die sie durch die schwarz getuschten Wimpern betonte, gefielen ihr. „Das war wieder mal ein Theater“, erzählte sie, öffnete die Schublade der Garderobe und zog ihr Mäppchen mit den Schönheitsutensilien heraus. „Morgen ist der berühmte Wandertag. Die Gänse wollen an die Isarauen radeln, Feuer machen und ein Picknick veranstalten. Aber nur keine Sorge … ohne mich!“ Leona zog ihre Lippen nach und verteilte Rouge auf die Wangen. Jetzt gefiel sie sich schon viel besser. Zu dumm, daß die Lehrer das Anmalen in der siebten Klasse noch nicht erlauben wollten.

Leona wandte sich ab und ging in die Küche. „Du schreibst mir doch eine Entschuldigung, ja?“

Irene Heuer war wirklich, wie Babsi gesagt hatte, sehr süß, schlank und blond und sehr jung.

In einer bunten, eng um die schmale Taille gegürteten Schürze stand sie am Herd. Man hätte sie für Leonas ältere Schwester halten können.

Die Ähnlichkeit war auffallend.

Aber sie begrüßte ihre Tochter nicht so fröhlich wie sonst, sondern schenkte ihr nur ein schwaches Lächeln und einen umflorten Blick.

„He, was ist los mit dir?“ Leona legte einen Arm um sie. „Kriege ich denn kein Bussi?“

„Doch!“ Die festen Lippen drückten sich auf Leonas Wange.

„Ist es nicht herrlich, daß ich morgen frei habe? Da können wir mal wieder was unternehmen … oder wir schlafen uns einfach aus. Mindestens so lange wie Vati.“

Leonas Vater war Journalist. Meist dauerte seine Arbeit bis in den Abend hinein, dafür brauchte er morgens auch erst spät zu beginnen.

Irene Heuer wandte das Gesicht ab und rührte in einem der Töpfe.

„Bist du etwa böse auf mich?“ fragte Leona bestürzt. „Aber ich habe dir doch nichts getan!“

„Nicht auf dich.“

„Auf Vati? Nun erzähl mal! Was hat er denn nun schon wieder angestellt!“

„Eigentlich sollte ich dich da nicht mit hineinziehen … “, sagte ihre Mutter ausweichend.

„Na hör mal! Wir sind doch schließlich Freundinnen … oder etwa nicht?“

„Es ist nicht recht von mir, wenn ich mich bei dir über Vati beklage.“

„Quatsch mit Soße. Ich kenne ihn doch schließlich ebensogut wie du. Und ich sage dir immer, du bist viel zu nachgiebig mit ihm. Es ist schön blöd von dir, daß du immer abends zu Hause sitzt und wartest, bis er endlich kommt. Wir sollten mal was zusammen unternehmen. Daß er zu arbeiten hat, glaube ich ihm ja, aber … “

„Eben nicht“, fiel ihr die Mutter ins Wort.

„Was?“ Ganz verdutzt sah Leona sie mit offenem Mund an.

„Er arbeitet abends nicht.“ Irene Heuers Stimme klang gepreßt. „Nicht immer jedenfalls oder nicht nur.“ Sie hatte Mühe, nicht in Tränen auszubrechen. „Tante Ella hat ihn gestern gesehen. In einem Nachtlokal. Er hat getanzt. Mit einem sehr schicken Mädchen.“

„So ein Schuft!“ Leona wurde blaß unter ihrem Rouge. „Und mit uns geht er nie aus!“

„Was soll ich jetzt bloß tun, Leona? Tante Ella meint, das beste wäre, ich ließe mir gar nichts anmerken …“

„Wir sollen uns stillschweigend gefallen lassen, daß er uns betrügt?“ rief Leona empört. „Kommt ja nicht in die Tüte!“

„Aber was dann?“

„Du mußt ihn zur Rede stellen! Und wenn er nicht eine sehr gute Entschuldigung auf Lager hat, reichst du die Scheidung ein. So wie du gebaut bist, findest du immer noch einen anderen.“ Die Mutter sah Leona mit einem seltsamen Ausdruck an. „Hast du ihn denn gar nicht lieb?“

„Aber das ist doch kein Grund, mir alles von ihm gefallen zu lassen! Nein, Mutti, irgendwo muß ein Punkt sein.“ Leona machte ein wild entschlossenes Gesicht.

