Читать книгу Hautsache schön, Hautsache gesund - Marie-Luise Klietz - Страница 8
Оглавление1. Der Status quo
Wieso es gar nicht leicht ist, bei Hautfragen die richtige Antwort zu bekommen
Der folgende Satz klingt nur dann banal, wenn man keine Hautprobleme hat: Die Haut ist die Grenze zwischen dem Ich und der Welt. Alles scheint ganz einfach, solange die Haut gesund ist. Sie fühlt sich gut an, sieht im Idealfall schön aus, erträgt Sonne, Wasser und Seife und repariert sich auch noch von allein, wenn wir einmal mit dem Küchenmesser ausrutschen. Doch kommt ein Sandkorn in das Uhrwerk »Haut«, wird es kompliziert. Wir reden hier nicht von dem berühmten Pickel beim ersten Date, obwohl der ja schon nervig genug ist. Unsere Haut kann uns durch Juckreiz um den Schlaf bringen, kann mit Akne das Depressionsrisiko steigern, durch auffällige Schuppenflechte soziale Ausgrenzung verursachen oder durch ästhetische Defizite das Selbstwertgefühl schmälern.
Was tut man dann? Man geht zum Arzt. Das ist bei Hautfragen allerdings eine Wissenschaft für sich. Im Falle einer Krankheit brauchen gesetzlich Versicherte, also rund 87 Prozent der Deutschen, erst einmal eins: Zeit. Bei uns im Raum München sind Wartezeiten von mehreren Monaten für einen dermatologischen Termin keine Seltenheit. Geht es um die hartnäckige Zornesfalte auf der Stirn oder andere ästhetische Anliegen, ist die reine Terminfindung unproblematisch. Oft reicht ein einziger Anruf, und der Termin am Folgetag steht. Der Grund: Weil Krankenkassen ästhetische Eingriffe nur in handverlesenen Ausnahmefällen finanzieren, sind alle Patienten Selbstzahler und können als solche auch die Angebote von Praxen ohne Kassenzulassung nutzen. Leicht hat es die letztgenannte Gruppe dennoch nicht, denn es muss erst einmal eine Adresse gefunden werden, die nicht nur schnell Termine anbietet, sondern auch gute Lösungen herbeiführen kann – mehr dazu ab Seite 20.
Lassen Sie uns über Geld reden
Die schwierige Lage für gesetzlich Versicherte und die verwirrende Vielfalt ästhetischer Angebote sind zwar grundverschiedene Dinge, doch egal, ob es um Akne oder Falten geht: Beim Wunsch nach gesunder und schöner Haut spielt Geld eine größere Rolle, als uns lieb ist. Das gilt natürlich an erster Stelle für die Patienten. Marie erlebt es in der dermatologischen Praxis immer wieder, wenn etwa Eltern eines Kleinkinds mit Neurodermitis schier verzweifeln, weil es zwar Ärzte gibt, die helfen können, aber kaum freie Termine. Welches junge Paar hat schon ein Einkommen, das den Besuch in der Privatpraxis ermöglicht? Aber auch in der Ästhetik können Wohl und Weh durchaus vom Kontostand abhängen. Die Brust-OP zum Schnäppchenpreis kann gut gelingen, bringt aber einige Risiken mit sich (mehr dazu ab Seite 163).
Auch wir Ärzte stecken im Zwiespalt zwischen der Rolle als Helfer und der Rolle als Praxismanager. Das spüren wir, die wir am Anfang unserer Karriere stehen, vielleicht besonders deutlich, einfach weil wir uns noch nicht an die paradoxe Situation gewöhnt haben. Vielen Kollegen, mit denen wir im Austausch sind, geht es ähnlich. Natürlich haben sie wie wir den Beruf grundsätzlich aus Menschenliebe gewählt. Wir wollen helfen, im besten Fall heilen, deshalb haben wir das lange Studium auf uns genommen. Aber wir wissen ebenso: Menschenliebe finanziert keine Praxis. Auch Ärzte müssen darüber nachdenken, wie kosteneffizient ihre Praxis arbeitet. Zu viel Unwirtschaftlichkeit führt ins Aus, zu viel Wirtschaftlichkeit kann auf Kosten der Patienten gehen und wird leicht verhöhnt oder verpönt.
