Читать книгу Wer braucht schon Zauberworte? - Marie Lu Pera - Страница 5

Drei

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Der Vorteil, wenn man in einer zutiefst abergläubischen Kleinstadt von allen für eine verrückte Teufelsanbeterin gehalten wird, ist, dass man am rammelvollen Dorffest einen Tisch ganz für sich allein hat. Es ist mir eigentlich scheißegal. Hauptsache, sie hatten eiskalte Colaflaschen, von denen ich mir gerade eine an die pochende Birne halte. Der Einbrecher hat mich ganz schön niedergemäht.

Nach ein paar Minuten wagt sich ein Todesmutiger vor und nimmt mir gegenüber Platz. Es ist der Grapscher vom Café, der mich mit zusammengekniffenen Augen mustert.

„Wir haben noch eine Rechnung offen“, stößt er arrogant aus.

Vollkommen unbeeindruckt knalle ich die Cola vor ihm auf den Tisch. Dabei spritzt etwas aus der Flasche und trifft ihn am Ärmel. Ups. Das tut mir aber leid, du abartiger Idiot. Jetzt zieh Leine.

Seine Kiefermuskulatur zuckt. Der Typ hat sichtlich Mühe, mich nicht gleich über den Tisch zu ziehen, um seine Rechnung hier und jetzt zu begleichen.

„Pass auf deinen Rücken auf, du verrücktes Weib“, rät er mir und stößt sich am Tisch ab. Ich rolle mit den Augen, während ich mir die Flasche erneut an die Schläfe drücke. Pass auf deine Gehirnzellen auf, damit du nicht auch noch die letzte verlierst.

Natürlich sehe ich es ihm an der Nasenspitze an, dass er etwas gegen mich plant. Sie tun zwar so, als würden sie saufen, stecken aber die Köpfe tuschelnd zusammen. Das sollte einen bei Jungs immer stutzig machen. Einer von ihnen löst sich aus der Gruppe und verschwindet sogleich. Ich rolle erneut mit den Augen. Was für Matschbirnen.

Jetzt zwingen sie mich echt dazu, den Wichtigtuer raushängen zu lassen. Ich ziehe mein Handy aus der Tasche und tue so, als würde ich SMS tippen. Dass ich hier nicht mal ein Signal habe, weiß ja niemand und so kann ich die App aktivieren, die mein Spiegelbild auf das Display überträgt.

Natürlich sehe ich ihn durch die Kamera schon von Weitem hinter mir auf mich zukommen. Das ist ja echt übel – er hat einen Bierkrug in der Hand, den er mir wohl „ganz unabsichtlich“ über den Schädel kippen will. Hey, in meinem Krug war nur Wasser.

Eigentlich keine schlechte Idee – er macht das sogar ganz gut. Der Krug ist so voll, dass er langsame Schritte machen muss, um nichts zu verschütten. Noch ein Stück, dann ist er bei mir. Unbeholfen stolpert er über seine eigenen Füße und wankt auf mich zu.

Im selben Moment hechte ich auf die Bank, von dort auf den Tisch und springe aus dem Stand in einen Rückwärtssalto. Im Flug mache ich eine Schraube, die mich direkt hinter ihm landen lässt. Das hat ihn so überrascht, dass er sich erst nach ein paar Sekunden umdreht. Zu meiner Verblüffung setzt er an, den Plan zu Ende zu bringen und mir den Krug dennoch überzuschütten.

Jemand zieht mich im letzten Moment aus der Gefahrenzone und ich pralle gegen einen Körper. Das Bier plätschert melodiös auf die Stelle, an der ich noch vor zwei Sekunden stand.

Tumult bricht aus und der Typ wird von ein paar Finnen abtransportiert. Erst jetzt merke ich, wer mich da vor einer Bierdusche bewahrt hat. Es ist der Gothic-Typ mit den Dreadlocks, der mich kurz mustert, mich aber einen Wimpernschlag später einfach stehenlässt. Gutes Gespräch.

Ich lasse es mir nicht nehmen, dem Grapscher einen belustigten Blick zuzuwerfen, bevor ich mich vom Acker mache. Der Kerl sieht nicht sehr begeistert aus. Ich bin gespannt, welche Gemeinheiten er noch für mich auf Lager hat.

Vor einer der Hütten erkenne ich Onkel Tim mit dem Pfarrer, die in eine rege Diskussion vertieft sind. Lucien ist auch bei ihnen. Mich würde ja brennend interessieren, über was die reden.

Ich schleiche mich an den Marktständen vorbei und trete an die Rückseite der Hütte, vor der sie diskutieren.

„Das kannst du nicht tun, Tim“, meint der Pfarrer.

„Es geht hier um meine Kinder, Josef. Du würdest auch alles tun, um dein eigen Fleisch und Blut zu beschützen.“ Mann, jetzt tritt er die Sprayer-Geschichte wieder breit.

„Aber sie ist deine Nichte.“ Hey, da geht’s um mich. Was ist denn nun schon wieder?

„Niemand wird sie vermissen. Wir sagen einfach, sie ist wieder in eine Irrenanstalt eingeliefert worden. Das würde niemand hinterfragen.“ Mein Herz pocht laut in meiner Brust. Was haben die vor?

„Sie werden sich höchstwahrscheinlich auf keinen Handel einlassen“, wendet Lucien ein. Handel?

„Ich gebe ihnen aber keins meiner Babys. Sie können die Verrückte haben, aber nicht Emma oder Lydia“, verkündet mein Onkel. Wer kann mich haben?

„Tim, jetzt beruhige dich“, beschwichtigt der Geistliche.

„Ich beruhige mich nicht, Josef. Wenn es sein muss, zerre ich sie eigenhändig zum Steinkreis.“ Was? Welcher Steinkreis?

