Читать книгу Paris. Eine Stadt in Biographien - Marina Bohlmann-Modersohn - Страница 8

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HENRI IV

1553–1610

Le bon roi, den »guten König«, nennt man ihn. Er lehrte das Land Toleranz, brachte ihm den Frieden. Und mit einem gewissen Stolz weisen die Pariser auf seine zahlreichen amourösen Abenteuer hin.

Hoch zu Ross, seinen freundlichen Blick gen Süden über die Île de la Cité ( ▶ E 4/5) mit den Türmen von Notre-Dame 33 ( ▶ F/G 5) gerichtet, im Rücken die romantischste aller Pariser Parkanlagen und für das Volk weithin sichtbar – so wollte Marie de Médicis ihren Gemahl und nimmermüden Reiter verewigt wissen, der am 14. Mai 1610 während der Fahrt in seiner Karosse einem Mord zum Opfer gefallen war.

Ein Zeitgenosse berichtet: »Als man in die Rue de la Ferronnerie kam, stieß man auf einen Karren, der die königliche Karosse zwang, dicht an die Eisenwarenläden heranzufahren (…) Dort warf sich ein verabscheuungswürdiger Mörder auf den König.«

Dreimal stieß der fanatische Papstanhänger François Ravaillac das Messer in die Brust des Königs. Der erste Stich glitt an den Rippen ab, der zweite durchtrennte die Schlagader über dem Herzen und durchstieß den linken Lungenflügel, der dritte verfehlte das Herz. Der blutüberströmte Regent wurde in sein Schloss, den Louvre 29 ( ▶ E/F 4), gefahren, er starb, 57-jährig, noch auf dem Weg.

Kurz darauf endete auch der Meuchelmörder qualvoll: Parlament und Volkszorn hatten gefordert, dass der Täter, nackt bis aufs Hemd und eine brennende Kerze in der Hand, vor dem Portal von Notre-Dame Buße tun und Gott, den König und die Justiz um Gnade bitten müsse, bevor er grausam gefoltert und schließlich coram publico von Pferden gevierteilt wurde. Eine in das Pflaster vor dem Haus Nr. 11, Rue de la Ferronnerie ( ▶ F 4), eingelassene Plakette erinnert an den tödlichen Anschlag auf den ersten der französischen Bourbonen-Könige.

Längst war »le bon roi Henri«, der »gute König« Heinrich IV, zum Idol des Volkes geworden. Mit seinem heimlich verbreiteten Epos »Die Henriade«, einem Bekenntnis zum Geist des Friedens und der Toleranz, wird der Aufklärer Voltaire dem populären Monarchen 150 Jahre später ein literarisches Denkmal setzen. Das Buch soll übrigens, so heißt es, als Erinnerungsstück in den Sockel des königlichen Reiterstandbilds auf dem Pont Neuf 39 ( ▶ F 4) eingemauert worden sein.

Als Henri de Bourbon am 13. Dezember 1553 auf Schloss Pau im Pyrenäenvorland des Königreichs Navarra zur Welt kam, erschütterten blutige Bürger- und Glaubenskämpfe Frankreich. Der familiäre Hintergrund des Neugeborenen war außergewöhnlich: Sein Vater war Katholik, seine Mutter die protestantische Königin von Navarra. Schon seit Längerem hatte sich ihr Land zum Sammelbecken protestantischer Reformer entwickelt, die sich überall im katholischen Frankreich von Feinden bedroht sahen. Auch in Paris, wo sie Kerker, Verbannung oder gar Scheiterhaufen fürchten mussten. Kein Wunder, dass sie in Heinrich von Navarra, der katholisch getauft, aber protestantisch erzogen und dazu noch ein aussichtsreicher Anwärter auf den französischen Thron war, ihren idealen König sahen.Er ist gerade 19, als seine Mutter stirbt. Als König Henri IV von Navarra tritt er ihre Nachfolge auf dem Thron an. Noch im selben Jahr, 1572, heiratet er die Schwester des regierenden französischen Königs, Marguerite de Valois, in der Kathedrale Notre-Dame. Mit dieser Hochzeit, so wünscht er, soll zwischen Katholiken und Hugenotten endlich Frieden geschlossen werden.

