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Der Anruf
13. Juli 2018. Ein Freitag. 10 Uhr. Ich sitze am Schreibtisch in meinem Büro und habe die Wahl. Entweder mache ich mich jetzt ans aktuelle Reporting für einen Verein, oder ich kümmere mich um die Buchhaltung des vergangenen Monats. Das Telefon klingelt. Einer meiner Ansprechpartner bei Juventus Turin ist dran – und teilt mir mit, was ich längst weiß. Am 10. Juli 2018 um 17:34 Uhr hat Spaniens Rekordmeister Real Madrid via Twitter den Wechsel seines Top-Spielers verkündet. In einem mit »Comunicado Oficial: Cristiano Ronaldo« schlicht überschriebenen Tweet verbirgt sich eine Sensation. Der Portugiese wechselt mit sofortiger Wirkung nach Italien zu Juve. Meine Expertise ist gefragt.
Zu diesem Zeitpunkt habe ich als externer Social-Media-Berater bereits drei Jahre Einblick in die Juventus-Kennzahlen im Netz. Ich arbeite mit dem strategischen Kommunikationsteam des italienischen Rekordmeisters zusammen. Und jetzt bin ich von der einen auf die andere Sekunde mittendrin im aufregendsten Transfer der Fußballgeschichte: Cristiano Ronaldo – von Real Madrid zu Juventus Turin. »CR7«. Der Weltfußballer. Der Rekordtorschütze, der Mann, der fünfmal die Champions League gewonnen hat. Mehrfacher Meister in England und Spanien geworden ist. Europameister mit Portugal. Social-Media-King. Das Idol von Millionen Kids auf der ganzen Welt. Das alles schlagartig in meinen Händen. Wahnsinn!
Die Fakten. Cristiano Ronaldo hat noch ein Jahr Vertrag bei Real Madrid. Aber: Er will weg. Sofort! Er hat mit den Königlichen alles erreicht, sucht eine neue sportliche Herausforderung – und sieht sie bei Juventus. Der Titel in Italiens Serie A fehlt ihm noch in seiner gigantischen Trophäensammlung. Ronaldo ist 33, aber ehrgeizig wie mit 17. Sein durchtrainierter Körper ist eine gnadenlose Maschine. Er will die Herzen der Tifosi erobern. Vor allem aber will er die Machtverhältnisse im globalen Superstarfußball wieder zurechtrücken und seinen neuesten Konkurrenten in den Schatten stellen: Neymar.
Der Brasilianer ist zehn Monate zuvor, im August 2017, vom FC Barcelona zu Paris Saint-Germain gewechselt. Für die irre Ablösesumme von 222 Millionen Euro! Noch nie ist auf dem Planeten mehr Geld für den Transfer eines Fußballers geflossen. Dabei ist Neymar bei den Wahlen zum Weltfußballer des Jahres 2015 und 2017 jeweils »nur« Dritter geworden. Ronaldo lag bei beiden Abstimmungen vor ihm, 2016 und 2017 hat CR7 die Wahl sogar gewonnen. Doch mit der erstmals durchbrochenen Ablöse-Schallmauer von 200 Millionen und der in der Folge ausgelösten Abwanderung seiner Millionen Follower von den Social-Media-Accounts des FC Barcelona zu denen von Paris Saint-Germain hat Neymar Ronaldo den Fehdehandschuh hingeworfen. Der Brasilianer ist Hype, er ist das Jetzt und die Zukunft des globalen Fußballbusiness. Die 222 Millionen Euro lassen ihn erstrahlen, sie lassen ihn größer als Messi und größer als CR7 erscheinen. Cristiano Ronaldo will das nicht auf sich sitzen lassen. Wer bitte ist Neymar?!
SOCIAL-MEDIA-COMMUNITYS DER SPIELER
Die Social-Media-Communitys der Stars sind häufig sehr viel größer als die des Vereins, bei dem sie unter Vertrag stehen.