„Tim“, stößt Lucien aus. „Wir bewachen deine Töchter Tag und Nacht. Ihnen kann absolut nichts passieren. Deshalb sind wir hier.“ ? Ich dachte, die wären Austauschschüler.

„Die sind gewitzt. Ich sage dir, sie werden nicht aufgeben, bevor sie nicht haben, was sie wollen“, schnaubt Tim.

„Trotzdem sollten wir es vorerst dabei belassen“, rät ihm Lucien. So, jetzt reichts.

Wütend scanne ich die Umgebung nach dem schwächsten Glied in der Kette ab und werde prompt fündig. Kadien, der Mönch, steht bei einer Hütte und isst eins dieser Riesenbrote. Ich krame in meiner Tasche nach einem Stift und bereite eine Nachricht für ihn vor.

Dann setze ich meine lieblichste Miene auf, während ich an ihn herantrete. Er verschluckt sich sogar fast an einem Bissen. „Hope, wie kann ich dir helfen?“ Das kam so unsicher rüber, dass ich sogar lächeln muss.

Ich zerre leicht an seinem Arm. Daraufhin tue ich so, als würde ich ihm kurz etwas zeigen wollen. Stirnrunzelnd legt er sein Brot ab. „Brauchst du Hilfe?“ Ich nicke. Widerwillig folgt er mir.

Ich führe ihn zu den entlegenen Klohäuschen und öffne eine der Türen. „Was soll ich denn da drin?“, fragt er und macht einen Schritt darauf zu. Mann, ich glaubs nicht, dass er auf den ältesten Trick der Welt reinfällt.

Im nächsten Augenblick schubse ich ihn rein, quetsche mich ebenfalls dazu und verriegle die Tür. Als er sich panisch umdreht, packe ich ihn an der Kutte und presse ihn energisch an die Wand. Nach seinem Blick zu urteilen, denkt er, ich will gleich über ihn herfallen. Bei ihm hat bereits Schnappatmung eingesetzt. „Tu mir nichts, Teufelsweib.“ Ich lächle und knalle ihm die vorbereitete Botschaft hin.

Was zum Teufel ist hier los?

„Ich weiß nicht, was du meinst“, stößt er vollkommen unglaubwürdig aus. Guter Versuch Cowboy.

Ich kralle mir den Zettel und schreibe: Willst du dem Teufel an meinem Körper Hallo sagen?

Er zieht scharf die Luft ein, nachdem ich schon meine Jacke abstreife, die ich an den Haken an der Tür hänge. Ich bluffe natürlich nur, aber das weiß er ja nicht.

Daraufhin kralle ich mir erneut seinen Kragen. Er beschwichtigt: „Ich weiß es wirklich nicht.“

Ich lächle erneut und ziehe meinen Pullover aus. Darunter trage ich noch ein Trägerleibchen, doch er ist jetzt schon vollkommen eingeschüchtert.

Wieder presse ich ihn gegen die Wand. „Zwing mich nicht dazu, Hope. Sie haben mir gesagt, ich darf dir nichts erzählen.“ Volltreffer.

Rück endlich raus. Okay, du hast es so gewollt. Ich setze schon an, mir den Stoff über den Kopf zu ziehen, da knickt er ein und packt aus: „Bitte, ich will das nicht sehen. Ich sags dir ja schon. Tim will dich anstatt einer seiner Töchter ausliefern.“ Ausliefern?

Schnell kritzle ich die Gegenfrage:

An wen denn?

„An den Schwarzen Orden. Sie kommen alle dreißig Jahre in dieses Dorf und nehmen eine Tochter mit. Sie markieren das Haus der Erwählten mit einem schwarzen Kreuz und holen sie dann.“ Was zum Henker ist denn das für eine Geschichte?

Ich kritzle: Bist du jetzt vollkommen verrückt geworden?

„Nein, es ist die Wahrheit.“

Was ist der Schwarze Orden und wieso wollen sie mich zum Steinkreis bringen?

„Der Orden ist eine Gesellschaft der mächtigsten Männer unserer Zeit. Sie gehören zur heiligen Inquisition. Der Steinkreis verbindet unsere Zeiten miteinander.“ Inquisition?

Was meinst du mit „unsere Zeiten“?

„Na die Zeit, in der wir leben, und eure Zeit.“

Es gibt nur eine Zeit und die läuft gerade hier ab.

„Nein, wir kommen aus einer Epoche, lange vor dieser Zeit. Der Steinkreis erlaubt uns, zwischen den Zeiten zu reisen.“ Er spinnt total. Ich glaube, er hat zu viel Weihrauch inhaliert. Das weicht einem sicher das Gehirn auf.

Wer seid ihr?

„Na wir sind Kelten. Ist das nicht offensichtlich?“ Kelten?

Du hast sie nicht mehr alle.

„Ich weiß nicht, was das bedeutet.“

Du willst mir also sagen, diese Kelten-Steinkreis-Scheiße aus den Groschenromanen stimmt tatsächlich?

„Ich weiß nicht, was Groschenromane sind, aber wir kommen von dort. Wir Keltischen Krieger sind hier, um die Töchter dieser Stadt davor zu beschützen, gestohlen zu werden.“ Das Beste ist, er glaubt den Scheiß tatsächlich, den er da von sich gibt. Naja, das würde zumindest die geballte Muskelmasse erklären, die ins Dorf eingefallen ist.

Was passiert mit den gestohlenen Frauen?

„Das wissen wir nicht genau.“ Ja genau.

Lügner kommen in die Hölle.

„Also gut, wir wissen, dass sie dort als Sklavinnen verkauft werden.“ Na wunderbar. Mein Onkel will mich also am Sklavenmarkt verscherbeln, damit sie keine seiner Töchter kriegen.

