Читать книгу Lass die Sterne nach dir greifen - Marie Lu Pera - Страница 3
Kapitel 1
ОглавлениеEin abartig lautes Donnergrollen reißt mich aus dem Schlaf. Augenrollend kicke ich die Alufolie vom Bett, mit der mich Grandpa John vor Strahlung schützen wollte, als er sich hier – schon wieder – mitten in der Nacht reingeschlichen hat. So viel zu Privatsphäre.
Nachdem ich ihn damit konfrontiert habe, er könnte mich ja mal theoretisch mit einem Jungen hier drin erwischen, hat er nur gemeint: „Ich hab genug Alufolie im Haus.“ Das muss man sich mal vorstellen.
Er ist von der fixen Idee besessen, dass es Außerirdische auf mich abgesehen haben – als ob die Alufolie aufhalten würde.
Zugegebenermaßen ist er etwas schräg drauf, um es gelinde auszudrücken, aber ich hab ihn trotzdem gern. Immerhin hat er mich bei sich aufgenommen.
Blöderweise hab ich mein Gedächtnis verloren, als mich ein Truck angefahren hat. Zumindest glaube ich, dass das passiert ist – kann mich nicht erinnern.
Grandpa John hat mich an der Straße gefunden – ich war wohl etwas angeschlagen und hab wirres Zeug gefaselt. Ihm gehört auch die Farm, auf der ich jetzt lebe, nachdem alle Versuche, mich zu identifizieren, gescheitert sind.
Naja, die Kenntnis meines Namens würde vieles erleichtern, aber irgendwie ist er mir entfallen, was das Ganze zur sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen macht. Genaugenommen erinnere ich mich an gar nichts, was vor dem Unfall passiert ist. Nada – nichts. Totale Mattscheibe.
Hab sogar das ABC vergessen und musste neu schreiben lernen. Erste Klasse ich komme, sag ich nur.
Seitdem ist der Farmer John mein Grandpa John, der mich – in alter Alienhunter Manier – nach meinem Fundort benannt hat: Texas.
Nein, das ist kein Scherz und nicht mal die Tatsache, dass ich kein grünes Männchen bin, hat ihn davon abgehalten, mir den Namen zu verpassen. Naja, ich sehs positiv – zumindest heiße ich nicht Route 66 oder Las Vegas.
Ein Poltern, das durchs Haus hallt, lässt mich vom Bett hochfahren. Okay, sag nicht, John, alias der verrückte Professor, geistert noch immer durchs Haus. Der Wecker steht auf drei Uhr morgens. Prima.
Ich raufe mir die kurzen, braunen Haare, schlage energisch die Bettdecke zurück und stapfe die Treppen des kleinen, schäbigen Farmhauses hinunter. Aus dem Spalt der Kellertüre flackert blaues Licht in unregelmäßigen Abständen. Oh, John ist in seinem „Labor“ zugange. Da ist normalerweise Eintritt verboten, aber da sehen wir mal einfach großzügig darüber hinweg.
Ich stoße die Türe auf und schleppe mich verschlafen nach unten. Dort finde ich Grandpa John natürlich – wie kann es auch anders sein – an seinen Geräten fummelnd vor, die er aus Schrottteilen zusammengezimmert hat. Er hat eins dieser Aluhütchen auf dem Kopf, womit er wie ein absoluter Vollidiot aussieht.
Mein „John?“ lässt den hageren Sechsundsechzigjährigen mit den, in alle Richtung abstehenden, weißen Strubbelhaaren zusammenzucken und sich blitzschnell zu mir umdrehen. Seine runde Brille sitzt schief auf seiner Knubbelnase.
Er sieht echt zum Fürchten aus. Der Schweiß steht ihm auf der Stirn und er fährt sich nervös durch die Haare.
„Wo ist deine Alufolie?“, prustet er haareraufend.
„Gegenfrage: Wo sind die bunten Pillen, die dich so schön beruhigen?“, kontere ich, was ihn wütend macht. Okay, das ist neu. Normalerweise kann seine gute Laune nichts trüben.
„Sie kommen“, flüstert er verschwörerisch.
„Wer?“, frage ich.
„Na die Aliens“, krächzt er, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank, weil ich so eine absolut dämliche Frage stelle.
„Ah, wieder mal. Naja, dann stell ich einfach mehr Kakao auf. Wollen die Kekse? Ich hab die krümeligen mit Schokolade oder die mit Nüssen. Vielleicht lieber doch die mit Schokolade. Womöglich sind die allergisch und kriegen eklige, grüne Pusteln“, erwidere ich.
Ihn davon zu überzeugen, dass Aliens nicht existieren, bringt nichts – hab alles versucht. Es ist leichter, einfach mitzuspielen.
Grandpa John kommt auf mich zu und packt mich an den Schultern. „Du musst dich verstecken. Sie kommen, um dich zu holen.“
„Oooookkkkayyy, gut, ich versteck mich in der Küche“, schlage ich vor und haue ab, bevor er die Alufolie rausholt. Das Zeug ist sicher krebserregend.
Sein „Nein, da finden die dich. Wir müssen von hier verschwinden“ ignoriere ich mal eben, doch er hält mich am Arm zurück und verpasst mir eins seiner Aluhütchen.
„Ich bin sicher, jeder, der mich entführt, gibt mich spätestens morgen wieder zurück“, will ich ihn schulterklopfend beruhigen, winde mich aus seinem Griff und lasse das Aluhütchen auf dem Weg zur Küche verschwinden. Dafür ist jetzt das ausgestopfte Faultier im Flur, das John bei einer Australienreise ergattert hat, optimal geschützt.
In der Küche angekommen, muss ich feststellen, dass der Strom ausgefallen ist. Na toll, matschiger Kühlschrankinhalt, was gibt es Schöneres.
Mein Grandpa hat unten einen alten Generator stehen. Damit seine „empfindlichen“ Geräte immer mit Strom versorgt werden. Er hätte ruhig mal den Kühlschrank mitanschließen können. Wenn das kein empfindliches Gerät ist, weiß ich auch nicht mehr.