Irene Heuer ließ sich auf den Küchenstuhl sinken. „Aber wenn Vati und ich uns trennen, dann müßte ich wieder arbeiten gehen … nicht, daß mir davor graut, im Gegenteil… aber was soll dann aus dir werden?“

„Ich bleibe natürlich bei dir“, erklärte Leona mit schöner Selbstverständlichkeit, „schließlich habe ich ja auch einen Beruf, die Schule. Und wenn du Vati nicht mehr versorgen mußt, schaffen wir beide den Haushalt spielend. Ganz nebenbei.“

„Ich weiß wirklich nicht…“

„O Mutti, tu einmal… nur ein einziges Mal, was ich dir sage! Vati ist ja nicht aus der Welt, auch wenn du dich scheiden läßt. Und wir beide werden ein herrliches Leben miteinander führen!“

An diesem Abend kam Peter Heuer, Leonas Vater, wieder einmal erst nach Hause, als Leona längst im Bett lag – und das, obwohl sie bis zu den 10-Uhr-Nachrichten vor dem Fernseher gesessen hatte. Am Morgen war ihr, als hätte sie in der Nacht Stimmen gehört. Aber sie wußte nicht, ob sie es nicht geträumt hatte. Der kleine Zeiger auf ihrer Nachttischuhr ging schon auf elf Uhr zu.

Leona beeilte sich aufzustehen, schlüpfte in ihre Pantoffeln und suchte die Mutter. „Morgen, Mutti… lieb, daß du mich so lange hast schlafen lassen!“

Frau Heuer saß im Wohnzimmer und las Zeitung.

Leona schlang einen Arm um ihre Schultern und gab ihr einen Kuß. „Das Frühstück kann ich heute mal überspringen, was meinst du?“

Frau Heuer ließ die Zeitung sinken und sah Leona an; ihre Augen waren rot und leicht verschwollen von vergossenen Tränen. „Dein Vater und ich haben uns ausgesprochen.“

„Sehr gut.“ Leona setzte sich der Mutter gegenüber. „Und was ist dabei herausgekommen?“

„Das möchte er dir gern sagen. Er erwartet dich um zwei Uhr im Restaurant zum Essen.“

„Spitze!“ rief Leona. „Das nenne ich mal eine Idee.“ Sie sprang auf und fragte, mit plötzlich erwachtem Mißtrauen: „Du hast dich doch hoffentlich nicht wieder rumkriegen lassen?“

„Keine Sorge.“ Ihre Mutter lächelte schwach.

„Um so besser. Dann werde ich mich jetzt mal in Schale werfen.“

Das elegante Restaurant in München war zwar nur fünf Minuten von der Holbeinstraße entfernt, und bis zur Verabredung mit dem Vater blieben noch drei Stunden Zeit. Aber wenn Leona sich schön machen wollte, dann tat sie es gründlich. Sie badete sich, wusch ihr Haar und zog sich mit Sorgfalt an. Statt der üblichen Jeans wählte sie ihr bestes Kleid und ihr einziges Paar heiler Strumpfhosen.

Mit unendlicher Geduld verschönte sie ihr Gesicht mit allen möglichen Farben, und es ging wirklich schon auf zwei Uhr zu, als sie endlich fertig war.

Aus ihrem Mantel war sie schon etwas herausgewachsen, deshalb verzichtete sie darauf, ihn anzuziehen. Es war ein sonniger, noch sehr frischer Vorfrühlingstag, aber Leona fand es besser, in Schönheit zu frieren.

„Möchtest du nicht doch wenigstens eine Kleinigkeit essen?“ fragte die Mutter.

„Kommt nicht in Frage. Heute will ich Vati schädigen!“

Irene Heuer zog sie zärtlich an sich. „Mach’s gut, Liebling … und halt die Ohren steif!“

Lachend löste Leona sich aus der Umarmung. „Um mich brauchst du dir keine Sorgen zu machen, Mutti! Ich lasse mich nicht von Vati einschüchtern! Das solltest du doch schon wissen!“

Ein Mädchen kommt ins Landschulheim

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