Ich bin nicht aus dem Dorf. Außerdem ist Tim nicht mein Vater. Wieso sollten sie mich mitnehmen?

„Willst du darauf eine ehrliche Antwort?“

Frag nicht so blöd.

„Du bist hübsch. Sehr viel hübscher als eine seiner Töchter, wenn ich das beurteilen kann. Dein Haar gehört zu einem deiner absoluten Vorzüge, genauso wie dieser liebliche Schmollmund und deine Weiblichkeit ist weiter entwickelt.“ Er glotzt mir sogar auf die Brüste. Ich glaubs nicht, dass er das gerade gesagt hat. Das heißt also im Klartext, ich wäre eine hübschere Sklavin. Wow. Wie abartig ist das denn?

Ich kritzle: Ganz ehrlich – sei froh, dass du ein Mönch bist, sonst hätte ich dir jetzt in deine zurückgebliebene Männlichkeit geschlagen.

Wie wild geworden streife ich mir den Pullover über und lege die Jacke an.

„Sag ihnen nicht, dass du es von mir weißt.“

Ich schreibe: Wir werden so tun, als wüsste ich von nichts. Hast du mich verstanden? Und keine Tricks. Den Schlag kann ich jederzeit nachholen und danach stehst du nicht mehr so schnell auf.

Er liest es, schluckt laut und nickt.

Schwöre es.

„Ich schwöre es.“

Wieder in Freiheit beginne ich langsam zu realisieren, dass das mit den Kelten durchaus hinkommen könnte. Lucien spricht sowieso so geschwollen. Dass sie aus Finnland sind, wird auch immer unrealistischer. Bei genauerer Betrachtung benehmen sie sich äußerst seltsam. Verdammt, ich hab mich wahrscheinlich mit einem waschechten, grapschenden Kelten angelegt. Aber ist das tatsächlich möglich? Ich meine, Zeitreisen, waschechte Kelten. Ich weiß nicht so recht.

„Hope“, lässt mich zusammenzucken. Lucien kommt mir bereits entgegen. Okay, er darf nicht merken, dass ich es weiß.

„Ich habe überall nach dir gesucht. Dein Onkel will dich sprechen.“ Ich nicke. Geistesgegenwärtig zeige auf das Klohäuschen.

„Ich warte solange hier“, sagt er. Wütend stemme ich die Hände in die Hüften und schubse ihn daraufhin weg.

„Ist ja schon gut, ich gehe“, stößt er aus und verschwindet. Verdammt, was mach ich denn jetzt? Unschlüssig drehe ich mich im Kreis, weil ich nicht entscheiden kann, ob ich abhauen oder zurückgehen soll.

Fassen wir mal zusammen: Mein Onkel will mich einer Horde Männern von irgendeiner Sekte oder einem Orden – wie auch immer – als Sklavin im Austausch gegen eine seiner eigenen Töchter anbieten. Und das alles an einem Steinkreis, der mich in eine andere Epoche bringen wird. Bei meinem Glück ins Mittelalter, wo sie Frauen am Scheiterhaufen verbrennen. Ist das nicht illegal? Soll ich die Polizei einschalten? Die würden mir nie glauben. Vor allem, weil sie mich im Dorf dank Lydia für verrückt halten. Ich habe keine Freunde, kann also nirgendwo anders hin. Sie sind in der Überzahl und ich bin nur ein Mädchen. Sieht echt schlecht für mich aus.

Passiert das hier grad wirklich oder ist das nur ein Konstrukt meiner kranken Phantasie? Mann, ist das ein heilloses Durcheinander.

Vollkommen verwirrt suche ich nach meinem Onkel. Er wird mich ja wohl nicht vor allen Leuten zum Steinkreis befördern. Hoffentlich – er schien wild entschlossen.

In der Menge entdecke ich sie dann. Emma und Lydia sehen echt fertig aus. Mein Onkel hat sie gezwungen, mitzukommen. Er will wohl geheim halten, dass es seine Familie getroffen hat, damit niemand stutzig wird, wenn keines seiner „Babys“ verschwindet. Naja – die ängstlichen Gesichter meiner Cousinen verraten es.

Mich würde niemand vermissen. Die Leute im Dorf werden glauben, dass sie einfach Glück hatten, keine Tochter verloren zu haben. Das erklärt auch ihren ausgeprägten Aberglauben – so im Nachhinein gesehen.

Onkel Tim weist seine Töchter von Zeit zu Zeit darauf hin, zu lächeln, was sie auch brav tun. Nur sieht es eher nach einem total verzerrten Grinsen aus.

Ich komme auf sie zu und Onkel Tim lächelt mich sogar an. Seine gespielte Freundlichkeit jagt mir Angst ein. „Hope, schön, dass du uns Gesellschaft leistest.“ Das meint er nicht sarkastisch. Er ist einfach nur nett. Meine Fresse, mein Onkel ist echt zum Fürchten.

Lucien lächelt ebenfalls, wenn auch etwas gequält. Das ist schwieriger, als ich dachte, aber ich erwidere ihr Lächeln. Hoffentlich wirkt es bei mir echter. Scheiße, ich brauche einen Plan – und zwar schnell.

Auf der Bühne, um die sich das gesamte Dorf versammelt hat, tritt jemand vor – sieht aus, wie der Bürgermeister – und zieht an einer Kordel.

Hinter ihm fällt das große Zelt auseinander und entblößt ein komisches Gebilde. Es sieht aus, wie ein langer Geschicklichkeits-Parcours aus Holz, der ein paar, sich bewegende, Special Effects eingebaut hat. So ähnlich muss sich Super Mario fühlen, wenn er durch die virtuelle Welt der Spielekonsole läuft – nur eben in echt. Es gibt riesige hölzerne Hämmer, die zur Seite schwingen und auch Stangen, über die sich Walzen ziehen, die einen so richtig schön zerquetschen können.

