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Amadeus läßt nicht mit sich reden

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Auf dem Dachboden war es sehr dunkel. Monika verzichtete darauf, das Licht anzuschalten, weil sie fürchtete, daß Amadeus sich dann bestimmt nicht sehen lassen würde. Zum Glück fiel ein Streifen Mondlicht durch eines der schrägen Fenster, so daß sie doch wenigstens etwas sehen konnte.

Sie stellte sich mitten in den Raum und rief: „Amadeus, Amadeus! Hier bin ich! Laß dich sehen! Bitte, Amadeus!“

Das Hausgespenst ließ eine Weile auf sich warten, aber damit hatte sie gerechnet, und geduldig wiederholte sie ihren Ruf.

Sie war gar nicht erstaunt, als sich im Mondlicht ein weißer, durchsichtiger Nebel bildete, der sich bewegte und Gebilde wie Arme und Beine nach allen Seiten ausstreckte.

„Na, endlich!“ sagte sie. „Nun mach schon!“

Allmählich bildete sich aus dem beweglichen Nebel eine Gestalt, die ziemlich genau dem Ölbild glich, das unten im Erker in der Wohndiele hing. Ein hübscher Junge mit weit auseinanderstehenden Augen stand vor ihr, deren Iris ein klares Blau zeigten. Man hätte ihn für einen lebendigen Menschen halten können, wenn er nicht so durchscheinend gewirkt hätte. Er warf keinen Schatten im Mondlicht.

„Eigentlich wollte ich überhaupt nicht mehr mit dir reden“, waren seine ersten Worte.

„Und warum nicht?“

„Weil du dein Versprechen gebrochen hast!“ Das Gespenst schob die Unterlippe vor und schmollte.

„Ich?“ rief Monika. „Stimmt ja gar nicht … du!“

„Und wer hat gesagt, er will sich um mich kümmern? Mit mir sprechen und so? Seit deine blöde Freundin da ist, hast du nicht einmal mehr ein Wort an mich gerichtet. Du hast sogar zu ihr gesagt, es gäbe mich gar nicht! Bildest du dir etwa ein, ich hätte das nicht gehört?!“

„Aber doch nur, weil sie schreckliche Angst vor … nicht sichtbaren Personen hat!“ Beinahe hätte Monika gesagt „vor Gespenstern“, sie konnte das Wort gerade noch rechtzeitig zurückhalten.

„Tu me gasse!“ Amadeus wandte ihr den Rücken zu.

„Was heißt denn das schon wieder?“

„Daß du mich nervst … du und deine dummen Ausreden.“

„Aber es ist wirklich wahr.“

„Das heißt aber doch nur, daß dir deine Freundin lieber ist als ich. Je suis fou überhaupt noch mit dir zu reden.“

Monika staunte. „Bist du etwa eifersüchtig?“

„Was ist das?“

„Na eben, du denkst, ich hätte sie lieber als dich, und das paßt dir nicht“.

„Sie ist eine alberne jeune personne“.

„Also, bitte, sprich deutsch mit mir!“ verlangte Monika. „Du weißt, ich bin nicht so gebildet wie du!“

Diese Schmeichelei bewirkte, daß Amadeus sich wenigstens wieder umwandte.

„Seit sie im Haus ist, vernachlässigst du mich!“ erklärte er vorwurfsvoll.

„Stimmt, ich spreche nicht mit dir, aber das kann ich nicht, weil sie nicht wissen darf, daß es dich gibt! Sie würde sonst vor lauter Schrecken auf und davon gehen.“

„Na und? Du hast ja mich!“

„Hilfst du mir etwa beim Ausheben der Jauchegrube?“

„Tut sie es denn?“

Diese Frage war nur zu berechtigt und entlockte Monika einen schweren Seufzer. „Nein, tut sie nicht. Sie ist eben nur eine halbe Portion. Aber sie ist meine beste Freundin, und ein Mädchen braucht Freundinnen.“

„Wozu?“

„Um mit ihnen zu reden und zu spielen und zu kichern …“

„Das kannst du auch mit mir.“

„Amadeus!“ Unwillkürlich streckte Monika die Hand nach ihm aus, aber wie immer bekam sie ihn nicht zu fassen, sondern fuhr durch ihn hindurch, „ich bin nicht gekommen, um mir deine Vorwürfe anzuhören, im Gegenteil, ich finde, du hast dich schlecht benommen.“

„Das ist ja der Gipfel.“ Amadeus setzte sich mit elegant übereinandergeschlagenen Beinen auf eine der Umzugskisten; die breiten Schnallen unter seinen Knien glänzten silbrig im Mondlicht.

„Du hattest mir versprochen, uns nachts nicht zu stören und schlafen zu lassen!“

„Habe ich ja auch getan!“

„Hast du nicht! Du hast Gaby zweimal die Decke weggezogen!“

„Ist Gaby denn ihr? Sie gehört doch gar nicht zur Familie! Sie gehört nicht in dies Haus, und ich will sie nicht hier haben, schon gar nicht, wenn sie mich nicht respektiert.“

„Erwartest du etwa, daß wir dich um Erlaubnis fragen, wenn wir jemanden einladen?“

„Ja“, erklärte Amadeus kalt.

„Du bist unverfroren!“

Das verstand er nicht. „Was ist das … froren?“

„Es heißt frieren, und es bedeutet, daß jemandem sehr kalt ist.“

„Ist mir nie! Ist das … unverfroren?“

„Nein, unverfroren heißt … unverschämt!“

„Du meinst, ich habe une mauvaise tête? Ich bin ein … Dickkopf? Ja, das kann man wohl sagen! Ich lasse mir nichts gefallen. Diese jeune fille stört mich. Sie muß aus dem Haus.“ „Aber sie ist meine beste Freundin!“ jammerte Monika.

„Ist mir ganz egal.“

Monika merkte, daß Amadeus unerbittlich war, und zerbrach sich den Kopf, mit was für einem Argument sie ihn umstimmen konnte. „Und wenn ich ihr nun sage, daß es dich gibt?“

„Hört sich schon besser an.“

„Aber sie wird sterben vor Angst.“

„Ihr Problem.“

„Du bist herzlos, Amadeus!“

„Stimmt. Je n’ai pas un coer! Wozu auch? Ich brauche keine alte Pumpe, die mein Blut ständig um und um rührt. Blut überhaupt! Fi donc! Das finde ich ordinär!“

„So meine ich es gar nicht, Amadeus, auch wenn du kein Blut hast und kein Herz, könntest du doch Gefühle zeigen. Du könntest verstehen, daß mir etwas an meiner Freundin liegt.“ „Pah! Une jeune fille, die Angst vor mir hat und dir nicht beim Arbeiten hilft, die paßt gar nicht zu dir als Freundin!“

Monika kam os vor, als hätte sie das schon von jemand anderem gehört, aber sie wollte es nicht einsehen. „Das zu entscheiden, mußt du schon mir überlassen!“

„Wie du willst. Aber entweder du sagst ihr, daß es mich gibt, und kümmerst dich wie sonst um mich, oder … Amadeus machte eine bedeutungsvolle Pause.

„Oder was?“

„Ich ekle sie aus dem Haus!“

„Du bist gemein!“ schrie Monika.

Aber Amadeus schien das nichts auszumachen. Er lächelte ganz vergnügt, zeigte ihr eine lange Nase und löste sich in Nichts auf.

Monika erwartete, daß er sie, wie früher, in ihr Bett tragen würde. Aber er dachte gar nicht daran. Sie mußte sich ihren Weg allein suchen, und sie war ganz schön wütend.

Hilf mir, liebes Hausgespenst

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