Читать книгу Hilf mir, liebes Hausgespenst - Marie Louise Fischer - Страница 5

Besuch einer alten Freundin

Оглавление

Am Nachmittag holte Monika ihre Freundin an der S-Bahn-Station ab. Sie hatte sich ein bißchen verspätet, das heißt, sie hatte nicht genau gewußt, wann Gaby eintreffen würde. So kam es, daß Gaby, als sie angelaufen kam, schon auf dem Bahnsteig stand, dünn und klein, mit hochgezogenen Schultern und einem riesigen Koffer neben sich.

„Mensch, Gaby, was hast du denn in deinem Schrankkoffer?“ schrie Monika.

„Sachen zum Anziehn.“

„So viel?“

„Man kann doch nie wissen.“

„Ganz egal, schön daß du da bist!“ Monika lachte und wirbelte die Freundin im Kreis herum. „Wir werden jede Menge Spaß miteinander haben!“

Der Spaß begann damit, daß sie erst einmal den Koffer schleppen mußten, der mächtig schwer war. Aber sie machten sich nichts daraus, setzten ihn alle paar Schritte ab, denn sie hatten ja Zeit genug. Sie hatten sich zwar erst am vorigen Dienstag, als Monika zu ihrer Reitstunde nach München gefahren war, zuletzt gesehen, dennoch wußte Gaby allerhand aus Monikas alter Klasse zu erzählen.

Monika selber war stiller als gewöhnlich. Das Bewußtsein, daß sie von dem, was sie eigentlich bewegte, nicht sprechen durfte, legte sich schwer auf ihr Herz. Und das Versprechen, das sie ihrem Vater gegeben hatte, hielt sie nicht davon ab, von Amadeus zu reden, denn Gaby war schließlich ihre beste Freundin, und Freundschaft geht vor Familie – dachte jedenfalls Monika. Aber sie wußte, daß Gaby furchtbar ängstlich war und vielleicht gar nicht im Haus am Seerosenteich geblieben wäre, wenn sie gewußt hätte, daß dort ein regelrechtes Gespenst sein Unwesen trieb.

Bei ihren Begegnungen in München war es nicht so schwer gewesen, darüber zu schweigen. Aber wie das hier draußen werden würde, wußte Monika selber nicht.

War eine Freundschaft, in der man so ein schwerwiegendes Geheimnis für sich behalten mußte, überhaupt noch eine Freundschaft? Langsam ging Monika ein Licht auf, daß es besser gewesen wäre, Gaby die Wahrheit zu sagen und sie dann selber entscheiden zu lassen, ob sie mit Amadeus unter einem Dach schlafen wollte oder nicht. Aber vorläufig war sie noch nicht bereit, sich das zuzugeben und redete sich ein, daß schon alles gutgehen würde.

Gaby, die nichts Böses ahnte, war begeistert von dem schönen Haus am Seerosenteich. Als sie den Koffer endlich hinein- und die Treppe hinaufgeschleppt hatten, mußte natürlich zuerst alles besichtigt werden – die riesige Halle mit den vielen Türen, der Erker mit den Butzenscheibenfenstern, durch die man, wenn sie offen waren, auf den gleich darunterliegenden Seerosenteich blicken konnte, die große Küche mit dem Boden aus roten Ziegelsteinen und dem in der Mitte freistehenden Herd, die Wohnzimmer von Herrn und Frau Schmidt und dann natürlich der Stall.

Gaby hatte eine genauso große Liebe zu Pferden wie Monika, wenn sie auch selber noch nicht reiten durfte, weil sie zu klein und zu leicht war.

„Aber wenn Bodo erst hier ist“, sagte sie, „dann komme ich in den Sommerferien zu dir, und dann darf ich ihn versorgen, ja?“ „Versorgen helfen“, verbesserte Monika.