Draußen herrscht Weltuntergangsstimmung. Immer wieder zucken Blitze durch das nächtliche Texas und das Donnergrollen geht einem durch Mark und Bein. Hoffentlich braut sich da kein Hurrikan zusammen.
Auf dem Weg zum Sicherungskasten knalle ich mit Grandpa John zusammen, der aufgebracht herumwuselt und mich damit jetzt schon nervt.
Sein theatralisches „Ich opfere mich“, lässt mich die Augenbrauen hochziehen. Als er schon zur Vordertür stapft, hechte ich hinterher und kralle mir seinen Arm.
„Spinnst du, John? Bleib im Haus. Das ist Wahnsinn, dort rauszugehen. Zum Schluss schlägt noch ein Blitz in dein Aluhütchen ein“, versuche ich, auf ihn einzureden.
Er schüttelt mich so energisch ab, sodass ich an die Flurwand knalle. Wow, neuer Highscore seiner Obsession wurde soeben erreicht.
Meine kurze Irritation nutzt er, um abzuhauen. Okay, jetzt macht er mir echt Angst. Fuchsteufelswild folge ich ihm nach draußen.
„JOHN, DU KOMMST JETZT SOFORT WIEDER INS HAUS!“, brülle ich ihm hinterher, während ich gegen die Sturmböen ankämpfe, die mich beinahe von den Socken hauen. Bei so einem Wetter jagst du nicht mal die Aliens raus.
Ich glaubs nicht, dieser Spinner hüpft leichtfüßig im Pyjama, Bademantel und Schlappen übers Feld und winkt in den Himmel. Dabei ruft er etwas, das ich nicht verstehen kann. Jetzt
dreht er echt vollkommen durch.
Blitze, die in unmittelbarer Nähe einschlagen, lassen mich aufschreien und blenden mich bis zur Schmerzgrenze.
Falls dort tatsächlich ein Alien-Raumschiff schwirrt, drehen die beim Anblick von zwei bekloppten Erdlingen, von denen eine einen Hello Kitty Schlafanzug trägt und der andere ein offensichtliches Realitätsproblem hat, sicher sofort ab. Oder sie finden sowieso nur verkokelte Überreste von uns vor, wenn uns gleich ein Blitz lebendig grillt.
Zumindest können sie unsere Körper später leicht identifizieren. John ist der mit dem Aluhütchen auf der Birne. Okay, das war abartig.
Als ich Grandpa John endlich ganz oben auf dem kleinen Hügel unserer Farm, den man bei Gewitter lieber meiden sollte, erreicht habe, folge ich seinem geschockten Blick, der aufs Feld gerichtet ist.
Okay, krass – ein Kornkreis. Runde Muster, die in unregelmäßigen Abständen von den Blitzen erhellt werden, haben unseren Weizen geplättet. Das darf doch nicht wahr sein. Warte mal, die hab ich doch schon mal irgendwo gesehen. Wahrscheinlich auf einem Bild im Internet.
Ich halte Ausschau nach irgendwelchen Serientäter-Trekkies, die hier eine Spur der Verwüstung ziehen, sehe aber im Licht der Blitze niemanden. Die sind sicher schon längst über alle Berge. Oder das hat eine Windhose angerichtet. Die sind hier keine Seltenheit.
Das gibt John sicher wieder Kanonenfutter für seine Alientheorie, die wohl in die nächste Phase übergeht, da er „Sie sind schon gelandet“ stammelt.
Augenrollend packe ich ihn am Kragen und will ihn vom Hügel ziehen. „John, ein für allemal. Es gibt keine Aliens. Und wenn, dann schlägt sie der Anblick deines löchrigen Pyjamas sicher in die Flucht. Sowas haben die noch nicht gesehen. Danach erklären sie die Erde sicher zur Assimilationszone.“ Okay, unglaublich, dass ich in so einem Moment noch spotte.
Als ich zum Haus zurückblicke, erkenne ich eine schwarze Gestalt, die gerade zur Vordertür rauskommt. Mir bleibt fast das Herz stehen.
„EINBRECHER!“, brülle ich und will schon zur Scheune laufen, in der wir eine Schrotflinte aufbewahren, da klammert sich Grandpa John von hinten an meinen Körper.
„SIE SIND HIER. LAUF“, brüllt er mir ins Ohr, was mich die Augen zusammenkneifen lässt.
„Die räumen uns die Bude aus, wenn wir nicht was tun“, wehre ich mich. „Lass los, John.“ Dieser Verrückte lässt einfach nicht los.
Der Kornkreis war wahrscheinlich nur ein Ablenkungsmanöver, um uns rauszulocken. Der Stromausfall auch.
Zu meinem absoluten Horror kommt der Einbrecher im nächsten Moment schnell übers Feld gelaufen – direkt auf uns zu. John zerrt mich hinter sich und verpasst mir einen Stoß, der mich zurücktaumeln lässt.
„LAUF!“, beschwört er mich erneut.
„Ich lass dich doch nicht mit dem allein“, widersetze ich mich.
„Ich habe Hilfe gerufen, aber ich weiß nicht, wie lange es dauert, bis sie hier sind. Ich halte ihn auf, solange ich kann. Lauf!“, ruft er und schubst mich wieder von sich weg.
„Du hast die Bullen gerufen?“, krächze ich, weil der Typ schon so nahe bei uns ist.
„Nein, die Aliens“, erklärt er. Was? Wie kann er in so einem Moment immer noch solch wirres Zeug faseln?
„LAUF!“, ruft er und stürzt sich auf den ankommenden Typen, der so eine Art Motorradkleidung mit schwarzer Kapuze trägt. Der Typ erinnert mich irgendwie an Ghost Rider.
In meiner Panik bin ich wie erstarrt und kann nur dabei zusehen, wie der Einbrecher Grandpa John weit von sich schleudert. Mir steht der Mund offen, denn der Typ muss Superman sein, um einen Menschen so weit werfen zu können.
„Oder ein Alien“, meldet sich die böse Stimme in meinem Kopf zu Wort.