In Bewertungsportalen gibt es sofort böses Blut, wenn es ums Geld geht. Vielleicht würde weniger geschimpft werden, wenn Patienten unser Gesundheitssystem besser kennen würden. Ärzte sind gerade bei gesetzlich versicherten Patienten abrechnungstechnisch stark reglementiert. Um die Praxismiete, die Gehälter der Angestellten und das eigene Leben finanzieren zu können, müssen alle sehr effizient arbeiten. Der einfachste Weg ist, die Zeit mit dem einzelnen Patienten zu kürzen und mehr Patienten abzuarbeiten. Klar, denken Sie jetzt vielleicht, damit finanzieren die Versicherten den Mitgliedsbeitrag im Golfklub oder die neue Luxuslimousine. Schön wär’s, möchten wir entgegnen.
Aber Beratungsgespräche fallen oft knapper aus, als es optimal wäre, und Termine sind erst nach monatelanger Wartezeit zu bekommen, weil der entsprechende Arzt sonst mit einem Minus aus dem Quartal gehen kann.
Nehmen wir als Beispiel die Dermatologen. Wenn die Wartezimmer voll und Termine Mangelware sind, warum machen nicht mehr Praxen auf? Die Antwort ist: Weil jeder Arzt nur mit den gesetzlichen Krankenkassen abrechnen darf, wenn er eine Kassenzulassung hat – und deren Anzahl ist reglementiert. In Deutschland hat die Bundesärztekammer zuletzt 5944 Fachärzte für Haut- und Geschlechtskrankheiten gezählt, und in Großstädten wie München sind alle Kassensitze vergeben. Es kann also überhaupt keine neue dermatologische Praxis mit Kassenzulassung eröffnet werden. Und wird durch Ruhestand einer der begehrten Sitze vakant, reicht der Facharzttitel allein nicht aus, um auf der Liste nachzurücken. Man muss sich den Kassensitz kaufen, und da können Ärzte in wohlhabenden Regionen mit einer guten sechsstelligen Summe rechnen. Zusätzlich dazu die Einrichtung und teure Spezialgeräte: Schulden in Millionenhöhe sind bei der Eröffnung einer neuen Hautarztpraxis die Regel – Patienten erwarten ja zu Recht die höchsten Standards.
Der Nächste, bitte
Jeder Handwerker wird bei solchen Investitionen darauf achten, dass die Bilanz stimmt, und niemand wird es ihm ankreiden. Dabei müssen sich Handwerker nicht einmal mit dem Krankenkassensystem arrangieren. Ärzte dürfen nur quartalsweise, also vierteljährlich, Patienten abrechnen, und pro Quartal wird als Basis ein einziges Beratungsgespräch erstattet. Am profitabelsten ist es also, Patienten einmal pro Quartal einzubestellen, wobei die Worte »Beratungsgespräch« und »profitabel« aus Arztsicht nicht in einen Satz passen. Keine 15 Euro werden dem Arzt für das wichtige Gespräch erstattet. 15 Minuten für ein Erstgespräch wären eine angemessene Zeit, aber damit käme die Praxis auf einen Stundenlohn von knapp 60 Euro – von dem Steuern, Löhne, Miete und Kredite bezahlt werden sollen. Nur kurz zum Vergleich: Handwerker berechnen pro Mann und Arbeitsstunde etwas über 62 Euro.
Egal, wie gern wir mit jedem Patienten ausführlich reden würden: Patientenkontakte dürften nie länger als fünf Minuten dauern, damit sie sich für den Arzt überhaupt ansatzweise rentieren – und nur einmal pro Quartal stattfinden. Denn sieht der Arzt Patienten, die im entsprechenden Quartal schon bei ihm waren und nun ein anderes Problem oder Testergebnisse besprechen möchten, verdient er an diesem Folgegespräch gar nichts. Gerade für Dermatologen eine fatale Situation, denn wir müssen etwa bei Akne-, Psoriasis- oder Neurodermitis-Patienten engmaschig kontrollieren, ob und wie die Therapie anschlägt. Ein Gespräch pro Quartal reicht bei diesen Krankheiten niemals, jedes weitere geht auf Kosten des Hauses.
