Читать книгу DIE WELT MEIN HERZ - Mario Salazar - Страница 4
JANINEBAADE@WEB.DE I
ОглавлениеDatum: Dienstag, 17. April 2012 19:14:22
An: Steve Melzow stevemelzow@yahoo.de
Betreff: geburtstag
liebster stevie,
joshua ist jetzt zwei jahre alt. ich habe ihm von deinem matchbox erzählt. er wusste nicht, was ich damit meine. ich bin dann in einen laden und habe ihm ein polizeiauto gekauft, eines auf dem nypd draufsteht. vielleicht ist es so ein polizeiauto, wie du ihm eines gekauft hast. sonst kann ich dir aus unserem schönen stendal-süd nichts weiter berichten. willst du uns mal besuchen kommen? joshua würde sich bestimmt freuen. er spielt viel mit dem fußball, den du ihm zur geburt geschenkt hast. ich sag ihm immer, das ist der fußball, den dir papa geschenkt hat. und joshua sagt, papa geschenkt. manchmal denke ich, joshua denkt, der papa, das ist sein fußball. stevie, ich vermisse dich. komm zurück.
Datum: Dienstag, 17. April 2012 17:07:22
An: Janine Baade janinebaade@web.de
Betreff: geburtstag
janine,
du hättest joshua nicht umbringen sollen. ich vermisse ihn so sehr. du hast ihn umgebracht. ich laufe durch diese haufen aus beton und stahl und denke mir, das alles kann ich meinem sohn nicht mehr zeigen. trotzdem kaufe ich ihm ein matchbox zum geburtstag. vielleicht werde ich joshua jedes jahr ein geschenk zum geburtstag machen und hebe sie für ihn auf für den tag, an dem er wieder da ist.
stevie
Datum: Dienstag, 17. April 2012 23:41:03
An: Steve Melzow stevemelzow@yahoo.de
Betreff: geburtstag
wir haben joshua gemeinsam umgebracht. komm zurück und wir machen einen neuen joshua.
Datum: Freitag, 20. April 2012 04:34:01
An: Janine Baade janinebaade@web.de
Betreff: geburtstag
janine,
ich meine, ich bereue es, dass wir ihn umgebracht haben. er fehlt mir so. ich laufe durch dieses new york und frage mich, was ich hier will, ob das hier vielleicht eine besondere stadt sein soll oder weshalb ich denke, durch new york zu laufen, sei gut für mich. nur weil hier alles größer und undurchsichtiger ist, ist das nicht gleich ein besserer ort. joshua, warum haben wir ihn umgebracht. warum haben wir uns nicht getraut, ein kind großzuziehen. was ist daran so schwierig. du warst so ohne hoffnung. ich war ohne hoffnung. wieso. ich frage mich immerzu wieso und stelle mir vor, wie wir seinen zweiten geburtstag feiern. wie ich ihm den polizeimatchbox schenke und wie wir luftballons platzen lassen. wie wir schokokuchen durch die luft schmeißen oder verstecken spielen. ich kann ihn sehen. ich sehe uns alle am küchentisch in stendal sitzen, den reaktor im rücken. ein breites grinsen in joshuas gesicht. und überall die schokolade.
Datum: Samstag, 21. April 2012 07:00:07
An: Steve Melzow stevemelzow@yahoo.de
Betreff: geburtstag
stevie,
es ist schön, was du schreibst. ich muss auch oft an joshua denken. ich denke eigentlich nur an joshua, den ganzen tag, die ganze nacht. es ist, als hätten wir ihn nicht umgebracht. er ist so lebendig in meiner erinnerung. dabei war er nur einen halben tag am leben. wenn du wieder zuhause bist, können wir mal an sein grab gehen. da bleiben wir eine weile sitzen, reden nicht, fassen uns nicht an, sitzen da einfach nur vor dem grab unseres kindes. das fände ich schön. was ich dir noch sagen wollte. ich habe mir eine arbeit gesucht. ich verkaufe jetzt fernseher. gebrauchte fernseher. die sind nicht so teuer, hat der chef gesagt. die leute haben kein geld, aber einen fernseher brauchen sie. also verkaufen wir ihnen gebrauchte fernseher. flache fernseher. mir hat er gesagt, mädel, zieh dir mal was enges an, du bist so jung und noch ganz fest, bei dir ist eine brust noch eine brust, da, wo die brust spitz wird, biegt sie sich leicht nach oben, das wollen die leute sehen, die leute wollen was neues sehen, was, was zukunft hat, was, was von dauer ist, oder was, was erst einmal kein ende hat, die leute wollen die jugend sehen, du musst die menschen mit deinen brüsten glücklich machen. da arbeite ich jetzt seit zwei tagen und verkaufe fernseher. ich denke, wenn ich geld verdienen kann, ist das gut für uns beide und viellleicht ist das auch gut für einen neuen joshua, ein anderer joshua zu einer anderen zeit mit anderen eltern.
