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Georg saß auf einer Bank auf dem kleinen Platz neben der Kirche. Neben sich hatte er Brotdose, Trinkflasche und sein Taschenmesser ausgebreitet.

Heute war der erste sonnige Tag, seit er vor einer Woche seinen Kurs angefangen hatte. Schon mehrere Jahre träumte er davon, den Sonnhof bei Josefszell auf Biobetrieb umzustellen. Nach der Hochzeit hatte Marie ihn überredet, Nägel mit Köpfen zu machen, und sie hatten gemeinsam die Schulung geplant.

Für Georg war es ungewohnt, den ganzen Tag in einem geschlossenen Raum zu sein. Seit der Schulzeit hatte er nicht mehr so lange still sitzen müssen. Die ersten Tage waren entsprechend hart gewesen, aber er hatte sich daran gewöhnt. Trotzdem war er froh, wenigstens die Mittagspause draußen verbringen zu können, auch wenn die Luft in der Stadt nicht so frisch war wie daheim in den Bergen. Während er Brotzeit machte, dachte er an seine Familie. Marie. Sophie. Die beiden fehlten ihm. Heute Abend würde er endlich nach Hause fahren und bis Montagfrüh auf dem Hof bleiben. In den letzten Tagen hatten sie ein paar Mal telefoniert. Marie hatte ihn dazu bewegen wollen, Videos zu verschicken oder zu skypen. Aber Georg hasste die Vorstellung, Frau und Tochter auf dem Bildschirm sehen zu können und nicht bei ihnen zu sein.

„Darf ich?“

Georg blinzelte in die Sonne. Vor der Bank stand der hagere Junge aus dem Kurs.

„Klar.“ Georg machte keine Anstalten, seine Sachen wegzuräumen. Der Junge setzte sich daneben.

„Du bist Georg, oder?“

Georg nickte. Er hatte den Namen des Jungen vergessen. „Und du?“

„Sebastian.“

Georg nickte noch einmal. Danach packte auch Sebastian sein Essen aus, und die beiden kauten eine Weile schweigend.

„Gefällt dir der Kurs?“, fragte Georg, nachdem er seine Flasche geleert hatte.

Sebastian schluckte. „Weiß nicht. Ich dachte, wir machen mehr praktische Übungen.“

Georg grinste. Auch er arbeitete lieber mit den Händen als mit dem Kopf. Doch seit er den Hof alleine führte, war ihm mehr denn je bewusst, wie wichtig unternehmerisches Wissen war. In den vergangenen Tagen hatten sie von den Dozenten eine Menge nützlicher Informationen über Finanzen, Anträge und Verordnungen erhalten.

„Versteh ich“, antwortete er. „Das kommt schon noch.“ Insgesamt würden sie sich drei Wochen mit der Theorie rund um den biologischen Landbau beschäftigen. Danach folgte die praktische Ausbildung für die Teilnehmer, die keinen Hof besaßen. „Wohin gehst du zur Praxis?“, fragte Georg.

Den Betrieb, den Sebastian nannte, kannte er nicht.

„Du hast einen eigenen Hof, oder?“, fragte Sebastian.

„Ja, einen Bergbauernhof. Ich wollte schon lange umstellen, nur der Aufwand war mir immer zu hoch. Aber seit meine Tochter auf der Welt ist, bleibt meine Frau daheim. Da denke ich: Jetzt oder nie. Und du?“

Sebastian zuckte mit den Schultern. „Ich will einen Hof gründen. Aber wenn ich das alles höre … Ich weiß nicht, ob ich das schaffe.“

Georg packte die Reste seiner Brotzeit ein und drehte sich zu Sebastian. „Mach erst mal den Kurs fertig und dann überleg es dir. Egal ob Landwirtschaft oder ein anderer Beruf: Eine Ausbildung ist auf jeden Fall gut. Und wenn du mal zu mir auf den Hof kommen willst, schau vorbei.“

„Danke.“

„Bitte. Ich geh noch ein Stück, bis nachher.“

Während Georg um die Kirchenecke bog, wunderte er sich über sich selber. Es passierte selten, dass er Leute zu sich einlud. Wahrscheinlich hatte Sebastian ihn an seine eigene Jugend erinnert.

Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass es zu spät war, um noch zu Hause anzurufen, der Kurs würde gleich wieder anfangen. Wahrscheinlich hielt Sophie sowieso gerade Mittagsschlaf und Marie hatte das Telefon leise geschaltet.

Der Nachmittag verstrich schnell. Die Themen waren interessant, und es gelang Georg, die drei Stunden ohne erkennbare Anzeichen von Ermüdung zu überstehen. Gegen 16:00 Uhr verabschiedeten sich die Teilnehmer. Beim Hinausgehen nickte Georg Sebastian noch einmal zu.

Draußen war es warm. Die Sonne ließ die Straßenbahnschienen glitzern, die Luft fühlte sich weich an. Trotzdem war Georg froh, dass die Woche vorbei war.

Er machte sich auf den Weg zum Bahnhof. Doch plötzlich blieb er abrupt stehen und schlug sich mit der Hand an die Stirn. Er kramte sein Handy aus dem Rucksack und wählte Maries Nummer.

Ihre Stimme klang fröhlich, irgendwie aufgeregt. „Wann bist du da? Ich will dir etwas erzählen.“

Georg zögerte einen Moment. „Es tut mir leid“, sagte er dann. „Es wird spät heute. Ich hab’s total vergessen.“ Er erzählte ihr von dem Anruf. Gestern hatte sich diese Verwandte bei ihm gemeldet. Genauer gesagt die Cousine seiner Mutter. Sie wollte ihn treffen und etwas Wichtiges besprechen.

„Sie war total aufgeregt, wollte unbedingt mit mir reden. Sie wohnt nicht weit von hier. Ich habe versprochen, heute Nachmittag kurz vorbeizuschauen.“ Auch wenn Marie nichts dazu sagte, spürte er ihre Enttäuschung. „Ich beeile mich“, versprach er. „Bis später.“

Georg wusste, dass es für Marie schwer war, die Woche über mit Sophie allein zu sein. Andererseits war sie keine Frau, die erwartete, dass ihr Mann sich um sie kümmerte. Sie war stark und selbstbewusst. Nein, er musste kein schlechtes Gewissen haben. Sie hatten gemeinsam die Entscheidung getroffen, den Hof umzubauen. Aber wer kannte schon die Frauen? Vielleicht sollte er trotzdem auf dem Rückweg ein Geschenk besorgen.

Nimm den Himmel in die Hand

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