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Was soll das sein, die Romantik, oder romantisch zu sein, zeitgeschichtlich gesehen?

Romantik sieht das Leben wie einen Roman, und so ist auch die Etymologie. Elisabeth Décultot führt weiter aus: Romantik ist dazu da, »um die gefährliche Lust an der Chimäre im Gemüt aufzuwecken«1. Uns beschäftigt die deutschromantische Kulturbewegung in ihrer Spezifität und ihrer Dauer. Eckart Kleßmann resümiert wunderbar diese Besonderheiten, als er sie mit der englischen Romantik (und der Figur von Percy Bysshe Shelley) vergleicht.

»Die deutsche Romantik hatte sich nie mit realpolitischen Gegebenheiten befasst, sie schwärmte von einem am Modell des Mittelalters orientierten utopischen Ständestaat katholischer Prägung und verlor sich in spekulativer Gesinnung; Shelley hingegen ging von den sozialen Tatbeständen seines Landes aus und versuchte politisch aktiv zu werden, was einem deutschen Romantiker nie in den Sinn gekommen wäre. [… Shelley] wurde unterstützt von Journalisten, Publizisten und Studenten, von denen ein Zeitgenosse sagte: »Sie versäumten die Kollegs, achteten die Gesundheit des Körpers gering und träumten nur von der Erneuerung der Gesellschaft und von dem Marsch des Geistes. […] Die deutschen Studenten jener Jahre aber träumten nur von der Wiederherstellung eines einigen deutschen Kaiserreichs, gerade die Erneuerung der Gesellschaft interessierte sie nicht.« 2

Romantik besteht aus drei Geschichten, drei Kreisen, die ineinander rotieren. Romantik beginnt mit Friedrich Schlegels Diktum: »Ironie ist klares Bewußtseyn der ewigen Agilität, des unendlich vollen Chaos«. Die Frühromantiker aus den 1790er Jahren wie Friedrich Schlegel, Ludwig Tieck oder Novalis sind beeinflusst von philosophischen Ideen der Aufklärung und des frühen Deutschen Idealismus.

Die Entwicklung der Literatur und der Aussagesysteme lenkt den Blick auf das Dunkel und die Rückseite des rationalen Diskurses; auf Melancholie, Kreatürlichkeit, Wahnsinn, Schrecken, ausgeschmückt mit Geschichtsphilosophie und überhöhten Elementen einer religiös durchdrungenen Natur. Diese sind klar, unter anderen, bei E.T.A. Hoffmann oder Caspar David Friedrich zu erkennen. »Die Aufgabe der romantischen Modernität besteht nicht im Sagen der Dinge, sondern im (sich selbst) Sagen«, sagte Maurice Blanchot.

Durch die romantische Kunst entsteht eine neue Mythologie, der Mythos wird rehabilitiert. Es fing mit Sammlungen von Mythen und Märchen an und ging bis zu kitschigen Umformungen von Volksliedern. Dies ist ausschlaggebend.

Denn diese neue Symbolik, »diese mythischen Restitutionsversuche [waren] zwar intellektuell weniger aufregend, dafür aber erheblich breitenwirksamer […] als all das, was zu Beginn des 19. Jahrhunderts als neue ästhetische Mythologie entworfen wurde«.3

Dieser Aspekt ist nicht harmlos: Romantik hat im Grunde genommen politische Absichten. Die Deutschromantik verstand sich bald als Reaktion auf die Französische Revolution (und vor allem gegen Napoleon!) und als nationale Identitätssuche, und dies im Vergleich zur französischen und englischen Romantik am längsten und extremsten. Vor dem Hintergrund des noch-nicht-vereinten Deutschlands und der Existenz einer besonderen inneren deutschen Mentalität.

Dem Gefühl des Fremdseins – das einsame Subjekt, das keinen Bezug zur »Gesellschaft« findet, und mit den unendlichen Möglichkeiten der persönlichen Selbstentfaltung vollkommen überfordert scheint –, das einem so romantisch vorkommt, kann man durch die Suche nach Heimat entkommen.

Das ist wirklich romantisch.

