Читать книгу Ich glaub, mich knutscht ein Frosch - Marie Lu Pera - Страница 4

Los, küss mich schon, Frosch!

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„Grandma!“, rufe ich, da bin ich noch nicht mal durch die Tür durch. „Ich glaub, ich bin krank.“

Tante Eve biegt im nächsten Augenblick um die Ecke. „Ja, du siehst aus wie Tante Liz, wenn sie die Meeresalgenmaske draufhat. Nein, warte, das ist ihre natürliche Hautfarbe. Deine Grandma kann dir ja einen Tee machen, dann ist das, was du jetzt verspürst, gleich halb so wild.“

Ich wanke durch das Wohnzimmer und schlage mir das Schienbein am Couchtisch an. „Ein Arzt wär mir glaub ich lieber“, ergänze ich mit durch das Kissen verzerrten Lauten, das ich im freien Fall auf die Couch direkt ins Gesicht bekommen habe.

„Nein!“, ruft meine Grandma, die gerade zur Tür reinschneit, was ich erkenne, als ich den Kopf leicht anhebe und mühevoll zur Seite drehe. „Dieser Quacksalber kommt mir nicht ins Haus. Ich mach dir einen Tee. Du hast Fieber“, stellt sie nach Berührung meines Nackens fest. Also doch ‘ne Grippe.

Wunderbar.

„Ich geh meinen Mundschutz suchen“, informiert mich Tante Liz, darauf bedacht, in meiner Gegenwart so wenig wie möglich zu atmen.

Ich schließe die tränenden Augen. „Grandma, diesmal würd ich doch lieber gern zu einem Arzt gehen. Ich fühl mich komisch.“ Ein leichtes Zittern erfasst meinen Körper, sodass sogar meine Zähne klappern.

„Ach Papperlapapp. Soll ich dir Makadamia-Kekse machen?“, bietet sie an.

„Nur, wenn du ihr den Todesstoß verpassen willst“, flüstert Tante Eve.

„Was?“, hinterfragt meine Grandma ihre Worte.

„Nein danke, hab grad gegessen“, wende ich ein.

Tante Eve setzt sich zu mir und sieht mich mit zusammengekniffenen Augen an. „Wie wars bei den neuen Nachbarn?“

„Ich hab alles gegeben, aber rechnet lieber nicht damit, dass sie euch die Gartenschere leihen – zumindest nicht für den ihr vorgesehenen Zweck – und meldet euch am Telefon mit ‚Die Nachbarn‘. Ich fürchte, unser Name ist nicht hängengeblieben. Zumindest nicht der, der auf unserem Briefkasten steht.“

Tante Eve und Grandma tauschen Blicke aus. „Wie heißen wir denn ab heute?“, hinterfragt Tante Eve.

„Keine Ahnung. Donut, oder so“, antworte ich.

„Dacourt?“, mutmaßt meine Grandma.

„Ja genau“, bestätige ich. Ist ja ein irrer Zufall, dass sie das erraten hat.

Meiner Tante Eve steht der Mund offen und das will schon was heißen.

„Okay, was ist los?“, frage ich nach, obwohl ich es irgendwie nicht wissen will. Wo bleibt eigentlich mein Tee? Ich fühl mich hundsmiserabel.

„Ähm. Das ist eine wunderbare Frage … für deine Grandma“, bestimmt meine Tante, die den Ball zu ihrer Mum rüberschiebt, die näherkommt und sich zu mir ans Fußende der Couch setzt. Mir ist jetzt irgendwie nicht nach Quatschen zumute. Eher nach Reihern.

„Oh, ich ahne Schlimmes“, spreche ich meine Gedanken laut aus. „Das letzte Mal, als ihr euch so angesehen habt, hat das ein Aufklärungsgespräch in Sachen ‚Finger-weg-Kräuter‘ eingeläutet, das mir heute noch Schamesröte ins Gesicht steigen lässt. Dafür bin ich definitiv noch viel zu jung.“

„Es ist Zeit, dass du erfährst, wer du wirklich bist – und es wird dir nicht gefallen“, sagt Grandma doch tatsächlich total ernst.