Massen begeisterter protestantischer Bürger strömen zu den Feiern in die Hauptstadt Paris. Aber das große Fest wird zur tödlichen Falle. In der »Bartholomäusnacht«, benannt nach dem Apostel Sankt Bartholomäus, metzeln die Katholiken rund 4000 protestantische Gäste und bei den anschließenden Verfolgungen in anderen Städten noch einmal bis zu 20 000 Hugenotten hin. Ein grausamer religiöser Bürgerkrieg, der als die »Pariser Bluthochzeit« in die Geschichte eingeht.

Heinrich von Navarra, nach seiner Eheschließung gefangen genommen und vor die Wahl gestellt, ob er lieber gehängt oder Katholik werden wolle, entscheidet sich zum Übertritt – und will nun endlich den französischen Thron erobern. Am 25. Juli 1593 tritt er, betört von Paris, vor der Krönungskathedrale St-Denis erneut zum Katholizismus über. Ob es stimmt, dass er als Grund für seine Konversion den ihm immer wieder in den Mund gelegten berühmten Satz »Paris vaut bien une messe«, Paris ist eine Messe wert, gesagt hat, bleibt umstritten. Jedenfalls bedeutet dieser Schritt, dass seinem Anspruch auf den Thron nun nichts mehr im Wege stand. Heinrich von Navarra wurde am 27. Februar 1594 in der Kathedrale Notre-Dame de Chartres gesalbt und als Henri IV zum ersten König der Bourbonen gekrönt. Für Frankreich beginnt unter dem 40-jährigen Monarchen nun eine Friedenszeit, nach der sich das französische Volk lange gesehnt hatte.

Henri IV beendet die Glaubenskriege, die über eine Million Todesopfer gefordert hatten, und trifft mit dem »Edikt von Nantes« am 13. April 1598 eine seiner größten politischen Entscheidungen: Den rund 1,2 Millionen noch in Frankreich lebenden Hugenotten garantiert er Religionsfreiheit und gibt ihnen die Bürgerrechte.

Unter ihm gedeihen Wirtschaft und Finanzen, wird die Verwaltung zentralisiert, die französische Gesellschaft reformiert. Der König lässt das Straßen- und Kanalnetz ausbauen, weist zusätzliche Agrarflächen aus und erklärt die Landwirtschaft zu der Brust, die Frankreich nähren solle. Sein Ziel: »Wenn mir Gott zu leben erlaubt, werde ich dafür sorgen, dass es in meinem Land keinen Bauern gibt, der sonntags nicht sein Huhn im Topf hat.«

DER KÖNIG WAR EIN VITALER CHARMEUR

Betrüblich nur, dass der Kinderwunsch des Königspaars nicht in Erfüllung geht. So geben sich beide während ihrer 27-jährigen Ehe zahlreichen Liebesbeziehungen hin. Besonders Henri IV, ein vitaler Charmeur, hält stets nach neuen Abenteuern Ausschau. Insgesamt 73-mal soll er als Verführer erfolgreich gewesen sein. Mit liebevollem Spott hat ihn sein Volk darum als »vert galant« bezeichnet, als »immergrüner Galan«. So heißt auch die kleine Parkanlage am westlichen Zipfel der Île de la Cité: Square du Vert-Galant 39 ( ▶ F 4). Liebespaaren bietet Paris kaum einen beschaulicheren Platz als die vom Wasser der Seine umspülte Inselspitze.

Im Alter von 46 verliebt sich der König noch einmal heftig. Die Auserwählte ist Maria von Medici, die damals reichste Erbin des europäischen Kontinents. Henri IV heiratet sie unmittelbar nachdem Papst Clemens VIII. seine erste Ehe annulliert hatte. Am 27. September 1601 wurde dem Herrscherpaar ein Sohn geboren, der spätere Ludwig XIII. Überaus glücklich über die Geburt des Thronfolgers, ließ Henri IV im Laufe der kommenden Jahre ihm zu Ehren ein städtebauliches Juwel im Herzen von Paris anlegen: Die nach dem Dauphin benannte dreieckige Place Dauphine 37 ( ▶ F 4/5) wird von 32 gleichförmigen, schönen Häusern aus rotem Backstein und weißem Haustein gesäumt. Kleine Cafés und alte Bäume beleben den Platz.

