Читать книгу Hamburg. Eine Stadt in Biographien - Marina Bohlmann-Modersohn - Страница 9

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MATTHIAS CLAUDIUS

1740–1815

Er kam als junger Journalist und Poet in das stille Wandsbek, weil ihm Hamburg zu hektisch war. Die idyllischen Wiesen und Wälder regten ihn zu dem berühmtesten Gedicht der Romantik an.

Ein beschaulicher Ort, das »schönste romantische Dorf, das sein kann«, so schwärmt ein Freund des Dichters, »3/4 Stunden von Hamburg. Die Gegend ist ganz herrlich«.Wann immer es das Wetter erlaubt, ist Wandsbek mit seinen 100 Häusern vor den Toren der Stadt das Ziel der Hamburger für ihre sonntäglichen Ausfahrten und Spaziergänge. Erst kürzlich hat Heinrich Carl Freiherr von Schimmelmann den zu Dänemark gehörenden Gutshof mit dem Dorf Wandsbek gekauft und anstelle einer alten Wasserburg ein großes Schloss bauen lassen. Ein prachtvoller Park mit baumgesäumten Alleen und zahlreichen Pavillons lädt Hamburgs Familien zum sonntäglichen Flanieren ein, und in den »Lusthäusern« können sich die Ausflügler »bei Tanz und Musik des Lebens freuen und den Rost der durcharbeiteten Woche abschleifen«.

Ganz im Geist der Aufklärung liegt dem Grafen das Gemeinwohl am Herzen. Aber die Bürger sollen sich nicht nur im Grünen tummeln und an der Schönheit der Natur ergötzen dürfen. Er möchte auch etwas für ihre Bildung tun und ihr wachsendes Bedürfnis nach Lektüre stillen. So lässt Schimmelmann den »Wandsbecker Bothen« herausgeben, ein Blättchen, das vier Seiten hat und viermal in der Woche erscheint.

Mit der Redaktion betreut der Schlossherr einen jungen Pastorensohn, der aus dem holsteinischen Reinfeld stammt und sich gerade in Wandsbek niedergelassen hat: Matthias Claudius, 31, ein schon in jungen Jahren erfahrener Journalist und Lyriker, soll auf unterhaltsame, allgemein verständliche Weise über Neues aus Politik, Wissenschaft und Kultur berichten und darüber hinaus auch eigene Gedichte veröffentlichen.

Für den jungen Chefredakteur ist es kein Problem, namhafte Schriftsteller als Autoren für den »Bothen« zu finden. Aus seiner Zeit in Kopenhagen als Sekretär eines Grafen kennt er den deutschen Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock und ist erfreut, als er berichten kann: »Klopstock hab’ ich gesprochen, er wird den Winter in Hamburg zubringen, der holdselige Großmeister, der.«

Der Zufall will es, dass auch Gotthold Ephraim Lessing gerade in Hamburg ist und sich als Dramaturg für das Deutsche Nationaltheater engagiert. Claudius kann ihn ebenso als Schreiber für sein Blatt gewinnen wie den 27-jährigen Johann Gottfried Herder, der sich, aus Paris kommend, im Jahr 1770 vorübergehend an der Elbe aufhält. »Helfen Sie mir, das Wechselbalg zur Welt zu bringen«, appelliert der Zeitungsmacher an die berühmten Kollegen: »Ich wollte gerne, dass der gelehrte Artikel zwar nicht gerade besser wäre als in vielen anderen Zeitungen, aber etwas eigenes muss er haben und nicht so wie die andern sein.«

Matthias Claudius kann sich freuen. »Ich bin ein Bote und nicht mehr. Was man mir bringt, das bring ich her, gelehrte und politische Mär«, hatte er zu Beginn seiner redaktionellen Arbeit angekündigt. Die Leute lesen sein Blatt gern, und 1772 beträgt die Auflage bereits 400 Exemplare.