Ich werde hellhörig. „Nein. Du sagst mir jetzt nicht, ich bin adoptiert. Das kauf ich euch nämlich nicht ab.“ Keine Adoptionsbehörde der Welt würde drei schrulligen, alten Hexen ein Kind zusprechen.

„Tante Eve hat dich als Baby im Garten gefunden. Wir haben schon vermutet, dass du kein gewöhnlicher Mensch bist“, knallt mir Grandma ohne Rücksicht auf Verluste hin.

Was?

„Nein, du kommst mir jetzt nicht mit so einer Story, dass ich wie Mogli im Dschungelbuch bin und ihr mich in einem Korb aus einem Fluss gezogen habt“, mache ich mich darüber lustig.

Sie lachen nicht – nicht mal Tante Eve. Und das will schon wieder was heißen.

„Ihr macht mir Angst“, motze ich nach einigen Sekunden.

Dann fällt mir ein: „Moment, was heißt hier, kein gewöhnlicher Mensch? Ich bin eine Hexe“, widerspreche ich und fahre hoch.

„Nein, du bist ein Mensch. Wir haben dich nur für eine Hexe ausgegeben, damit du es leichter hast, hier zu leben“, erklärt meine Grandma mit eisiger Miene.

Jetzt steht mir der Mund offen.

„Sag, dass das nicht wahr ist“, verlange ich.

„Tut mir leid, Kleines“, meldet sich Tante Eve zu Wort.

„Ich glaube, ich phantasiere bereits. Das Fieber rafft mich dahin. Das ist ein Hirngespinst – nichts weiter“, versuche ich krampfhaft zu verdrängen, dass diese Unterhaltung hier tatsächlich stattfindet und streiche mir die Schweißperlen von der Stirn.

„Leider nicht“, macht meine Grandma alle Hoffnungen zunichte.

„Okay, jetzt Spaß beiseite. Selten so gelacht“, setze ich an. Nachdem ich einige Sekunden darauf gewartet habe, dass sie in Gelächter ausbrechen, aber nichts geschieht, rutscht mir mein Magen gefühlt bis in die Kniekehlen. Ihre traurigen Gesichter strafen sie keiner Lüge – es ist die Wahrheit.

„Moment, nochmal von vorne. Jemand hat mich bei euch im Garten abgelegt? Als Baby?“, fasse ich alles nochmal zusammen, weil das so grotesk ist.

„Ja“, antwortet Tante Eve.

„Und ich bin ein … Mensch“, hake ich krächzend nach, um ganz sicher zu gehen, dass ich mich nicht doch gewaltig verhört habe.

„Ja“, bestätigt meine Grandma – also die Frau, die ich bis eben für meine Grandma hielt.

„Sicher, ich meine …“, setze ich an. „Ja, sicher“, unterbricht sie mich.

Ich schnappe krampfhaft nach Luft. Ich bin ein Normalo, der nie Chancen auf Zauberkräfte hatte. Und sie machen mir auch noch Hoffnungen. Wie soll man denn mit so einem Hammer-Geständnis umgehen?

Na mit Vorwürfen, beantworte ich mir die Frage gleich selbst. „Wieso sagt ihr mir das erst jetzt?“, knalle ich ihnen vor den Latz.

Sie sehen ertappt aus. „Naja, du weißt doch, wie so etwas läuft – man schiebt es bis zum Schluss raus – wie einen Besuch beim Zahnarzt“, meint Tante Eve mit entschuldigendem Blick. Unglaublich, dass sie diesen Vergleich gezogen hat.

„Wie habt ihr euch das vorgestellt? Einen Menschen für eine Hexe auszugeben. Spätestens mit sechzehn wär doch sowieso alles aufgeflogen“, versuche ich krampfhaft, die auseinandergefallenen Puzzleteile, die sich mein Leben nennen, neu zu ordnen.

„Naja, in dem Brief, den du in der Tasche hattest, stand, dass dich mit sechzehn jemand abholen kommt“, stößt Tante Eve schulterzuckend aus.

Ist das hier das Tierheim, oder was?“, pruste ich röchelnd vor Aufregung.

„Beruhige dich, Aimee“, rät mir Tante Liz, die mit Sicherheitsabstand im Türrahmen lehnt und eine weiße Atemschutzmaske trägt.