CR7 ist eine Weltmarke. Zählt man Ronaldos Follower auf allen Social-Media-Plattformen zusammen, folgen ihm heute 400 Millionen Menschen. Allein auf Instagram hat er knapp 200 Millionen Fans. Kein Mensch auf dieser Welt hat mehr.
Im Sommer 2018 beträgt die Anzahl der Follower von Juventus – vor Bekanntgabe des Wechsels – gerade mal ein Siebtel von der von CR7. Das wirft ein paar Fragen auf, für deren Beantwortung die »Alte Dame« meinen Rat benötigt: Wie viele neue Follower wird der anstehende Transfer den Social-Media-Accounts von Juventus bescheren? Wie viele werden mit ihrem Idol von Real zu Juve wechseln? Was für eine Menge an Interaktion werden die Beiträge rund um Cristiano Ronaldo auslösen? Welche Wirkung und Strahlkraft wird der Neuzugang auf Juventus haben? Mit anderen Worten: Wie schnell wird das investierte Geld zurück in die Kassen fließen? Mein Auftrag war es, Argumente zu liefern. Binnen sieben Stunden. Denn Real Madrid ist als börsennotierte Aktiengesellschaft gezwungen, auf die in den Medien aufkommenden Gerüchte über einen Ronaldo-Wechsel schnellstmöglich zu reagieren. Daher der Zeitdruck.
Ronaldo hat sich zu diesem Zeitpunkt längst für einen Wechsel nach Norditalien entschieden. Gehalt und Vertragslaufzeit sind ausgehandelt. Über die Ablösesumme sind sich die beiden Klubs schnell einig geworden: kolportierte 112 Millionen Euro. Viel Geld – und doch nur ein Klacks im Vergleich zu Ronaldos im Vertrag mit Real festgeschriebener Ablösesumme von angeblich einer Milliarde Euro. Doch weil Cristiano unbedingt gehen will und Real damit 21 Millionen Euro Jahresnettogehalt einspart, fordert Madrid diese Fabelsumme von Turin nicht ein. Laut Medienberichten soll CR7 bei Juventus übrigens 30 Millionen Euro netto im Jahr einheimsen. Bedeutet: Nur für Ablöse, Gehalt des Superstars, Beraterprämien und Steuern müssen die Italiener demzufolge ein Paket von über 350 Millionen Euro schnüren. Puh!
Juve braucht eine Kommunikationsstrategie. Wobei sie nicht mit der Unterstützung des Hauptdarstellers rechnen können: Cristiano Ronaldo befindet sich an diesem Tag auf einer Yacht vor Griechenland. Den Urlaub, lässt er ausrichten, wird er erst am Montag zum Medizincheck unterbrechen. Weder ist er zu einem Statement bereit, noch ist an ein Foto im ikonischen, schwarzweiß gestreiften Juve-Trikot zu denken. Basta! Die Kommunikation muss also einzig und allein vom Verein aus erfolgen.
Sofort schreite ich zur Tat, stürze mich in die Kennzahlen und bereite mit Hilfe meines Crawlers und meiner Social-Media-Expertise die digitale Seite des Transfers von Cristiano Ronaldo vor. Meine Prognose, wie viele Follower Turin in welchen Ländern hinzugewinnen wird, ist wichtig, weil der Klub damit auf die Sponsoren zugehen will. Und muss. Denn allein – ohne Hilfe von externen Geldgebern – ist das 350-Millionen-Euro-Paket für Juve nicht zu stemmen. Social Media, das ist die neue, die andere Währung im Profifußball.
So bereitete ich den Wechsel von Ronaldo digital vor
Ich rechne immer quartalsweise. Drei zusammenhängende Monate als Bemessungsgrundlage zu nehmen, macht Daten am besten greifbar. So kam ich zu den Prognosen, dass …
… Real Madrid kurzfristig ein bis zwei Millionen Follower in den sozialen Medien verlieren wird, weil diese mit Ronaldo nach Turin wandern.
… Juve in neun Wochen zehn Millionen neue Anhänger gewinnt.
… die Reichweite der Juve-Posts um ein Vier- oder Fünffaches höher sein wird als zuvor.