„Dies hinter mir ist ein Parcours für die härtesten Männer unter der Sonne Irlands“, erklärt der vermeintliche Bürgermeister. „Wer ihn überwindet, wird reich belohnt. Auf den Gewinner wartet ein kleines aber feines Preisgeld. Traditionsgemäß dürfen alle Männer des Ortes, aber auch unsere Gäste, teilnehmen. Mögen die Spiele beginnen.“

Wow, ich will die Kohle gewinnen, dann könnte ich zurück in die Staaten abhauen.

Viele von den Finnen, die jetzt eindeutig als Kelten identifiziert wurden, treten vor und der Erste geht bereits an den Start. Ihm wird einer der Hämmer zum Verhängnis, der ihn mit einem lauten Knall von dem Ding kickt. Das hat sicher wehgetan.

Der nächste Kelte scheitert an einer der Walzen. Sie schubst ihn von der Stange, von der er sich gerade schwingen wollte.

Mann, ihr müsst einfach wendiger werden. Hier zählt Geschicklichkeit – keine rohe Muskelkraft.

Unbemerkt schleiche ich mich weg. Ich schlüpfe zwischen zwei Kelten in die Schlange der wartenden Teilnehmer. Sie diskutieren gerade Strategien und haben mich gar nicht bemerkt. Erst als ich an der Reihe bin, lachen sie lauthals.

Der Bürgermeister zieht die Augenbrauen hoch. „Das ist nur für Männer, junge Dame. Es ist viel zu gefährlich.“ Ich entreiße ihm das Schreibbrett und kritzle:

Das ist frauenfeindlich!!!! Mal sehen, was Facebook davon hält. Wie war Ihr Name nochmal?

Mit meinen Worten kämpft er sichtlich. Einerseits will er hier nicht als Frauenverächter dastehen, andererseits will er nicht, dass Aufruhr entsteht. Aber vor der Macht der sozialen Medien erstarrt er in Ehrfurcht.

„Also gut, aber auf eigene Gefahr“, gibt er klein bei.

Ich ziehe die Jacke aus und halte sie ihm hin. Genervt reißt er sie mir förmlich aus der Hand. Daraufhin binde ich mein Haar zu einem festen Knoten zusammen.

Mein Auftritt löst schon Aufruhr unter den Zuschauern aus. Onkel Tim brüllt: „Hope, komm sofort da runter!“ Wie immer ignoriere ich ihn. Schnell lockere ich meine Glieder, dann ziehe ich den Pullover aus. Ich vernehme lautes Grölen, was ich durch das Aktivieren meines mp3-Players ausblende. Jetzt ist es offiziell – es sind Neandertaler.

Vor dem Ungetüm warte ich einige Sekunden, um mich zu sammeln. Meine Verbände an den Händen streife ich ab – die kann ich nicht gebrauchen. Nach drei tiefen Atemzügen sprinte ich los.

Die erste Barriere ist eine Glaswand, die es zu überwinden gilt. So etwas Ähnliches habe ich bereits bei Hindernisparcours von Militärakademien gesehen. Erschwerend kommt hinzu, dass sie vollkommen glatt ist. Ich stoße mich an der Seitenwand, an der sie befestigt ist, ab und schraube mich hoch. Glücklicherweise ist sie nicht sehr hoch, also überwinde ich die Barriere ohne Probleme.

Nun tut sich eine Art Abgrund auf. Jeweils in einigen Metern Entfernung gibt es Stangen, an denen man sich rüberkämpfen kann. Wären da nicht die Walzen, die über die Stangen rollen, wär das ganz lustig.

Ohne zu zögern springe ich auf die erste Stange und lasse mich daran rotieren. Meine Hände schmerzen, aber ich beiße die Zähne zusammen. Dann falle ich in einen Spagat und katapultiere mich zu der nächsten. Die Walze rollt genau in dem Moment auf mich zu, in dem ich mich in einem Handstand auf der Stange befinde. Schnell biege mich komplett zurück. Mein Hintern drückt an meinen Hinterkopf und ich mache mich so platt, wie ich kann. Das Teil berührt mich nicht mal und wälzt sauber über mich hinweg. Gut, dass ich so beweglich bin. Manchmal macht mir das selbst Angst, daher verstehe ich die Schreie der Frauen, die über die Musik hinweg in meine Ohren dringen. Wohl schwache Nerven.

Ich schwinge mich zur letzten Stange und lasse mich auf die Plattform fallen.

Jetzt erwartet mich ein gespannter Riemen, wie sie ihn beim Slacklining verwenden. Ich hab das schon mal gemacht und nehme ohne zu zögern Anlauf.

Das Stöhnen der Menge lässt mich lächeln. Mit dem Po voran lasse ich mich in den Riemen hineinfallen und werde hochkatapultiert. Im Flug richte ich mich auf und komme ganz gut darauf zu stehen. Mit meinen Händen versuche ich, mich in Balance zu halten. Im nächsten Moment rutsche ich aber ab und segle in die Tiefe.

Die Zuschauer kreischen wie wild, aber ich habe mich mit einem Bein, das ich um den Riemen geschwungen habe, festgehalten und hänge kopfüber dran. Ich atme tief durch, spanne die Bauchmuskeln an und rolle mich mit Schwung hoch. Jetzt nichts wie runter von hier – mir geht schön langsam die Kraft aus.

Ziemlich wacklig stehe ich auf und strecke die Hände erneut zur Seite weg, damit ich im Gleichgewicht bleibe. Dann springe ich ab und lasse mich erneut mit dem Po voran in den Riemen fallen, bevor ich mich diesmal sauber auf die Plattform katapultiere. Mein Atem geht stoßweise – das hat viel Energie gekostet.