Beruhigen? Davon bin ich weit entfernt. Ich komm erst richtig in Fahrt mich da rein zu steigern. „Wer … wer soll mich denn abholen kommen? Meine Eltern?“, versuche ich händeringend nach Antworten zu fischen.

„Nein, in dem Brief stand, dass deine Eltern ums Leben gekommen sind und du einen sicheren Ort brauchst“, erklärt Grandma.

„Kann ich den Brief sehen?“, verlange ich.

„Nein. Er ging in Flammen auf, nachdem Tante Eve ihn gelesen hatte“, antwortet Grandma. Das wird ja immer abenteuerlicher.

Und wer bin ich, verdammt nochmal?“, krächze ich.

„Das wissen wir nicht. Ich weiß aber, wer die Dacourts sind“, erwidert Grandma.

„Was soll das bedeuten?“, fordere ich.

„Es gibt Menschenfamilien, die Pakte mit mächtigen Hexenfamilien schließen. So auch die Dacourts, die vor vielen Generationen einen Pakt mit den Lancester-Hexen geschlossen habe. Jeder Nachkomme der Dacourts geht in den Dienst der Lancesters über.“

„Was meinst du mit Dienst? Sowas wie Sklavendienst?“, hinterfrage ich ihre Worte, die absolut keinen Sinn ergeben wollen.

Ihr „Ja“ haut mich fast aus den Socken.

Ich stoße ein vollkommen überzeichnetes „Hhhhh“ aus.

„Hör zu, Aimee. Dein Körper wird schwächer, weil er nicht das bekommt, was er braucht“, erklärt mir Grandma.

„Was braucht er denn?“, will ich wissen. Außer einer Beruhigungstablette und noch mehr Antworten.

„Einen Lancester“, antwortet Tante Eve schulterzuckend. Mir klappt die Kinnlade runter.

„Wie bitte?“, hauche ich.

„Man sagt, es liegt ein Fluch auf den Dacourts. Sie brauchen allesamt etwas, das nur die Lancesters ihnen geben können, um zu überleben. Ich weiß nicht genau, was das ist“, weiht mich Grandma in diese Schauergeschichte ein. Das ist es doch. So etwas kann gar nicht wahr sein.

„Vielleicht brauchst du ihr Blut“, mutmaßt Tante Eve.

Ich bin ein Vampir?“, kreische ich.

„Nein. Naja, vielleicht“, wendet Tante Eve ein.

Vielleicht?“, stoße ich schrill aus.

„Versteh doch, so stellen sie sicher, dass die Sklaven zu ihnen kommen, wenn sie das Alter von sechzehn erreichen“, erklärt meine Grandma.

„Oder bei ihnen bleiben“, ergänzt Tante Eve.

„Es ist eine Art Abhängigkeit. Fluchtversuch ausgeschlossen. Zumindest, wenn man …“ Grandma verstummt.

„Was passiert, wenn ich nicht zu ihnen gehe oder abhaue?“, frage ich und weiß schon jetzt, dass mir die Antwort nicht gefallen wird.

Ihr Schweigen sagt eigentlich schon alles: Etwas Schlimmes. Das darf doch alles nicht wahr sein.

„Woher wisst ihr überhaupt so viel über diese Dacourts?“, hake ich nach.

„Die Geschichte kennt jeder“, meldet sich Tante Liz aus dem Hintergrund.

„Sie könnte auch frei erfunden sein“, rede ich mich um Kopf und Kragen. „Ein Märchen. Der Gerüchteküche entsprungen. Oder über Jahre aufgebauscht.“

„Ich fürchte, diese Geschichte ist wahr“, prophezeit mir Grandma.

„Heißt das, die kommen mich jetzt holen und ich friste das Leben ihres Sklaven?“, fasse ich dieses zermürbende Gespräch zusammen.

„Es wundert mich, dass sie dich nach Hause gehen haben lassen. Vielleicht sind sie noch nicht vollständig davon überzeugt, ob du die Richtige bist. Aber ganz sicher beschatten sie bereits das Haus“, vermutet meine Grandma.

Bitte holt mich aus diesem C-Horrormovie raus, in dem ich scheinbar eine der Hauptrollen spiele. Jetzt, wenns geht.

