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Lehmpfützen gesucht

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Lehmpfützen sind für Mehlschwalben unverzichtbar. Die eleganten Flieger benötigen den feuchten, klebrigen Lehm zum Bau ihrer Nester. Denn ihre halbkugeligen Lehmnester heften die Vögel mit dem markanten weißen Bauch dorthin, wo andere Vogelnester keinen Halt finden – an den blanken Stein senkrechter Wände. Der Bau selbst ist eine ziemlich mühselige Angelegenheit: Pro Nest müssen rund 1500 Lehmklümpchen mit dem Schnabel aufgeklaubt und anschließend im Flug zur Baustelle transportiert werden. Dort wird die mühsam gesammelte Bausubstanz von den Vögeln Kügelchen für Kügelchen mithilfe ihres Speichels an die Wand geklebt. Zur Verfestigung der Baumasse arbeiten sie stets noch einige Grashalme mit ein und polstern anschließend das fertige Nest mit Federn oder Pflanzenmaterial aus. Auf diese Weise entsteht ein stabiles Nest, das bei entsprechender Nachbesserung oft viele Jahre benutzt werden kann. Der Nestbau, an dem beide Geschlechter beteiligt sind, nimmt je nach den äußeren Gegebenheiten etwa 10 bis 14 Tage in Anspruch.

Im Gegensatz zur nahe verwandten Rauchschwalbe, die großen Wert auf eine Einzellage ihres Nests legt, sind Mehlschwalben sogenannte Koloniebrüter, die oft ein Nest neben das andere bauen – ähnlich wie das bei menschlichen Reihenhäusern der Fall ist. Mehlschwalben und Menschen haben eine lange gemeinsame Geschichte: Heftete die Mehlschwalbe ihre kunstvollen Lehmnester ursprünglich noch an hohe Feldwände oder schroffe Küstenklippen, entwickelte sich der kleine Vogel mit zunehmender Besiedlung durch den Menschen immer mehr zu einem ausgeprägten Kulturfolger. Wohnhäuser, Kirchtürme und Brücken boten den Schwalben viele neue und vor allem gut geschützte Brutplätze. Diese zusätzlichen Brutplätze waren letztendlich auch dafür verantwortlich, dass die Mehlschwalbe sich mit der Zeit fast über ganz Europa verbreiten konnte.

Besonders gerne legen Mehlschwalben ihre Nester unter Dachtraufen, Torbögen oder anderen schützenden Vorsprüngen des Hauses an. Auch unter Brücken finden sich häufig Mehlschwalbennester. Ein bisschen rau sollte die Fassade allerdings sein, sonst haftet auch der klebrigste Lehm nicht an der Hauswand. Aus dem gleichen Grund achten Mehlschwalben sehr genau darauf, dass die von ihnen zum Nestbau gewählte Oberfläche keinen Flechten- oder Moosbesatz aufweist. Anders als Rauchschwalben bauen Mehlschwalben ihr Nest nur in wenigen Ausnahmefällen innerhalb von Gebäuden.

Offensichtlich diente die Bauweise der Schwalbennester sogar als Vorbild für die Baumeister unserer Altvorderen. So schreibt etwa der berühmte römische Geschichtsschreiber Plinius der Ältere in seiner Naturalis Historia: „Für den Erfinder der leimernen Wohnungen hält Gellius den Dokius, einen Sohn des Caelus, der an den Nestern der Schwalben das Muster nahm.“

Heute ist allerdings aus dem erfolgreichen Kulturfolger Mehlschwalbe eher ein Kulturverfolgter geworden. Zählten Mehlschwalben noch vor einem Jahrhundert zu den häufigsten Vögeln unserer Städte, stehen sie heute in der Bundesrepublik Deutschland bereits auf der Vorwarnliste für bedrohte Vogelarten. Verantwortlich hierfür ist vor allem die moderne Architektur. In unseren meist völlig asphaltierten und zubetonierten Innenstädten tun sich die kleinen Vögel immer schwerer, die notwendigen Lehmpfützen zu finden, die ihnen das Baumaterial für ihre Klebenester liefern. Haben die Schwalben dann doch einmal eine rettende Pfütze aufgetrieben, bleiben die Nester oft nicht mehr an den modernen, glatten und strukturarmen Fassaden haften. Selbst wenn ein Nest bereits im „Rohbau“ steht, ist dies immer noch keine Garantie, dass die Schwalben dort später einmal brüten können. Auf die entstehende Unterkunft haben es auch noch andere Vogelarten abgesehen. Der Kampf um die wenigen guten Nistplätze in der Stadt wird oft mit harten Bandagen geführt. So versuchen etwa Hausspatzen mit schöner Regelmäßigkeit, in der Entstehung befindliche Mehlschwalbennester zu erobern. Gelingt dies, müssen die Mehlschwalben sich einen anderen Nistplatz suchen und dort erneut mit dem Nestbau beginnen. Fertiggestellte Nester können von den Sperlingen jedoch nicht erobert werden. Dann ist die Einschlupföffnung so klein, dass selbst ein Sperling nicht mehr hindurchpasst.

In der Vergangenheit sind leider oft völlig intakte Nester von Hausbesitzern oder Mietern zerstört worden, weil sie sich vom aus den Nestern herabfallenden Kot der Vögel gestört fühlten. Dabei hatten wir seit der Antike immer ein besonders positives Verhältnis zu unseren geflügelten Mitbewohnern. So gelten Schwalben in vielen Kulturen nicht nur als Frühlingsboten, sondern auch als ausgeprägte Glücksbringer, die Haus und Hof vor Schaden bewahren – oder wie es das alte deutsche Sprichwort formuliert: „Wo Schwalben wohnen, wohnt das Glück“. Das stimmt zumindest insofern, als dass die emsigen Vögel viele uns lästige Insekten wie Stechmücken oder Schmeißfliegen in der Nähe des Hauses einfach verspeisen.

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