Von der Place Dauphine tritt der Spaziergänger in Richtung Westen auf den Pont Neuf hinaus, die »Neue Brücke«. Bereits von Henri III in Auftrag gegeben und unter Henri IV vollendet, ist sie trotz ihres Namens die älteste steinerne Brücke von Paris und »neu« insofern, als sie die erste Brücke war, die nicht mehr, wie im Mittelalter üblich, mit Häusern und Geschäften bebaut war.

Das bemerkenswert große, 238 Meter lange Bauwerk mit den halbmondförmigen Nischen hatte erhöhte Bürgersteige, auf denen die Pariser Marktbuden aufstellen und sich am Marionettenspiel vergnügen konnten. Die Damen der Gesellschaft ließen ihre Kutschen anhalten, um den Blick über die Seine zu genießen.

Häufig ist die herrliche Bogenbrücke im Laufe der Jahrhunderte besungen und gemalt worden. Sie kommt bei Victor Hugo und Gérard de Nerval vor, Picasso malte sie, Leos Carax drehte hier »Die Liebenden vom Pont-Neuf« mit Juliette Binoche.

HENRI IV GAB PARIS SEIN VORNEHMSTES GESICHT

Großartig die Szene, als zum Sommeranfang 1994 Tausende von Begonien und Efeu den Pont Neuf schmückten, eine Idee des japanischen Modemachers Kenzo. Ebenfalls spektakulär die Aktion des US-Künstlerehepaars Christo und Jeanne-Claude im Herbst 1985, als Froschmänner und Bergsteiger 40 000 Quadratmeter sandfarbenen Stoff an den zwölf Brückenbögen anbrachten und die Brücke damit komplett verpackten. Es war ein magisches Schauspiel, als die Sonne das Kunstwerk in schimmerndes Gold verwandelte und die Abenddämmerung es rötlich einfärbte. Die Aktion dauerte mehrere Wochen, nachdem die Künstler zehn Jahre lang auf das Einverständnis von Bürgermeister Jacques Chirac gewartet hatten.

Was wäre Paris ohne den adligsten seiner Plätze, die Place des Vosges 38 ( ▶ H 4), im Marais-Viertel auf dem rechten Seine-Ufer, ein städtebauliches Ensemble von einzigartiger Strenge und Schönheit, 1605 von Henri IV angelegt. Seit der Spätrenaissance war das Marais bevorzugtes Wohnviertel der Aristokratie und des Großbürgertums. Bestechend die einheitliche, florentinisch beeinflusste Fassadengestaltung in rötlichem Grau der 38 Adelsresidenzen, die den quadratischen Platz umgeben. Über dem Arkadengeschoss tauchen erstmals die »französischen Fenster« auf, schmale, hohe Fenstertüren, die bis zum Fußboden hinabreichen. Nur zwei der Gebäude überragen minimal die anderen. Es sind die Stadtwohnungen des Königspaars, erkennbar an den königlichen Initialen: Auf der Südseite der Pavillon du Roi und direkt gegenüber, auf der Nordseite, der Pavillon de la Reine. In der Mitte des Platzes, einst als Turnierplatz und Treffpunkt der eleganten Welt konzipiert, grüßt vom Pferd aus Louis XIII. Es ist der Sohn von Henri IV, den der Regent so lange ersehnt hatte.

Im Haus Nr. 6 hat Frankreichs bedeutender Dichter und Philosoph Victor Hugo von 1832 bis 1848 gewohnt.

Henri IV, auch Henri le Grand (Heinrich der Große) genannt, war Frankreichs populärster König, er hat Bedeutendes für Paris getan. Er befriedete die Stadt und sorgte für eine erste städtebauliche Kontinuität. Paris verdankt ihm seinen Charakter und seine zeitlose Schönheit.

PLACE DAUPHINE 37F 4

1. Arr.

▶ Métro: Pont Neuf

PLACE DES VOSGES 38H 4

3. und 4. Arr.

▶ Métro: Chemin Vert, St-Paul

PONT NEUF & SQUARE DU VERT GALANT 39F 4

1. Arr.

▶ Métro: Pont Neuf

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