Jetzt bin ich bei den Hämmern angekommen. Da ist noch niemand durchgekommen, was mich aber jetzt nicht sonderlich einschüchtert. Ich versuche mal etwas anderes.

Der erste Hammer schwingt vor meiner Nase. Ich warte zwei Frequenzen ab, dann schnappe ich ihn und hänge mich an das riesige Teil. Er schwingt einige Runden mit mir. Ich drehe mich auf dem Teil um, damit ich mir den nächsten schnappen kann. So schwinge ich von Hammer zu Hammer, bis ich am Ende angelangt bin.

Jetzt muss man sich noch an einem Seilzug von dem Gerät befördern. Es ist nicht sehr hoch, also stelle ich mich mit den Zehen an die Kante und strecke die Arme zur Seite weg.

Im nächsten Augenblick springe ich in einen Rückwärtssalto in die Tiefe und treffe sauber am Boden auf.

Für ein paar Sekunden fühle ich mich in eine Zeit vor dem Tod meiner Eltern zurückkatapultiert und zwar an den Zeitpunkt, als das Bild mit Mum und Dad entstanden ist. Das war mein letzter Wettbewerb, bevor sie starben.

Der Applaus der Menge und der Bürgermeister, der mir den Arm als Sieger in die Höhe reißt, wecken mich aus meinen Erinnerungen. Nur bruchstückhaft bekomme ich mit, dass er mir zwei Fünfhundert-Euro-Scheine in die Hand drückt und mich von der Bühne schubst.

Ich bin immer noch vollkommen außer Atem, als mich Lucien umarmt.

„Das war unglaublich.“ Claire zieht mir den Pullover über die Rübe und lächelt scheu. Onkel Tim schüttelt nur den Kopf. Emma presst ein „Frauenpower“ heraus und ringt sich ein Lächeln ab.

Den Blicken der Kelten weiche ich sicherheitshalber aus, als ich mich unter dem Vorwand, zur Toilette zu gehen, davonmache.

Hinter einer Hütte lasse ich mich in den Schnee fallen und ziehe die Knie an den Körper. Fast brutal reiße ich mir den Haargummi aus der Mähne.

Ich habe aufgehört. Das ist vorbei, sage ich mir immer wieder in Gedanken. Ohne Mum und Dad im Zuschauerbereich ist es nicht mehr dasselbe.

Vor mir landet ein Vogel und dreht den Kopf schief. Ein Rabe – ich werd verrückt. Ich strecke die Hand nach ihm aus. Zu meiner absoluten Verblüffung kommt er näher, schwingt sich auf mein Knie und macht lustige Geräusche, die mich zum Lachen bringen.

Das ist sicher so ein Vogel, den die Touristen mit Essen zahm gemacht haben. Er breitet sogar die Flügel aus und bewegt sie gegengleich. Von einem Moment auf den anderen fliegt er wieder davon. Lächelnd blicke ich ihm hinterher, als er sich in die Lüfte erhebt.

„Hope, kommst du?“ Es ist Lucien, der mir die Hand entgegenstreckt, um mir aufzuhelfen. Ich ergreife sie natürlich nicht – immerhin wird er meinem Onkel dabei helfen, mich an diesen Schwarzen Orden auszuliefern. Das geht ja mal gar nicht.

Er runzelt die Stirn. „Hör zu, wir müssen miteinander sprechen. Kommst du heute Nacht ins Wohnzimmer?“ Ich muss mir das erst überlegen, zucke daher unschlüssig mit den Schultern. Es könnte eine Falle sein. Außerdem wollte ich heute Nacht abhauen.

Wir müssen den Wagen stehenlassen, da man verkündet, die Straßen seien mittlerweile unpassierbar geworden. Als hätte sich das Universum gegen mich verschworen, sind wir auch noch eingeschneit. Sie sagen, der Flughafen ist dicht. So viel zu meinem Plan das Land zu verlassen.

„Gut, dass ich schon eingekauft habe. Weihnachten wäre sonst etwas karg ausgefallen“, ist das einzige Problem, das Claire damit hat. Vergiss Weihnachten – dein Mann will mich am Steinkreis opfern.

Obwohl, heute ist sowieso erst der 21. Dezember. Bis zum 24. Dezember können die Straßen schon wieder frei sein – hoffentlich.

Die Jungs haben am Abend ein Feuer vor dem Haus entzündet und rundherum Baumstämme platziert. Das soll wohl irgendein Brauch sein. Ein keltischer – möchte ich wetten. Schön langsam friere ich mir, trotz der Hitze der Flammen, den Arsch ab.

„Lasst uns Weihnachtslieder singen.“ Wer war das? Wer hat so blöde Ideen?

„Warte, ich hole die Geige“, erklärt Kadien und geht ins Haus. Können wir nicht, wie jede normale Familie, drinnen sitzen und in die Glotze starren? Ich vergaß, sie haben ja keine.

„Ich hole uns die Flöten“, lässt mich die Augen rollen. Emma macht sich schon in Richtung Haus auf, dreht sich aber noch einmal um. „Lucien? Kommst du mit? Ich habe solche Angst“, säuselt sie. Ihr Schoßhündchen tut sogar, was sie verlangt und geht mit.

Mann, ich kann mich nicht erinnern, dass sie von einem knurrenden Einbrecher verprügelt worden wäre. Was soll ich denn sagen? Wenn hier jemand das Recht hat, Angst zu haben, dann ja wohl meine Wenigkeit.