Obwohl es total irrational ist, den Blick von seinem Angreifer abzuwenden, sehe ich zu John rüber, der leblos im Feld liegt. Sein Aluhütchen reflektiert das Licht der Blitze. Ob es ihm gutgeht?
Der Arm des Motorrad-Jack-the-Rippers schnellt vor. In einer Kurzschlussreaktion gehe ich brüllend auf den Kerl los und schlage mit den Fäusten auf ihn ein. Seine Brust ist so hart, als wär er aus Plastik.
Bei mir hat reiner Instinkt Grundfunktionen übernommen, was nur mehr im Entferntesten etwas mit überlegtem Handeln zu tun hat. Ich kreische mir die Seele aus dem Leib und trete um mich, aus Angst, mein letztes Stündlein hätte gerade geschlagen.
Er braucht mich nur leicht anzurempeln, um mich von den Socken zu hauen. Ich schlage hart auf dem Rücken auf, was mir die gesamte Luft aus meinen Lungen quetscht.
Dabei habe ich mich im Fall in seine Jacke gekrallt, die etwas aufgesprungen ist. Darunter blinken LEDs und im Licht der Blitze erkenne ich elektronisches Zeugs.
Drehen die hier den Terminator? – ist das absolut Dämlichste, was einem in so einem Moment durch den Kopf gehen kann.
Der Typ beugt sich über mich und will nach mir schnappen, da rolle ich mich weg und versuche, mich aufzurichten. Da mein Blick vor meinen Augen immer wieder verschwimmt, gestaltet sich das als relativ schwierig.
Noch dazu spüre ich, wie sich eine Hand um meinen Arm schließt. Das lässt mir grad das Blut in den Adern gefrieren. Vor allem, weil er seinen Handschuh verloren hat und ich Roboterfinger um mein Ärmchen erkennen kann, was mich erneut total durchdrehen lässt. Ich kann nicht mal mehr schreien, als er mich zu sich heranzieht.
Plötzlich schlägt ein Blitz ganz in der Nähe von uns im Feld ein. Der Kerl lässt mich ebenso blitzschnell los, was mich zurücktaumeln und erneut hinfallen lässt.
Die Elektrizität spürt man förmlich in der Luft prickeln. Über seinen Körper ziehen sich feine, blaue Blitze. Mir stellen sich die Haare auf und Gänsehaut zieht in Wellen über meinen Rücken.
Bevor ich kapiere, was hier gerade läuft, fällt der Typ wie ein steifes Brett um – und das meine ich nicht sprichwörtlich.
Mein Atem geht stoßweise. Sekundenlang blicke ich auf den kaputten Roboter vor mir, bevor ich ein paar Mal energisch blinzle und mich hochdrücke.
Ich stolpere immer wieder über meine eigenen Füße, während ich auf Grandpa John zulaufe, der sich immer noch nicht rührt.
„JOHN!“, brülle ich und zerre an seinem Pyjama, der total verkokelt ist. Auf meinen Fingern spüre ich schwarzen Staub, bevor eine Salve Blitze den Nachthimmel erhellt und mir das ganze Ausmaß des Horrors offenbart. Ich schreie laut auf und schlage mir die Hand vor den Mund.
„Neeeeeiiiiiinnnn“, hauche ich gequält.
Die Haut meines Grandpas ist schwarz, als wär er bei lebendigem Leibe verbrannt und er riecht auch so. Ein Blitz hat ihn getroffen. Mit schier übermenschlicher Kraft versuche ich, die Tränen zurückzuhalten. Vergeblich.
Mein Schluchzen vermag nicht über das Donnergrollen hinweg zu klingen, das jetzt von sintflutartigen Regenfällen untermalt wird. Im nächsten Moment balle ich die Fäuste und zwinge mich dazu, mich zusammenzureißen.
Ein Blick auf meinen Angreifer verrät mir, dass er noch außer Gefecht ist. Was, wenn er aufwacht?
Ich dränge die Tränen zurück und sprinte zur Scheune rüber. Purer Überlebensinstinkt hat überhandgenommen.
Da ist nur ein Gedanke, der mir unentwegt im Kopf herumgeistert: Hatte John die ganze Zeit über recht?
Wenn das tatsächlich – unfassbar, dass ich das jetzt denke – ein Terminator-Alien ist, der gekommen ist, um mich zu holen, hab ich schlechte Karten. Okay, jetzt fang ich auch schon an, zu spinnen.
Dafür gibt es sicher eine absolut plausible Erklärung. Mir fällt jetzt zwar keine ein, denn wenn das ein Filmset wäre, hätten die sicher eine Drehgenehmigung von uns eingefordert und mich würde ein Regisseur gerade zur Schnecke machen, weil eine Hello-Kitty-Pyjama-Figur in seinen Streifen platzt, die gar nicht im Drehbuch vorkommt.
Mit zitternden Fingern öffne ich die Truhe und krame nach der Schrotflinte. Die Schachtel mit den Patronen verstreue ich mal eben über den gesamten Scheunenboden, so unkoordiniert sind meine Bewegungen.
Mit bebendem Körper fische ich nach den Patronen, mit denen ich die Waffe lade. Mein Grandpa hat mir verboten, mit Waffen zu hantieren, aber das ist hier sowas wie Freizeitsport, also bin ich hinter seinem Rücken zur Schießbude gegangen.
Ich bin so fertig, dass mir ein gequälter Laut entweicht. Dabei läuft mir ein Strom Tränen über die Wangen. Ich realisiere langsam, dass er da draußen liegt und nicht mehr aufwacht.
Okay, reiß dich zusammen, Texas. John hätte nicht gewollt, dass ich mich von so einem Roboter unterkriegen lasse.
Das Klacken der Flinte gibt mir Kraft, um in den strömenden Regen hinauszutreten. Zu meinem absoluten Horror ist der Roboter weg. Die Blitze zucken immer noch über den Nachthimmel, sodass ich es erkennen kann.
An seiner Stelle stehen nun drei Typen mit schwarzen Kapuzen und Kampfanzügen, die die Umgebung mit ihren Blicken absuchen. Und die sehen ganz und gar nicht so aus, als wären sie von der hiesigen Armee. Einer davon kniet über meinem Grandpa.