Sie beschatten uns“, pruste ich ungläubig. „Selbst wenn. Sicher haben sie die Falsche im Visier. Du hast es selbst gesagt, sie sind sich nicht sicher. Das ist alles eine Verwechslung.“

„Wär möglich. Immerhin passt sie nicht auf die Beschreibung“, flüstert Tante Liz.

„Welche Beschreibung?“, hake ich nach.

„Deine Eltern wollten dich wahrscheinlich vor ihnen verstecken“, rätselt Grandma, sich nachdenklich am Kinn kratzend, ohne auf meinen Einwand einzugehen.

„Gibt es ein idealeres Versteck für einen Menschen als bei Hexen? Dort hätten sie nie zu suchen begonnen“, ergänzt Tante Eve die Worte ihrer Mutter.

Ich schlucke unbehaglich. Sie scheinen fest davon überzeugt zu sein, dass ich diejenige bin, die die Lancesters suchen.

Ich raufe mir die Haare. „Was … was sollen wir jetzt tun? Helft ihr mir? Ich meine, könnt ihr nicht, keine Ahnung, einen Bann aussprechen, damit sie mich nicht kriegen?“, schlage ich vor. Vorausgesetzt an dieser Story ist was dran. Naja, eigenartig ist das schon, dass Mister Lancester plötzlich so viel Interesse an mir gezeigt hat, als er mich für jemanden anderen hielt.

„Tut mir leid. Gegen die Lancesters sind wir machtlos. Wir sind nur einfache Hexen. Wir wussten nicht, wer du bist. Warum man gerade uns – ein paar einfache Hexen, die nicht sonderlich begabt sind – als deine Schutzbefohlenen ausgewählt hat, weiß ich nicht, Aimee“, flüstert Grandma, „Aber ich fürchte, du hast keine andere Wahl, als zu ihnen zu gehen. Dein Körper ist bereits geschwächt. Du brauchst sie. Du weißt, dass es so ist, denn du spürst es.“

Quatsch, das ist nur ‘ne Grippe, versuche ich mir einzureden und dieses Gefühl in mir zu ignorieren, das an der Story mehr dran sein könnte als ich zugeben will.

„Ihr wollt mir also nicht helfen. Dann hau ich ab“, verkünde ich und bringe mich in eine aufrechte Position. Dabei wanke ich, aber bin dennoch fest entschlossen.

„Du kannst nirgendwo hin, Aimee“, sagt Tante Liz und läuft schreiend davon.

„Liz hat recht. Sieh dich an. Das ist die ultimative Möglichkeit, wie sie dich an sie binden können. Du wirst von Stunde zu Stunde schwächer werden“, meint Grandma.

„Ich werd doch keine Sklavin. Wir sind im 21. Jahrhundert, verdammt nochmal. Wozu gibt’s … Menschenrechte.“ Ich dachte nie, dass ich so etwas je brauchen würde. „Außerdem, wo sind die, die mich mit sechzehn holen sollten? Das war gestern, verdammte Scheiße nochmal!

„Sie sind nicht gekommen“, sagt Tante Eve mit Friedhofsstimmung. Der Blitz, der gerade irgendwo draußen einschlägt und einen Körper, der vorm Fenster steht, hell erleuchtet, trägt nicht gerade zu meinem Wohlbefinden bei.

Der aufbrausende Sturm, der die Fensterläden gruslig klappern lässt, auch nicht.

Ich hab mich so erschrocken, dass ich rücklings über die Couch gefallen bin. Die sind also schon hier. So viel dazu, dass alles bloß eine Verwechslung ist.

Panik steigt in mir hoch, während ich mich hochstemme und wie ein aufgescheuchtes Huhn durchs Wohnzimmer laufe.

„Es tut mir so leid, Aimee“, begleiten mich die Worte meiner Grandma, „Aber du musst dich ihnen stellen. Sie sind zu mächtig.“

Ich vergaß – ich bin ja ein Normalo. Aber ich hab auch meinen Stolz. Wenn die glauben, ich geb kampflos auf, dann … ich pralle ans Treppengeländer und kippe bedrohlich über den Handlauf. Verdammt. Ich bin nicht gerade in der besten Verfassung, um gegen sieben Hexer und eine Hexe anzutreten. Eigentlich war ich schon chancenlos, da hatte ich heute noch nicht mal gefrühstückt. Scheinbar bin ich ja sowieso an sie gefesselt, also bringt das hier nicht viel. Und dennoch würd ich mir eher den Arm abbeißen, als freiwillig mit ihnen zu gehen.