Datum: Sonntag, 22. April 2012 00:21:58
An: Janine Baade janinebaade@web.de
Betreff: geburtstag
schönste janine,
dass du fernseher verkaufst, finde ich gut. dein chef hat recht. du hast sehr schön brüste. ich vermisse deine brüste. ich weiß nicht, wann ich nach stendal zurück komme. hier in new york muss ich mich nur auf die straße stellen, ein bisschen herumgucken, die vorbeifahrenden autos, menschen, die wolken hinter den wolkenkratzern, die werbung überall, das laute, das man hier sehen kann, obwohl man es nur hört. new york ist ein guter ort, um joshua zu vergessen. irgendwann aber werde ich auch new york aufgebraucht haben. dann, entweder ich komme nach stendal oder ich ziehe weiter in eine andere stadt. vielleicht gehe ich auch zu den indianern. natürlich gehe ich nicht zu den indianern, wenn es überhaupt noch indianer gibt. was ich gerne mal wissen möchte. hat es diesen winnetou, der weihnachten immer im fernseher kommt, wirklich gegeben. also die apachen hat es auf alle fälle gegeben, das weiß ich, aber winnetou, das weiß ich nicht. bei joshua hätte ich nicht gewollt, dass er so viel fernsehen guckt. weißt du, wie wir früher, noch in der schule, jeden nachmittag, das ganze wochenende nur vorm fernseher gehockt haben und am montag in der schule haben wir dann mit den kumpels nacherzählt, was wir das wochenende im fernseher gesehen haben.
Datum: Mittwoch, 25. April 2012 18:11:32
An: Steve Melzow stevemelzow@yahoo.de
Betreff: geburtstag
stevie,
ich habe gekündigt. nicht gekündigt. ich bin einfach nicht mehr hingegangen. ich verkaufe keine fernseher mehr. mein chef wollte, dass ich noch mehr meine brüste zeige. verkauft haben wir aber trotzdem nichts. der typ wollte mir nur auf meine brüste glotzen. geld habe ich auch keines verdient. war alles nur auf probe. hier in stendal ist alles nur auf probe. das weißt du ja. joshua war auch irgendwie auf probe. warte mal. das handy klingelt. . . da bin ich wieder. die polizei. die polizei hat mich angerufen und mir gesagt, dass meine mutter und mein vater sich erschossen haben. sie sagen, es war erst mein vater, der meine mutter erschossen hat und dann hat sich mein vater selbst erschossen. stevie, das war nicht mein vater. ich war das. ich habe es so aussehen lassen, als wäre es mein vater gewesen. ich habe das in so einer krimiserie im fernsehen gesehen wie das geht. hier in stendal heißt es sowieso gleich, das war selbstmord, als gäbe es hier keine gründe, dem einen oder anderen das leben zu nehmen. oder als gäbe es keine guten gründe, am leben zu bleiben. die polzei sagt, ich soll aufs revier kommen, eine aussage machen, wo ich zur tatzeit gewesen bin und ob ich mir vorstellen kann, weshalb sich meine eltern den schädel wegblasen. ob ich mir das vorstellen kann? ich sag mal, das war längst überfällig. am besten wäre es gewesen, die hätten sich noch vor meiner geburt den schädel weggepustet. aber das werde ich den bullen nicht sagen, sonst denken die vielleicht, ich hätte ein tatmotiv oder so was. ich werde sagen, meine eltern waren arbeitslos, haben den tag lang in die flimmerkiste geglotzt, hatten nur freunde, die auch arbeitslos waren und auch den tag lang in die flimmerkiste geglotzt haben, ob das nicht grund genug ist, sich ein loch in den schädel zu knallen und dass ich zur fraglichen tatzeit alleine zuhause war, wie jeder normale mensch in stendal und die bullen werden sagen, natürlich frau baade, das verstehen wir gut, jeden tag bringt sich in stendal jemand um, wenn das so weiter geht, ist in zehn jahren schluss mit dieser stadt aber wahrscheinlich geht das selbstmorden ab einer kritischen masse noch schneller, fast wie von selbst, wissen sie frau baade, wir hier von der polizei, werden dann die letzten sein, die sich das leben nehmen. stevie, brauchst dir keine sorgen machen, ich habe die lage im griff. ich lass die bullen auf meine dinger glotzen und dann ist das geregelt.
