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UNA PLAYSTATION PARA LA MAMA I

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Conhielo und Zapata sitzen in einem Diner irgendwo in der South Bronx/ New York City. Conhielo hat für sich und Zapata Essen bestellt. An einem Nachbartisch sitzt Steve Melzow aus Stendal-Süd.

CONHIELO Zapata, heute ist ein Feiertag, heute ist der Tag, an dem ich ein neues Leben beginne. Ich habe eine Geschäftsidee. Ich werde wahnsinnig viel Asche machen. Ich werde für mich und alle nachfolgenden Generationen meiner Familie aussorgen, pass auf, die Idee, aber nicht verraten. Das muss ich subversiv angehen von hinten, von unten. Das darfst du niemandem verraten, sonst kommt einer, klaut meine Idee und wird damit reich, obwohl es meine Idee, mein Geld ist, verstehst du.

ZAPATA Ich gehe nach Mexiko zurück. Ich nehme Princesa und das Baby mit und gehe zurück. Ich werde sie heiraten. Amerika, das wird nichts.

CONHIELO Du gehst das nicht richtig an, Zapata. Du hast keine Ideen. Schau mich an. Ich habe Ideen. Jeden Tag habe ich neue Ideen. In Amerika brauchst du Ideen. Du hättest schon Ideen haben sollen, bevor du hergekommen bist.

ZAPATA Hier herzukommen war schon die beste Idee, die ich jemals hatte.

CONHIELO Und jetzt fällt dir nichts mehr ein? Du musst es so machen wie ich. Du musst abwarten. Du musst die Ideen zu dir kommen lassen. Du musst entspannen und warten. Leg dich den ganzen Tag ins Bett und warte ab, was passiert. Dein Hirn wird dir dann irgendwann eine Idee geben.

ZAPATA Ich glaub nicht, dass in meinem Hirn besonders viele Ideen drin sind, mit denen ich leben kann.

CONHIELO Hombre, du hast heute einen schlechten Tag. Na und? Das kann jedem mal passieren. Morgen ist das schon wieder vorbei.

ZAPATA Ich habe keinen schlechten Tag. Ich habe ein schlechtes Leben. Das hört niemals auf. Mir geht es nämlich heute so beschissen wie gestern und gestern ging es mir so beschissen wie am Tag zuvor also wie Vorgestern und an den Tag vor Vorgestern kann ich mich schon gar nicht mehr erinnern, so beschissen muss es mir da gegangen sein. Das habe ich schon verdrängt, so schlecht muss es mir gegangen sein. Aus so vielen schlechten Tagen kann man kein gutes Leben machen.

CONHIELO Wenn du nach Mexiko zurückgehst, wird dein Leben auch nicht besser sein. Ohne Ideen wirst du nie ein gutes Leben haben, egal wo du hingehst, egal wo du herkommst. Was willst du in Mexiko machen? Arm leben und sterben kannst du überall, aber reich wirst du nur in Amerika.

ZAPATA Ich will nicht reich werden. Ich will nur in Ruhe mit Princesa und dem Baby leben. Was zu essen, was zu trinken, eine kleine Bretterbude aus Holz, kleiner Acker, mehr nicht.

CONHIELO Was ist mit deiner Mutter? Die bringt sich um, wenn du der erzählst, dass du zurückgehen willst. Die hat sich an der Grenze fast die Rübe wegschießen lassen, damit du hier aufs College gehen kannst, damit aus dir ein richtiger Mensch wird mit Abschluss, Arbeit und irre viel Kohle in den Taschen.

ZAPATA Und habe ich einen Collegeabschluss? Habe ich eine Arbeit? Habe ich irre viel Kohle in den Taschen? Ich bin kein richtiger Mensch geworden.

Pri kommt in den Laden. Conhielo hatte Pri angerufen und ihn ebenfalls zum Essen eingeladen.

PRI Ihr Penner, was macht ihr hier? Was geht ihr zu den Gringos essen? Zapata, ich dachte, du musst sparen für das Baby. Eine Mahlzeit weniger für dich, ist eine Mahlzeit mehr für das Baby, hast du gesagt.