ER IST GEGEN ZU VIEL GEFÜHLSSCHWÄRMEREI

Neu ist der lockere, humorvolle und dabei schlichte Schreibstil, der sich vom Ton der verbreiteten, aus England übernommenen »Moralischen Wochenschriften« wohltuend unterscheidet. Die Leser mögen vor allem Claudius’ lustige Reime und feinsinnig-innige Lieder, haben Sinn für seine philosophischen und religiösen Betrachtungen und verfolgen mit Vergnügen den fingierten Briefwechsel zwischen Asmus, wie sich Claudius gerne nennt, und einem – erfundenen – Vetter Andres:

»Du hast Recht, Vetter, es wird in diesen Jahren mit Empfindungen und Rührungen ein Unfug getrieben, dass sich ein ehrlicher Kerl fast schämen muss«, mokiert er sich über die ästhetische »Salbaderei« im Zeitalter der Empfindsamkeit. »Wahre Empfindungen sind eine Gabe Gottes und ein großer Reichtum, Geld und Ehre sind nichts gegen sie; und darum kann’s einem Leid tun, wenn die Leute sich und andern was weismachen, dem Spinngewebe der Empfindelei nachlaufen und dadurch aller wahren Empfindung den Hals zuschnüren und Tür und Tor verriegeln.«

Der »Wandsbecker Bothe«, den Claudius bald schon zu einer der bekannteren Zeitungen des 18. Jahrhunderts macht, genießt großes Ansehen, doch die Auflage bleibt gering. Als der Verkauf nachlässt und immer weniger Verdienst verspricht, verliert Claudius sein Interesse, wird schließlich entlassen, und die Zeitung muss nach vierjährigem Erscheinen ganz eingestellt werden.

Im März 1772 hatte Matthias Claudius die 14 Jahre jüngere Anna Rebekka Behn aus Wandsbek geheiratet, eine Tochter des örtlichen Zimmermanns. Nach dem Ende des »Bothen« hieß es nun, den Unterhalt für seine schnell wachsende Familie als freier Schriftsteller verdienen zu müssen. Das war schwer. Claudius wusste, dass ihm ein Leben in der Stadt bessere Arbeitsmöglichkeiten geboten hätte, abgesehen von den größeren geistigen Anregungen: »Ihr Städter habt viel schönes Ding. Viel Schönes überall. Kredit und Geld und golden Ring. Und Bank und Börsensaal«, reimt er, und wenn es auch bedeutet, dass er mit der Frau seines Herzens – zwölf Kinder werden dem Paar im Laufe der kommenden Jahre geboren – am Rande der Armut lebt, zieht der bescheidene und fromme Dichter doch das stille Glück im ländlichen Wandsbek dem in der Stadt vor. Geld, Bank und Börsensaal zählen nichts im Vergleich zu den Wundern, die er in der Natur erlebt, wenn sich der Nebel über Wiesen und Felder legt und der Mond über den Wäldern von Wandsbek aufgeht. 1778 dichtet Matthias Claudius sein berühmtes »Abendlied«:

»Der Mond ist aufgegangen

Die goldnen Sternlein prangen

Am Himmel hell und klar.

Der Wald steht schwarz und schweiget

Und aus den Wiesen steiget

Der weiße Nebel wunderbar.«

Generationen von Kindern hat das elterliche Summen des geliebten Mondliedes in den abendlichen Schlaf begleitet. Mehr als 200 Jahre nach Matthias Claudius wurde es vom Dresdner Kreuzchor bei seinem ersten Konzert nach dem Krieg in der St. Michaeliskirche 27 ( ▶ D 5) in Hamburg gesungen.

Heute ist das einst so idyllische Wandsbek ein Stadtteil von Hamburg. Das Schloss wurde abgerissen, der Park parzelliert. Vom Wandsbeker Marktplatz, den die Claudius-Skulptur »Der Ehrensprung« von Bernd Stöcker ziert, ist es nicht weit bis zum alten Friedhof hinter der Christuskirche mit dem Grab des Dichters und seiner Frau Rebekka, auf dem zwei gusseiserne Kreuze mit vergoldeten Spitzen stehen. »Matthias Claudius 1740–1815« verkündet ferner ein Findling aus rötlichem Granit im Wandsbeker Gehölz. Ein Hut, eine Tasche und ein Wanderstab sind darauf umrisshaft eingemeißelt, zum Zeichen dafür, dass hier der »Wandsbecker Bothe« ruht. Kurz vor seinem Tod, während des für Hamburg schlimmsten Jahres Mai 1813 bis Mai 1814 unter französischer Okkupation, hatte Claudius das verwüstete Wandsbek verlassen und war in das Haus seiner Tochter Caroline am Jungfernstieg Ecke Große Bleichen geflohen. Carolines Mann Friedrich Christoph Perthes, Buchhändler und später auch Verleger, hatte seinen Laden am Ufer der Binnenalster und war für Hamburgs Dichter und Gelehrte ein magnetischer Anziehungspunkt.

