Читать книгу Mrs. Jones and me - Marie Lu Pera - Страница 3
Reif für die Klapse
ОглавлениеDa ist ein Piepen, das ziemlich nervt.
Ich will meine Augen öffnen, doch bin so erschöpft, dass ich es nicht schaffe. Flüsterleise Stimmen von Personen, die sich im Raum befinden, halten mich wach. Bin ich jetzt doch in die Klapse eingeliefert worden?
„Die Polizei steht draußen und will wissen, wann sie vernehmungsfähig ist.“
„Die Patientin ist noch nicht bei Bewusstsein und selbst dann entscheide ich, wann sie befragt werden kann. Sie sollen sich gedulden.“ Elijah, bist du das?
Hey, warte mal, was quatscht ihr da? Was will denn die Polizei von mir?
Stechende Schmerzen in meinem Rücken entziehen mir einen leisen, gequälten Laut. Erinnerungen schießen im nächsten Augenblick unkontrolliert durch meinen Kopf. Ach du große Scheiße.
„Charlize.“ Müdigkeit nimmt wieder überhand.
Mir ist heiß und kalt zugleich. Es fühlt sich so an, als ob mein Körper gerade zerspringen würde. Hektisches Treiben bricht um mich herum aus, das von aufgebrachten Stimmen untermalt wird.
„Haltet sie fest“, befiehlt eine weibliche Stimme. Was? Nein, lasst mich los. Mit aller Kraft öffne ich die Augen und erkenne Elijah, der über mich gebeugt ist.
„Charlize! Charlize, kannst du mich hören? Hier ist Elijah.“ Grelles Licht blendet meine Augen, was meinen Körper vor Schmerz aufbäumen lässt. Hey, weg mit dem Ding.
„Charlize!“, ruft Elijah erneut. Seine Stimme dröhnt in meinem Schädel – musst du so schreien, verdammt nochmal.
Meine Handgelenke werden festgehalten. Diese Berührung löst Panik in mir aus und lähmende Angst erfüllt meinen ganzen Körper. Ich schreie, doch meine Laute verstummen, als die Dunkelheit mich erneut umschließt.
Ein lautes Klirren lässt mich die Augen aufschlagen. Neben meinem Bett steht eine Krankenschwester, die mich erschrocken mustert.
„Ich hole den Arzt“, informiert sie mich nervös. Ich brauch keinen Arzt, ich gehe jetzt heim. Im selben Augenblick erkenne ich, dass meine Handgelenke verbunden sind.
Mühevoll stemme ich mich hoch. Dabei brennt mein Rücken bei jeder Bewegung wie Feuer.
Meine nackten Fußsohlen berühren den Boden. Ich bin eigentlich viel zu schwach, um meine Beine zu belasten, aber das ist mir egal.
Gerade grüble ich darüber nach, wie ich hier rauskomme beziehungsweise hierhergekommen bin, als die Türe aufgerissen wird.
Herein stürmt ein aufgebrachter Elijah, der ziemlich erschöpft aussieht. Im ersten Moment zieren ausgeprägte Zornesfalten seine Züge, doch dann lächelt er kopfschüttelnd.
„Wolltest du schon wieder abhauen?“, zieht er die richtigen Schlüsse. Tja, sieht ganz so aus.
Sein Blick geht in Besorgnis über. Er setzt sich zu mir aufs Bett und nimmt meine Hand in die seine, was mich leicht zusammenzucken lässt. Mann, ich bin echt durch den Wind.
„Als sie dich hergebracht haben, konnte ich einen Moment lang nicht klar denken“, gesteht er flüsternd. „Ich habe dich einfach angesehen. Ich dachte …“
Elijah sieht gedankenverloren zur Seite, fährt dann aber fort: „Ich bin so froh, dass du aufgewacht bist. Wie geht es dir? Hast du Schmerzen?“ Er nimmt meine Wangen in seine warmen Hände.
Für einen Augenblick habe ich das Gefühl, er wolle mich küssen, daher entziehe ich mich seinem Griff. Okay, nicht so schnell.
„Es geht mir gut“, erkläre ich. Dabei kann ich ihm nicht in die Augen sehen, weil es eine Lüge war. Meine zitternden Hände verraten mich.