Ich stolpere rauf in mein Zimmer, wo ich erstmal so richtig schön mit dem Fuß an einem der Eimer, die die Regentropfen vom löchrigen Dach auffangen, hängenbleibe und matrixmäßig in Zeitlupe nach vorne hechte.

In dem Moment bricht jemand durch mein Dachfenster hindurch und landet direkt in meiner Flugbahn. Ich knalle mit dem Typen zusammen, bevor ich ihn so richtig schön von den Beinen reiße und auf ihm drauf lande.

Ich bin wie gebannt durch die dunklen Augen desjenigen, den ich da über den Haufen gelaufen habe, die so tiefgründig aussehen, dass ich Gänsehaut bekomme.

Ich rekapituliere: Dunkle, wache Augen, in denen sich gerade das einströmende Mondlicht spiegelt, hohe Wangenknochen und ein Gesichtsausdruck mit diesem Hauch von Überlegenheit. Seine schwarzen, nassen Strähnen hängen ihm verwegen in die Stirn und diesen Mund will ich einfach grad nur auf meinem spüren. Würde uns nicht sein verwegenes Bad-Boy-Model-Aussehen im Wege stehen, würd er glatt zu mir passen.

Warte mal.

Er kann eigentlich nur einer Wahnvorstellung entsprungen sein – so sexy ist er. Dunkler Typ mit durchtrainiertem Body. Das ist der Stoff, aus dem Träume sind. Und er entspricht total meinem Beuteschema, sofern ich so etwas mein Eigen nennen kann.

Sein Blick wirkt leicht überrascht. Tja, ich spürs auch, du Prachtkerl.

„Wo warst du die ganze Zeit über?“, hauche ich im Fieberwahn, kaum noch fähig, mich mit meinen Armen abzustützen, die krampfhaft zittern.

„Wie ist dein Name?“, will er etwas irritiert wissen.

„Aimee Donut“, hauche ich.

„Dacourt?“, versichert er sich.

„Ja, genau. Wurde aber auch Zeit, dass du auftauchst, Traumprinz“, tadle ich ihn. Meine Stimme klingt komisch. So als würde sie nicht mir gehören.

„Du hast mich also schon erwartet“, sagt er, rollt sich mit mir ab und zieht mich hoch. Meine Beine knicken gleich wieder weg und ich pralle an seine Brust.

„Machst du Witze! Wenn du jetzt noch sagst, dass du mit Werkzeug umgehen kannst, mache ich dir aus dem Stand raus einen Antrag. Und ich hab nicht mal ‘ne Backmischung gebraucht.“ Warte mal. Hab ich das grad laut gesagt?

Was?“, stößt er aus, schüttelt mich und tätschelt mir die Wange.

Das hier ist ein Traum und Tante Eve will mich rausholen. Solche Traumprinzen gibt’s hier nicht. Nicht in dieser Stadt. Nicht in meinem Zimmer. Warte, ich hab grad ein Déjà-vu.

„Hey“, protestiere ich und stoße seine Hand weg. „Ich will noch nicht aufstehen. Ich träum grad was Schönes“, raune ich.

Er stößt ein männlich mürrisches Lachen aus – zumindest sollte es so etwas in der Art werden. Meine Fresse, er hat sicher ein Hammer-Lächeln, wenn er sich bemüht. Solche Kerle laufen Normalos wie mir nicht über den Weg.

Es sei denn, er ist der Ripper“, meldet sich die böse Stimme in meinem Kopf erneut zu Wort.

„Du bist doch nicht der Ripper, oder?“, mutmaße ich.

„Nein, ich bin Neil“, erklärt er.

„Neil Armstrong? Nimmst du mich mit zu den Sternen?“, hauche ich verliebt, während ich ihm eine nasse Strähne aus der Stirn streife, da zieht er irritiert die Augenbrauen hoch.

„Wir haben nicht viel Zeit. Die warten vor der Tür auf dich“, informiert er mich und zieht mich aus dem Zimmer.