Das ist wahrscheinlich Verstärkung, die nachsehen kommt, wo ihr Freund geblieben ist. Sie haben mich natürlich sofort entdeckt.
Ohne zu überlegen, lege ich die Waffe an und ziele den Kerl, der sich von der Gruppe gelöst hat und auf mich zukommt.
Ich erkenne gerade, dass es absolut was anderes ist, auf ein Lebewesen zu schießen, anstatt auf Dosen oder Tontauben. Dementsprechend zögerlich ruht mein Finger auch am Abzug. Ich kann das nicht.
Die Bilder des Roboters und meines Grandpas tauchen wieder vor meinem geistigen Auge auf und lassen mich einen Warnschuss abgeben. Vielleicht treibt sie das ja in die Flucht.
Über das Donnergrollen hinweg ertönt der Schuss gefolgt vom Rückstoß, der mich etwas zurücktaumeln lässt.
Das Projektil schlägt direkt am Boden vor den Füßen des Kerls ein, der kurz stehenbleibt, an seinem Körper herabsieht, aber scheinbar total unbeeindruckt weiterläuft.
Moment, trägt er etwa eine kugelsichere Weste und ist sich sicher, dass ihm die Waffe nichts anhaben kann? Sind die etwa doch vom Militär? Vielleicht von einem Spezialkommando.
Ja, denen ist womöglich der Roboter aus Area 51 entwischt und da ich alles mitangesehen habe, machen die mich jetzt kalt. Den Roboter haben sie sicher vorhin weggepackt, als ich in der Scheune war.
Die sind hier, um alles zu vertuschen – die Zeugen zu beseitigen – lässt mich erneut scharf die Luft einziehen. Der Aufräumtrupp. Höchste Geheimhaltungsstufe. Men in Black mit Blitzdingsgeräten, die alle Spuren unserer Existenz beseitigen – okay, jetzt geht meine Phantasie mit mir durch.
„Oder es sind die Aliens, die den Roboter geschickt haben und jetzt gekommen sind, um den Scheiß selbst zu machen, weil Grandpa John sie mit seinen Instrumenten auf sich aufmerksam gemacht hat“, wendet die böse Stimme wieder ein, die mich die Waffe erneut laden lässt.
Ich lege sie an, da erkenne ich, dass der Typ ebenfalls eine Waffe gezückt hat, die er auf mich richtet. Scheiße.
Im letzten Moment kann ich mich durch einen Hechtsprung hinter den Traktor retten, bevor mich der gebündelte Lichtstrahl, der ins Scheunentor einschlägt, getroffen hätte.
Okay, was ist das für eine abartige Waffe? Ich hab gehört, dass das Militär mit Laserstrahlen herumexperimentiert, aber dass die schon so weit sind, hätt ich nie gedacht.
Wieder ein Punkt, der für die Alientheorie spricht. Nein, ich halte an der Militärgeschichte fest, zumindest wär meinem gesunden Menschenverstand das bedeutend lieber.
Da die sicher auch Nahkampftechniken draufhaben, mit denen ich nicht im Geringsten mithalten kann, brauch ich schnell irgendeinen Plan. Mehr, wie mit vollen Hosen wegrennen, will mir aber beim besten Willen nicht einfallen, was ganz schön dämlich wäre, da die sicher bei Weitem schneller sind als ich.
Kurzerhand nehme ich all meinen Mut zusammen, steige von hinten auf den Traktor, den ich sogleich starte und das Flutlicht anwerfe, das ihn so richtig schön blendet, da er die Hand schützend über seine Augen hält.
Ich gebe Vollgas – was bei dem alten Ding nicht wirklich schnell ist – und rolle auf ihn zu. Relativ unbeeindruckt bleibt er einfach stehen, so als würde er jederzeit damit rechnen, dass ich kneife, bevor ich ihn plattmache. Das wird nur nicht passieren. Hoffentlich.
Ich fixiere das Gaspedal mit der Schrotflinte und springe aus dem fahrenden Gefährt, nur um hinter dem Ungetüm davon zu sprinten.
Dass ich noch zu solch überlegten, kriegerischen Manövern fähig bin, wundert mich selbst am meisten. Eigentlich sollte ich heulend in der Scheunenecke kauern und um mein Leben betteln. Das ist sicher das Adrenalin, das durch meinen Körper schießt. Naja, es gibt Beispiele, wo Leute im Angesicht des Todes Superkräfte entwickeln. Schneller laufen zu können, wär jetzt nicht schlecht oder fliegen.
Da ich keine Schuhe anhabe, graben sich die spitzen Steine, die aus dem matschigen Untergrund ragen, in meine Fußsohlen, was mir grad sowas von scheißegal ist.
Die Bilder vom verbrannten Körper meines Grandpas schießen mir wieder durch den Kopf, was mir grad unsagbare Angst macht. Bin ich die Nächste?
Mein Atem geht stoßweise und viel zu schnell, aber ich laufe sprichwörtlich um mein Leben. Ich muss so viel Vorsprung wie möglich raushauen, bevor sie mein Ablenkungsmanöver durchschauen, was wohl schon passiert ist, denn ich kann Laute von Männerstiefeln hinter mir hören – und sie kommen schnell näher. Verdammt, verdammt, verdammt.
Ich laufe an dem alten Geräteschuppen vorbei, schlage einen Haken und verstecke mich hinter dem Verschlag. Dort lehnt eine Mistgabel, die ich mir kralle. Ich war immer zu bequem, sie reinzuräumen – bin ich froh. Faulheit zahlt sich doch irgendwann mal aus. Zumindest habe ich wieder eine Waffe.
Der Typ läuft an mir vorbei, durchschaut es natürlich – wie kann es auch anders sein – sofort und stoppt, um sich umzusehen, was ich im Licht der Blitze erkennen kann. Das Herz schlägt mir bis zum Hals, als ich mich fester an den Schuppen drücke.
Da er immer noch die Kapuze trägt, kann ich sein Gesicht nicht erkennen. Ich weiß nur, dass er ziemlich groß und trainiert aussieht. Hoffentlich ist er kein Roboter.
