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ROMANTIK ENTSCHLEIERT
ОглавлениеZur komplexen und romantischen Vision
unserer Weltanschauung
»Erinnert euch: Was immer auch passiert, die Sonne wird jeden Morgen aufgehen und Amerika wird immer die größte Nation auf Erden bleiben.«
Barack Hussein Obama, Friedensnobelpreisträger und ehemaliger Präsident der USA, am 9/11/2016 nach dem Sieg von Donald Trump
Mit diesem romantischen Satz fangen wir an.
Wir fangen mit der unverzichtbaren Nation an, wir fangen mit dem Wesentlichen an, wir fangen mit dem Ursprung an, wir fangen mit der Gewalt der Macht und der Lüge an.
Mit der Realität.
Wir fangen mit dem weißen Obama an, auch wenn der schwarze Donald Trump gewählt worden ist, und wir werden mit den Europäern weitermachen.
Wir fangen mit dem Mythos an, weil wir alle Jean-Luc Nancy und Philippe Lacoue-Labarthe gelesen haben, obwohl wir immer noch nicht wissen, welches von den beiden Ländern die Welt beherrscht, Deutschland oder die USA?
Gleichzeitig ist uns bekannt, dass ein geeintes Europa von den USA leidenschaftlich gewünscht wurde, um es später schwächen zu können.
Jede Perspektive kann heterogen sein, es gibt nur eine einzige Realität und sie ist aus zwei Elementen zusammengesetzt: Gewalt und Krieg und deren Machtverhältnis.
Romantisierung schließt die Pyramide.
Darüber schwebend, unausweichlich, betrachtet uns Romantik wie das amerikanische dritte Auge Gottes, des protestantischen Christus.
Das dreckige Dreieck, das unseren Sadomasochismus verdeckt.
Die Romantisierung hält uns davon ab, die Heuchelei zu erblicken.
Sie immunisiert uns vor der Realität.
Romantisch sein schützt uns vor der gelben Gefahr und vor den Russen.
ROMANTISCH SEIN SCHÜTZT UNS GEGEN DIE VERSCHWÖRUNG.
Wir sind nicht empört, wir sind fertig mit dem Idealismus.
Wir verweigern die westliche Propaganda.
Wir verdammen die europäische und amerikanische Kommunikation.
Die Verdrehung des Geschichtsverständnisses,
die Obszönität der Diskurse verabscheuen wir.
Unser sehr tiefes Gefühl der Feindschaft ist zuerst einmal die Energie der Luzidität.
Wir wollen aber weder psychoanalysieren, noch eine Kommune coachen, und wir lehnen die buddhistische Gleichgültigkeit ab.
Aus dieser rettenden Asymmetrie in uns, dieser Opposition, werden wir dann an der antiromantischen Zerstörung arbeiten.
Wir = Wolfgang Schäuble: Wir leben in widersprüchlichen Zeiten. 4
Es gibt nur einen Hass.
Er ist Teil der Romantisierung unserer Gesellschaft:
der Hass der Superreichen gegenüber den Menschen, die arbeiten müssen.
Saudi-Arabien als Vorsitzender des UN-Menschenrechtsrats ist Hass.
Die Privatisierung von staatlicher Entwicklungshilfe: Hass.
Hass: Frank-Walter Steinmeier und Heckler und Koch.
Hass mit einer Pointe von Missachtung. Aber immer demokratischer Hass, in zeitgenössischem farbigen Neon. Von einem arabischen jungen Künstler aus der Pariser Banlieue gemacht oder von einer Frau, die lieber das Wort auf Stoff näht.
Sie näht den Satz »Befreit die afghanischen Frauen der Taliban«. Das war 2001, und selbst wenn einige Feministinnen sich gegen die Vereinnahmung der Sache der Frauen aufgelehnt haben, gehen die afghanischen Frauen dem Westen am Arsch vorbei.