… Juventus’ Instagram-Kanal das Social Network ist, das am meisten profitieren wird. Gefolgt von Facebook und Twitter.
… sich der Transfer für Juventus innerhalb von 18 Monaten amortisiert.
Meine konservativen Annahmen werden deutlich übertroffen. Denn der Ronaldo-Transfer löst einen digitalen Tsunami aus.
Allein in den ersten vier Wochen nach Bekanntgabe des Ronaldo-Transfers gewinnt Juventus 350.000 neue Follower auf Twitter hinzu, 500.000 neue Follower auf YouTube, 1,7 Millionen neue Follower auf Facebook und unglaubliche 3,5 Millionen neue Follower auf Instagram. Weitere vier Wochen später hat der Klub auf allen Plattformen zehn Millionen neue Follower eingesammelt. Viele davon sind schon da, bevor Ronaldo auch nur einen Fuß auf italienischen Boden gesetzt hat.
Die Dimension der Posts ist unfassbar. So etwas habe ich noch nie erlebt. Allein auf Facebook besitzen Juve-Beiträge nun eine Gesamtreichweite von 437 Millionen Usern. Auf Twitter lösen sie 280 Millionen Impressionen aus. Und auf Instagram ernten sie 65 Millionen Likes und 630.000 Kommentare. Zahlen, wie sie noch nie zuvor erreicht worden sind.
Innerhalb von drei Wochen steigt Turins Aktienkurs um über 30 Prozent, was einem Plus bei der Kapitalisierung des Klubs von 212 Millionen Euro entspricht. Zwischenzeitig ist Juventus eine Milliarde Euro wert. Binnen der ersten 24 Stunden nach Bekanntgabe des Transfers werden 520.000 Ronaldo-Trikots verkauft. Viele davon in Asien. Nach fünf Werktagen sind die Ronaldo-Jerseys für die Saison 2018/19 vergriffen. Juventus muss nachproduzieren.
Noch vor Cristianos erster Pressekonferenz als Juve-Spieler haben die Italiener einen Großteil der mit Madrid ausgehandelten Ablösesumme wieder drin. Bereits nach 15 Monaten hat sich der Transfer vollständig amortisiert. Gigantisch, der helle Wahnsinn. Im Vergleich zum Wechsel von Neymar vom FC Barcelona zu Paris Saint-Germain erzielt der Ronaldo-Transfer die 52-fache Wirkung. Die Franzosen wurden am ersten Tag nach der Verpflichtung Neymars »nur« 10.000 Trikots des Brasilianers los …
Sie fragen sich jetzt sicher: Mit welchen Kommunikationsmaß-nahmen löst man einen solchen Digital-Tsunami aus?
Am Freitag lässt Juventus in den sozialen Medien seine neu geschaffene Corporate Identity optisch mit der Marke CR7 verschmelzen: In das neue Vereinslogo ist Ronaldo in seiner typischen Siegerpose mit abgespreizten Armen hineinmontiert. Unter den Beiträgen steht nur: CRISTIANO. Ergebnis: Fast eine halbe Million Likes auf Facebook, phänomenale 2,6 Millionen Likes auf Instagram und 84.000 Retweets auf Twitter. Herrgott!
Am Samstag verziert der Klub seine Profil- und Panoramabilder in den sozialen Netzwerken komplett mit Ronaldo. Es ist nun nicht mehr Juventus Turin, es ist »Cristiano Turin«. Der Verein inszeniert die Ankunft seines neuen Superstars wie die Oscar-Verleihung – und rollt ihm den roten Teppich aus. Bereits sein »Touchdown« in Italien war preisverdächtig. Er landete einen Tag früher als vorgesehen in Turin. Und während gerade das WM-Finale zwischen Frankreich und Kroatien lief, twitterte Juve: »Schaut mal, wer gerade angekommen ist.«
Für seinen Medizincheck am Montag wurde der Hashtag #CR7DAY ins Leben gerufen. Die Follower-Zahlen und Interaktionsraten auf Turins Digitalplattformen schossen ins Unermessliche. Juve beendete den Tag auf Instagram mit 7,8 Millionen Likes und Kommentaren und auf Facebook mit 1,1 Millionen Likes, Reactions, Shares und Kommentaren jeweils auf Platz eins. Auf Twitter, mit 410.000 Likes und Retweets, auf Rang drei. Einfach irre. Eine klassische Vereinswebseite wäre bei einem solchen Run schlicht zusammengebrochen.