„Das kann ich bestimmt auch allein!“

„Kannst du nicht! So ein Sattelzeug ist ganz schön schwer, das würde dich glatt erdrücken.“

„Na schön, satteln kannst du! Du wirst ihn ja auch reiten!“

Gaby war sehr beeindruckt von dem großen Stall. Der Boden lag so hoch, daß Regenwasser nicht einfließen und Stallflüssigkeit abfließen konnte. Er bestand aus gebrannten Ziegeln, war nicht zu warm und nicht zu kalt und würde sich leicht desinfizieren lassen.

„Hier“, sagte Monika und zeigte auf ein Quadrat von vier Metern, das sie mit Kreide auf den Boden gezeichnet hatte, „kommt die Box hin, die werden wir noch mit einer Lehmschicht extra warm und weich machen. Daneben die Kammer für das Sattelzeug und die Mistgabeln und gleich daran ein Raum für Heu und Futter!“

„Ihr habt aber doch auch eine Scheune!“

„Stimmt. Aber in der will meine Mutter eine Töpferwerkstatt einrichten.“

Gaby drehte sich um ihre eigene Achse. „Mensch, dann hast du hier ja noch’ne Menge zu tun.“

„Stimmt. Am besten fangen wir gleich an. Sieh mal, hier endet die Jaucherinne. Von dieser Stelle aus muß draußen ein Kanal gegraben werden. Mein Vater hat die Strecke schon bestimmt.“ Monika zog Gaby mit ins Freie. „Laß uns gleich Schaufeln holen!“

Gaby war begeistert und strahlte.

Aber nach kurzer Pause zeigte sich, daß Graben nicht gerade die geeignete Beschäftigung für sie war; sie mühte sich ehrlich ab, aber schon bald mußte sie eingestehn: „Ich kann nicht mehr!“ „Du halbe Portion!“ sagte Monika nicht unfreundlich. „Dann leiste mir wenigstens Gesellschaft und erzähl mir was!“

Dazu war Gaby gern bereit. „Was steht denn da für ein Haus?“ fragte sie.

Monika grub eifrig. „Was für ein Haus?“

„Das da auf dem Hügel … zwischen den Bäumen?“

„Ach, das ist nur so ein Gemäuer … eine verfallene Ruine …“

„Woll’n wir mal hin?“

„Mit Vergnügen! Aber nur, wenn’s regnet.“

„Wieso wenn’s regnet?“

„Weil wir bei gutem Wetter arbeiten müssen!“

„Schade!“

Monika hob den Kopf, stemmte sich auf den Schaufelstiel und blickte Gaby an. „Warum kletterst du nicht allein hoch? Es ist zwar nicht viel los dort, aber man hat eine hübsche Aussicht.“

„Lieber nicht.“

„Warum denn nicht? Ich mache gern ’ne Weile allein weiter.“

Gaby zögerte mit der Antwort.

Monikas rotes Haar, das sie mit einem Gummiband im Nacken zusammengefaßt hatte, drohte sich zu lösen, und sie zog es wieder durch. „Sag bloß du traust dich nicht!“

Damit kam sie der Wahrheit ziemlich nahe, aber Gaby mochte es nicht zugeben. „Ach, so sehr interessiert mich die olle Ruine nun auch wieder nicht“, behauptete sie.

Monika grub unverdrossen weiter, war aber dann doch froh, daß es draußen allmählich dunkel und kühl wurde und sie ihre Arbeit einstellen mußte.

Der Vater lobte sie, als er nach Hause kam. „Sehr gut gemacht“, sagte er, „das sollte genügen. Hier anschließend kommt dann die Jauchegrube hin. Bei der muß Liane dir aber helfen.“

„Ingrid kommt auch“, berichtete Monika.

„Wer ist Ingrid?“ fragte Gaby sofort.

„Eine aus meiner Klasse“.