CONHIELO Ich lade euch ein. Heute ist ein Feiertag. Heute beginnt mein neues Leben. Ich werde reich. Ich habe eine Geschäftsidee. Zapata weiß es schon.

ZAPATA Ich weiß gar nichts.

CONHIELO Wir haben doch eben über Ideen gesprochen oder nicht?

ZAPATA Du hast mir deine Geschäftsidee nicht verraten.

PRI Was für eine Geschäftsidee? Du hast eine Geschäftsidee?

CONHIELO Ja, ich habe eine Geschäftsidee. Wollt ihr wissen, was ich für eine Geschäftsidee habe? Na klar wollt ihr wissen, was für eine Geschäftsidee ich habe. Fangen wir mal so an. Was ist das hier gerade?

PRI Was?

CONHIELO Wir hier, Zapata du ich, was ist das?

ZAPATA Wir sind Idioten.

CONHIELO Wir sind keine Idioten. Wir sind eine Gruppe. Und wozu sind wir eine Gruppe?

PRI Damit wir was gratis essen können und du uns deine Geschäftsidee verrätst.

CONHIELO Wir sind eine Gruppe, weil wir Menschen sind, die nur in Gesellschaft leben können, in einer Gesellschaft aus Haut, Knochen, Augen, eine Gesellschaft aus echten Menschen. Menschen, die sich anfassen können.

PRI Bist du jetzt schwul oder was? Ich fasse dich nicht an, Hombre.

CONHIELO Ich mache es wie dieser Zuckerberg mit Facebook. Facebook ist tot.

ZAPATA Facebook ist doch nicht tot, Alter. Ist dieser Zuckerberg nicht erst an die Börse gegangen? 50 Milliarden oder was dem sein Laden wert ist. 50 Milliarden. Ich weiß nicht mal, wie man das schreibt. Wie viel sind 50 Milliarden? Kann sich das jemand von euch vorstellen? In Hundertdollarscheinen, passen da 50 Milliarden hier in den Diner? 50 Milliarden in Hundertdollarscheinen. Damit könnte man bestimmt Mexiko bedecken. Stell dir das mal vor. Das ganze Land bedeckt mit Hundertdollarscheinen.

CONHIELO 50 Milliarden hin oder her. Das ist nur eine Zahl, an die alle glauben. Sobald niemand mehr an 50 Milliarden glauben will, wird Facebook tot sein. Das müsst ihr mir glauben. Das ist alles nur Scharade. Das hält nicht mehr lange. Menschen wollen mit echten Menschen leben und nicht mit ihren Profilen und Urlaubsfotos.

PRI Und was ist jetzt deine Geschäftsidee?

CONHIELO Ich werde die Menschen wieder zusammen bringen, so wie früher am Lagerfeuer, in den großen Familiengemeinschaften in den Dörfern, an den Ufern und Seen. Wie bei den Indianern. Da haben auch alle in einer Gemeinschaft gelebt, in der alle einander geholfen haben. Alle kannten sich. Alle respektierten sich. Da hat jeder für den anderen gearbeitet. Ich werde das Gefühl der Gemeinschaft reaktivieren. Leute, ich bringe die Menschen wieder zusammen. Ich mache sie miteinander bekannt. Amerika wird ein besseres Land sein.

PRI Du willst aus Amerika ein Indianerlager machen und glaubst damit aus Amerika ein besseres Land zu machen? Zu deiner Demonstration für mehr analoge Menschenliebe ist auch schon niemand gekommen bis aus diese Alte. Willst du mit der Alten einen Indianerstamm begründen?

ZAPATA Ein Indianerlager. Das ist doch keine Geschäftsidee.

CONHIELO Das ist eben dein Problem, Zapata, dass du keine Ideen hast und wenn dir jemand von einer Idee erzählt, verstehst du sie nicht. Du bist ein von jeglicher Idee befreiter Mensch. Und ein ideenloser Mensch ist ein Mensch ohne Phantasie und ein Mensch ohne Phantasie ist ein Gefangener der Realität.