Mir wird gerade klar, dass die Angriffe auf mich etwas mit diesem Schwarzen Orden zu tun haben könnten. Hat mein Onkel den Handel vielleicht längst abgeschlossen? Hm, aber der Typ hat mich gleich in der ersten Nacht, als ich angekommen bin, angegriffen. Da war das Haus noch gar nicht mit dem Kreuz markiert. Echt eigenartig.

Genervt schubse ich die Katze weg, die mal wieder nicht von meiner Seite weichen will.

Als sie zu singen beginnen, intensiviert sich mein unterschwelliger Kopfschmerz. Kadien spielt unsagbar mies. Emma und Lydia mit Flöte sind auch nicht besser.

„Hope, willst du nicht mitsingen?“, fragt mich Tante Claire. Ich schüttle den Kopf und versuche, mir unbemerkt den mp3-Player reinzustöpseln. Keine Chance. Sie haben mich im Visier.

Kadien spielt ein paar irische Lieder. Das ist ja grauenhaft. Er spielt so falsch, dass es mir die Gänsehaut aufzieht. Ich halt das nicht mehr aus. Genervt stapfe ich zu ihm rüber, entreiße ihm das Teil und stimme es erst mal. Kadien starrt mich mit offenem Mund an. Ich fasse es nicht, dass ich das jetzt tue, aber bevor ich noch ein einziges Lied von ihm ertragen muss, spiele ich lieber selbst.

Voller Konzentration schließe ich die Augen und spiele das einzige irische Lied, das ich kenne. Ich erinnere mich, es als Kind immer gespielt zu haben, weil es so fröhlich ist.

Mein Haar lasse ich dabei wild im Takt der Musik durch die Luft schnellen. Die Jungs stoßen Freudenschreie aus, springen auf und tanzen. Die sind wohl auch froh, dass ihm jemand das Instrument entrissen hat.

Als ich ihnen beim Tanzen zusehe, kann ich mich sofort wieder an die Schritte erinnern. Der Tanz hat wohl die Jahrzehnte überdauert und wird selbst in unserer Zeit noch so getanzt. Lachend tanze ich mit. Immerhin bin ich eine waschechte Irin, die hier aufgewachsen ist. Ich hab den Rhythmus im Blut.

Lucien klatscht im Takt. Er singt sogar dazu. Den gälischen Text hatte ich ganz vergessen. Ich konnte die Sprache mal fließend. Glaube ich zumindest. Eigenartig, das hatte ich ganz vergessen.

Auch als ich bereits zu Ende gespielt habe, tanzen wir weiter. Mittlerweile hat Kadien die Geige wieder übernommen und spielt für uns.

Der alte Volkstanz ist leicht. Die Jungs nehmen mich in die Mitte. Gleichzeitig hüpfen wir zu der Musik. Das macht so viel Spaß, dass ich die Welt um mich herum vollkommen vergesse.

Befreit drehe ich mich im Kreis vor dem Feuer. Erst viel zu spät bemerke ich, dass die Jungs bereits stehengeblieben sind. Mit offenen Mündern starren sie auf das Feuer hinter mir.

Blitzschnell drehe ich mich um und erkenne, dass die Flammen wie ein kleiner Tornado rotieren. Mit dem nächsten Wimpernschlag ist es vorbei. Wow, ich hab schon Windhosen gesehen, die dasselbe mit Stroh gemacht haben, aber bei Feuer wirkt das noch spektakulärer.

„Daddy, hast du gesehen, was der Wind mit dem Feuer gemacht hat?“, ruft Lydia begeistert. „Ja, das war toll.“ Kriegt euch wieder ein.

Plötzlich zerreißt ein Schrei die Stille. Emma hat die Hände vor den Mund geschlagen und starrt mit angstgeweiteten Augen in Richtung Wald. Dort steht die schwarze Gestalt mit Kapuze. Ha! Jetzt haben sie den Einbrecher auch endlich gesehen. Ich bin also doch nicht verrückt.

Lucien springt an meine Seite und zieht mich hinter sich. Tristan und Kadien schnappen sich meine Cousinen.

Bei Onkel Tim hat Schockstarre eingesetzt. Meine Tante hyperventiliert und bricht vollkommen fertig zusammen. Die kurze Ablenkung hat die Gestalt genutzt, um wieder im Wald zu verschwinden. Mein Onkel versucht, Claire zu beruhigen, doch sie ist völlig apathisch. Meine Cousinen pressen sich schluchzend an ihre Beschützer.

„Los, rein ins Haus.“ Lucien zerrt mich am Arm die Einfahrt entlang, aber ich wehre mich dagegen. Hey, ich kann alleine laufen.

Er fackelt nicht lange. Kurzerhand hebt er mich über seine Schulter. Das ist so neandertalermäßig, dass ich keuche und wie wildgeworden zapple. Ich weiß ja nicht, wo du herkommst, aber das geht gar nicht. Wir sind hier nicht im Mittelalter. Das ist das 21. Jahrhundert, mein Freund, da schlägt man Frauen nicht einfach so über die Schulter. Lucien trägt mich, vollkommen unbeeindruckt von meiner Gegenwehr, die Stufen hoch. Erst im Zimmer meiner Cousinen lässt er mich runter.

„Du bleibst hier“, herrscht er mich an und sperrt mich mit den zwei Heulbojen, die sich wimmernd im Arm halten, ein. Energisch rüttle ich an der von außen verschlossenen Türe.

Jetzt geht er echt zu weit. Freiheitsberaubung ist eine Straftat.

Fuchsteufelswild stapfe ich zum Fenster und stoppe in der Mitte des Raumes. Die Gestalt steht draußen. Einen Wimpernschlag später zerspringt das Glas mit lautem Krachen in tausend Stücke, da sich der verrückte Umhangträger gerade hindurch katapultiert hat.