Datum: Mittwoch, 25. April 2012 23:57:23
An: Janine Baade janinebaade@web.de
Betreff: geburtstag
liebste janine,
mir war klar, dass du deine alten eines tages umbringst. es ist beinahe ein wunder, dass die überhaupt so alt geworden sind. wenn wir deine eltern zuerst umgebracht hätten, vielleicht würde joshua dann noch leben. was machst du jetzt ohne deine eltern? willst du nach new york kommen? ich habe hier einen typen kennen gelernt. er heißt conhielo. das heißt „mit eis“ auf spanisch. wenn du eine cola in mexiko trinken willst oder in irgendeinem anderen land mit spanisch und du willst eiswürfel dazu haben, dann musst du „con hielo“ sagen, „mit eis“. so heißt der. frag mich nicht, wie ich den kennen gelernt habe, ich weiß es nicht mehr. er ist mexikaner, lebt in new york und will zu den indianern. er will eine zivilisation aufbauen am wounded knee. das ist in south dakota. dort ging die letzte große schlacht für die lakota sioux gegen die weißen verloren. conhielo will dort eine zivilisation nach dem vorbild von zuckerbergs facebook aufbauen. eine art facebook mit echten menschen, die zusammen an einem ort leben, die sich sehen und anfassen können, die gemeinsam fischen oder sich von angesicht zu angesicht unterhalten. menschen, die sich sehen können. jetzt weiß ich wieder, wie ich conhielo kennengelernt habe. ich saß in einem diner, irgendwo in der south bronx, ich saß da und habe dir oder joshua, wem soll ich sonst schreiben, meinen eltern vielleicht?, habe dir oder joshua eine mail oder einen brief, was weiß ich, geschrieben, auf einmal quatscht mich conhielo so typisch von der seite an. erst dachte ich, scheiße, jetzt bist du dran, das musste ja kommen, was rennst du auch durch die south bronx, du vollidiot, warum machst du es nicht wie alle beknackten touristen und vertändelst deine zeit in der lower east side oder fährst nach rhode island oder machst irgendeinen scheiß, den alle machen, also warum die south bronx, brauchst du einen kick oder was, reicht dir stendal süd nicht aus oder kommt da nur noch müll raus, wenn dein hirn versucht ein paar synapsen in spannung zu versetzen, kannst du überhaupt nur einen logischen gedanken produzieren, jedenfalls conhielo quatscht mich mit seinem latinoakzent von der seite an und ich sehe ihn schon die knarre auf mich richten, da sagt der, yo’ra stranger. und ich, na und, auf deutsch. conhielo, anyway, i needta talk toaya. der hat mir gleich sein ganzes leben erzählt und mir dann von seiner zuckerberganalogidee berichtet und mich gefragt, ob ich mitmachen will. ich habe ihm zwar gesagt, dass das bestimmt indianergebiet ist und wir dort niemals eine kolonie begründen dürfen, aber conhielo hat nur gesagt, man, you gotta have dreams that you can live for. no matter how hard how difficult it will be to realize them. the dream itself will keepya alive. without dreams yourea dead person. was auch immer conhielo noch erzählt hat, alles habe ich nicht verstanden wegen seinem bescheuerten latinoakzent, wir werden nach south dakota zum wounded knee fahren und dort, wo sitting bull den krieg der ureinwohner gegen die weißen verloren hat, dort werden wir eine neue welt begründen und jeder, der lust hat, bei uns mitzumachen, muss eintritt bezahlen.