CR7 ist ein Social-Media-Phänomen
Es ist ein neues Phänomen, dass Menschen auf digitalen Plattformen längst nicht mehr nur Vereinen folgen. Menschen folgen am liebsten Menschen. Ronaldo ist längst seine eigene Marke und ein Garant für klingelnde Kassen im Sponsoring, Marketing und Merchandising. Hinzu kommt, dass Ronaldo extrem authentisch ist in dem, was er tut. Er verstellt sich nicht. Ich behaupte sogar, dass er der Fußballer ist, der Social Media am besten von allen verstanden hat. So ein Fauxpas wie Franck Ribéry mit dem goldenen Steak in Dubai passiert ihm bei seinen zwei bis drei wöchentlichen Beiträgen niemals. Was sicher auch daran liegt, dass Cristiano drei Mitarbeiter hat, die ihn bei seiner Content-Produktion exklusiv unterstützen.
Aktiv in den sozialen Netzwerken ist CR7 seit 2009. Auf Instagram hat er bislang rund 3.000 Bilder und Videos gepostet. Das Motiv, das bis heute am besten bei seiner Community ankam, hatte über 12 Millionen Likes. Es war das Bild, mit dem er seinen Wechsel zu Juventus bekanntgab!
Als nach den turbulenten Tagen um den Ronaldo-Wechsel wieder der Alltag in mein Leben zurückkehrte, war ich geplättet. Ich wusste zwar, welche Durchschlagskraft Social Media besitzen kann. Aber die Dimensionen, in die der Ronaldo-Transfer vorgedrungen ist, die waren auch mir neu.
Extra-Geld für meine digitalen Prognosen rund um diesen Transfer habe ich damals übrigens nicht von Juventus gefordert. Ich war auch nicht erfolgsbeteiligt. Das gehört zu meiner Geschäftsprämisse. Wenn mein Team und ich Teil einer Entscheidungskette sind, muss unser Part erfüllt beziehungsweise übererfüllt sein, ohne unsere wirtschaftlichen Forderungen in den Vordergrund zu stellen. Ich will für meine Kunden die maximal höchste Qualität sicherstellen. Und dabei mache ich keine Unterschiede, ob meine Partner Juventus Turin, Viktoria Köln oder Eispiraten Crimmitschau heißen. Alle sind gleich wichtig.
Und obwohl Juve trotz des gigantischen Ronaldo-Invests die Champions League in der Saison 2018/19 bekanntlich nicht gewinnen konnte, sondern im Viertelfinale gegen Ajax Amsterdam ausschied, hat sich der Ronaldo-Transfer für die »Alte Dame« definitiv gelohnt. Denn er war ja nicht kurz-, sondern langfristig gedacht. Ablöse und Gehalt hat Turin – wie schon beschrieben – durch Trikot-Verkäufe und sonstige Erlöse längst wieder drin.
DIGITALE AUSWIRKUNGEN DES CRISTIANO-RONALDO-TRANSFERS
Cristiano Ronaldo wechselt von Real Madrid zu Juventus. Die Folgen: Enorme Zuwächse bei allen Social-Media-Plattformen und unglaubliche Aufrufzahlen der Beiträge von Juve.
Die Vereinswechsel von Neymar und Ronaldo in den Jahren 2017 und 2018 bezeichne ich rückblickend als die ersten großen Social-Media-Transfers im Profifußball. Bei der Entscheidungsfindung, ob ein Klub einen Spieler verpflichten wird, macht die digitale Präsenz eines Profis heutzutage (mindestens) fünf Prozent aus.