ZAPATA Indianer in der Bronx. Das ist Schwachsinn. Sollen wir alle wieder jagen gehen mit Pfeil und Bogen? Sollen wir aus Baumstämmen Kanus schnitzen? Soll der Mensch vergessen, was er weiß?

CONHIELO Pri hat vom Indianerlager gesprochen. Die Indianer sind ein Beispiel, ihr Vollidioten. Was ich meine, ist Gemeinschaft. Die Indianer sind ein Beispiel, um euch Pfeifen begreiflich zu machen, dass wir Menschen schon immer in Gruppen gelebt haben, dass wir ein echtes Bedürfnis nach Gemeinschaft, nach Nähe, nach Aufmerksamkeit, nach Unterordnung haben. Dass wir uns erst in Gruppen sicher fühlen, erst frei fühlen können. Erst in Gruppen wird der Mensch glücklich und damit die Gemeinschaft. Und dass diese „Ichbinwasganzbesonderesundeinzigartigaufderweltscheiße“ Blödsinn ist, die vor allem dem Absatz von ganz individuellen Produkten dient, Produkte, die das Gefühl der Gemeinschaft ersetzen. Hier deine Nike Air Force 82 oder wasfüreinjahrauchimmer zum Beispiel die ersetzen jetzt deine Mutter. Oder deine Thenorthfaceoutdoorichlaufedamitbiszumsüdpoljacke, die ersetzt deine Schwester.

PRI Ich habe keine Schwester. Und ich habe auch keine Mutter. Ich habe nur einen beknackten Vater, von dem ich mir wünsche, ich könnte ihn gegen meine tote Mutter eintauschen.

CONHIELO Das spielt überhaupt keine Rolle. Ich will sagen, du hast eine engere Beziehung zu deiner Thenorthfaceoutdoorichlaufedamitbiszumsüdpoljacke, als zu deiner Schwester, wenn du eine hättest oder als zu deiner Mutter, wenn sie noch leben würde. Versteht ihr, was ich meine?

PRI Du meinst, meine Thenorthfaceoutdoorichlaufedamitbiszumsüdpoljacke ist meine Mutter.

ZAPATA Hombre, was Conhielo meint ist, dass die Menschen heutzutage isoliert voneinander sind, weil sie glauben, es reiche aus, immer nur ICH zu schreien, und schon bekäme man ein glückliches Leben geschenkt.

CONHIELO Na endlich. Zapata hat es erfasst. Ich werde die Menschen wieder zusammenbringen. Ich werde ihnen das Gefühl der Gemeinschaft, das Gefühl der Sicherheit und Zugehörigkeit zurückgeben. Ich werde ihnen die Welt zurückgeben. Ich werde jeden einzelnen Menschen, der zu mir kommt, fühlen lassen, dass er nicht allein ist. Ich werde die Menschen miteinander bekannt machen. Meine Menschen werden wieder echte Nähe zu anderen Menschen als Glück empfinden. Sie werden einsehen, dass sie schon einmal glücklich waren und der Weg der Entsagung, der Entbehrung, der einzige Weg ist, der sie dorthin zurückführen wird.

PRI Hört sich ein bisschen nach Religion an.

ZAPATA Und ich frage noch einmal. Soll der Mensch alles vergessen, was er schon weiß?

CONHIELO Weißt du was, Zapata, dafür, dass du so ein Versager bist, stellst du ganz schön kluge Fragen. Da frage ich mich, ob du überhaupt weißt, was du da so redest.

ZAPATA Ich sage nur, der Mensch setzt keinen Schritt rückwärts. Der Mensch glaubt an die Technologie, Technologie als die ultimative Waffe im Kampf gegen die Welt für den Wohlstand. Das ist der Fortschritt. Das ist gemeint damit, wenn im Westen von Glück die Rede ist.

CONHIELO Das sage ich ja. Ich sage, wir müssen weg vom Glauben an die Technologie, an den Fortschritt, den Wohlstand, wenn wir glücklich werden wollen. Wir müssen wieder zu Menschen werden. Unsere Zukunft besteht nur aus Neuerscheinungen von Produkten. Das bisschen Zukunft, das uns bleibt, ist der Tod, der noch kommen muss.