Als er in die andere Richtung kuckt, ist das meine Chance und ich schleiche mich an ihn heran, nur um ihm das Teil im nächsten Moment über die Rübe zu ziehen.
Er hatte es kommen sehen und duckt sich weg. Der hat sicher Kung-Fu drauf oder was auch immer die im Militär so lernen, deshalb lasse ich die Waffe sofort los, die ich der Länge nach vor ihm fallenlasse.
Ich hatte schon damit gerechnet, dass er die Mistgabel nicht gegen mich verwenden würde und einfach nur auf mich zukommt.
Womit er aber nicht gerechnet hat – ich habe sie „strategisch günstig“ fallenlassen. Als er direkt über dem Holzstiel steht, hüpfe ich auf die leicht nach oben gebogene Seite der Mistgabel und knalle ihm den Stiel dadurch direkt in die Zwölf.
Er keucht laut auf und geht in die Knie. Dass er auf den ältesten Trick der Welt reingefallen ist, ist eigentlich zu schön, um wahr zu sein und zeigt mir obendrein, dass er nicht sehr intelligent sein kann, was wieder für einen Menschen sprechen würde.
Er ist auch kein Roboter – der würde sich nicht gerade mit schmerzverzerrten Lauten seine Kronjuwelen halten – glaub ich zumindest.
Geistesgegenwärtig schnappe ich mir die Mistgabel und setze zu einem weiteren Schlag an, den er erneut abfängt und mir mit seinem Bein meine Beine wegtritt. Ich knalle so hart auf den nassen Boden, dass mir die Luft wegbleibt.
In meiner Panik taste ich nach einem Stein, den ich meinem Angreifer, der über mir auftaucht, entgegenfeuere. Er prallt an seiner Brust ab, ohne Schaden anzurichten.
Und wieder greift ein Typ aus dieser Position nach mir. Erneut rolle ich mich weg, doch diesmal ist der Kerl schneller und zieht mich grob hoch. Ich schreie vor unbändiger Angst.
Meine Boxhand, die zu einem Schlag ausgeholt hat, fängt er in der Luft ab und dreht mich um, nur um mich von hinten umklammert zu halten.
Mein Ellbogen, den ich ihm in die Seite ramme, hat sein Ziel aber nicht verfehlt. Ein dumpfer Schmerzenslaut entweicht ihm. Mir auch, denn das hat total wehgetan.
Er umklammert mich fester, während ich mich winde und wie eine Verrückte strample. Nun beginnt er, in einer mir fremden Sprache zu sprechen. Seine Stimme ist aber ruhig – ja beinahe beruhigend, obwohl ich kein einziges Wort verstehe. Ist das mexikanisch? Wir sind in den USA, verdammt nochmal.
„Lass los, Pissnelke“, fauche ich in der Hoffnung, er würde diese Sprache verstehen. Der Kerl lässt aber nicht locker, zerrt mich mit sich zu den anderen, die gerade vor uns auftauchen. Auch ihre Gesichter sind von tiefhängenden Kapuzen verdeckt.
Er sagt etwas zu ihnen, das anscheinend komisch gewesen ist. Ihr Lachen lässt mir das Blut in den Adern gefrieren.
„Lass los“, verlange ich erneut und funkle die Typen wild an, was sie noch mehr zu erheitern scheint.
Ja, zugegebenermaßen unterstreicht mein Pyjama nicht gerade meine Kampfeslust, aber wenn ich gewusst hätte, dass ich heute mitten in eine mexikanische Truppenübung, alias Roboterjagd, platze, wär ich nicht vor die Tür gegangen.
Der Grund meines Verlassens der Farm wird mir wieder bewusst und ich beginne erneut, mich stärker zu wehren. Was, wenn die mich gleich umbringen? Was, wenn die vorher noch mit mir spielen?
Ich seh mich schon im Feld neben John liegen – im Hello Kitty Pyjama. Mir knicken die Beine weg, aber der Moment der Schwäche war nur von kurzer Dauer.
Dreh jetzt nicht durch, Texas. Ich werde nicht kampflos aufgeben.
Mit einem Lachen kommentieren sie meinen jämmerlichen Versuch, meinen Umklammerer zu treten, was anscheinend irre komisch war. Okay, jetzt ist die Zeit gekommen, um durchzudrehen.
Bevor ich den ohrenbetäubenden Schrei ganz loslassen kann, wird er von der Hand des Typen erstickt, der mich kurz an einer Seite losgelassen hat.
Mit aller Kraft bäume ich meinen Körper auf, aber er lässt nicht locker, flüstert etwas und dann verschwimmt mein Blick irgendwie, weil ich nicht genügend Luft bekomme. Ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten, kämpfe gegen eine bevorstehende Ohnmacht an.
Im nächsten Moment schwirrt mir der Kopf und ich fühle mich, als hätte ich soeben mal meinen Körper verlassen und wär wieder reingestopft worden.
Im nächsten Augenblick heben meine Beine vom Boden ab und ich schwebe dahin. Bin ich tot? Womöglich ist das so ein außerkörperliches Erlebnis. Oder die haben mir Drogen gespritzt.
Nur unter größter Anstrengung schaffe ich es, die Augen aufzubekommen und erhasche einen Blick auf meine Entführer, von denen sich einer gerade die Jacke auszieht und – zu meinem Horror – seinen nackten Oberkörper offenbart.
Er hat definitiv etwas von Arnold Schwarzenegger. An ihm sprießen bereits blaue Flecken, für die ihn seine Begleiter gerade lauthals auslachen. Er sieht sie sich genauer an, schüttelt belustigt den Kopf und sieht zu deren Verursacher rüber – nämlich zu mir.
Damit, dass ich wach bin, hatte er wohl nicht gerechnet, denn er sieht kurz ertappt aus. Erst jetzt sehe ich mir sein Gesicht genauer an.
Mir steht der Mund sperrangelweit offen. Das sind definitiv keine Mexikaner. Es sei denn, die tragen jetzt auch diese halsverlängernden Ringe, wie die in den Urwäldern und haben sich die Nasen wegoperieren lasen.