Ich, der Fußballer und der BVB
Der Traum eines jeden talentierten Sportlers ist es, sich mit den Weltbesten zu messen, vor Zehntausenden Zuschauern zu spielen, im Spotlight zu stehen – auch ich hatte diesen Traum. Als Aktiver blieb er mir verwehrt. Jetzt hole ich ihn nach.
Ich bin Jahrgang 1971. Mit 17 war ich ein recht begabter Fußballer und hatte sogar zwei Zweitligaeinsätze für Kickers Offenbach in der Saison 1987/88. Ich war ein Linksfuß im offensiven Mittelfeld. Aber dann: Ein Moment der Unachtsamkeit – und die Karriere, die noch gar nicht richtig begonnen hatte, war schon wieder vorbei. Ich laufe allein auf den Torhüter zu. Meine Gedanken kreisen darum, wohin ich den Ball schießen soll. Der Atem meines Gegenspielers, der von hinten immer näher kommt, Zweikampf, Grätsche – und es macht knacks in meinem rechten Knie. Kreuzbandriss! Eine schwere Verletzung. Auch heutzutage liegen Fußballer damit mindestens ein halbes Jahr auf Eis. Für mich bedeutete dieser Riss das Ende meiner Fußballerlaufbahn. Sie war vorbei, bevor sie richtig begann. Die Medizin war einfach noch nicht so weit. Ich quälte mich monatelang in der Reha. Dann beschloss ich, meine Schuhe an den Nagel zu hängen. Endgültig.
Die Deutsche Telekom, damals ein Sponsoring-Partner von Kickers Offenbach, wollte mich unterstützen und bot mir ein Stipendium an. Ich holte mein Fachabitur an einer Abendschule nach, schloss eine Ausbildung zum Kommunikationselektroniker ab und absolvierte an der Telekom-nahen Fachhochschule in Hagen mein Studium in Nachrichtentechnik mit dem Schwerpunkt Satellitenkommunikation.
Meine Leidenschaft jedoch blieb der Fußball. Schon mein Vater war versessen auf diese Sportart. Als Siggi Held 1965 von Kickers Offenbach zu Borussia Dortmund wechselte, wurde er Vollblut-Schwarz-Gelber. Mein Fußballherz schlug hingegen für Blau-Weiß-Schwarz. Obwohl ich im hessischen Büdingen, 30 Kilometer östlich von Frankfurt/Main, geboren und aufgewachsen bin, hatte ich mich in einen Klub hoch im Norden verknallt: in den Hamburger SV. Mittelfeldtechniker Thomas von Heesen war mein persönlicher Held, und klar, ich saß live vor dem Fernseher, als der HSV 1983 im Landesmeisterpokal-Finale auf Juventus Turin traf – und dank eines traumhaften Fernschusses von Felix Magath tatsächlich mit 1:0 gewann. Dieses Spiel werde ich nie vergessen, auch, weil es mich eng mit Juventus Turin verknüpfte.
Juve. Die »Alte Dame«. Ein Klub mit enormer Strahlkraft. Auf der ganzen Welt bekannt. Für mich ist dieser Verein Sinnbild für das große, das internationale Parkett. Und dieser Verein hat mich viele Jahre später tatsächlich verpflichtet. Nicht als Spieler. Aber als Berater. Als Vertrauensperson. Als Intimus. Ich wurde einer von ihnen. So ging mein großer Traum vom internationalen Fußball doch noch in Erfüllung.
Die erste digitale Community Deutschlands
Dass Juventus ausgerechnet mich bat, diesen Transfer zu begleiten, war kein Zufall. Ich bin zwar nie ins Scouting von Spielern involviert, aber ich bin beteiligt, wenn es um die digitale Strategie des Klubs geht. Meine Zusammenarbeit mit Juve begann bereits Mitte März 2015. Und auch damals klingelte mein Telefon aus heiterem Himmel. Wieder gegen 10 Uhr. Damals an einem Mittwoch. Auch zu diesem Zeitpunkt hatte ich das Glück, in meinem Büro in München zu sitzen und nicht irgendwo anders auf der Welt in einem Meeting zu sein. Als mein Handy vibrierte, stand der Name David Görges auf meinem Display. David war zu diesem Zeitpunkt der Leiter »Neue Medien« bei Borussia Dortmund und ein enger Geschäftspartner. Heute würde ich ihn sogar als einen guten Freund bezeichnen. 2018 verließ er den BVB, um sich mit einer eigenen Agentur selbstständig zu machen.