„Ich folge dir überallhin“, trällere ich mit verhangenem Blick.

Immer wieder drohe ich zu fallen, doch er stützt mich mit seiner Hand an meiner Taille. Ich atme schwer und verliere ständig die Orientierung. Jetzt brauch ich aber nicht schlappzumachen.

Vor den Treppen, die abwärts ins Wohnzimmer führen, stoppt er und legt die Hand unter mein Kinn, damit mein Kopf nicht ständig hin und her wackelt, wie einer von diesen Wackeldackeln, die Mister Pix jedem an der Kasse andrehen will.

„Ich bin etwas spät dran“, erklärt er. „Daher verzeihst du mir sicher, wenn das hier etwas forsch wirkt, aber du siehst aus, als würdest du gleich zusammenklappen.“

„Du bist voll süß, wenn du laberst“, hauche ich, bevor er mich mit seinem Blick fixiert und seine Lippen auf die meinen presst. Einfach so. Das hat mich so eiskalt erwischt, dass ich es einfach geschehen lasse.

Sein Kuss ist zärtlich, aber auch gleichermaßen von einer Intensität, die mir den Boden unter den Füßen wegzieht und mir schlagartig weiche Knie verpasst. Er zieht mich sofort fester an sich, während er meine Lippen erkundet. Viel zu schnell löst er sich von mir.

„Geht es dir besser?“, fragt er mich mit intensiv prüfendem Blick. Meine Gehirnfunktionen sind noch nicht wieder hochgefahren, deshalb braucht allein mein Blinzeln alle zur Verfügung stehenden geistigen Kapazitäten.

„Wenn du jetzt sagst, du hast heilende Lippen, zweifle ich daran, dass das hier real ist“, gestehe ich. Aber ich fühl mich tatsächlich schon viel besser. Das nenn ich mal ‘nen Placebo-Effekt. „Aber das war trotzdem der perfekteste erste Kuss, den ich jemals hatte“, ergänze ich.

Sein Blick verändert sich – darin ist keine Belustigung mehr zu sehen – eher eine tiefgründige … Angespanntheit.

„Komm, verabschiede dich von deinen Tanten“, bestimmt er und zieht mich die Treppen runter.

„Tschüss“, winke ich meiner Grandma immer noch wie in Trance zu, die Tante Eve im Arm hält. Beide haben Tränen in den Augen. Tante Liz hat sich unter der Couch verkrochen, die jetzt etwas erhöht steht, zumindest an manchen Stellen.

„Ich brenne mit Neil Armstrong durch“, erkläre ich. „Macht euch keine Sorgen. Er ist …“ Ich mustere ihn von der Seite. „… Astronaut und wenn ich Elvis in Las Vegas sehe, mach ich euch ein Autogramm klar.“

Ich schüttle irritiert den Kopf. „Ich glaube, ich bin betrunken. Hab ich getrunken?“, frage ich sicherheitshalber nach, da mustert mich der süße Kerl erneut mit angestrentem Blick.

Im nächsten Moment zerspringen die Fenster und die Lancesterjungs hechten ins Wohnzimmer. Ich lache laut auf. „Kuck mal, die Nachbarn. Ich hol die Heckenschere. Wer ist eigentlich diese Donut und warum passieren der die vielen lustigen Sachen?!“

Meine Grandma und Tante Eve pressen sich an die Flurwand, während mich Neil an sich zieht und einen Blitz in die Richtung der Eindringlinge abfeuert, was sie in Deckung gehen lässt.

„Hey, Feuerwerk. Gott, bist du sexy, wenn du deine Strahlenkanone auspackst, aber du solltest dich von den Steckdosen fernhalten – da haben wir Atomstromfilter dran“, rate ich ihm.

Er sieht mich an, schmunzelt, zieht mich an sich und verlangt: „Halt dich an mir fest.“

Im nächsten Moment fühl ich mich, als würde ich mich im Schleudergang der Waschmaschine befinden, bevor sie mich wieder ausspuckt als wär ich ungenießbar.

Kühle Nachtluft klatscht mir keine zwei Sekunden später ins Gesicht und lässt mich ein „Uff“ ausstoßen. Erneut knicken mir die Beine weg. Ich segle in die Tiefe, werde aber abgefangen und baumle irgendwie leicht.