„Du hast eine neue Freundin? Davon hast du mir gar nichts gesagt.“

„Ingrid ist keine Freundin“, erklärte Monika mit Entschiedenheit, „wir haben nur den gleichen Schulweg.“

„Dann hättest du sie auch nicht kommen lassen brauchen!“

„Du meinst, deine fabelhafte Hilfe reicht?“

„Hört auf damit“, mischte sich Herr Schmidt ein, „ihr seid mir feine Freundinnen, das muß ich schon sagen. Kaum einen Nachmittag zusammen, und schon gibt es Zank und Streit.“

„Tut mir leid, Gaby“, sagte Monika einlenkend, „ich wollte dich nicht kränken, aber auf Ingrid brauchst du wirklich nicht eifersüchtig zu sein. Sie war noch nie bei mir und ich nicht bei ihr, obwohl sie gleich drüben in Heidholzen wohnt. Wir haben nur einen gemeinsamen Schulweg.“

„Warum hast du mir nie von ihr erzählt?“

„Weil es da nichts zu erzählen gibt. Meine einzige Freundin bist und bleibst du, auch wenn du nur eine halbe Portion bist.“

Damit war der Frieden wieder hergestellt.

Als Abendessen gab es zu Ehren von Gabys Besuch und dem Ferienanfang etwas besonders Gutes: Hähnchen mit Pommes frites, die niemand so gut und knusprig machen konnte wie Frau Schmidt, frischen Salat und zum Nachtisch einen Grießflammeri.

Als der Tisch abgeräumt und die Küche gemacht war, setzten sich alle zu einem großen Gesellschaftsspiel zusammen. So verging der Abend sehr vergnüglich, ohne daß einer der Schmidts auch nur eine Sekunde an Amadeus dachte.

Erst als Monika und Gaby sich verabschiedeten, um nach oben zu gehen – die anderen wollten noch ein spätes Fernsehspiel sehen –, fiel Gaby das Ölgemälde, das Amadeus darstellte, auf. Monika hatte es inzwischen gründlich und sorgfältig gereinigt, und es sah jetzt ganz ansehnlich aus.

„Woher habt ihr denn das?“ fragte Gaby.

„Das war im Haus. Es hat immer da gehangen.“

„Ach so.“

„Ja“, sagte Monika, „wir nennen es Amadeus.“

„Warum?“

„Nur so.“ Monika wechselte einen raschen Blick mit ihrem Vater. „Wir wissen ja nicht, wen es wirklich darstellt. Aber komm jetzt, oben auf meinem Zimmer können wir gemütlich weitertratschen.“

„Nicht zu lange“, mahnte die Mutter, aber man merkte ihr an, daß es nicht allzu ernst gemeint war; denn wenn zwei Freundinnen, die das Schicksal getrennt hat, im gleichen Zimmer schlafen, dauert es erfahrungsgemäß immer lange, bis endlich Ruhe eintritt.

Das Gästezimmer war noch nicht eingerichtet, und außerdem wäre es nur halb so schön gewesen, wenn Gaby nicht mit Monika zusammen hätte schlafen dürfen. Eine Couch gab es nicht, so hatte Monika einfach eine flache Gartenliege aufgestellt, ihr Bettzeug daraufgepackt und der Freundin großzügig das eigene, frisch bezogene Bett überlassen.

Die Mädchen machten bald das Licht aus, redeten und kicherten, verloren sich in Erinnerungen und gaben sich ihren Träumen und Hoffnungen hin. Wenn Monika nicht so hart gearbeitet hätte, wären sie sicher noch nicht eingeschlafen gewesen, als die anderen herauf kamen. So aber fielen nach einiger Zeit Monika doch die Augen zu, und bald darauf war auch Gaby eingeschlafen.

Mitten in der Nacht wurde Monika von einem Schrei geweckt. „Moni!“

Sie fuhr hoch und sah, daß Gaby das Licht angeknipst hatte.

„Was gibt’s?“ fragte sie verschlafen.