Ich kenne David Görges schon seit 2009. Im Sommer jenen Jahres haben wir gemeinsam das »BVB Fan Fon« an den Start gebracht, anlässlich des 100. Geburtstags von Borussia Dortmund. Die Idee: Mit dem »BVB Fan Fon« die erste digitale Community Deutschlands zu schaffen. Vermittelt worden war mir der Kontakt zum Verein vom damaligen Mobilfunkanbieter E-Plus, der im Oktober 2014 mit der Telefónica Deutschland Holding verschmolz.
Das Konzept: Alle Nutzer einer BVB-SIM-Karte konnten gebührenfrei miteinander sprechen. Zudem gab es nahezu täglich Push-SMS oder -MMS mit aktuellen BVB-Nachrichten direkt aufs Handy. Bei BVB-Spielen auch zum Anpfiff, zur Halbzeit und nach Schlusspfiff. Wenn der BVB ein Tor erzielt hatte, ertönte als SMS-Signal der Torschrei von Stadionsprecher Norbert Dickel. Zusätzlich konnten die Fans an Spieltagen für 99 Cent das BVB-Netradio nutzen. Damit bekamen sie per Audiostream alle Tore mit Originalkommentaren und Stadionatmosphäre aufs Handy.
Ich habe früh gelernt, wie Mobilfunknetze und Server konstruiert sind. Mein erstes Handy hatte ich Anfang der 1990er-Jahre. Einen riesigen Klumpen, dessen Akku nur wenige Stunden hielt, obwohl es Siemens damals als S1 Marathon auf den Markt brachte. Die Möglichkeit der ständigen Erreichbarkeit hat mich schnell in ihren Bann gezogen. Schon sehr früh, denn nach dem Ende meiner aktiven Fußballerlaufbahn und meines Stipendiums bei der Telekom bin ich bereits mit 23 Jahren in die weite Welt gezogen, über ein Jahrzehnt habe ich für große Technologiefirmen gearbeitet und in Großbritannien, den USA, Australien und Malaysia gelebt.
Das BVB-FAN-FON war im Jahr 2009 innovativ. Der Nutzer bekam exklusiven Zugang zu Nachrichten des Vereins, konnte innerhalb der »Community« kostenfrei telefonieren, an Spieltagen gab’s personalisierte BVB-Infos.
Ich weiß, wie Textbausteine in Zahlen umgewandelt werden, während sie in Millisekunden per Satellit ins Weltall und wieder zurück auf die Erde geschossen werden. Ich habe Satelliten-Netzwerke konzipiert und entwickelt, mit denen man große Datenpakete transportieren konnte. Große Firmen wie der Mineralölkonzern Aral, für den ich an deutschen Tankstellen den Zahlungsverkehr per Kreditkarte eingeführt und abgewickelt habe, zählten zu meinen Kunden. Auch die australische Regierung um Ministerpräsident John Howard, die ich während der Jahrtausendwende beim Ausbau der Satellitenkommunikation strategisch beraten habe. Alles hochspannende Aufgaben.
Mit diesen Erfahrungen im Gepäck bin ich 2005 nach Deutschland zurückgekehrt. Ich arbeitete in München für eine Technologiefirma, die Servicedienstleistungen für Mobilfunkunternehmen anbot. Wir entwickelten Dinge wie »Ring-Back Features« – das automatische Abspielen von Musik, die während eines Anrufs parallel zum Freizeichen ertönt – und Voting-Plattformen für große Fernsehshows wie Wetten, dass..?. Ich wollte aber in den Sport zurückkehren, mein erlangtes technisches Know-how mit meiner Leidenschaft verbinden. Also fasste ich den Entschluss, mich selbstständig zu machen – und gründete am 28. Juli 2008 meine eigene Firma RESULT Sports. Als One-Man-Show. Ohne jegliche Kontakte in das Sportbusiness. Das »BVB Fan Fon« war mein Initialprojekt. Mein Türöffner.