Aliens, ich werd verrückt. Tausend Gedanken schießen mir gerade gleichzeitig durch den pochenden Schädel. Hier ein Auszug: Die … die haben mich entführt. John hatte recht. Die sind gekommen, um mich zu holen. Er wusste es die ganze Zeit über und ich hab ihn ausgelacht. Jetzt ist er tot und ich …
Als ich mir dieser kranken Situation wieder bewusst werde, springe ich panisch von meinem Platz am Boden hoch. Mir ist so schwindlig, dass ich gefährlich wanke, mich aber an die Wand presse und tief durchatme, um nicht zusammenzuklappen.
Nun habe ich die gesamte Aufmerksamkeit im Raum – wo bin ich eigentlich? Ein kurzer Blick reicht, um mich zu orientieren.
Das ist ein Raumschiff – zumindest stellt man es sich so vor. Das volle Programm: Konsolen mit blinkenden Lichtern, viel Technik, von der ich absolut keine Ahnung habe, Schlingpflanzen. Warte mal, Pflanzen? Vielleicht fürs Raumklima.
Der halbnackte Typ hebt die Hand in meine Richtung und sagt wieder etwas, das ich nicht verstehen kann.
Mein Blick bleibt an dem Fenster (ich weiß nicht, wie ich es anders bezeichnen soll) hängen. Draußen ziehen Sterne an uns vorbei.
Okay. Betrachten wir das mal von einer vollkommen unemotional, wissenschaftlichen Seite her. Dich trennt nur eine dünne Scheibe vom Weltraum, in dem dein Körper nicht überleben kann. Wahrscheinlich ist das hier Lichtgeschwindigkeit, mit der wir uns von meinem Zuhause wegbewegen – womöglich, um mich auf einem Intergalaktischen Sklavenmarkt zu verticken oder direkt zu den Experimenten überzugehen.
Horrorszenarien formieren sich bereits vor meinem geistigen Auge und zeigen mich an einen Operationstisch geschnallt.
Okay, jetzt wird es Zeit für die emotionale Betrachtungsweise. Wie eine Irre brülle ich meine Angst hinaus, während ich mich fester an die Wand presse.
„Bringt mich zurück zur Erde“, verlange ich aufgebracht. Als ob die mich verstehen könnten, aber bei mir bricht grad die Beherrschung weg. Das ist so ziemlich das horrormäßigste Horrorszenario, das man sich vorstellen kann. Dementsprechend nahe stehe ich vor der Hyperventilation.
Alle drei Typen ziehen synchron die Augenbrauen hoch und lachen drauflos, als ich wahllos auf die Konsole drücke, um diesen Kahn anzuhalten. Jämmerlich, ich weiß.
Es tut sich nichts, vielleicht ist da so eine Art Tastensperre drin. Ich knalle meine Faust fest auf die Platte und brülle erneut.
Aus dem Augenwinkel heraus erkenne ich eine Wand, an der Waffen hängen – zumindest sieht es danach aus. Ich hechte darauf zu, werde aber vom Körper eines der Typen gestoppt, der sich vor mich stellt und mich grob packt.
Mein Schlag trifft ihn in den Magen, daraufhin boxe ich ihm ins Gesicht. Ich bin so froh, dass nur Jungs in meiner Nachbarschaft wohnen, mit denen ich mich regelmäßig gekloppt habe.
Der Typ taumelt zurück und greift sich ungläubig an die aufgeplatzte Lippe. Lila Blut – er hat echt lila Blut! Mein Kopf schießt zu den zwei anderen Männern, die mit offenem Mund auf mich starren.
Jetzt lacht keiner mehr. Im Gegenteil, der Typ ohne Hemd sieht ziemlich angepisst aus, zieht ein Seil aus seiner Tasche und kommt auf mich zu. Alarm, er will mich damit fesseln, dieser abartige Alien.
Ich balle die zitternden Fäuste angriffslustig und stelle mich ihm entgegen. Dass ich noch die Kraft habe, mich zu wehren, liegt wahrscheinlich daran, dass mein Körper auf rein instinktiven Angriffsmodus geschaltet hat, da die Flucht nach hinten losgegangen ist. Okay, das ist hier Aliens vs. Mensch.
Der andere Typ, der noch nichts von meinen Schlägen abbekommen hat, hilft ihm dabei, wird mich wahrscheinlich gleich festhalten – zumindest pirscht er sich grad von der Seite an.
Erneut richtet der Typ ohne Hemd Worte an mich. Auch ohne der Aliensprache mächtig zu sein, kapiere ich die unmissverständliche Warnung stillzuhalten. Ich sitze in der Falle.
Mein jämmerlicher Versuch, auf den Typen, der schon nahe bei mir ist, loszugehen, scheitert kläglich. Blitzschnell konnte er sich hinter mich schieben, beide meiner Handgelenke packen und hält sie nun dem, der schon mit dem Seil wartet hin, der nähertritt und sie festbindet. Dabei lässt er mich keine Sekunde aus den Augen.
Ich brülle ihm alle Schimpfwörter, die ich kenne, in Erdensprache entgegen, die er wortlos über sich ergehen lässt, bevor er ein zweites Seil hervorzieht und damit meine Fußgelenke fesseln will. Ich strample aber so stark, dass sie mich kaum zu zweit bändigen können.
Dem Mann hinter mir wird das Ganze wohl zu bunt, denn er hält mir eine kalte Klinge an den Hals, was mich schreien lässt.
Der ohne Hemd tadelt seinen Freund und reißt ihm das Teil, das sich als abartig langes Messer entpuppt, aus der Hand.
Mein Ellbogen trifft meinen Hintermann in dem Moment, in dem sie sich beide herausgefordert anfunkeln. Er keucht, lässt aber nicht los.
Ich werde schon müde, habe kaum mehr die Kraft, mich zur Wehr zu setzen, deshalb schaffen sie es, mich bis zur Bewegungsunfähigkeit festzuzurren und platzieren mich wieder in der Ecke, in der ich zu mir gekommen bin, nachdem sie mich irgendwie betäubt hatten. Wie sind wir hier überhaupt reingekommen? Ich glaube, ich hab irgendwie ein Blackout.