„Du hast mir die Decke weggezogen!“

„Ich? Nein, bestimmt nicht!“

„Wer soll’s denn sonst gewesen sein?“

Monika wußte die Antwort, aber sie sprach sie nicht aus. „Niemand“, behauptete sie. „Die Decke ist einfach runtergerutscht. Was glaubst du, wie oft mir das schon passiert ist!“

Doch tatsächlich hatte sie einen schönen Schreck gekriegt. Es war ihr klar, daß Amadeus wieder einmal am Werk war. Sie hatte zwar selber keine Angst vor ihm, aber sie wußte, daß Gaby sich entsetzlich vor Gespenstern fürchtete. Bestimmt würde sie sofort ihren Koffer packen und auf und davon gehen, wenn sie merkte, daß es im Haus am Seerosenteich spukte.

So lag sie immer noch wach, mit klopfendem Herzen, als Gaby schon längst eingeschlafen war.

Die hübschen, bunten Vorhänge waren zugezogen, und so war es ziemlich dunkel im Zimmer, obwohl draußen der Mond schien. Natürlich hatte Gaby die Nachttischlampe wieder ausgeknipst, bevor sie sich erneut aufs Ohr legte. Aber Monikas Augen gewöhnten sich allmählich an die Finsternis, und sie konnte zumindest die Umrisse der Dinge erkennen.

So sah sie auch, wie Gabys Bettdecke ein zweites Mal mit einem geschickten Ruck heruntergezogen wurde.

„Schäm dich, Amadeus!“ flüsterte sie aufgebracht. „Nicht schon wieder!“

Im gleichen Augenblick fuhr Gaby mit einem spitzen Schrei in die Höhe. „Meine Decke!“

„Du hast dich losgestrampelt!“ versicherte Monika.

„Das kann doch nicht sein!“

„Ganz bestimmt! Ich habe dich beobachtet. Du schläfst furchtbar unruhig. Hast du schlecht geträumt?“

Gaby fuhr sich mit der Hand über die Stirn. „Ich weiß nicht mehr.“

„Ganz bestimmt. Du hast dich dauernd von einer Seite auf die andere geworfen. Was ist nur los mit dir?“

„Ich weiß es wirklich nicht“, sagte Gaby kläglich.

„Trink einen Schluck Wasser und versuch wieder einzuschlafen. Ich paß schon auf dich auf. Du bist sicherer als in Abrahams Schoß.“

Doch Gaby konnte nicht so schnell einschlafen; sie knipste das Licht an und setzte sich hoch. „Sag mal, du hast mir doch erzählt, daß es hier im Haus spuken soll“

„Erzählt habe ich es schon. Aber natürlich ist das Quatsch.“ Monika spürte, wie ihr bei der ungewohnten Lügerei der Schweiß ausbrach. „Sonst wären wir ja nicht hier wohnen geblieben.“

„Und wenn es nun doch ein Gespenst war, das mir die Decke weggezogen hat?“

„Jetzt spinnst du aber wirklich, Gaby! Zufällig war ich nämlich noch wach und hab gesehen, wie du dich losgestrampelt hast.“

„Ach, wirklich?“

„Ja, ganz wirklich. Jetzt schlaf wieder. Du weißt, wir haben morgen viel zu tun.“

Gehorsam knipste Gaby das Licht wieder aus und rollte sich auf die Seite.

Aber Monika wußte nicht, ob sie wirklich schon wieder schlief. Sie selber war jedenfalls wach wie eine Lerche beim Morgenrot. Es war ihr klar, daß es mit Gaby schiefgehen würde, wenn Amadeus nicht aufhörte sie zu necken. Also mußte sie mit ihm reden. Aber in Gabys Gegenwart ging das natürlich nicht.

Lange Zeit blieb sie ganz ruhig liegen und wartete ab.

Dann flüsterte sie. „Gaby?“

Gaby gab keine Antwort.

Monika fügte die intelligente Frage hinzu: „Schläfst du schon?“

Als Gaby sich nicht rührte, entschied sie sich, daraus zu schließen, daß die Freundin eingeschlafen war. Leise, ganz leise stand sie auf, schlüpfte in ihre Pantoffeln und den Bademantel und verließ, die Tür sachte hinter sich ins Schloß ziehend, das Zimmer.

Hilf mir, liebes Hausgespenst

Подняться наверх