„Es geht dir gut“, wiederholt er mit monotoner, ungläubiger Stimmlage. „Charlize, du musst nicht die Starke spielen. Du wurdest entführt.“ Danke für die Information, ich weiß – schon vergessen – ich war hautnah dabei.
„Du kannst ruhig deine Gefühle zeigen“, bestärkt er mich. Lieber nicht, das würde dir Angst machen. „Ich will nur, dass du weißt, dass ich für dich da bin.“
„Das weiß ich, Elijah“, bestätige ich. „Lässt du mich bitte einen Moment allein?“ Meine Selbstbeherrschung bricht gleich zusammen.
„Natürlich. Ruf nach mir, wenn du etwas brauchst“, bietet er an. Und schon ist er aus dem Zimmer.
Ein gequälter Laut entweicht mir. Ich versuche krampfhaft, die aufkommende Panikattacke im Keim zu ersticken.
Ein Teil meiner Vergangenheit, der sicher in meinem Inneren verschlossen war und nur in Augenblicken der Schwäche an die Oberfläche getreten ist, hat mich wohl brutal eingeholt.
Josef war der Sohn meiner Pflegefamilie, bei der ich gewohnt habe, als ich klein war.
Ich erinnere mich an diese Hölle auf Erden, was mir schlagartig Tränen in die Augen treibt. Mit übermenschlicher Kraft versuche ich, die Bilder zu verdrängen.
Ich hab Josef nicht wiedererkannt. Ich frage mich, womit ich das alles verdient habe. Hört der Wahnsinn denn nie auf? Ich dachte, das Schlimmste hätte ich hinter mir, als sie mich damals aus der Familie genommen haben. Da hab ich mich wohl geirrt, denn all die Jahre später werde ich immer noch von dieser Vergangenheit verfolgt.
Als mir Josef vom Tod seines Vaters erzählt hat, habe ich eine Art innere Erlösung gespürt. Doch dass sein Sohn der gleiche Psychopath ist wie er, konnte ich nicht ahnen.
Wo Josef wohl gerade ist? Vielleicht wurde er verhaftet? Kann es sein, dass er entkommen ist und mir immer noch auflauert?
Angst steigt wieder in mir hoch. Dieser Irre hätte mich fast vergewaltigt. Obwohl, warte mal, vielleicht hat er es doch getan.
Also ich spüre keine Schmerzen da unten. Hm, ich glaube nicht, dass es dazu gekommen ist. Tränen laufen mir bei dem Gedanken erneut über die Wangen. Wie konnte er es bloß wagen, mich auszupeitschen? Der Schmerz zieht sich immer noch durch all meine Glieder. Wie bin ich eigentlich entkommen? Ich erinnere mich nicht daran, befreit worden zu sein.
Mein Körper beginnt im nächsten Augenblick stärker zu zittern und Übelkeit steigt in mir hoch. Bevor ich es aufhalten kann, übergebe ich mich bereits in eine Schale, die sie wohlweislich auf dem Tisch neben meinem Bett platziert haben. Was hat mir diese Psycho da injiziert, verdammt nochmal?
Erschöpft lege ich mich wieder hin und schließe die Augen. Okay, zurück zum Start. Mal sehen, ob es mir gelingt, diesen erneuten Wahnsinn zu verdrängen.
Ich hab keinen blassen Schimmer, wie ich das anstellen soll, aber hey, ich sag doch, ich werd verrückt. Sieht so aus, als wäre ich es jetzt definitiv.
Ein Kichern reißt mich aus meinem unruhigen Schlaf. Es stammt von zwei Schwestern, die miteinander tuscheln. Da sie mir keine Aufmerksamkeit schenken, stelle ich mich schlafend.
„Hast du gesehen? Draußen stehen gleich vier Männer, die darauf warten, endlich zu ihr reingelassen zu werden. Die sind schon die ganze Nacht hier.“ Okay. Wow.
„Einer davon ist ein Polizist.“ Das könnte William sein. „Dann sind da noch ein blonder und ein dunkelhaariger Modeltyp.“ Okay, Louis und Damian, ganz sicher. „Und noch so ein stocksteifer Bodyguard im Anzug.“ Hm, keine Ahnung, um wen es sich bei dem Kerl handelt.