So gut es geht kauere ich mich zusammen, während sie vor den Konsolen Platz nehmen und sich der Steuerung des Schiffes widmen.
In regelmäßigen Abständen sehen sie nach, ob ich noch einen sinnlosen Fluchtversuch gestartet habe.
Aus meiner vollkommen verdreckten, klitschnassen Pyjamahose schauen beide meiner aufgeschlagenen Knie raus. Überall an mir kleben feuchte Erde, Asche und Blut meiner zahlreichen Schürfwunden.
Ich bin so aufgeputscht und geschwächt zugleich, dass ich doch tatsächlich noch überlege, wie ich aus der Sache wieder rauskomme.
Das Adrenalin entweicht schön langsam aus meinem Körper, der überall zu schmerzen und krampfhaft zu zittern beginnt, was ich nur mühevoll unterdrücken kann. Eigentlich brauch ich grad alle Kraft, nicht wie ein kleines Kind loszuheulen.
Das sind Aliens, verdammt nochmal, und wir sind im Weltraum. Seien wir uns doch mal ehrlich, wie tief kann man eigentlich in der Scheiße stecken?
Der Gedanke an Grandpa John bereitet mir unglaubliche Seelenqualen. Erste Tränen fluten bereits meine Augen. Ich lege den Kopf in die Arme, damit sie es nicht mitkriegen.
Sieht so aus, als wär das ein wahrgewordener Alptraum, vor dem mich John immer gewarnt hatte.
Eine Erschütterung lässt mich hochschrecken. Hab ich etwa geschlafen? Nicht zu fassen.
Der Typ ohne Hemd, der jetzt wieder eine Jacke trägt, zieht mich hoch. Er hat wohl schon meine Hand- und Fußfesseln gelöst, während ich eingenickt war.
„Fass mich nicht an“, hauche ich ängstlich, mich aus seinem Griff windend. Er lässt mich los und hebt die Hände abweisend in die Höhe.
„Hör auf, dich zu wehren“, aus seinem Mund lässt mich abrupt innehalten. Warte mal. Wieso spricht er jetzt meine Sprache?
„Dein Spracherkennungssensor, der in dein Ohr eingepflanzt wurde, war defekt. Ich konnte den Fehler beheben. Wir verstehen uns jetzt“, beantwortet er meine unausgesprochene Frage gleich selbst. Ich hab absolut keine Ahnung, wovon er da faselt.
Bis auf das „Wir verstehen uns jetzt“ hab ich nichts kapiert. Naja, wenn das so ist. „Fass mich bloß nicht an, Scheißkerl“, herrsche ich ihn an.
„Wie hast du mich gerade genannt?“, fragt er sichtlich amüsiert.
Ich greife mir an die pochende Birne. Mein Blick verschwimmt erneut, was mich nicht davon abhält, ihn anzumotzen: „Bring mich sofort zurück. Hast du sie noch alle, mich in deinem scheiß Raumschiff zu entführen?“, musste an der Stelle einfach mal gesagt werden.
Alle im Raum ziehen synchron die Augenbrauen hoch. Also er und seine zwei Gefährten.
„Wir haben dich nicht entführt, sondern gerettet“, widerspricht er irritiert. „Wir haben einen Hilferuf erhalten und sind ihm gefolgt.“
„Was?“, zische ich. Ups, dann ist das die Hilfe, von der Grandpa John gesprochen hat. „Ach so“, lenke ich ein. Sind das jetzt die guten Aliens, die mich vor dem bösen Roboter bewahrt haben, oder was?
Die hätten ja ruhig mal die weiße Fahne schwenken können, oder so. „Ich hatte alles im Griff“, murmle ich und verdränge die Bilder meines Grandpas.
Warte mal. „Wieso nehmt ihr mich dann mit, verdammt nochmal?“, frage ich erschöpft.
„So dankst du es uns also, dass wir dich zurückgebracht haben“, raunt einer der drei Aliens. Zurückgebracht?
Okay, keine Panik. Mit denen kann man reden. „Ich will sofort wieder zurück auf die Erde“, verlange ich.
„Nein“, widerspricht mir der Typ, der mich geweckt hat. Nein? Er hat echt nein gesagt. Einfach so.
„Bist du es wirklich?“, will einer von ihnen wissen und kassiert böse Blicke von seinen Freunden.
„Ja, ich bins wirklich“, motze ich, obwohl ich absolut keinen blassen Schimmer habe, wovon er spricht.
Zwei von ihnen verlassen im nächsten Augenblick den Raum. Der Typ, der noch mit mir hier drin ist, deutet in die Richtung der Schiebetüre, aus der uns seine Freunde gerade eben verlassen haben.
Obwohl sich jede einzelne Zelle in meinem Körper dagegen sträubt, dort hindurchzugehen, tue ich es dennoch. Was hab ich denn für eine andere Wahl? Die haben Laserwaffen, die mich pulverisieren können.
Tränen brennen in meinen Augen, als ich ihm den Rücken zuwende, aber ich schlucke sie sauber runter.
Komischerweise muss ich gerade an Neil Armstrong denken und hab dieses Bild seines Schuhabdruckes, den er auf dem Mond hinterlassen hat, vor Augen.
Ich blicke auf meine nackten, dreckigen Füße runter und strecke die Schultern durch. Womöglich betrete ich gleich als erster Mensch einen anderen Planeten, da sollte ich das letzte bisschen Würde zusammenkratzen.
Über einen kurzen Gang, der vollständig in schwarzes, glänzendes Plastik gehüllt ist, taumle ich Schritt für Schritt, pralle aber immer wieder von einer Seite zur anderen, weil mir irgendwie übel ist. So viel zur Würde, wenn gleich Kotzspuren meine ersten Schritte pflastern.
Vor mir öffnet sich eine Luke, was mich zusammenzucken lässt. Ich bin sogar zurückgewichen und gegen die Brust des Kerls geprallt, der mich vor dem Fall bewahrt, bevor ich mich von ihm losreißen kann und hindurchgehe.
