Читать книгу Echnaton im Feuersturm - Mario Monteiro - Страница 8
KOMETEN BRINGEN GLÜCK
ОглавлениеJoe MacMillan hatte es an diesem Morgen besonders eilig. Wieder war das Geld weg und das kam alle zehn Tage mindestens einmal vor. Also musste er zusehen, wie er über die nächste Runde kommen könnte. Zum Glück war es bis zur Bascon Street nicht allzu weit. Um genauer zu sein, Bascon Street, 112 in der 27. Etage. Denn dort hatte sich seit einiger Zeit die Bradston Immobilien-Agentur eingenistet. Und nur von dort konnte Joe baldige Rettung erwarten.
»Hello Joe, really you are early this«, meinte der hagere Mr. Bulton der gerade in diesem Moment damit beschäftigt war, den vergitterten Eingang zu den Geschäftsräumen aufzuschließen.
»So zeitig heute schon?« Joe nickte kurz und wartete höflich, bis ihn Bulton aufforderte, auf einem der Stühle des Besuchszimmers Platz zu nehmen.
»Sie werden gleich kommen«, tröstete ihn Bulton und bezog sich auf Fredric March und den kleinen Olbranson, die, wie Joe inzwischen herausgebracht hatte, zum Stammpersonal der unscheinbaren Agentur gehören mussten.
Eigentlich wurde Joe jedes Mal von einem anderen Kerl abgefertigt, wenn er, oft reichlich verspätet, das ärmliche, meist verstaubte Büro betrat, um bald danach wieder auf der Straße zu sein und den zweifelhaften Aufgaben nachging. Immerhin hatten alle gewusst, wer er war, wo er wohnte und vor allem kannten sie die genaue Summe, die er jedes Mal in Empfang nahm und wie viel er am Abend wieder zurückzubringen hatte. Und was wusste Joe von diesen Burschen im 27. Stock? Wenn er ehrlich sein wollte, musste er es sich eingestehen. Gar nichts wusste er von diesen Leuten.
Allein in dieser Woche hatte er ein Riesenpaket weggeschleift. Tausende von Dollar waren es. Hastig klemmte er sich in aller Frühe in den Lift und fuhr ins Erdgeschoss. Schon auf der Fahrt nach unten grübelte er darüber nach, wo und vor allem wie er an diesem Morgen den ganzen Plunder loswerden könnte.
Ja, letzten Donnerstag! Da lief das Geschäft wie eine Eins! All diese miserabel gedruckten Greenbacks hatte er an einem Nachmittag im Jockey-Club untergebracht. Tadellose Fünfziger, einen Packen Hunderter und drei Tausend Dollarnoten holte er bei den Wettbüros heraus.
Seine saftige Provision hatte er gleich in Wetten angelegt. Und dabei auf Anhieb viertausend Dollar eingeheimst. All zu lange hielt das auch nicht. Denn er hatte dann doch noch das phantastische Teleskop erstanden. Seit Tagen waren sie alle hinter den Fernrohren her, die sie vor dem totalen Ausverkauf in den Optikerläden und in diesen Allerwelts-Warenhäusern noch vor dem Schlussverkauf ergattern konnten. Den ganzen Tag lang standen sie Schlange, um den Kometen, der durch Zeitungsberichte und Fernsehshows bekannt geworden, so bedrohlich nahe am Erdball vorbeirasen sollte. Und als der bedrohliche RA 202 in nächster Nähe am Himmel erschien und ganze Scharen ängstlicher Menschen in die Kirchen rannten und beteten, da hing nächtelang eine dichte Wolkendecke über dem halben Kontinent.
Joe war es bald satt, sich auf dem harten Stuhl seiner engen Klause die Nächste um die Ohren zu schlagen, um am Ende doch nichts von dem gefährlichen Himmelskörper zu erwischen. Nun, wenn dies nur der einzige Kummer des arbeitslosen Bankangestellten gewesen wäre.