ZAPATA Und ich habe gesagt, was einmal ist, das wirst du nie wieder los.

Princesa del Bronx kommt in den Diner.

ZAPATA Was machst du denn hier?

PRINCESA DEL BRONX Ich bin deine Freundin. Weißt du doch.

ZAPATA Hier?

PRINCESA DEL BRONX Ich bin überall deine Freundin. Gibt es ein Problem, dass ich hier bin?

CONHIELO Nein, kein Problem. Im Gegenteil. Desto größer die Gruppe ist, desto geborgener, sicherer fühlen wir uns.

ZAPATA Conhielo hat uns erklärt, dass er die Menschen zu Indianern machen will, damit sie glücklich werden. Und dass die Menschen nur in Gruppen glücklich werden können, aber nie allein.

PRI Ich kann es schon spüren. Ich fühle mich schon richtig geborgen. Vielleicht werde ich gleich glücklich sein. Was ich eigentlich von euch Apachen wollte. Hier, ich habe heute Morgen zwei iPhones geangelt und wollte mal nachfragen, ob ihr Interesse habt. Ein Anruf von Tipi zu Tipi wird ja wohl noch möglich sein in deiner besseren Welt.

ZAPATA Ich brauche was für meine Mutter. Die hat morgen Geburtstag.

PRI Schenk ihr ein iPhone.

ZAPATA Was soll die mit einem iPhone? Da ruft die mich noch die ganze Zeit an oder was? Außer mir hat die niemanden, den die anrufen kann. Ich brauche was, womit sie sich den Tag vertreiben kann. Ihr wisst ja, der gebrochene Rücken. Sie geht nicht mehr aus dem Haus. Sie hat Angst, dass sie die Treppen vorn über herunterfällt, weil sie doch so krumm laufen muss.

PRI Was ist mit dem Fernseher?

ZAPATA Den Fernseher kennt sie jetzt schon. Der ist immer an. Sie guckt da immer rein. Das ist so ein Blick, als würde sie durch den Fernseher durchgucken oder als würde der Fernseher durch meine Mutter durchgucken.

PRI Dann schenk ihr doch eine Playstation. Da hat sie was zu tun. Da muss sie aktiv werden. Außerdem ist Playstation gut gegen Alzheimer. Habe ich gelesen. Oder gehört.

CONHIELO Ich denke, du solltest mit deiner Mutter zusammen nach Mexiko zurückkehren. Du wirst sehen, sobald ihr in Mexiko seid, ist ihr Rücken wieder kerzengerade.

ZAPATA Pri, was willst du haben für eine Playstation?

PRI Für eine Playstation? Das ist schwer zu sagen. Ich habe keine auf Lager. Ich müsste erst losziehen, eine besorgen. Der Preis ist vom Aufwand abhängig.

ZAPATA Ungefähr.

PRI Das kann ich dir wirklich nicht sagen. Wenn ich zum Beispiel eine Wache ausknocken muss, dann ist es natürlich teurer, als wenn ich nur eine Tür aufbrechen muss. Das ist ja wohl logisch oder?

ZAPATA Aber billiger als im Laden wird es noch sein oder nicht?

PRI Willst du mich verarschen? Du glaubst wohl, einen Laden ausrauben, ist ein Spaziergang.

ZAPATA Na und, du raubst doch nicht den Laden aus, nur um mir eine Playstation zu besorgen. Den ganzen anderen Kram, den du mitgehen lässt, den verhökerst du auch noch. Und? Macht das meine Playstation billiger?

PRI Natürlich nicht, weil für alles, was ich klaue, derselbe Gefahrenzuschlag bezahlt werden muss.

CONHIELO Zapata, das ist genau das, was ich dir gesagt habe. Du hast einfach keine Ideen.

PRINCESA DEL BRONX Was willst du haben für ein iPhone?

ZAPATA Princesa, Schöne, wir haben kein Geld für so was.

PRINCESA DEL BRONX Wieso wir? Ich dachte, du wolltest nach Mexiko zurück. Also wie viel?

PRI Einen Benji.