„Sie ist sicher ein Flittchen, dies mit allen treibt.“ Hm nein, nicht mit allen. Übrigens danke, dass ihr in meiner Gegenwart über mich herzieht.
„Hast du Doktor Green gesehen? Jede Wette, dass sie auch mit ihm schläft.“ Scheiße, sie haben recht – ich bin ein Flittchen.
Status Quo: Objektiv betrachtet, habe ich mit vier Männern parallel geschlafen. Okay, das muss aufhören – ich muss mich für einen entscheiden.
Das wird zwar schwer, doch so kann ich nicht weitermachen. Das wäre nicht fair ihnen gegenüber.
„Hast du ihren Körper gesehen?“ Wie bitte?
„Ja, also ich bin ja schon lange in diesem Job, aber so was ist mir auch noch nicht untergekommen. Wahrscheinlich ist sie eine verbrauchte SM-Nutte.“ Was? SM-Nutte? Geht’s noch?
„Wusste nicht, dass Doktor Green auf so etwas steht.“
„Naja, Arzt halt.“ Okay, Schluss damit.
Ein leises Stöhnen, das aus meiner Kehle dringt, reicht aus, um die Hühner aus meinem Zimmer zu verscheuchen.
Mein Kopf tut weh und ich hab Durst, aber der Gedanke allein, nach dem Wasserglas zu greifen, ist grad so anstrengend, als würde ich mit dem Gedanken spielen, einen Marathon zu laufen. Daher sinke ich erneut in einen leichten Schlummer.
Jemand steht am Fenster. Im ersten Augenblick habe ich Angst, es könnte sich dabei um Josef handeln, doch bei näherer Betrachtung erkenne ich einen jungen, unbekannten Anzugträger, der mich ansieht. Seine Augen sind hellbraun und sein volles, braunes Haar fällt umschmeichelt sein Gesicht.
„Keine Angst, Miss Jones. Mein Name ist Ethan Connor. Ich arbeite für Interpol und hätte ein paar Fragen an Sie“, informiert er mich, während er mir seinen Ausweis unter die Nase hält. Das ist sicher der stocksteife Anzugträger, von dem die Krankenschwester gesprochen hat.
Interpol? Das schüchtert mich schon ein.
Oh nein, es hat bereits begonnen. Ab jetzt werden hier neugierige Bullen aufkreuzen und mir tausend Fragen stellen. Doch von meiner Vergangenheit darf niemand erfahren.
Er fährt fort: „Sie haben Schreckliches durchgemacht. Ich verspreche, Sie nicht lange mit meinen Fragen zu quälen. Es wird gleich vorüber sein. Sagen Sie mir einfach, was Sie wissen.“ Ja genau, Schnüffler. Wers glaubt.
„Sie verschwenden Ihre Zeit“, stelle ich fest. „Sie sollten Ihre Fragen lieber an meinen Entführer richten.“
„Dies ist leider nicht mehr möglich“, entgegnet er emotionslos. Was?
„Was bedeutet das?“, will ich eingeschüchtert wissen.
„Er wurde von einem meiner Männer erschossen, als er eine Handfeuerwaffe gegen den Beamten richtete“, erklärt der Beamte.
Ich bin geschockt und atme schwer. Josef ist tot? Erschossen? Komisch, ich kann mich nicht erinnern, eine Waffe bei ihm gesehen zu haben.
„Ist alles in Ordnung, Miss Jones? Sie sind sicher erleichtert. Er kann Ihnen nichts mehr anhaben.“ Erleichtert? Ich meine, er ist tot und irgendwie hab ich das Gefühl, ich bin daran schuld.
„Ich … ich weiß nicht“, stammle ich – nicht imstande einen klaren Gedanken zu fassen. Ethan kommt näher und setzt sich an meine Bettkante.
„Das ist ganz normal. Sie stehen noch unter Schock. Bitte sehen Sie mich an, Miss Jones“, verlangt er. Ich tue was er sagt, merke aber, dass das hier Routine für ihn ist.