„Was für ein heißer Feger“, schwärmt eine mir unbekannte, männliche Stimme, was mich die Augen öffnen lässt. Da steht eine lebendige Vogelscheuche vor mir, die aus mit Stroh gefülltem Stoff besteht, Knopfaugen hat und einen Farmerhut trägt.

Das volle Programm also.

Neben ihr steht ein Hund auf zwei Beinen.

„Sind der Blechmann und der feige Löwe auch hier?“, will ich wissen.

„Hat sie mich gerade einen feigen Blechmann genannt?“, prustet die Vogelscheuche.

„Nein, der Zauberer von Oz. Sie denkt, sie phantasiert“, berichtigt mich die Stimme hinter mir, die zu meinem Retter gehört. Neil. Er ist immer noch so süß wie vorher.

„Hab ich nie gelesen. Ich bin mehr für Bukowski – ist schweinischer“, erwidert die Vogelscheuche.

Ich lache schrill und pralle an die Brust meines Hintermannes, da taucht ein weiterer junger Mann aus dem Schatten des Lagerfeuers auf, der total bleiche Haut hat und näherkommt, um mich eindringlicher zu mustern.

„Bist du ein Winkie Soldat?“, mutmaße ich.

„Sie ist ja total schräg drauf. Ist sie das wirklich?“, will er ungläubig und mit zusammengezwängten Augen wissen.

„Klar bin ich es, doch bist du es wirklich? Da wär ich mir nämlich nicht so sicher“, plappere ich drauflos, ohne nachzudenken.

Er grinst schief. „Bist du sicher, dass du ins richtige Haus eingestiegen bist, Neil?“, fragt er. „Oder kommen gleich die Männer in den weißen Mäntelchen hinterher?“

„Ich bin sicher. Sie waren dort, um sie zu holen“, erwidert mein Retter.

„Unter einer Dacourt hätt ich mir was anderes vorgestellt“, spricht der Bleiche seine Gedanken laut aus. „Aber Geschmäcker sind ja verschieden. Ich will auf jeden Fall auch das, was sie geraucht hat“, stößt er aus.

„Was ist denn mit ihr los?“, fragt die Vogelscheuche, die ebenfalls nähergekommen ist und an einer meiner braunen Locken riecht.

„Das ist der Fluch“, erklärt mein Hintermann und zieht der Vogelscheuche das Büschel Haare aus der Strohhand, was diese mit den Worten: „Sorry, hab nicht zugehört, meine Gedanken waren gerade interessanter“ kundtut.

Ich drehe den Kopf zu dem heißen Typen hinter mir. „Wie war das nochmal? Die sind meine Sklaven und ich hab das, was sie brauchen?“, frage ich ihn wankend.

„Eher umgekehrt“, berichtigt er mich.

Ich nicke nachdenklich. „Und wer bist du nochmal?“, lächle ich und streiche ihm die störrische Locke aus der Stirn, die ihm fast ins Auge hängt.

Es ist ihm sichtlich unangenehm, wie vertraut ich mit ihm umgehe, aber mir nicht. Ich bin irgendwie stoned.

„Ich bin Neil“, erklärt er. „Der Bleiche ist Shadow. Das ist Wulf und die Vogelscheuche nennen wir Fear.“

„Ich bevorzuge die Bezeichnung Strohmann und nenn dich weiterhin heißer Feger, aber die anderen wollen sicher wissen, wie du heißt“, meint die Vogelscheuche.

„Dorothy Gale aus Kansas“, antworte ich.

Der Traum ist echt real.

„Das ist das Fieber. Sie phantasiert“, stellt Neil fest.

Ich kämpfe mich von ihm los, wanke ein paar Mal und lächle: „Der Fisch hat mich echt angeglotzt – das ganze Essen über“, da fallen mir auch schon die Augen zu und ich verliere den Halt meiner Knie.

„Dorothy!“, ruft die Vogelscheuche aufgebracht, da fühle ich, wie meine Beine den Boden verlassen und ich schwebe.

Kurze Zeit später spüre ich einen harten Untergrund unter mir und da ist wieder dieses Tätscheln meiner Wangen.