ZAPATA Hundert? Das ist zu viel. Wie viel hast du dem Idioten gegeben, dem du es geklaut hast?

PRI Dem Idioten, dem ich es geklaut habe, dem habe ich sein Leben gegeben.

ZAPATA Du darfst es ihr nicht verkaufen. Wir haben kein Geld. Wir brauchen das Geld für unser Baby.

PRINCESA DEL BRONX OK. Pass auf Pri. 50 Dollar. Sofort. Jetzt. Hier.

PRI Abgemacht.

ZAPATA Was ist mit dem Baby? Was ist mit Mexiko?

PRINCESA DEL BRONX Zapata, es gibt kein Baby. Es gibt kein Mexiko.

ZAPATA Was hast du mit dem Baby gemacht?

PRINCESA DEL BRONX Abgetrieben. Ich habe abgetrieben. Grade eben.

ZAPATA Du hast abgetrieben? Das Baby? Wieso?

PRINCESA DEL BRONX Das Baby wäre unser Ende gewesen. Das hätte uns ruiniert. Wir haben kein Geld für ein Kind. Du gehst nicht einmal jetzt arbeiten. Du verdienst nicht einmal für dich selbst Geld. Wie willst du dann für dein Kind sorgen?

ZAPATA Und das iPhone? Ist das iPhone jetzt dein Kindersatz?

CONHIELO Jetzt hat Zapata ja doch noch was verstanden. Das iPhone ist Princesas Kindersatz.

PRI Was ist jetzt, Zapata? Soll ich dir eine Playstation besorgen?

ZAPATA Ich will dich heiraten. Ich will mit dir zusammenleben, dort wo wir herkommen. Geh mit mir nach Mexiko zurück. Lass uns ein Haus bauen, ein bisschen Land bewirtschaften und ein neues Kind machen.

PRINCESA DEL BRONX Ich will die Zukunft. Ich will nicht zurück. Mexiko, das ist wie totes Land. Hier in New York ist die Zukunft, die Stadt ist die Zukunft. Wir brauchen nur eine Idee, und schon geht es los.

Die Gruppe um Conhielo, Zapata, Pri und Princesa del Bronx rückt in den Hintergrund. Steve Melzow schiebt sich in den Vordergrund. Er sitzt an einem für amerikanische Diner typischen Tisch. (Sitzbank mit rotem Lederimitat. Der Tisch aus Chrom oder zumindest mit Chrom umrandet.) Er hat Pommes und Burger gegessen. Ein Becher Coca-Cola steht auf dem Tisch. Er schreibt einen Brief auf seinem Smartphone.