„Es ist wichtig, dass Sie mir alles erzählen, was passiert ist. Jedes Detail, an das Sie sich erinnern können. Haben Sie keine Angst. Sie können mir vertrauen.“ Nein. Stopp. Ich vertraue dir nicht und ich werd dir auch nichts erzählen.
Den Text hat er wahrscheinlich in seiner Ausbildung als Geheimagent auswendig lernen müssen und schon zigmal abgespult.
„Ich … ich erinnere mich nicht“, rede ich mich raus. Scheiße, das kauft er mir niemals ab. Ich bin so ein schlechter Lügner.
„Ganz langsam, lassen Sie sich Zeit. Was ist das Letzte, an das Sie sich erinnern können?“, ändert er die Strategie.
„Die Galerie, ich … ich war auf einer Ausstellung“, antworte ich.
„Gut, wissen Sie noch, was dann passiert ist?“
„Er hat mich von hinten gepackt und mir den Mund zugehalten. Dann weiß ich nichts mehr“, erkläre ich.
„Was ist dann geschehen?“, verlangt er.
„Ich sagte doch, ich erinnere mich nicht“, stoße ich aus, während ich mir über die pochende Stirn reibe. Meine Hände zittern immer noch.
Natürlich glaubt er mir kein Wort. „Es gibt nichts, wofür Sie sich schämen müssten. Sie können mir alles erzählen – ich bin Polizist.“ Das wirkt sowas von einstudiert – ich halts nicht aus.
„Mister Connor …“ „… Oh bitte, nennen Sie mich Ethan“, fällt er mir ins Wort. Das kannst du vergessen.
Ist das die Lektion: „Wie baue ich eine Beziehung bei der Befragung des Opfers auf?“
„Mister Connor, ich bin sehr müde. Bitte lassen Sie mich jetzt allein“, verlange ich. Das ist nicht mal gelogen.
Er lächelt gekünstelt. „Natürlich, und Ihrer Bitte werde ich gleich nachkommen, sobald Sie mir noch ein, zwei Fragen beantwortet haben.“ Nein Mann, check es endlich, ich will keine Fragen beantworten.
Okay, ich muss hier raus. Ich schlage die Bettdecke zurück und setze mich auf. Unsagbarer Schmerz zieht über meinen Rücken. Ich atme tief ein, um nicht das Bewusstsein zu verlieren, denn schwarze Punkte flackern schon in meinem Sichtfeld.
Geistesgegenwärtig schalte ich das Gerät ab, das meine Herztöne überwacht, bevor hier alle reinstürmen, wenn ich mir gleich die Elektroden vom Leib reiße.
Er ist bereits auf den Beinen. „Was tun Sie da?“ Sein Blick ist alarmiert.
„Wonach sieht es denn aus?“, motze ich, während ich mir die Infusionsnadel rausziehe. Scheiße, hat das wehgetan.
„Ich bin sicher, Sie sollten noch nicht aufstehen“, wendet er ein.
„Sind Sie Arzt?“ Das war eine rhetorische Frage. Nachdem er dazu schweigt, ergänze ich: „Dann aus dem Weg.“
Ich bin bereits in der wackligen Aufrechten und wandle zielstrebig zur Tür, als ich bemerke, dass das Hemd, das ich anhabe, hinten nur durch weite Maschen zusammengehalten wird.
Verlegen versuche ich, das bisschen Stoff um meine Rückseite zu schlagen. Na toll, jetzt glotzt er mich dabei auch noch an. Mach dich vom Acker.
Mit leicht geröteten Wangen dreht er sich räuspernd um und meint: „Ich hole lieber einen Arzt.“ Er will sich schon zur Tür aufmachen, als ich ihn am Handgelenk packe.
„Stehengeblieben.“ Etwas irritiert sieht er zuerst auf sein Handgelenk, bevor er meinen Blick sucht.
Okay, ich bin zu weit gegangen. Das ist ein hoher Vollzugsbeamter, den ich gerade gemaßregelt und angefasst habe.
Im nächsten Moment macht sich Schwindel breit. Ich verliere bereits die Orientierung. Nein, warte – was passiert hier – der Raum scheint sich um mich zu drehen. Im nächsten Moment zieht mich der Strudel mit sich und ich falle.