Ich öffne die Augen und blicke in diese dunklen Wahnsinns-Augen. „Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du echt sexy bist, Neil?“, flüstere ich. Er sieht irritiert und auch etwas verlegen zur Seite, bevor er sich lautstark räuspert.

„Ja. Ich. Andauernd, aber er glaubt mir nicht“, spottet die Vogelscheuche aus dem Hintergrund. „Gut, dass er es auch mal von jemand anderem hört.“

„Hör zu“, meint Neil, da streiche ich ihm wieder über die Stirn. Die Locke tut einfach nicht das, was man von ihr will.

Er hält meine Hand mit sanfter Gewalt fest. „Könntest du dich …“ erneut sieht er zur Seite. „… kurz konzentrieren. Ginge das?“

Ich nicke zustimmend. „Vollste Konzentration voraus“, lalle ich. Dabei will ich salutieren, treffe aber mein Auge anstatt meiner Stirn, das ich krampfhaft zusammenkneife. Nun hält er auch meine andere Hand fest.

„Da liegt ein Fluch auf dir“, beschwört er mich. „Wenn du nicht in regelmäßigen Abständen etwas von den Lancesters bekommst, wirst du immer schwächer, bis du nicht mehr aufwachst. Ich bin nur zur Hälfte ein Lancester, also ist das nicht so effektiv, aber es wird helfen, dein Fieber zu senken.

Das ist jetzt etwas eigenartig, aber der Fluch ist an einen Kuss gebunden, den du erhalten musst, um bei Kräften zu bleiben.“

„Ich bin schon beim Wort ‚Kuss‘ ausgestiegen, aber ist schon okay, sprich ruhig weiter“, hauche ich, da fallen mir erneut die Augen zu.

Nicht einschlafen!“, verlangt er und rüttelt mich energisch wach. Ich reiße die Augen auf.

„Gleich geht’s dir besser“, haucht er und kommt näher.

„Jetzt geht’s ans Eingemachte“, schwärmt die Vogelscheuche, die über uns auftaucht.

„Hau ab, Fear. Und ihr – dreht euch gefälligst um“, verlangt Neil forsch von seinen Freunden.

„Nehmt euch ein Zimmer“, murmelt die Vogelscheuche und verschwindet. „Immer dann, wenn es interessant wird“, motzt er hinterher.

Neil erwidert mein Honigkuchenpferdgrinsen nicht. Trotzdem schafft er es, mir den Kopf noch mehr zu verdrehen.

Er atmet tief durch – so als wolle er sich Mut machen – und beugt sich erneut herab. „Kannst du Tante Liz sagen, sie soll mich bloß nicht wecken?“, verlange ich, da ist er schon nahe an meinen Lippen.

Er hält kurz inne und mustert mich intensiv. „Das ist kein Traum.“

Ich greife an seinen Arm und kneife ihn fest. „Hey, was sollte das?“, fragt er ärgerlich und hält meine Hand erneut fest.

Mir steht der Mund offen. „Das hätte dir gar nicht wehtun dürfen.“

„Ich sag doch, das hier ist kein Traum“, erklärt er und nähert sich mir wieder.

„Neil?“, flüstere ich.

„Ja?“, raunt er etwas genervt.

„Ist das die Strahlenkanone in deiner Hose?“

Was?“, zischt er, da scheint ihn Erkenntnis erfasst zu haben, denn er stemmt sich hoch und zieht ein ziemlich stattliches Taschenmesser aus seiner Hosentasche. Dabei umspielt eine leichte Röte seine Wangen, aber das kann ich mir im Schein des Lagerfeuers auch eingebildet haben. Er verstaut es in der Tasche seines schwarzen, knielangen Mantels und beugt sich erneut zu mir runter.

Mein Herz bleibt in dem Moment stehen, in dem sich unsere Lippen erneut treffen. Egal, was ich genommen habe, ich will mehr davon.

Ich stöhne sogar, als sich unsere Zungen berühren. Mann, kann der küssen. Ich werd verrückt. Ich schmelze in seinen Armen dahin, öffne die Augen, nur um in seinen Augen, die gar nicht – wie zuerst vermutet – schwarz, sondern so dunkelgrün wie Moore sind, zu ertrinken.

Aber eigentlich will ich gar nicht gerettet werden.


Ich glaub, mich knutscht ein Frosch

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