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TREIBJAGD AUF SWOBENKA

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»Zum Teufel!« Bis ins Vorzimmer hörte man die Bärenstimme. Kaum war Roney Maxwell vom Mittagessen zurück, spannte die Hose schon wieder an allen Ecken und Enden. Wenn das so weiter geht, wird er bald wieder eine neue Uniform brauchen. Doch davon abgesehen, brachte ihn die Mitteilung des heutigen Vormittags völlig aus dem Konzept. Wutschnaubend landete seine Faust auf dem Schreibtisch, nachdem er den massiven Körper in den viel zu engen Sessel gezwängt hatte.

»Dass denen nichts anderes einfällt, als diesen Drecksprozess ausgerechnet in Sandstone durchführen zu wollen!« Die Stimme des Ortsgewaltigen dröhnte bis ans andere Ende seines Amtssitzes, und dies obwohl noch niemand wissen konnte, was innerhalb der nächsten 24 Stunden auf sie warten könnte.

Nur Sheriff Maxwell quälte sich mit dieser Geschichte schon seit Tagen, bis es ihn selbst in wirren Träumen plagte.

Und so wie es aussah, wird die Schießerei ganz unvermeidlich sein. Hier in Sandstone, in dem stets friedlichen Städtchen. Denn so viel war heute schon klar. Diese Kerle werden den Kronzeugen wie einen Hasen abknallen, bevor er ein einziges Wort zu Protokoll geben kann. Wenn diese Mafiosi den Burschen nicht vor dem Prozess liquidieren, dann wird sie Richter Johnson im Handumdrehen für mehr als zehn Jahre ins Gefängnis schicken.

Maxwell starrte verbissen auf die Uhr. Unaufhaltsam rückten die Zeiger vor. In knapp vierundzwanzig Stunden wird das halbe FBI mit dem Kronzeugen in Sandstone eintreffen.

Sheriff Maxwell zermarterte seine Neuronen. Den Doktor musste er rumkriegen! Daran tüftelte er jetzt schon den halben Tag herum. Schließlich hatte er sich durchgerungen. Wie von einer Wespe gestochen, riss er sein Handy aus der Jackentasche. »Verbinden Sie mich mit dem Hospital!«

*

Mit drei Stunden Verspätung brauste der Montana Express wie ein Orkan in den Süden. Maxwell stapfte auf dem Bahnhof hin und her. Technische Probleme an der Einfahrt in einen Tunnel habe es gegeben. Mehr konnte er vom Stations-Chef in Sandstone nicht erfahren. Und derlei Märchen kannte Maxwell schon lange. Mit hundert Möglichkeiten im Kopf, starrte er in die Dämmerung. Hinter der kleinen Kapelle zogen grauschwarze Wolken herüber. Minuten später prasselte strömender Regen auf die Dächer von Sandstone.

»All devil! Das fehlte ihm noch!« Mit den Nerven an der Reißleine raste er ins Büro und blieb dort am Stadtplan hängen. Wie wäre das Schlimmste noch zu verhindern?

Die Elfer-Gruppe vom FBI fragte sich das Gleiche, während der Montana-Express in den Süden schoss. Auch Eric Swobenka war sich klar über sein Schicksal. In dieser Nacht war er der gesuchteste Mann in den ganzen Staaten. Mit halb geschlossenen Lidern hockte er im Schneidersitz, mit einem dicken Filztuch umwickelt auf dem Boden des Gepäckwaggons.

»Immer mit der Ruhe«, beruhigte ihn Captain Fredric. »Wir werden das Kind schon schaukeln.«

Ein weiterer Becher Kaffee konnte nichts schaden. Hinter aufgestapelten Sandsäcken zählte Swobenka die Stöße der Räder unter den Schienen. Mit der Stoppuhr in der Hand zählte er Viertelstunde um Viertelstunde ab. Sandsäcke sind vollendeter Quatsch, redete er sich ein. Wie war das denn beim Prozess gegen die Manelli-Bande! Alles hatten sie damals vorgesehen. Und was nützte das Ganze? Ein paar Minuten, bevor der Express Chicago erreichte, hatten die Burschen den halben Express hochgehen lassen, nur um den wichtigsten Zeugen Stunden vor dem Prozess zu erledigen.