Datum: Freitag, 16. März 2012 12:43:31

An: Janine Baade janinebaade@web.de

Betreff: NYPD Matchbox

Liebste Janine,

es ist nicht so leicht, nachhause zu kommen, nicht so leicht, hier zu bleiben. Irgendwie ist alles schwierig. Ich denke manchmal, es ist egal, wo ich bin, die Probleme bleiben. Ich finde keine Antwort. Ich habe mich auch auf Joshua gefreut. Ich bin auch glücklich, dass ich sein Vater bin oder das ich überhaupt Vater geworden bin. Ich will nichts mehr, als bei euch sein. Es fällt mir so schwer, zurückzukommen. New York, da habe ich schon als kleiner Junge von geträumt. New York, das war wie ein anderer Planet in meiner Vorstellung. Früher dachte ich, die Hochhäuser in Stendal-Süd sind die höchsten Häuser der Welt. Ich dachte auch, dass ich in den Wolken wohnen würde, als wir nach Stendal-Süd gezogen sind. Seitdem ich von den Wolkenkratzern in New York erfahren hatte, wollte ich hierher. Irgendwie wollte ich immer nach oben zu den Wolken, oder nach oben überhaupt. Ich weiß nicht warum. Manchmal denke ich, ich will die Erde verlassen und steige deshalb so viele Stufen wie möglich hinauf. Ich kann mir, glaube ich, auch vorstellen, in einem Flugzeug zu leben. Mein ganzes Leben in einem Flugzeug verbringen. Die Erde nicht mehr berühren. Kann Joshua schon sprechen? Er wird bald zwei Jahre alt. Da kann er bestimmt schon ein paar Wörter sprechen. Kann er Papa sagen? Ich habe mir immer einen Jungen gewünscht. Jetzt, da ich einen Jungen habe, bin ich nicht bei ihm. Findest du das nicht merkwürdig? Ich wäre gerne bei meinem Sohn, aber irgendwie geht es nicht. An dir liegt es auch nicht. Du bist schön. Ich liebe dich. Irgendwie geht es nicht. Ich habe ein Geschenk für Joshua. Ich habe ihm ein Polizeiauto vom New York Police Department gekauft, kein echtes Polizeiauto, ein Matchbox. Auf der Fahrertür steht NYPD geschrieben. Das heißt New York Police Department. Der Wagen ist schwarz und hat eine blau rote Signalsäule auf dem Dach wie in den Filmen nur kleiner. Früher, wenn mein Opa mit mir in den Intershop gegangen ist und ich mir was aussuchen durfte, da habe ich mir immer ein Polizeiauto von Matchbox ausgesucht. Als die Mauer fiel, da hatte ich bestimmt 30 oder 40 Polizeiautos im Regal stehen. Das war ein richtiger Polizeistaat in meinem Kinderzimmer. Jedenfalls habe ich Joshua auch ein Polizeiauto gekauft. Es würde ihm bestimmt gefallen. Was kann ich dir noch schreiben. Ich habe dir schon so viele Briefe geschrieben und manchmal denke ich, ich habe noch nichts gesagt, was dich trösten kann. Ich vermisse dich. Ich vermisse Joshua. Ich würde ihn so gern einmal sehen wollen. Kannst du mir doch ein Foto schicken? Janine, was soll ich anderes sagen, als dass ich bald zu euch zurückkommen werde. Ich denke den ganzen Tag an euch. Auf meinen Spaziergängen durch New York höre ich viel Musik, traurige Musik, und denke dabei an dich und Joshua, daran, wie schön alles wäre, wenn ich zurückkommen könnte. Janine, meine schönste Schöne, das Briefeschreiben hilft mir, bei euch zu sein, euch nicht zu sehr zu vermissen. Als ich ging, sagtest du, du kommst nicht mehr zurück, ich kann es in deinen Augen sehen. Janine, das ist nicht wahr. Ich werde zurückkommen. Stevie.

Lieutenant P. Rodriguez Vásquez und Sergeant N. Milestone kommen mit Schwung in den Diner. Die Tür schlägt dermaßen laut an, dass die Gäste aufschrecken.

LIEUTENANT P. RODRIGUEZ VÁSQUEZ Na, ihr Schwachköpfe. Was treibt euch Bohnenfresser in dieses amerikanische Feinschmeckerlokal? Habt ihr im Lotto gewonnen?

PRI Padre, Mann, du kommst hier reingestürmt, als würdest du die Mafia hochnehmen. Warum kommst du nicht in den Laden wie ein normaler Mensch? Musst du deine Polizisteneier der ganzen Welt vorführen?

SERGEANT N. MILESTONE Junge, reiß dich zusammen. Du redest mit Lieutenant Vásquez.

PRI Lieutenant P. Rodriguez Vásquez, Rächer der Gerechten, Hüter des Gesetzes, Robin Hood, Batman, Superman und Captain America. Alles in einem. Hat sich von ganz Unten nach ganz Oben gearbeitet. Er hat seine Freunde, seine Familie, er hat alles verraten, was es zu verraten gab. Das ist Detective P. Rodriguez Vásquez. Halb Mexiko sitzt in New York im Knast wegen diesem Superhelden. Papa, du bist der Größte. Ich bin so stolz dein Sohn zu sein. Danke.

SERGEANT N. MILESTONE Junge, steh auf. Du bist festgenommen wegen Amtsbeleidigung.

PRI Willst du mich verarschen? Amtsbeleidigung. Ihr seid die Amtsbeleidigung. Guckt euch mal an. Das sind doch keine Polizisten. Ihr seid Stümper, Heuchler, ihr wollt doch nichts weiter, als euer beschissenes Leben über die Runden kriegen.