Ich spüre, dass mich der Bulle abgefangen hat. Ich schreie, weil er auf meine Wunden am Rücken drückt. Im nächsten Moment verlieren meine Beine den Bodenkontakt.
„Was machen Sie hier?“ Von weiter Ferne höre ich Elijah. Der Tonalität seiner Stimme zufolge ist er stinksauer.
„Raus mit Ihnen!“, ruft er.
„Charlize … Charlize, hörst du mich?“ Seine Hand ist an meinem Handgelenk und prüft meinen Puls.
„Ich sagte, raus hier!“ Ich hab ihn noch nie so wütend erlebt. Hey, kannst du mal aufhören, so zu schreien – das hält doch keiner aus.
Ich habe unsagbare Schmerzen, die mir schlagartig das Bewusstsein rauben.
Ich spüre eine Hand, die die meine hält und öffne die Augen. Louis sitzt an meinem Bett.
Ein lächelnder, aber etwas zerknirscht wirkender bester Freund sieht mich voller Sorge an. Er ist total fertig. Seine sonst so perfekt sitzende Frisur ist einem verstrubbelten Vogelnest gewichen. Tiefschwarze Augenringe zeugen von schlaflosen Nächten, die bereits hinter ihm liegen.
Ich erkenne, dass an seiner Stirn eine Riesenbeule prangt. Oh nein, Ben hat ihn doch nicht etwa verletzt?
„Hey, Süße. Wie geht’s dir?“ Er küsst meine Stirn.
„Gut“, lüge ich.
„Das tut mir so leid, was passiert ist, Charlie. Ich weiß nicht, wie ich das jemals wiedergutmachen soll?“, gesteht er mit dem schlechten Gewissen seines Lebens.
„Was ist mit deinem Kopf passiert?“, will ich wissen.
„Hey“, er streichelt über meine Wange, „mach dir darüber keine Gedanken. Es geht mir gut. Das ist nur ein kleiner Denkzettel. Das geschieht mir ganz recht.“
Spätestens jetzt mache ich mir Vorwürfe. „Er hat mir gedroht, ich …“ „Schhh … ich weiß, du hast versucht, es mir zu sagen, doch ich war blind vor Liebe und wollte es nicht wahrhaben“, unterbricht er meine Erklärungsversuche. Man sieht ihm an, dass er mit den Tränen kämpft.
„Das tut mir so leid, Louis“, hauche ich, während ich seine Haare glattstreiche.
„Das muss es nicht. Wenn jemandem etwas leidtun sollte, dann mir, der dir nicht geglaubt und dich dadurch in Gefahr gebracht hat“, wendet er ein.
Ich ziehe ihn an mich heran, da küsst er erneut meine Stirn. Das tut so gut. „Ich hab meinen besten Freund vermisst“, flüstere ich ihm ins Ohr.
„Und ich meine beste Freundin. Charlie, was hat er dir angetan? Die Polizei wollte mir nichts sagen.“ Sein Blick ist besorgt.
Ich sehe zur Seite und kämpfe damit, meine Tränen zurückzuhalten. „Es geht mir gut.“ Lügnerin. Krampfhaft versuche ich, zu lächeln. Das geht sogar bis an die Schmerzgrenze.
„Ich glaube dir nicht“, stellt er gequält fest. „Das macht mich so fertig, ich … ich.“ Meine Hand drückt die seine, was ihn abrupt innehalten lässt.
„Bitte lass uns das Ganze einfach schnell vergessen. Bringst du mich nach Hause, Louis?“ Er nickt niedergeschlagen.
„Ich spreche noch mit Doktor Green“, erklärt er. Na toll, der wird sicher begeistert sein.
Als Louis zur Tür raus ist, reiße ich mir erneut die Elektroden vom Körper. Das Piepsen geht in einen monotonen Dauerton über, der mir Angst einjagt.
Ich könnte jetzt tot sein.
Energisch schüttle ich den Kopf, verbanne die Gedanken wieder aus meinem Bewusstsein und blinzle die Tränen weg. Reiß dich jetzt augenblicklich zusammen, Charlie.
Die Tür wird aufgerissen und Elijah betritt den Raum. Louis folgt ihm sogleich.