Okay, gab es nicht genügend Flugzeuge? Sicher, so lange sie nicht abstürzten. Aus unerklärlichen Gründen. So wie es immer war. Und in Sandstone hatten sie schließlich keine Landebahn.

*

Vierzig Minuten nach Mitternacht. Sie löschten die meisten Lampen im Bahnhof von Sandstone. Zu nächtlicher Stunde war hier so viel wie kein Betrieb. Noch vier Minuten; dann fuhr der Express, aus Richmond kommend, in Sandstone ein. Nur ein paar Angehörige, Freunde und Arbeitskollegen vertrieben sich den Schlaf auf dem Bahnsteig. Sie standen in Gruppen zusammen und waren kaum von der Riege des FBI zu unterscheiden. Unauffällig, mit stahlharten Augen, in grauen Flanellanzügen verpackt, warteten sie auf den Mann, den es zu beschützen galt.

Keiner der Reisenden, die zu dieser Zeit in Sandstone aussteigen sollten, wird ihnen entgehen. Und solche Burschen, die Kronzeugen abknallen, kommen gewöhnlich nicht per Bahn.

Endlich war es so weit. Eric Swobenka trottete mit der ungewohnten Kugelweste, grau in Flanell bekleidet, den Hut tief ins Gesicht geschoben, hinter dem Elektrokarren her, umringt vom FBI. Er fühlte sein Herz unter der Gurgel pochen, während sie vier Minuten später vor der hölzernen Treppe standen. Alles war einfach in Sandstone. Siebzehn Stufen waren es bis in die untere Halle. Schalter und Automaten, eine abgeschlossene Gepäckaufgabe, bei Nacht außer Betrieb. Die Sicht nach draußen war durch massive Gittertüren blockiert. Swobenka blickte auf die Schatten der mit laufenden Motoren wartenden Wagen.

»Gehen Sie in der Mitte«, flüsterte ihm einer der Polizisten zu. Zwei Beamte des örtlichen Sheriffs flankierten ihn. Maxwells Leute, die jeden Quadratmeter von Sandstone im Kopf hatten. Swobenka hielt Schritt mit seinen Bewachern. Schneller noch, hin zu den Wagen, keine fünfzig Meter mehr.

Man wartete auf Eric Swobenka und auf keinen anderen. Wie war er nur in all dies hineingeraten?

Ein unerwarteter Blitz hüllte den Bahnhofsplatz in gleißendes Licht. Taghell für zwei Sekunden. Jenseits des Bahnhofs hatten sich Millionen Volt im Trafo entladen. Ein ohrenbetäubender Schlag und dann … alles in nachtschwarzer Dunkelheit.

Eric Swobenka wurde ganz kurz vom grellen Licht der Scheinwerfer geblendet. Schon stand er vor der Wagenkette. Was machte der Minitransporter knapp neben ihm?

Kreischende Bremsen, irgendwo aufgerissene Türen. Zwei weitere Fahrzeuge, ein Motorrad. Sie blockierten die Abfahrt der schwarzen Wagen. Mündungsfeuer automatischer Waffen blitzte durch die Nacht. Irgend jemand stieß Swobenka zu Boden. Neben sich hörte er gellende Rufe, Schreie, Befehle. Er wurde in einen Wagen gezerrt. Wo war er jetzt? Blut drang durch sein Hosenbein, dann versank er im Dunkeln.

*

Seit Stunden standen durchnässte Reporter vor dem Lazarus. Sie hatten nur noch eine knappe Stunde. Bis dahin mussten die Morgenausgaben ihrer Blätter auf den Straßen sein. Umfassende Berichte hatten die Redakteure verlangt. Was war in Sandstone geschehen. Wo war der Kronzeuge. Lebte er noch? Oder war er längst tot? Entführt? Natürlich nicht. Sie raubten keine Menschen. Sie schossen sie über den Haufen.

Kameras und TV-Geräte befanden sich schussbereit vor dem kleinen Hospital. Die halbe Nacht hatten sie sich vor der »Intensiven« um die Ohren geschlagen. Gerüchte wurden von Reporter zu Reporter weitergegeben. Alles umsonst. Zwei Sanitäter und eine Krankenschwester hatten eine Bahre in der Dunkelheit über den Hof geschoben. Ein regloser Körper unter dicken Decken. Jedes Aufsehen sei zu vermeiden – das war die Devise vom FBI.