Was ist romantisch heute?
Sich von seinen Gefühlen fortschwemmen zu lassen? Romantisch ist, in Wirklichkeit: der ursprünglichen Frage auszuweichen.
Romantisch ist, nicht über die Ursache zu reden.
Die Ausnutzung, die bewusste, öffentliche Manipulation des Volkes – oder des Menschen – im Privaten, für das Endziel: Das ist romantisch.
Romantik hat sich auf der Nostalgie für die Stände, das mittelalterliche Christentum aufgebaut, wo alles seine Ordnung haben muss, seinen Platz hat.
Romantik hat eine Chimäre erschaffen, um die Knechtung der Menschen zu begründen.
Das sind die fünf Säulen unserer romantischen Gesellschaft, die Werte des 19. Jahrhunderts, die wir pflegen, in allen Bereichen unseres Lebens:
Die Erfindung der sozialen Geschlechter und ihrer Unterwerfung, die Verherrlichung der Männlichkeit durch Zusammengehörigkeit (was uns als nützlich verkauft wird, obwohl es Verblödung und soziale Ausgrenzung ist, wie die Fußballindustrie) oder als einzigartiges Genie in der Kunst.
Das Nationalgefühl durch eine Nationalerzählung umformen (das, was die Franzosen im Moment so schön récit national nennen), was immer zu Imperialismus und Kolonialismus führt (nicht mit dem Populismus zu verwechseln, der für die Medien geeignet ist).
Der Kommunitarismus und seine moralisch-religiöse Einordnung, die einander abstoßenden Weltanschauungen.
Die Unterwerfung vor der Heuchelei – eher spezifisch deutsch, die bisherige absolute Hingabe an die US-Propaganda – das ist die Schuld des Kalten Krieges, welcher die deutschen Familien vor der »Entnazifizierung« geschützt hat.
Zwei erfreuliche Beispiele:
Das »Punk-Gebet« von Pussy Riot, zum ersten Mal in der First Protestant Church of New Braunfels, Texas oder auch in Notre-Dame (in Paris würden sie aber dafür nicht gelyncht).
Die kolonialistische und nationalistische Romantik des Regisseurs Werner Herzog – von Aguirre, der Zorn Gottes mit dem Verbrecher Klaus Kinski bis zu Königin der Wüste mit der beschämenden Nicole Kidman – bleibt das beste Muster der unerträglichen Suche nach Paternalismus und seiner Merchandising-Produkte.
Das Leid in der Liebe: sich dualen Gefühlen zuordnen bis zum Teufelskreis; Romantik ist weiter die Idealisierung des Leidens.
Romantisch sein, und die untergeordneten Stellungen annehmen bis zur Groteske.
Nach wie vor ist das, was wir als westliche romantische Ideologie erkennen, mit dem verlogenen Einheitsdenken über die Freiheit gekoppelt.
Dies wird durch die Akzeptanz der sozialen Ungleichheiten als normaler Zustand ermöglicht, wie die Bevölkerung Günther Oettinger und Angela Merkel und Jean-Claude Juncker als Helden unseres romantischen Europas akzeptiert, obwohl auto-suizidäre Profite nur ein Land hat, und das ist das merkantilistische Deutschland, sicherlich nicht Europa.
Die Verblendung durch Romantisierung und Mythos hat Europa schon zersetzt. Vor Jahren schon durch deutsche Raubtaten, »an der Wiege der europäischen Demokratie«, wie der Bundesaußenminister a. D. Steinmeier auf Dienstreise in Athen sagte, als er vom Erfolg der Grünen bei der Präsidentschaftswahl in Österreich erfuhr.
Romantik ist ordoliberal wie Europa, das nun selbst zu einem romantischen Begriff geworden ist.
Dieses Einheitsdenken verbietet uns, überall zu suchen und zu benennen, ohne dass wir für etwas anderes bewertet werden. Dieses romantische Denken verbietet uns, frei zu sein, frei zu denken.