Glücklicherweise war Borussia Dortmund zu dieser Zeit sportlich sehr erfolgreich. Die Saison 2009/10 beendete der BVB auf Platz 5 der Bundesliga. 2010/11 wurde die Borussia Meister, 2011/12 holte sie das Double aus Meisterschaft und DFB-Pokal. Die ganze Stadt war elektrisiert. Im Double-Jahr haben wir 50.000 BVB-SIM-Karten zum Preis von 9 Euro verkauft. Der BVB erhielt für jede verkaufte SIM-Karte eine Aktivierungsprämie in Höhe von 10 Euro. Ich habe für meine Dienstleistungen kein Geld verlangt. Keinen Cent. Ich war am Umsatz beteiligt und verdiente an den Gebühren für verbrauchte Minuten und übertragene SMS mit. Das hat sich gelohnt. Ich war drin im Fußballgeschäft. Jetzt musste ich am Drücker bleiben, weswegen ich meine Einnahmen direkt reinvestiert habe.
Ich setzte (fast) alles auf die Karte Social Media im Sport. Ein Risiko. Denn während in anderen Ländern und Ligen bereits verstärkt mit diesen neuen Möglichkeiten der Kommunikation hantiert wurde, hatte Deutschland das Netzwerken in der digitalen Welt verschlafen. Ich begann im Jahr 2010 eine eigene, datengetriebene Technologie zu entwickeln. Ich erfand einen Mechanismus, der jeden Tag automatisch unterschiedlichste Zahlen aus Facebook, Instagram, Twitter, YouTube & Co. auslesen und – für meine Kunden geordnet – zur Analyse veranschaulichen konnte. Im Kern geht es dabei um Wachstums- und Interaktionsraten, um Reichweiten – und damit letztlich um Content-Optimierung.
Aktuell beziehe ich Daten aus 28 unterschiedlichen Social Networks. Ich habe Analysemethoden entwickelt, die in konkrete Empfehlungs- und Handlungsmaßnahmen innerhalb der digitalen Transformation münden. Mit diesen Kennzahlen kann ich Vergleiche ziehen und daraufh in meine perspektivisch-strategischen Kommunikationsratschläge zur positiven Entwicklung aussprechen. Maßgeschneidert für den jeweiligen Kunden. Dafür habe ich vier große Server laufen. Zwei in Hanau, einen in München und einen in der Türkei. Es war die Geburt meines Crawler. In Deutschland habe ich auf dieses Computerprogramm ein Patent.
4-JAHRES-ENTWICKLUNG BEI FACEBOOK JU VENTUS VS. BORUSSIA DORTMUND
Boom-Jahr 2014: Die Facebook-Wachstumskurven vom BVB und Juventus im Vergleich. Sie verlaufen nahezu parallel und steigen im Jahr 2014 (Messpunkte 35 bis 46) in einem rasanten Tempo.
Borussia Dortmund war mein erster Kunde. Der BVB bekommt seit nun seit fast zehn Jahren jeden Montagmorgen einen »Club-Medien-Report« von mir. Dieser enthält alles Wichtige aus den Social Media. Und er beinhaltet wichtige Informationen über das Nutzungsverhalten der Fans auf der klubeigenen Homepage. Dabei messe ich nicht nur allgemein, sondern auch in einzelnen Ländern, Regionen und Städten sowie in unterschiedlichen Zielgruppen. Ich gebe den anonymen Internet-Nutzern ein Profil – und damit ein Gesicht. Ich sorge dafür, dass sie im Idealfall zu neuen Anhängern dieses Vereins werden – und es ein Leben lang bleiben.
Dass die Vereine neben dem sportlichen Können eines Fußballers auch immer mehr auf dessen Wert in der Online-Welt schauen, hat sich aber schon viel früher angedeutet: beim Transfer Mesut Özils von Real Madrid zu Arsenal London. Das war 2013. Und auch da war ich mittendrin.