»Mr. Macmillan«, fing die bucklige, blutarme Frau am Anfang der nächsten Woche an. »Es tut mir ja so leid. Aber ich muss Ihr Zimmer haben.« Dabei stützte sich die Alte auf ihre Krücke, ohne die sie nicht einmal durch die schäbige, enge Wohnung hätte schleichen können. In ihrer Verlegenheit zog sie dauernd an ihrem blauschwarzen Kopftuch, das sie über die unordentlichen Haare gebunden hatte. »Mein Neffe will nämlich bei mir wohnen«, behauptete sie ohne Atempause. »Er kommt in unsere Stadt und will auf der Universität studieren. Verstehen Sie?«
In seinem Zimmer, sollte das wohl heißen. Obwohl Joe auch in schwierigen Zeiten die Miete pünktlich bezahlte. Joe schluckte zweimal. Eigentlich wollte er ihr seine Meinung gründlich sagen. Doch was hätte er damit erreicht. Hatte es einen Sinn sich zu widersetzen? Die kleine Dachwohnung gehörte schließlich ihr und wenn sie ihn an die Luft setzen wollte, dann sollte sie eben ihren Willen haben. Also machte er sich auf, um eine neue Bleibe zu finden. Drei Tage klopfte er in der halben Stadt an, bis er schließlich eine Bude ausfindig machte, die ihm einigermaßen passte. Vor allem, weil sie auch mit seinem schmalen Einkommen zu bezahlen war. Teurer wie bei der buckligen Alten war sie ohnehin. Doch die Mieten waren wieder einmal gestiegen. Er würde mehr verdienen müssen, sah Joe bald ein. Viel mehr sogar. Wenig begeistert starrte er am ersten Abend zu dem engen Mansardenfensterchen hinaus, nachdem er Rucksack und Fluggepäck auf dem verblichenen, ausgefransten Teppich verdammt hatte.
Hier, in diesem Getümmel von Wolkenkratzern und Büroblöcken, mitten in der diesigen sauerstoffarmen Abgasluft wird er den schnell entschwindenden Kometen auch nicht mehr erwischen können. Was sollte er jetzt mit dem überflüssigen Teleskop noch anfangen?
*
»Zum Donnerwetter!« Diese Lippe mit der Hasenscharte und dem kleinen Bärtchen drüber. Dazu diese unverwechselbaren Nasenlöcher. Jetzt bohrte auch noch der dicke Zeigefinger im rechten Nasenloch, drehte sich und bohrte und bohrte hemmungslos.
Das musste er sein. Joe schob das inzwischen sicher unverkäufliche Teleskop weiter nach oben, so dass er den Nasenrücken betrachten konnte. Dann sah er die rechte Augenbraue, einige rotblonde Härchen, die kleine Narbe unter den Haarwurzeln an der Stirn. Erst dann, als er sie mitten im Blickfeld hatte, schien alles riesengroß zu sein. Mit allen Einzelheiten! Es konnte keinen Zweifel geben. Er hatte einen der Kerls erwischt, die ihm jeden Morgen die falschen Dollarbündel in die Tasche steckten. Doch die Wand, die er ganz unerwartet im Blickfeld hatte, sah ganz anders aus. Nicht so schmuddelig wie das alte Büro, in das sie ihn jeden Morgen hereinkommen ließen, bevor er zum täglichen »Dollarhandel« losziehen konnte. Sicher ging es dabei um eine Art Hinterzimmer, das er bis jetzt nie gesehen hatte.
Also hatte er irgend einen anderen Raum erwischt. Immerhin. Joe holte seine Klamotten aus dem Rucksack und polsterte den harten Stuhl. Sein Ausblick gab ihm neue Kraft, da er hinter Geheimnisse kam, in die man ihn nie eingeweiht haben würde. Nun hatte er einen Weg gefunden, schnurgerade in jenes »Immobilienbüro« zu glotzen, das ihm bis jetzt seine brisante Zukunft garantierte. Zur Ablenkung kramte er in der Hosentasche. So sah es also aus. Zwölf Dollar und noch ein paar Cents. Gerade genug, um bei Fabricius ein halbwegs ordentliches Frühstück zu kriegen. Nachdem er ein besseres Gefühl im Magen hatte, zog es ihn wieder an seinen Ausguck zurück.