Wir leben in widersprüchlichen Zeiten.
Das kann zynisch sein, muss es aber nicht unbedingt. Manchmal ist es nur Arroganz.
Gibt es Romantischeres als den Krieg, außer Geld?
Vielleicht der Glaube, Ruhr sei weniger schlimm als Typhus.
Romantisch sein wie Sylvie Kauffmann, und schreiben, dass wir jetzt das Ende einer Epoche erleben, die das Ende der »hegemonialen, gnädigen« Rolle der USA seit dem 2. Weltkrieg besiegelt, und dass Washington »das Leadership der Freien Welt« ausgeübt hat, dass »die besondere Internationale Verantwortung« der USA durch ihre Macht und deren »Verbundenheit zur Verbreitung der Demokratie« ein unbestrittener Fakt war.5
Wer zweifelt noch, dass die USA ein perverser Totalitarismus sind?
Wer nicht weiß, dass die Chefredakteurin von Le Monde mit George Soros zusammenarbeitet, dem Gründer der Open Society Foundations, der zum Krieg in Europa aufruft6, und zur Remilitarisierung Deutscheuropas im Hinsicht auf den nächsten Krieg gegen Russland, und der wahrscheinlich nicht mitbekommen hat, nach acht Jahren von Barack Obama geführten Kriegen, dass diese sauberen Operationen, die nur genau auf ihre Opfer zielen, nie die Bevölkerungen schützen.
Eine der neueren Konsequenzen dieser Politik ist das heutige Paris, Laboratorium des Terrors und des fortschreitenden Mentalitätswandels.
Unsere romantische Gefallsucht führt uns dahin, wo derjenige schon steht, der glaubt, die amerikanische Gesellschaft sei nicht sexistisch, in einem so frommen Land, wo es keine Sozialversicherung für alle gibt, trotz Obamacare. Wir alle sollten seit 1870 wissen, dass es keine Freiheit ohne soziale Gleichheit gibt, auch nicht in Deutschland, auch nicht in Versailles.
Vielleicht denken wir, Amerika sei nur die Stanford University oder die 1427 East 60th Street in Chicago?
Im Irak gab es auch Intellektuelle, und als wir Kinder waren in Paris, gab es auch hier wesentlich weniger Frauen mit Kopftüchern in den Straßen als heute.
Jetzt gibt es genug Literatur, dank der Digitalisierung haben wir einen freien Zugang zu den wichtigen Informationen, und Facebook ist eine furchterregende Waffe, dort können wir über die Zukunft des französischen Lycée in Hamburg diskutieren, alle zusammen:
Tous ensemble pour l’Europe! Alle zusammen für Europa!
Weil eines Tages, eigentlich schon lange her, haben Herr Grand, CEO von Airbus (das ohnehin seinen Aktionären aus der Arabischen Halbinsel gehört) und Herr Scholz sich getroffen und den Anschluss gewählt. Dass eine Struktur – wie das Lycée – nicht mehr französisch ist, sondern deutsch-französisch wird einleuchten, aber nicht so sehr als Verlust der französischen Werte: Die Konformität mit einem Plan ist das Erschreckendste. Der Wille Deutschlands, seine Herrschaft weiter auszubauen, ist bekannt, aber viel interessanter ist diese der Gleichförmigkeit bei der Gestaltung Europas und der Welt. Wer dies jetzt aus romantischen Gründen nicht mit der globalen Situation in Übereinstimmung bringen und aussprechen kann, hat schon verloren.
Solange die Hegemoniebestrebungen Deutschlands und der USA nicht ausgesprochen wurden; solange weiter behauptet wird, dass die USA und Europa gegen den Krieg sind, kann nichts gegen den Hass und den Krieg formuliert werden, weil wir Hass und Krieg parallel zur Romantik liefern, umhüllt mit einem guten Gewissen und Weihnachtspaketen.