Finanziellen Zugewinn bringen für die meisten Ärzte hauptsächlich die Privatpatienten. Hier kann der Arzt entsprechend der Gebührenordnung für Ärzte, kurz GOÄ, die knapp 15 Euro Beratungsgebühr mit speziellen Faktoren multiplizieren und so auf 70 bis 80 Euro pro Gespräch kommen. Wenn also in einer Hautarztpraxis erst die Privatpatientin ausführlich aufgeklärt wird, finanziert der Arzt damit möglicherweise das Folgegespräch, welches er kurz darauf mit den besorgten Eltern des Kindes mit Neurodermitis führt. Was wir betonen wollen: Die Qualität dieser beiden Gespräche unterscheidet sich nach unserer Erfahrung nicht. Die oft angeprangerte Zweiklassenmedizin, bei der ein und derselbe Arzt Patienten je nach Versicherung mehr oder weniger gut behandelt, haben wir noch nirgends kennengelernt. In den Krankenhäusern und Praxen, in denen wir bisher tätig waren, haben die Ärzte ohne Ausnahme jeden Patienten mit derselben Sorgfalt behandelt.
Solange die Politik nicht eingreift, wird sich an diesem System nichts ändern. Das viel diskutierte Modell der Bundesversicherung, das es in der Schweiz schon gibt, wäre eventuell eine Lösung. Hier müssen alle in eine solidarische Grundversicherung einzahlen und können dann individuell Zusatzversicherungen abschließen. In Österreich schlägt man gerade einen neuen Weg ein: Hier versucht man, die Zahl der Krankenkassen zu reduzieren und so das Ganze einheitlicher und transparenter zu machen. Denn die Vielzahl der Kassen und ihre unterschiedlichen Abrechnungssysteme machen den Ärzten das Leben zusätzlich schwer.
In Deutschland helfen sich vor allem Plastische und Ästhetische Chirurgen, aber auch einige Dermatologen anders. Der Trend geht bei Hautfragen hin zu Privatpraxen, die sich mit keinem Abrechnungssystem anfreunden müssen, weil sie ganz oder größtenteils außerhalb der Kassenleistungen agieren und vom Patienten statt der Versicherten- die Kreditkarte sehen möchten. Valide Daten gibt es nicht, aber nach unserer Einschätzung liegt die Quote der privat abgerechneten Maßnahmen bei Plastischen und Ästhetischen Chirurgen nur knapp unter 100 Prozent, und in Großstädten zeichnet sich ein klarer Trend ab hin zur dermatologischen Privatpraxis. Wenn das Budget reicht, kann man hier in der Regel binnen 24 Stunden einen Termin inklusive ausführlicher Beratung bekommen. Viel Zeit, im komfortabel eingerichteten Wartezimmer den frisch gebrühten Cappuccino zu schlürfen, bleibt nicht: Lange Wartezeiten sind in Privatpraxen die absolute Ausnahme. Wie man sich in dem mittlerweile existierenden Angebotsdschungel am besten zurechtfindet, beschreiben wir ab Seite 201.
Haben Sie noch Fragen?
Wartezeit bzw. Auswahl der Praxis sind nicht die einzigen Fallstricke, wenn’s um die Haut geht. Denn kommt es zum Beratungsgespräch, werden nicht immer die richtigen Fragen gestellt, und zwar sowohl seitens der Patienten als auch seitens der Ärzte. Stellen wir uns einen auf Akne spezialisierten Dermatologen vor. Seine Patienten sind oft Teenager, die noch keine Ahnung davon haben, was da warum auf ihrer Haut passiert. Ein erstes Beratungsgespräch müsste bei Adam und Eva anfangen, um grundlegende Hautfunktionen und Zusammenhänge so zu erklären, dass sich der junge Patient das Wichtigste merkt. Für uns Ärzte eine echte Herausforderung, schließlich kennen wir die Zusammenhänge aus dem Effeff. Das beginnt bei der Sprache. Der Tipp beispielsweise, präventiv gegen Komedonen vorzugehen, hilft dem 16-jährigen Akne-Patienten wenig. Wir hören immer wieder, dass Patienten zwar ein Arztgespräch hatten, sich aber einfach nichts merken konnten. Wer hat nicht schon einmal über Medizinerdeutsch gewitzelt?