Dieses Mal hockte eine dicke Schmeißfliege an der kahlen Wand. Joe fuhr instinktiv zurück Noch eine Idee nach unten, noch etwas weiter … und Stopp. Was war denn das? Olivgrün. Richtig, ein kleines Safe hatte er plötzlich erwischt. Er traute seinen Augen nicht. Ein richtiger Kassenschrank zwischen ein paar altmodischen Bücherregalen. Vorsichtig schob er seinen Spion nach rechts. Er musste die Eindrücke der riesigen Vergrößerung richtig zusammensetzen. Spinde erschienen im Bild. Einfache Kleiderspinde. In der Mitte des Raumes schien ein alter Tisch zu stehen mit einem Stuhl davor. Von seiner neuen Entdeckung überrascht, verspürte er wenig Lust, schon wieder ein Paket gefälschter Dollar abzuholen. Wer weiß? Richtig. Das waren wieder Fragmente eines Gesichtes, Finger dazwischen, ein Daumen …, ein Zeigefinger schien daneben zu sein, der Ring. Ein Siegelring an Bultons Hand. Der Daumen und der Zeigefinger berührten das Nummernschloss. Jetzt drehte sich die Scheibe langsam nach … rechts! Joe schnappte erregt nach der alten Zeitung, riss ein Stück ab. Den Kuli her! Zum Teufel, wo war das Ding? Jetzt aber! Drei mal eine volle Drehung nach rechts und wieder … Stopp. Anhalten bei 21 … dann nach links … 41 … zwei mal im Uhrzeigersinn nach rechts, anhalten … die Nummer 3. Das also war die Kombination des Safes. Jetzt hatte er, was er brauchte Nur der Schlüssel fehlte noch. Es musste noch einen Schlüssel geben! Joe schob das Teleskop Millimeter um Millimeter nach rechts, weiter nach oben. Nichts. Er lag daneben. Aber dann, plötzlich schien er mitten hinein zu sehen. Unglaublich geradezu. Das offene Safe und die ganzen aufgestapelten Dollarbündel. Wundervolle echte Dollar mussten das sein. Zehntausende vielleicht, oder noch mehr. Schlicht unschätzbar. Echte Dollars, die er von der Straße heraufschleppte. Na wartet! Die verdammte Tür des geöffneten Verstecks versperrte ihm die Sicht an alles Weitere! Entgeistert starrte Joe durch die Linse, dann zitterte er, das Bild war weg.
Er kam nicht los von allem was er sah!. Jetzt wusste er genug. Dennoch, heute morgen durfte er seine Auftraggeber nicht mehr länger warten lassen.
Er musste sich zeigen. Auf dem Weg ins Büro gab er den Gedanken auf, das unnütze Teleskop nach der Kometenpleite wieder zu verscheuern. Andererseits war er wegen des riskanten Jobs besorgt. Stand er nicht von einer Stunde auf die andere im Gefängnis?
Unweigerlich müsste es eines Tages ein jähes Ende haben. Und es wäre mehr als töricht, ein zweites Mal dort aufzukreuzen, wo er schon einmal erfolgreich war. So verringerten sich die Möglichkeiten von Tag zu Tag. Schon deshalb holte Joe jeden Tag weniger Gefälschte ab und sass dafür um so länger an seinem Teleskop. Mit Schmerzen in seinem Rücken starrte er stundenlang hinüber auf die kahle Wand, beobachtete den Tisch auf dem sich Dollars stapelten und immer schien es gutes Geld zu sein.
Zwei mal am Tag sah er Bultons klobige Finger, kannte sie jedes Mal an dem feinen goldenen Ring. Dieser Bulton war es sicher, der den Schlüssel hatte.
So kam der 13. Mai, ein unerwarteter Freitag, an dem er diesen Kerl erwischte.
Der Boss rückte den Tisch zur Seite, schlug den Wollteppich zurück und entfernte ein Brett aus dem Parkettboden. Joe hielt den Atem an, als er verfolgen konnte, wie der Schlüssel des kleinen Safes langsam in diesem Versteck unter dem Parkettboden verschwand.
*
ROGERS LIFT – SERVICE stand in roten Buchstaben auf dem blauen Overall. Joe hatte drei volle Tage mit den Vorbereitungen zugebracht. Mit dem alten Werkzeugkasten in der Hand, den er billig bei Trödler Jessing aufgetrieben hatte, drückte sich Joe an dem Pförtner vorbei. Dann ging es hinauf bis zur letzten Etage.
Im Maschinenraum der Liftmotoren wartete er auf die Nacht. Erst gegen zwei nahm er den oberen Lift und fuhr in die 27. Etage hinab. Mit seinem Ohr am Safe konnte er hören, wie sich der interne Riegel im Inneren des Mechanismus verschob.
Mit seidenen Handschuhen bewaffnet, hatte er schnell den Schlüssel aus dem Hohlraum unter dem Parkett geholt, steckte ihn ins Schloss und drehte nach links.
Das Safe gab nach! Hunderttausende mussten es sein, die jetzt nur eine Hand breit vor seinen Augen lagen! Hunderttausende! Stapel auf Stapel miserabel gedruckter Dollarnoten!