Mir bleibt der Mund offen stehen. Wir sind auf einer Art Raumschiffflughafen gelandet, aber alles ist so überdimensional, dass ich mir wie eine Ameise vorkomme. Nein, wie ein Floh, der auf einer Ameise sitzt.
Gefühlte hundert Schiffe parken auf schwebenden Plattformen, was mich zwar flasht, aber ich mir sowas in der Art schon vorgestellt habe. Natürlich brauchen die Dinger auch Parkplätze.
Absolut abartig sind die Lebewesen, die aussteigen und sich zu mir umdrehen. ZU MIR. Ich meine Hallooooo? Da sind Wesen dabei, die vollständig aus warzenartigen Knubbeln zu bestehen scheinen, welche mit so langen Hälsen, wie Giraffen, haarige Wesen, wie Chewbacca aus Star Wars und die glotzen MICH an? Ich bin hier noch das Normalste.
Sie tuscheln sogar und einige Strecken ihre Tentakel in meine Richtung aus, rempeln sogar ihre Freunde an, als würden sie sagen: „Kuck mal das rosa Ding da, sowas hast du noch nicht gesehen“.
Vor dem Schiff erwarten uns die zwei anderen Männer, von denen einer mittlerweile eine recht geschwollene Lippe hat. Ups, das war wohl ich.
Meine Beine zittern und ich hab ganz schwabblige Knie. Dementsprechend unbeholfen stolpere ich über die Rampe auf die Plattform. Meine nackten Füße hinterlassen keine Abdrücke, da unter mir sowas wie schwarzer Beton zu sein scheint. Okay, aber das Kotzen könnte zur Realität werden.
Dass sich ständig die Aliens nach mir umdrehen, macht die Sache auch nicht besser. Wieso werd ich das Gefühl nicht los, dass die gerade vor einer Entdeckung einer neuen Spezies stehen und nicht ich?
Ich drehe mich im Kreis und strecke den Kopf in den Nacken, um die Decke zu bewundern, die scheinbar nicht existiert. Wir stehen noch im Weltall, zumindest sieht es so aus. Über mir erkenne ich Sterne. Wahrscheinlich ist das so ein unsichtbares Kraftfeld, das uns davor bewahrt, in die Tiefen des Alls gerissen zu werden.
Plötzlich schwirren schwebende, mechanische Kugeln um mich rum und piepsen nervig. Verängstigt versuche ich, sie abzuschütteln, als wären es lästige Fliegen, die es zu vertreiben gilt. Ohne Erfolg.
Mein Blick bleibt an einer Leinwand hängen, die aussieht, wie eine dieser riesigen Werbeflächen, auf denen bei uns immer die Burger- oder Autowerbungen laufen. Hier werden komische Zeichen eingeblendet, die ich noch nie zuvor gesehen habe, bevor ein Bild von einer Frau erscheint.
Mir bleibt der Mund offen stehen. Das bin ich – ohne Scheiß. Zumindest sieht mir das Mädchen auf dem Video zum Verwechseln ähnlich. Ihr Blick ist mir aber fremd. Es sieht so aus, als wäre sie in Gedanken versunken. Und dann dreht sie den Kopf, als hätte etwas ihre Aufmerksamkeit erregt. Kurz blitzt so etwas wie Sehnsucht in ihren Augen auf.
Im nächsten Moment verschwimmt das Bild und wird durch eine Animation von Raumschiffen ersetzt, die aufeinander feuern, was in einer gewaltigen Explosion endet. Okay, was hat das zu bedeuten?
Der Typ, der immer noch hinter mir steht, stupst mich an und bedeutet mir, weiterzugehen.
Erst jetzt kapiere ich, dass das der ultimative Moment für eine Flucht wäre. Ich denk lieber nicht länger drüber nach, sonst kneife ich noch, deshalb schnappe ich mir eine der Kugeln, die mir immer noch vor der Nase rumschwirrt, und werfe sie einem dicken Alien mit Rüssel an die Birne.
Als er sich umdreht, zeige ich mit meinem Unschuldslamm-Blick auf meinen Hintermann, alias vormals hüllenlos – zumindest am Oberkörper – der total verblüfft aussieht, dass ich das gewagt habe.
Der Rüssel-Alien versteht wohl keinen Spaß, denn er kommt brüllend auf uns zu. Die Gefährten meines Entführers kommen ihm sogleich zu Hilfe und stoppen den fuchsteufelswilden Typen, bevor er ihn verkloppen kann.
Das ist meine Chance. Als sie am Diskutieren sind, stehle ich mich davon und sprinte los. Jemand brüllt etwas und schon kommen mehrere gleich gekleidete Soldaten auf mich zugelaufen. Die Bullen, verdammt.
Wie eine Bekloppte bahne ich mir einen Weg durch die Menge und remple jeden auch noch so schleimigen Alien an, der mir im Weg steht.
In meiner Verzweiflung klettere ich an einer wabenartigen Wand hoch, an der mir der Weg abgeschnitten wird.
Plötzlich spüre ich eine Art Tentakel, der sich um meinen Bauch windet. Bevor ich schreien kann, zieht mich das Teil ruckartig von der Wand, wirbelt mich durch die Luft, nur um mich unten wieder direkt vor sich auf die Füße zu stellen.
Der Alien, der erschreckenderweise totale Ähnlichkeit mit einer Riesenqualle hat, brüllt mich an, sodass meine Haare zurückfliegen. Das Teil hat sogar Mundgeruch.
Dass es das rosa Ding, also mich, gleich fressen könnte, nimmt mich gerade dermaßen mit, dass ein Pfeifen in meinen Ohren ertönt.
Im nächsten Moment werde ich so abrupt losgelassen, dass ich es erst Sekunden später realisiere.
Der nächste Alien – ein Mann mit quadratischem Kopf – kommt auf mich zu.
Das schnelle Pochen meines Herzens ist alles, woran ich mich grad klammere, bevor das Pfeifen in meinen Ohren lauter wird und mir schon die Beine wegknicken.
Ich spüre, wie mein Körper auf den Boden auftrifft, aber meine Glieder sind so taub, sodass es sich anfühlt, als würde ich in Watte fallen.