Das Kreischkonzert meiner Cousinen zerreißt mir förmlich das Trommelfell, während ich dem Einbrecher direkt gegenüberstehe. Sein Blick wandert von einem Mädchen zum anderen und stoppt dann bei mir. Er hat sich wohl entschieden, denn er kommt auf mich zu.

So, jetzt reichts, nicht schon wieder. Ich springe hoch, bekomme den Deckenbalken zu fassen, an dem ich mich zuerst hoch und dann darüber schwinge. Die gewonnene Rotationsenergie nutze ich dazu, ihm mit voller Kraft meine Beine in den Magen zu stoßen. Die Wucht des Aufpralls katapultiert ihn durch den Raum. Er nimmt den umgekehrten Weg zurück durchs Fenster, von wo er hereingekommen ist.

Meine Hand rutscht ab. Reichlich unsanft lande ich auf meinem Rücken, sodass mir die Luft wegbleibt. Anscheinend sind die Jungs während meines Fluges hereingepoltert, denn Lucien taucht sofort über mir auf. „Hope. Ist alles in Ordnung?“ Wonach siehts denn aus? Ich huste sogar vor Schmerz.

„Wow, du musst mir unbedingt zeigen, wie das geht“, brüllt mir Tristan ins Ohr, der unentwegt an meiner Schulter rüttelt. Ein anderes Mal vielleicht, ich bin grad am Krepieren.

„Kannst du aufstehen?“, will Lucien wissen. Schwerfällig rapple ich mich hoch. Emma wirft sich in Luciens Arme und schluchzt: „Ich hatte solche Angst. Halt mich fest.“

Genervt humple ich, vorbei an meinem Onkel, der panisch auf das Loch in seinem Haus starrt, wo vor ein paar Minuten noch ein Fenster war, aus dem Zimmer.

Ich hatte solche Angst, spotte ich in Gedanken. Halt mich fest. Mann, die würden keine zwei Sekunden in New York überleben.

Tristan ist mir dicht auf den Fersen und labert mich voll: „Wie du dich um den Balken geschwungen hast, da dachte ich, du willst dich da oben verstecken, aber als du ihn dann aus dem Fenster befördert hast – um das noch einmal zu sehen, würde ich zehn Goldstücke bezahlen.“ Er hält inne, als ich ihn mit zusammengekniffenen Augen ansehe und korrigiert: „Also Geld, meine ich. Dafür würde ich viel Geld bezahlen.“ Ha – er hat sich verraten. Glücklicherweise hat Kadien bereits ausgepackt, daher ignoriere ich ihn, während er aus dem Räuspern nicht mehr herauskommt. Das ist alles ein einziger Alptraum.

Nachdem alle zu Bett gegangen sind – Emma und Lydia schlafen übrigens bei ihren Eltern – tigere ich aufgebracht in meinem Zimmer auf und ab.

Okay, soll ich wirklich Luciens Einladung folgen und runtergehen? Ich kann ihm nicht trauen, aber ich muss herausfinden, ob er meinem Onkel helfen wird, mich zum Steinkreis zu verfrachten. Ach, drauf geschissen, ich riskiers.

Ich schleiche mich ins untere Geschoss. Am Fuße der Treppe vernehme ich bereits aufgebrachtes Flüstern der Jungs. Sie sind im Wohnzimmer und scheinen in eine angeregte Diskussion vertieft zu sein.

Ich verstecke mich hinter den Jacken der Garderobe, die sich gleich neben der Tür des Wohn-Essbereiches befindet, und spitze die Ohren.

„… mal, wie viel sie wert ist. Die Belohnung, die die Inquisition zahlt, wenn wir sie ausliefern, könnten wir gut gebrauchen.“ Tristan. Na wunderbar, die nächsten Kelten, die hinter mir her sind.

„Und wenn sie doch nicht besessen ist?“ Kadien. Besessen? Ich weiß schon, jetzt treten sie die Teufelsgeschichte wieder breit.

„Wieso sollte er sonst seinen Sohn schicken, um sie zu holen. Außerdem hast du doch gehört, dass sie den Teufel auf dem Körper trägt. Hast du das Feuer nicht gesehen? So etwas ist wider der Natur.“ Lucien. Wessen Sohn kommt mich holen?

„Aber was ist mit Tims Plan?“ Kadien.

„Ich habe noch nicht zugestimmt, ihm dabei zu helfen.“ Lucien.

„Wie willst du sie hinter dem Rücken des Schwarzen Ordens in unsere Welt schaffen?“ Kadien.

„Wir brauchen zunächst einen Plan.“ Lucien.

„Wir müssen es auf jeden Fall vor der Übergabe tun. Wenn sie der Schwarze Orden in die Finger bekommt, können wir die Belohnung vergessen.“ Tristan. Belohnung?

„Wann hat Tim vor, sie auszuliefern?“ Kadien.

„Weihnachten um Mitternacht.“ Lucien. Gut zu wissen.

„Und wenn wir sie jetzt gleich holen?“ Tristan.

„Nein, das ist zu riskant.“ Lucien.

„Ich bin dafür, dass wir ihr eine überbraten und sie so schnell wie möglich der Inquisition übergeben. Sie betet den Teufel an. Die Welt muss von ihnen gesäubert werden.“ Kadien. Eine überbraten? Inquisition? Gesäubert? Die haben sie nicht mehr alle.

„Nein, wir mischen ihr das Schlafpulver ins Glas und stehlen sie, bevor Tim sie ausliefern kann.“ Lucien. Das ist ja ein teuflischer Plan.

„Wie willst du sie schlafend aus dem Haus schaffen? Tim bewacht jeden Ausgang.“ Kadien.

„Ich werde sie aus dem Haus locken, bevor das Pulver die volle Wirkung entfaltet hat.“ Lucien.

„Und wie?“ Kadien.