Joe stieß einen Schrei aus Wut und Entsetzen in die Nacht hinaus. Das Schicksal hatte ihn erwischt. Die lange Wartezeit, bis es so weit war, die geduldigen Zeiten am Teleskop, stundenlange Spekulationen, Illusionen, alles war vergeblich gewesen. In jähem Zorn riss er ein Bündel der wertlosen Dollar aus dem Safe, stampfte darauf herum, kickte sie von einer Ecke in die andere. Elend und müde, abgekämpft hockte er sich auf den Tisch. In den leichten Keds ließ er die Füße hin und her baumeln und dachte über sein Schicksal nach. Was blieb ihm noch? Er wartete auf den Morgen, um wenigstens falsche Dollars auf eigene Rechnung unter die Leute zu bringen. Aus lauter Langeweile brach er die Kleiderspinde auf. Die meisten Spinde waren leer, dreckig und verrostet. Im dritten Spind stand ein alter hölzerner Geigenkasten. Gelblich brauner Schimmel hatte sich in dicken Streifen über abgeschabten schwarzen Lack gezogen. Puh! Zum Teufel. Joe war überrascht bevor er anfing sich selbst zu verspotten.
Als kleiner Junge, erinnerte er sich, hätte er so gerne gefiedelt. Aber Vater hatte kaum das bisschen Geld, um eine fünfköpfige Familie durchzubringen. Geigen lernen! Fantasien eines Wahnsinnigen, hatte Vater einmal geschrien. Keinen neue Kochlöffel hätte sie sich damals leisten können. Nichts war drin. Eine Fiedel? Vollkommen durchgedreht schien er damals zu sein. Also verlor man damals kein weiteres Wort.
Und jetzt? In dieser Scheißnacht lag so ein verdammter Geigenkasten auf dem Tisch. Was sollte er damit? Feine gute Dollar wollte er haben!
Nimm mich mit, schien es von den Wänden des Zimmerchens zu hallen.
Okay, wenn es unbedingt eine Geige sein sollte!
Kurz nach sieben streifte er den Overall ab und glitt in die Tiefgarage. Beim Anblick der Wagenreihen beseitigte er die letzten Zweifel, die seinen bisherigen Weg beschattet hatten. Er müsste weiterhin gefälschte Dollar unter das Publikum bringen. Er warf den Kunststoffsack in einen steinalten Ford. Hoffentlich sprang der Motor an. Nur nicht auffallen jetzt. Behutsam legte er den Geigenkasten auf den Rücksitz und rumpelte vorsichtig zur Auffahrt hinaus in sein bisheriges Leben.
Minuten später stand er mit der zweifelhaften Beute in seine Klause.
Todmüde verschlief er den ganzen Tag. Dann nahm er noch die nächste Nacht dazu.
Das Geschrei der Zeitungsboys holte ihn endlich aus dem Bett.
FBI HEBT FALSCHMÜNZERBANDE AUS. Mein Gott, das konnte nur Bulton und diese Kerls aus der 27. Etage sein! Glück im Unglück für ihn selbst. Von jetzt an konnte er es vergessen, mit der heißen Ware durch die Straßen zu laufen. Und wovon sollte er jetzt noch leben? Ein Teleskop hatte er, das in diesen Tagen keiner mehr haben wollte, einen alten Geigenkasten mit irgend einer Violine drin, die vielleicht nicht einmal mehr spielte und siebzehn gute Dollar. Siebzehn Dollar und 54 Cents!
Was blieb ihm noch? Er nahm den elenden Kasten unter den Arm und klapperte die Trödler ab. Mein Gott! Was die ihm boten? Nicht eine Woche hätte er davon leben können. Das Beste war noch jener freundliche Herr mit dem Zwicker auf der Nase, den er kurz vor Ladenschluss in dem kleinen Musikalienladen an der Ecke der 33. Straße angetroffen hatte. Ein nobler Mann. So fein gekleidet, wie er war! Archibald Maplin hieß er. Das stand auf der Visitenkarte, die er Joe zwinkernd überreichte.
»Kommen Sie doch heute Abend auf einen Sprung bei mir vorbei«, hatte Mr. Maplin freundlich gesagt. »Und bringen Sie Ihr Violinchen mit.«
Am nächsten Tag hatte Joe seine Mansardenbude aufgegeben. In der Barrington Street mietete er eine kleine Wohnung mit Blick auf die Strandpromenade. Nachdem er sich ein Konto eingerichtet hatte, erstand er sich einen nagelneuen Chevrolet. Woher hätte er auch wissen sollen, dass man so viel Geld für eine Stradivarius bekommt.