LIEUTENANT P. RODRIGUEZ VÁSQUEZ Junge, jetzt halt mal die Klappe, sonst kann ich auch nichts mehr machen für dich. Milestone, du musst nicht gleich in den 6. Gang schalten, nur weil dich der Bohnenfresser hier anpinkelt. Ich meine, er pinkelt dir ja nicht auf deine amerikanische Fahne. OK? Alles klar?

SERGEANT N. MILESTONE Bei der nächsten Nummer, nehme ich deinen Jungen mit aufs Revier.

PRI Also, was ist? Was Dringendes?

SERGEANT N. MILESTONE Ihr Backpfeifen hört jetzt zu, aber so, dass ihr auch was versteht. Wir suchen einen Typen, so einen Bohnenfresser wie ihr es seid, der hier heute Morgen zwei Touristenärschen die iPhones abgezogen hat. Sagt euch das was?

LIEUTENANT P. RODRIGUEZ VÁSQUEZ Zapata, wie geht es deiner Mutter?

ZAPATA Meine Mutter sitzt auf der Couch und guckt Fernsehen.

LIEUTENANT P. RODRIGUEZ VÁSQUEZ Ich bin mit deiner Mutter in dieselbe Klasse gegangen in Chihuahua.

ZAPATA Ich weiß. Und? Hilft mir das weiter? Hilft das meiner Mutter weiter?

LIEUTENANT P. RODRIGUEZ VÁSQUEZ Bestell deiner Mutter einen Gruß von mir. Vielleicht komme ich sie mal besuchen. Sag ihr das. Sie war so ein schönes Mädchen.

ZAPATA Soll ich sagen, dass sie mal ein schönes Mädchen war?

LIEUTENANT P. RODRIGUEZ VÁSQUEZ So Männer, wenn ihr irgendwas hört von einem Raubüberfall und iPhones, gebt mir Bescheid.

SERGEANT N. MILESTONE Princesa, schönes Telefon, was du da hast. Neu? Sieht neu aus?

PRINCESA DEL BRONX Darf ich kein Telefon haben?

SERGEANT N. MILESTONE Doch. Na klar. Ich meine nur, das ist ein echt schönes neues Telefon.

LIEUTENANT P. RODRIGUEZ VÁSQUEZ Ja, das finde ich auch. Darf ich mal sehen?

PRI Das dürft ihr nicht.

PRINCESA DEL BRONX Ja, das dürft ihr nicht.

SERGEANT N. MILESTONE Wir dürfen dich aber aufs Revier mitnehmen.

Princesa del Bronx gibt Sergeant N. Milestone das Telefon.

LIEUTENANT P. RODRIGUEZ VÁSQUEZ Und Milestone? Was sagen Sie?

SERGEANT N. MILESTONE Das ist ein verdammt schönes Telefon.

LIEUTENANT P. RODRIGUEZ VÁSQUEZ Ja, unglaublich schön und neu. Es gefällt mir.

SERGEANT N. MILESTONE Was ist das für eine Sprache hier? Wieso ist das nicht auf Englisch?

PRINCESA DEL BRONX Ich lerne gerade Schwedisch. Deswegen habe ich alles auf Schwedisch umgestellt.

SERGEANT N. MILESTONE Das ist Schwedisch? Du sprichst Schwedisch? Schwedisch, wo spricht man das? In Schweden? Ja? In Schweden. Ist ganz schön weit weg, Schweden. Willst du umziehen nach Schweden? Warum lernst du Schwedisch? Solltest du nicht erst einmal richtig Englisch lernen?

PRINCESA DEL BRONX Wenn ich Schwedisch lerne, brauche ich wohl nicht mehr Englisch lernen.

SERGEANT N. MILESTONE Willst du umziehen?

LIEUTENANT P. RODRIGUEZ VÁSQUEZ Gefällt es dir nicht mehr in New York?

PRINCESA DEL BRONX Zapata und ich wollen nach Schweden auswandern.

LIEUTENANT P. RODRIGUEZ VÁSQUEZ Ihr wollt schon wieder auswandern?