Dann war das Heer der Presseleute, die seit den Schüssen auf dem Bahnhofsplatz das kleine Sandstone in Aufregung versetzten, unerwartet verschwunden. Wie stand es um Swobenka?

James, den erfahrensten Mann ihrer Gruppe, hatten sie in der vierten Etage vor Zimmer 711 postiert. Burt sollte ihn in zwei Minuten ablösen. Inzwischen war es kurz vor vier. Die Nachtschwester lächelte, als sie dem Sicherheits-Beamten eine Tasse Tee servierte. Ein schickes Mädchen. James war fasziniert. Die Schwester von vorhin war längst nicht so nett. Also hatten sie mittlerweile das Personal gewechselt. Selbst der Tee, den sie James servierte, schmeckte ganz anders.

»Damned!« Das fehlte ihm noch. Warum rebellierte sein Magen so plötzlich? James sah auf die Uhr. Nicht in ganz einer Minute musste Burt hier sein. James hielt die Hand vor den Mund und rannte los. Die Toilette war doch keine zwanzig Schritte entfernt. Und Burt war sicher schon im Lift. Das war er auch . Doch zwischen der zweiten und dritten Etage hielt der Aufzug wie von Geisterhand.

»Um Himmels Willen!« Burt haute gegen die Tür. Wo war der verteufelte Alarmknopf? Weshalb funktionierte er nicht? Nichts passierte. Er war im Lift gefangen und irgend einer hatte James in der Toilette eingeschlossen. Das konnte nur diese verdammte Nachtschwester gewesen sein. Der hämmerte gegen die Tür Zwei Fußtritte hinterher. Die Tür war aus Stahl.

Zwei Minuten später war es geschehen. Die Todesschützen traten die Tür zum Krankenzimmer ein und feuerten auf das Bett. Mit leeren Magazinen hasteten sie über den Gang in Richtung Feuertreppe. Der Kopf des Opfers war bis zur Unkenntlichkeit zerfetzt.

*

Vor dem kleinen Amtsgericht drängten sich Tausende. Von überall her waren sie nach Sandstone gekommen. Wer wollte sich schon dieses Schauspiel entgehen lassen. Rundfunkstationen und Fernsehgesellschaften hatten zum Aufsehen erregendsten Prozess des Jahres ein großes Treffen arrangiert. Von New Mexico bis nach Montana gab es kein anderes Thema. Punkt neun war es soweit.

»Ich rufe den Zeugen Eric Swobenka«, verkündete Richter Johnson mit klarer Stimme.

Fünf Angeklagte, hinter eiligst aufgebautem Stahlgitter mit Handschellen aneinander gefesselt, sahen sich in ihre Gesichter. Dann grinsten sie und kicherten hörbar. Teuflischer Spott machte sich auf ihren Fratzen breit. Und dann erstarrten sie.

Gestützt auf einen Sanitäter, begleitet von Sheriff Maxwell und einem Assistenten hinkte der Schwerverletzte in den Gerichtssaal. Eric Swobenka trat in den Zeugenstand.

»Das war der schwerste Tag in meinem Leben«, murmelte er nach langem Schweigen, als er im Chevrolet des Sheriffs durch Sandstone fuhr. »Während Ihr mich in der Kinderklinik retteten, ist ein anderer für mich gestorben.«

Maxwell schwieg lange. Erst nach einigen Minuten fing er wieder an. »Wir haben die beiden noch erwischt, als sie hinter der Feuerleiter über den Stadtgraben flüchten wollten.«

»Wenigstens das«, antwortete Swobenka etwas erleichtert. »Na ja,« meinte der Sheriff. »die werden jetzt verurteilt … wegen Ruhestörung und verbotenem Waffenbesitz und natürlich … wegen Leichenschändung.«

Swobenka sah den Sheriff verständnislos an. »Leichenschändung?«

»Was denn sonst?« Maxwell schmunzelte seit langem wieder. »Wissen Sie, ich lasse in unserem Sandstone ungern auf lebende Menschen schießen. Nur deshalb hab ich mir im Kühlhaus einen toten Ganoven ausgeliehen.«

***

Echnaton im Feuersturm

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