„Ich werde ihr schöne Augen machen und sie unter einem Vorwand hinauslocken.“ Ph. Wers glaubt.

„Aber küsse sie bloß nicht. Wer weiß, ob der Teufel dann in dich fährt.“ Tristan. Was für Trantüten.

„Bist du von Sinnen, Tristan?“ Lucien.

„Ich sage es nur. Dein Ruf eilt dir voraus, wie man an unserem Clan sieht. Dir werfen sich ja die Weiber reihenweise an den Hals.“ Tristan. Ich wusste es. Wie bereits vermutet, ist Lucien einer der Sorte Herzensbrecher.

„Aber ist das nicht gegen den Pakt? Wir sollen die Töchter doch davor beschützen, gestohlen zu werden.“ Wieder Tristan.

„Ihr bleibt bei den Zwillingen. Ich bringe Hope in unsere Welt. Sie ist keine Tochter von hier, sie ist eine Verrückte, die den Teufel anbetet. Deshalb war sie wahrscheinlich auch in einem Irrenhaus. Ich schütze diese Welt durch diesen Akt. Der Pakt bleibt ungebrochen.“ Lucien. Hey, ich bin nicht verrückt – naja vielleicht ein bisschen.

Gerade ist irgendein Dekoartikel, der an der Wand befestigt war, krachend zu Boden gesegelt. Mein Herz bleibt fast stehen.

„Was war das?“ Oh, oh. Sie stürmen in den Flur und machen Licht. Ich bin zwar gut versteckt, aber wenn einer von ihnen näherkommt, findet er mich bestimmt. Dann braten sie mir gleich hier und jetzt eins über.

Noch drei Schritte trennen einen der Jungs von mir. Er macht keine Anstalten, zu stoppen. Verdammt, was mach ich denn jetzt? Noch zwei Schritte. Noch ein Schritt.

Plötzlich miaut etwas laut. „Nur die Katze“, informiert Tristan seine Kameraden. Ich atme erleichtert auf. Das war haarscharf.

Sie gehen sogleich zu Bett. Ich warte noch in meinem Versteck, bis die Luft rein ist, dann schleiche ich den Flur entlang. Glücklicherweise kenne ich ihren Plan. Den taktischen Vorteil werde ich für mich nutzen und ihnen zeigen, was passiert, wenn man sich mit einer Verrückten anlegt.

An der Treppe mache ich kehrt und tue so, als wäre ich gerade erst hinuntergekommen.

Im nächsten Augenblick mache ich im Wohn-Essbereich Licht. Lucien schreckt hoch und zieht sich schnell ein T-Shirt über die nackte Brust. Korrigiere: Seine nackte, echt beeindruckende Brust.

„Hope? Was willst du hier?“ Halloooo? Du hast mich eingeladen? Nicht zu fassen, dass er es vergessen hat.

Ich schnappe mir den Block und kritzle:

Du hast mich hergebeten. Aber schon gut. Es war wohl nicht so wichtig, wenn du es bereits vergessen hast.

Ich drehe mich um. Gerade will ich den Raum verlassen, da hält er mich zurück: „Warte. Verzeih mir, ich hatte es tatsächlich vergessen.“

Ich schreibe: Was gibt’s?

Er scheint zu überlegen und antwortet: „Ich wollte nur wissen, ob ich etwas für dich tun kann. Du hast es alleine mit dem Angreifer aufgenommen. Du musst total verängstigt sein.“ Mann, was für eine Story. Als er mich um das Treffen gebeten hat, war das mit dem Angriff noch gar nicht passiert. Es ist also ein Vorwand.

Ich schreibe: Du bist ein schlechter Lügner.

Er reißt die Augen auf. Nach einer Schrecksekunde fährt er sich ungestüm durchs Haar. Dann sagt er: „Also gut. Die Wahrheit ist, ich bin in dich verliebt.“ Mann, das kam so emotionslos rüber, dass ich es ihm nicht mal abgekauft hätte, hätte ich ihr Gespräch vorhin nicht belauscht.

Lucien runzelt die Stirn und stößt ein „Du scheinst von meinem Geständnis nicht überrascht zu sein“ aus.

Ich schreibe: Das haben mir schon viele Jungs gesagt – keiner hat es jemals ernst gemeint.

Okay das ist gelogen – so etwas hat noch nie jemand zu mir gesagt.

„Mir ist es ernst, Hope.“ Ja genau. Und ich bin Mary Poppins. Das wird ein Spaß.

Ich kritzle: Dann beweise es und küss mich.

Er ist sichtlich vor den Kopf gestoßen. Vollkommen im Zwiespalt, ob er kneifen oder riskieren soll, sich den Teufel zu holen, rauft er sich die Haare. Ich könnte losbrüllen vor Lachen. Ihm bricht sogar der Schweiß aus.

„Meine Erziehung erlaubt es nicht. Bevor ich das tun werde, muss ich dir den Hof machen“, ist sein lahmer Versuch, sich aus der Situation zu retten.

Blödsinn. Du hast Schiss, sonst gar nichts.

Er lächelt überlegen. „Ich habe vor gar nichts Angst“, stößt er mit stolzgeschwellter Brust aus. Ja, da bricht wieder der Kelte durch.

Ich lächle und kritzle: Ich bin nicht interessiert.

Verblüfft liest er die Zeilen. „Was bedeutet das?“ Sieht so aus, als wäre ihm so etwas noch nie passiert, also kläre ich ihn auf:

Es bedeutet genau das, was es bedeuten soll. Gute Nacht, Lucien.

Ohne mich noch einmal umzudrehen, trete ich grinsend aus dem Raum. Du willst Spielchen spielen, also spielen wir. Und ich bin am Zug.


Wer braucht schon Zauberworte?

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