„Wo willst du hin?“, stellt er mich zur Rede.
„Nach Hause.“
„Ich habe dich noch nicht entlassen.“ Tja, das kenn ich doch schon.
„Das wird mich nicht aufhalten, Elijah.“
Er tritt näher und versucht, runterzukommen. Hm, Strategieänderung.
Seine Stimme ist nun sanft, als er flüstert: „Charlie, deine Wunden müssen jeden Tag behandelt werden und du hast einen kalten Entzug hinter dir.“ Scheiße, er hat mir echt Drogen eingeflößt. Macht mich das jetzt zu einem dieser Junkies? „Die Substanzen befinden sich noch in deinem Organismus. Bitte bleib hier.“ Guter Versuch.
„Ich kann nicht.“ Mein Blick schwenkt zu Louis, der Bescheid weiß und nähertritt.
„Also gut, aber du kommst jeden Tag zur Untersuchung ins Krankenhaus“, verhandelt Elijah. Hm, ehrlich gesagt, hätte ich mit mehr Widerstand von seiner Seite gerechnet. Wahrscheinlich weiß er, dass das bei mir nichts bringt.
„Okay“, gebe ich nach.
Louis legt mir seine Jacke über die Schultern und hilft mir aufzustehen. Da ich mich nicht auf den Beinen halten kann, hebt er mich in seine Arme und trägt mich in Richtung Tür. Seine Berührung an meinem Rücken ist unglaublich schmerzhaft, was mich stöhnen lässt.
„Charlize. Versprich es mir“, fordert Elijah. Jaaaaa, okay.
„Ich verspreche es“, erkläre ich. Indianerehrenwort. Sollen wir uns noch in die Handflächen spucken und die Hände schütteln? Der Sarkasmus ist mir also noch nicht vergangen. So viel dazu.
Im nächsten Moment sind wir auch schon zur Tür raus. Ich verstecke mein Gesicht tief in Louis’ Nacken und in meinen, seinen Hals umklammernden Armen, als ich auf dem Flur meinen Namen vernehme. Louis lässt sich nicht abbringen – geht einfach weiter, worüber ich unsagbar froh bin.
Das war Damians Stimme, aber ich kann jetzt nicht mit ihm sprechen. Ich bin so müde, will mich einfach nur ausruhen und still vor mich hin leiden.
Die Taxifahrt nach Hause bekomme ich nur bruchstückhaft mit.
Als ich ein Bett unter mir spüre, drehe ich mich auf den Bauch und sinke in einen unruhigen Schlaf, in dem mich Ben immer wieder heimsucht.
Tiefschwarze Nacht hüllt mein Zimmer in Dunkelheit, als ich aufwache. Aus dem Wohnzimmer tritt Licht durch den Spalt unter meiner Zimmertüre, was mich anlockt. Nach ein paar schmerzunterdrückenden Atemzügen schaffe ich es, aus dem Bett zu steigen und zur Tür zu wanken.
Auf der Couch finde ich ein schlafendes, verheultes Häufchen Elend vor. Ich frage mich, wie gut Louis mit dem klarkommt, was passiert ist. Ich meine, er hatte vor, ihn zu heiraten. Das muss ihn ganz schön hart getroffen haben.
Als ich ihm die Decke, die auf dem Couchtisch liegt, überwerfe, grummelt er unruhig.
Ich sterbe vor Hunger und plündere gerade unseren Kühlschrank, als Louis zu mir in die Küche kommt.
„Hab ich dich geweckt?“, will ich wissen. Sein Haar ist wild verstrubbelt und er gähnt ständig.
„Nein, ich konnte sowieso nicht gut schlafen. Was mampfst du da in dich rein?“
„Toastbrot mit Eiern und Schinken. Willst du was? Ich teile“, biete ich an.
„Ja.“ Im Nu nun sitzen wir beide am Küchenboden und hauen uns die Bäuche voll. Wären da nicht dunkle Erinnerungen, die zwischen uns stehen würden, wäre das hier ein total lustiges Gelage.
Als wir fertig sind, legen wir uns zusammen auf die Couch und sehen uns alte Schwarzweißfilme in der Glotze an.
Beinahe wie in alten Zeiten, aber eben nur beinahe.