Das Neue: Es gab Regale. Bei Perthes standen die Bücher – Goldschnitt, marmorierter Buchdeckel, Halbleinen, Fadenheftung – alphabetisch geordnet in Regalen und waren nicht zu unübersichtlichen Haufen gestapelt, wie bis dahin allgemein üblich. Stühle luden zum Sitzen ein, das war auch neu, ebenso wie das große Schaufenster, das den Passanten einen Blick auf die Bücher ermöglichte. Darunter auch die Gedichte seines Schwiegervaters Claudius und Abbildungen von Gemälden Philipp Otto Runges. Runge war ein enger Freund von Perthes und lebte ebenfalls in Hamburg. Berühmt ist Runges Gemälde »Die kleine Perthes«. Es zeigt die vierjährige Tochter von Caroline und Friedrich Perthes, eine Enkelin von Matthias Claudius.

HAMBURG WIRD ZUR PRESSEMETROPOLE

Als der Dichter, der sein Geld zuletzt als Bankrevisor verdiente, 1815 im Haus seiner Tochter am Jungfernstieg 22 starb, lebte sein Freund Friedrich Gottlieb Klopstock schon seit zwölf Jahren nicht mehr. Der »Sänger des Messias« war um 1770 in die Hansestadt gekommen, wo er mit Hamburger Patriziern rund um den erfolgreichen Kaufmann und Aufklärer Georg Heinrich Sieveking die Französische Revolution 1789 mit einem Fest an der Alster begeistert feierte und zu den Gründern einer Lesegesellschaft gehörte, in der ausschließlich Frauen die Lektüre bestimmten.

Klopstock liegt an der Südseite der Christianskirche im Stadtteil Altona begraben. Neben ihm seine aus Hamburg gebürtige Frau Meta Moller, die bei der Geburt ihres Sohnes starb, gerade 30 Jahre alt. Es muss eine große Liebe gewesen sein zwischen dem Dichter und der Schriftstellerin, die für ihr Sprachtalent bekannt war und einen umfangreichen Briefwechsel hinterließ.

»Die Ufergegenden der Elbe sind wunderlieblich, besonders hinter Altona«, notierte Heinrich Heine Jahre später während eines Aufenthalts im Hause seines Onkels Salomon Heine nach einem Spaziergang zu dem Kirchfriedhof. »Unfern liegt Klopstock begraben. Ich kenne keine Gegend, wo ein toter Sänger so gut begraben liegen kann wie dort. Wie oft hab’ ich dein Grab besucht, Sänger des Messias, der du so rührend wahr die Leiden Jesu besungen.«

Hamburg – schon früh ist die zu Claudius’ Zeiten rund 100000 Einwohner zählende Hansestadt nicht nur ökonomisches Zentrum im Norden, sondern auch so etwas wie die Pressemetropole der Nation. An der Elbe weht ein liberaleres Lüftchen, und seitdem auch der »gemeine Mann« Gefallen an der Zeitungslektüre gefunden hat, sieht man Hausangestellte und Arbeiter am frühen Morgen zusammenstehen, wie sie »aufmerksam die für ihre Herren geholten Zeitungen lesen und diskutieren«, so ein Chronist.

Was hatte sich der Journalist Matthias Claudius doch zum Ziel gesetzt, als er den »Wandsbecker Bothen« herausgab: »Man muss den Menschen nur vernünftig ansprechen, und man wird sich wundern, wie er’s begreift.«

CLAUDIUS-GRAB

Hinter der Christuskirche

Schloßstraße 78, Wandsbek

▶ U-Bahn: Wandsbek Markt

CLAUDIUS-SKULPTUR »DER EHRENSPRUNG«

Wandsbeker Marktplatz, Wandsbek

▶ U-Bahn: Wandsbek Markt

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