Datum: Freitag, 27. April 2012 15:10:31
An: Steve Melzow stevemelzow@yahoo.de
Betreff: geburtstag
liebster,
tut mir leid, dass ich mich nicht früher gemeldet habe. ich war mit der beerdigung meiner alten beschäftigt. musste deren beschissene wohnung ausräumen. stell dir das mal vor, den dreck seiner eltern wegräumen, als wäre ich genau dafür auf diese welt gekommen. ich komme mir vor wie die müllabfuhr. das schlimmste, kein cent, nichts, nichts, womit wir uns eine zukunft aufbauen können. spinnen die? eltern müssen sich um ihre kinder kümmern und nicht einfach so mit leeren taschen die biege machen. den garten haben sie mir vermacht. stell dir das mal vor. diese bretterbude mit den äpfeln und pflaumen ringsherum. glauben die, ich setze mich in dieses loch und warte, bis die äpfel und pflaumen vom baum fallen. von den nachbarn gar nicht erst zu reden. die nachbarn hätte ich auch gleich abknallen müssen. das hätte niemanden interessiert. stevie, was hältst du davon, wenn ich nach new york komme und wir mit deinem eismann gemeinsam in wounded knee eine neue welt gründen. dabei können wir reich werden. geld für joshua hätten wir dann auch. das wäre doch ein gute zukunft und von wounded knee habe ich auch keine ahnung. ich küsse dich. ich will mit dir schlafen.
Datum: Dienstag, 1.Mai 2012 05:10:27
An: Janine Baade janinebaade@web.de
Betreff: geburtstag
liebste janine,
ich will auch mit dir schlafen, keine frage, unbedingt. eismann ist gut. conhielo habe ich nicht wieder gesehen. ich bin jetzt jeden tag in diesen diner zurück gegangen, habe da den ganzen tag gewartet, habe sogar meine nummer im laden hinterlassen, aber conhielo hat sich nicht mehr gemeldet. was soll ich jetzt tun. soll ich allein nach wounded knee fahren. ich weiß nicht, wie es jetzt weiter gehen soll. ich vermisse joshua so sehr. ich dachte, in wounded knee können wir uns vielleicht was aufbauen. alleine was aufbauen, das traue ich mich nicht, da weiß ich nicht, wie das geht. wo soll man da anfangen, wenn man sich was aufbaut. fängt das mit dem geld an oder mit der frau. braucht man eine arbeit um was anzufangen. oder ist es so, wie conhielo sagt, alles fängt mit einem traum an. gleich, was es ist, ich habe nichts davon, kein geld, keine frau, keine arbeit, keinen traum. ich habe nur mich und diese straßen und irgendwie reicht das alles nicht für einen anfang.
Datum: Dienstag, 1. Mai 2012 08:45:56
An: Steve Melzow stevemelzow@yahoo.de
Betreff: geburtstag
liebster,
soll ich nach new york kommen?
ich küsse dich. ich will mit dir schlafen.
Datum: Freitag, 4. Mai 2012 15:10:31
An: Steve Melzow stevemelzow@yahoo.de
Betreff: geburtstag
janine,
komme nicht nach new york. ich weiß nicht, wie ich hier weiter machen werde. wenn wir uns das erste mal seit joshuas tod wieder sehen, muss es schön sein, dann müssen wir einen plan haben. wenn ich dich nach dieser langen zeit wieder sehe, will ich von vorne anfangen und nicht irgendwo in der mitte einsetzen und denselben scheiß weiter leben, den wir vorher schon gelebt haben. wenn wir jetzt wieder zusammen kommen, werden wir unserem nächsten kind wieder das leben nehmen.
ich küsse dich.