Wir akzeptieren Inder und Frauen nur angepasst, wir akzeptieren reich begüterte islamistische Fanatiker.
Es ist lächerlich zu verbreiten, dass die Wahl von Trump das Ende des neoliberalen Weltsystems bedeutet, wie Menschen aus dem Silicon Valley es propagiert haben, die als gute faschistische Ideologen, die sie sind, nach Unsterblichkeit streben. Wir wollen uns nicht beschwichtigen lassen durch romantische Parolen.
Wir leben nicht in widersprüchlichen Zeiten.
Wenn Wolfgang Schäuble schreibt:
»Veränderung – keine Selbstaufgabe«,
dann weiß er, dass die Bevölkerung sich schon
dem Algorithmus selbst geopfert hat
Divide et impera:
unsere Welt ist nicht komplex, und wir sind alle gleich.
Wir müssen mit dem Glauben an die sanfte Form der Macht brechen. Wir müssen diese harte Form der Romantik abschaffen.
Wir, wir, wir und die Welt: die Worte von Wolfgang Schäuble erfassen die radikalste Form der Romantik. Es umarmt sie ein extremer Zynismus.
Wir wollen fremd sein, wir wollen fremd bleiben.
Wir wollen nicht zur europäischen Cloud (Schäuble) gehören.
Fremd sein ist unsere Möglichkeit, es ist der Schutz gegen romantische Lügen, gegen die mittelmäßige Akzeptanz der harten Macht.
Wir sind antiromantisch, wir verwerfen die Zuweisungen, wir sind keine Community.
Keine Zugehörigkeit zu wollen, bedeutet nicht, nicht zusammen sein zu wollen.
Im Gegenteil. Wir wollen uns vermischen und nicht in einer rassistischen ständischen digitalen Welt leben.
Die Utopie und die Dystopie sind romantisch. Wir verlangen die Verbundenheit mit dem Realen.
Die Angst vor Vaterlandslosigkeit soll uns den Weg zeigen: aufhören, romantisch zu denken, das Arkanum der Romantisierung entschleiern, ihr Cyberliebhaber, Transhumanisten, Houellebecquiens, transatlantische Proletarier, Nostalgiker der Ostzone, Anhänger von Giorgio Agamben, christliche Mittelschicht.
Das Antiromantische Manifest ist eine poetische Waffe, die nicht in Saudi-Arabien intra muros von Heckler und Koch hergestellt wird.
Eine Front
Gegen die Knechtung und die Manipulation,
Ein Plädoyer für den Sinn des Sinns
Für das Bewusstsein der Realität und seiner freimütigen Konfrontation.
Antiromantisch zu sein, heißt, das Recht zu kritisieren, wie Erri de Luca es tut in La parola contraria7, das Recht zu sabotieren, das Recht zu hassen in einer absterbenden amerikanischen Gesellschaft, in der man liken muss, und die Wörter zu ihrem Recht kommen zu lassen.
Das Antiromantische Manifest stellt verschiedene Textformen zusammen, die unterschiedliche Ansichten der Romantik und auch ihrer Widerspiegelung darstellen (der unermüdliche Kampf gegen die Verblendung).
Wir mussten den Kreis durchbrechen, und das in der ursprünglichen Sprache tun, es tun in der schönen deutschen Sprache. Gott sei Dank gibt es die Wörter, zum Glück gibt es die deutsche Sprache, die Sprache unserer Feinde.
Das Antiromantische Manifest ist das Buch der Liebe, das Gegenteil der Angst.
4Wolfgang Schäuble in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 27.09.2016: Dort beginnt er 35 Mal einen Satz mit »Wir«.
5In: Le Monde, 12.11.2016
6George Soros, Europe at war, für Project Syndicate, 2015
7 In Mein Wort dagegen, Graf Verlag, Berlin 2015
8 Wolfgang Schäuble in Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.09.2016