Auch die Erfindung der romantischen Liebe hat zu einem politisch folgenschweren Bild der Frau beigetragen: die Frau als Gefahr, die die Integrität des Mannes bedroht, bis zum Fall der Zivilisation. Das misogyne Bild der Frauen wurde bei den Dandys später noch radikaler ästhetisiert. Der Tod ist ein Dandy. Alle Dandys des Fin de Siècle, Villiers de l’Isle-Adam, Barbey d’Aurevilly, Baudelaire oder Wilde sehnten sich nach einer aristokratischen Überlegenheit und verbanden sich durch eine furchtbare und hysterische Angst vor den Frauen: »Wenn ich Gott wäre, würde ich tun, was Neptun für eine Nymphe gemacht hat, ich würde die Frau in einen Mann verwandeln«, schrieb schon Kierkegaard am Ende seines Tagebuch des Verführers.

Romantizismus gleich Narzissmus.

Die Spätromantik schließlich entfaltet sich am Übergang zum Biedermeier, mit ihrem Hang zur Innerlichkeit und dem Rückzug ins Private, in der Zeit nach dem Wiener Kongress (1814/1815) unter Metternich bis zur »Revolution« von 1848, als Europa neu geordnet wurde. Dies ging einher mit der Errichtung eines Polizei- und Spitzelstaates mitsamt Pressezensur und der Forderung nach Aufrechterhaltung der konservativen Werte Familie, Kirche, Staat.

Aus dieser Rückzugshaltung und den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen jener Epoche heraus ergibt sich eine romantische Entpolitisierung, die, wie wir wissen, nie unpolitisch ist.

Bei anderen Romantikern herrschte gar eine offene antiliberale, erzreaktionäre Haltung, die zur »Deutschen Tischgesellschaft« führt. 1811 in Berlin von Achim von Arnim und dem Staatstheoretiker Adam Heinrich Müller gegründet, bestand sie bis 1834. Voraussetzung für die Aufnahme war, dass man männlich und getauft war. Die Mitglieder kamen aus dem Umkreis der preußischen Reformer (Adel und Bürgertum), und zu den bekanntesten Mitgliedern zählten Carl von Clausewitz, Johann Gottlieb Fichte, Clemens Brentano …

Unbestrittene, von allen geteilte Grundhaltungen waren Antisemitismus, antifranzösischer Nationalismus und Monarchismus. Zu den berühmten sogenannten Tischreden zählten die »Philisterrede« von Clemens Brentano und Achim von Arnims »Über die Kennzeichen des Judentums«.

In dieser Rede greift er die antijüdischen Vorurteile auf, welche jahrhundertelang von den christlichen Kirchen stark verbreitet wurden, und vermengt diese durch eine radikale biologisch-rassistische Terminologie mit einem modernen Antisemitismus.

Heinrich Heine hatte es längst und zu Recht bemerkt, inwiefern Romantik Protofaschismus ist, aber leider musste er nach Paris flüchten. Ach! Hätten ihm die Deutschen doch nur genauer zugehört, dann wäre die dritte Geschichte der Romantik wohl anders verlaufen.

Mit ihm endet diese Epoche der Romantik. Wäre er noch am Leben, würde er nur halb überrascht feststellen, dass Europa in den 2000er Jahren durch die magische Zauberraute zu Deutschland geworden ist.

Heute, glauben wir, befinden wir uns weit weg von all dem. Der Mythos ist schon verwirklicht, die Philosophie hat im Übrigen mit Heidegger beziehungsweise Bernard-Henri Lévy aufgehört – oder war es mit Theresienstadt?

Heute, bei allen neoliberalen Ökogrünen und der allergefährlichsten AfD, bleibt die Welt romantisch.

Genau das beschäftigt uns: Wie die Deutschromantik die Welt angesteckt hat.

1In L’Europe romantique, revue Critique n° 745-746, Paris, 2009

2In Die Welt der Romantik, Max Hueber Verlag, München, 1977

3Detlef Kremer, Prosa der Romantik, Verlag J. B. Metzler, Stuttgart/Weimar, 1997

Antiromantisches Manifest

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