In unseren Blogs bemühen wir uns, wichtige Hautfragen auch für Laien verständlich zu erklären und so zu helfen, aus einem Arztgespräch das Beste herauszuholen. Dabei wählen auch wir manchmal die falschen Worte. Ein Beispiel: Nachdem unser Akne-Artikel online ging, haben wir ziemlich viele Anfragen bekommen, ob wir nicht einmal auch so einen Artikel über Mitesser schreiben könnten. Wer sich ein bisschen mit der Haut auskennt, weiß, dass beide Themen ein und dieselbe Problematik betreffen. Aber das Beispiel zeigt, dass es vielen Betroffenen an Verständnis für die Zusammenhänge mangelt. Das ist übrigens völlig normal, man kann kaum vom Patienten verlangen, dass er Medizin studiert, bevor er einen Arzt aufsucht. Uns geht’s außerhalb der Praxis auch nicht anders. Wenn uns etwa in der Werkstatt etwas über unsere Autos erzählt wird oder IT-Experten über ihr Fachgebiet reden, verstehen auch wir nur Bahnhof.
Doch zurück ins Sprechzimmer. Die richtigen Fragen seitens des Arztes können helfen, aber sie zu stellen ist nicht einfach. Natürlich wollen wir den Patienten grundlegend vermitteln, wo die Probleme bzw. die Lösungen liegen. Dass dem Wirtschaftler im Arzt bei den meisten Gesprächen die Stoppuhr im Nacken sitzt, während er seinem Gegenüber das hochkomplexe Thema Haut näherbringen will, haben wir ja schon erläutert. Aber mehr noch: Bei vielen Beratungsgesprächen gibt es Aha-Momente seitens der Patienten, mit denen wir zu Beginn unserer Arbeit nicht gerechnet hätten. Ein schönes Beispiel ist ein Akademiker, der über Hauttrockenheit und Juckreiz klagte und nach einem Produkt fragte, mit dem er den Körper abseifen könne, ohne die Haut zu stressen. Auf die Frage, warum er denn zum Beispiel seine Schienbeine abseifen wolle, antwortete er: um den Schweiß abzuwaschen. Aus dermatologischer Sicht ist das Nonsens, denn Schweiß ist wasserlöslich. Das Gespräch hätte aber auch anders verlaufen können. Der Arzt hätte inhaltlich korrekt über Syndets, Duschöle und Seifen referiert, der Patient würde sich vielleicht die Hälfte merken, und die Schienbeine würden weiterhin grundlos mit Tensiden gestresst.
Ein weiteres Problem liegt darin, dass Patienten gute Fragen haben, sie aber nicht aussprechen – sei es aus Schüchternheit, Scham oder falschem Respekt vor dem Arzt. Ein Beispiel, das Matthias erlebt hat, ist eine Patientin, die als Selbstzahlerin einen Brusteingriff durchführen lassen wollte. Sie hatte ein langes Erstgespräch mit dem Arzt, bei dem sie mit ihm einen ausführlichen Aufklärungsbogen durchgegangen war. Kaum wieder im Vorzimmer, sprudelten sehr grundlegende Fragen aus ihr heraus. Wird das Implantat über oder unter den Muskeln gelegt, wollte sie zum Beispiel wissen, ein Thema, dass sie gut und gern mit dem Arzt hätte vertiefen können. Denn diese grundlegende Frage wurde vom Arzt angesprochen, nur hatte die Patientin die Informationen nicht verinnerlicht.
Wir glauben nicht, dass dieser Fall eine Ausnahme ist. Beim Arztgespräch sind viele Patienten wie gelähmt, weil sie sich gestresst oder mit Informationen überschüttet fühlen. Sie schaffen es nicht mehr, sich aufs Essenzielle zu fokussieren, und gehen mit bruchstückhaftem Verständnis aus der Beratung. Was hilft? Eine gute Vorbereitung, die schon einmal ein Grundverständnis für die Haut aufbaut, und der Mut nachzufragen. Dazu möchten wir unbedingt ermuntern.
Wir finden es hervorragend, wenn Patienten offene Fragen stellen, und wir sind uns sicher, dass es anderen Ärzten genauso geht.