SERGEANT N. MILESTONE Zapata, hast du auch schon angefangen, Schwedisch zu lernen?

ZAPATA Ich habe immer keine Zeit, damit anzufangen. Princesa bringt es mir bei, so nebenher am Tag in der Nacht, wenn Zeit ist.

LIEUTENANT P. RODRIGUEZ VÁSQUEZ Wieso hast du keine Zeit, Zapata? Was machst du so?

ZAPATA Ich kümmere mich viel um meine Mutter. Ich bin oft bei ihr, damit sie nicht so allein ist.

LIEUTENANT P. RODRIGUEZ VÁSQUEZ So wie jetzt meinst du?

SERGEANT N. MILESTONE Wieso Schweden?

PRINCESA DEL BRONX Na ja, wir bekommen das Baby und wir wollen, dass es eine gute Zukunft hat.

ZAPATA Dass es überhaupt irgendeine Zukunft hat.

PRINCESA DEL BRONX Wir haben eine Doku im Fernsehen gesehen. Da haben die Schweden mit den USA verglichen, wegen Obama und ob wir in Amerika jetzt im Sozialismus leben und so. Jedenfalls den Schweden in Schweden geht es noch besser als den Amerikanern und da dachten wir, dass Schweden ein gutes Land für unser Kind sein könnte.

LIEUTENANT P. RODRIGUEZ VÁSQUEZ Seid ihr Sozialisten?

PRINCESA DEL BRONX Wir sind keine Sozialisten. Wir wollen ein gutes Leben für unser Kind.

SERGEANT N. MILESTONE Was ist mit dir, Conhielo? Warum sagst du nicht?

CONHIELO Ich höre zu. Sie haben doch gesagt, wir sollen zuhören, aber so, dass wir was verstehen.

ZAPATA Conhielo hat eine Geschäftsidee, über die er zur Zeit viel nachdenken muss. Deshalb kann er nicht so viel reden. Er muss sich entspannen, abwarten, damit noch mehr Ideen zu ihm kommen.

LIEUTENANT P. RODRIGUEZ VÁSQUEZ Eine Geschäftsidee? Das klingt wahnsinnig interessant. Lass mal hören.

CONHIELO Das verrate ich nicht.

SERGEANT N. MILESTONE Ich kann dich auch aufs Revier mitnehmen.

CONHIELO Das dürfen Sie nicht. Meine Geschäftsidee ist mein Geheimnis.

LIEUTENANT P. RODRIGUEZ VÁSQUEZ Ja ja, Conhielo, heul hier mal nicht gleich rum. War nur ein Scherz. Behalte deine Geschäftsidee. Kinder, war schön mit euch. Wir sehen uns. Und Princesa, das ist ein sehr schönes Telefon.

SERGEANT N. MILESTONE Ihr Zwei, viel Glück in Schweden. Und alles Gute für euer Baby. Das ist ein sehr schönes Telefon.

Lieutenant P. Rodriguez Vásquez und Sergeant N. Milestone verlassen den Diner. Zapata, Princesa del Bronx, Conhielo und PRI rücken in den Hintergrund. Steve Melzow rückt in den Vordergrund. Er schreibt einen Brief.

Datum: Freitag, 16. März 2012 12:57:07

An: Janine Baade janinebaade@web.de

Betreff: NYPD Matchbox Nachtrag

All die Tage, in denen ich jetzt in New York bin, habe ich mir nichts angeschaut, keine Museen, keine Sehenswürdigkeiten. Das hier ist kein Vergnügen. Das macht keinen Spaß. Ich spaziere nur. Die ganze Zeit spaziere ich nur. Seit zwei Wochen laufe ich durch NYC. Ich schlafe dort, wo ich aufhöre zu laufen. Es ist, als würde ich durch mich durchlaufen, als würde ich meinen Körper von Innen ablaufen, oder als würde ich mich weglaufen. Es ist so anders, in NYC zu laufen, als in Stendal zu laufen. Ich bin hier ein Anderer. Ich wollte, dass du das weißt. Ich küsse dich, wenn ich dich noch küssen darf. Stevie.

DIE WELT MEIN HERZ

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