Читать книгу Die Suche hat ein Ende - Mario Walz - Страница 6

Fernsehen

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Es summt, ein Vibrieren. Zunächst wundere ich mich über das ungewohnte Geräusch, bis mir einfällt, dass ich das Anrufsignal verändert habe. Neuerdings vibriert mein Handy, bevor es mich funky daran erinnert, dass ich angerufen werde. Wenn die Musik erklingt, ist es meist schon zu spät, um dran zu gehen, da ich das Gerät erst mal finden muss. Außer Atem und mit flinken Fingern kann ich den oberen Teil des Telefons hochschieben, und ein keuchendes Hallo reinhecheln. Ein Fernsehjob.

Zunächst freue ich mich natürlich. Hauptsächlich aber wegen des zu erwartenden Honorars. Die Zeit, in der ich viel Freude am Entwerfen von Fernsehbühnen hatte, ist längst vorbei. Die Anforderungen haben sich verändert, und die Kreativität ist auf der Strecke geblieben.

Spannende Entwürfe fallen immer öfter durch das Raster der Massenverträglichkeit und für mich ist somit immer weniger Platz in der Branche. Die daraus erwachsene Unzufriedenheit und natürlich die immer wieder auftauchende Sinnfrage der Fernseharbeit führten zu dem ewigen Hin und Her, ob ich nicht doch besser als Feng–Shui–Berater mein Geld verdienen sollte. Aber bei dieser Tätigkeit fehlt mir das kreative Moment, der Spaß neue Welten, neue Objekte, Möbel oder sonstig was zu erschaffen. Aber das Problem hat sich von allein gelöst. Als ich die Kontrolle über meine beruflichen Absichten und Ziele losließ und mich dem großen Fluss und Treiben hingab, kam alles ganz anders, als ich es je hätte planen können.

Die Situationen, die sich in mein Leben ergossen, führten mich zunächst über die längst abgelegte Kunst der Kostümgestaltung wieder zurück zum Theater, wo ich immer am liebsten gearbeitet hatte. Ich musste aber einige Jahre einen anderen Weg gehen, um mir selbst klar zu werden, dass Karriere und viel Geld zu verdienen nicht das Wichtigste im Leben ist.

Hauptsache der Job macht Spaß!

Meine frühen künstlerischen Arbeiten waren eher aus Schmerz und Leid motiviert. Die Zeichnungen, Skulpturen, Malereien, Kostüme und sonstigen kreativen Auseinandersetzungen waren Ausdruck meiner gequälten Seele, die sich über die Kunst zu befreien versuchte. Was auch gelang, aber mir natürlich nicht viel Geld einbrachte. Aus dem Schmerz und dem Druck, der durch bestimmte Verletzungen – des Selbstwertes zum Beispiel – entstanden ist, kann immense kreative Kraft entstehen. Viele Künstler – ob im Musikbereich oder darstellenden Künsten – haben in der ersten Schaffensphase ihre besten Arbeiten gestaltet, realisiert, umgesetzt. Oftmals eine Bearbeitung eines auf der Seele liegenden Schmerzes. Wenn diese Arbeit beendet ist und der Schmerz aus dem Leben herausgearbeitet wurde, kommt oft ein großes Loch. Manche Künstler versuchen dann den Schmerz künstlich weiterzubeleben, um das daraus erwachsende Leid in ihre Kreativität fließen zu lassen.

Der Schmerz kann also das Benzin für den Motor intensiven künstlerischen Schaffens sein. Manchmal sind die späteren Arbeiten nicht mehr so stark, so intensiv und berührend wie die ersten aus dem Leid geborenen Auseinandersetzungen.

Natürlich gibt es auch Künstler mit anderer Motivation – ich will nicht alle über einen Kamm scheren. Dennoch ist das Prinzip oft beobachtbar. Und bei mir war es genauso. Ich versuchte mit meiner Kunst, die ich parallel zu Design, Kostüm und Bühnenarbeit erarbeitete, meinen tiefen, unaussprechlichen Schmerz auszudrücken. Bis irgendwann plötzlich die Luft aus dem Antrieb gewichen war.

Ich hätte mich dazu durchringen können, intellektuell und kopflastig arbeitend weiterzumachen. Oder noch tiefer zu graben, um weitere Verletzungen in mir zu finden, um meinen Schaffensprozess zu füttern. Aber als ich erkannte, dass es keinen Druck mehr in mir gab, den ich durch Bilder oder Skulpturen hätte verarbeiten können, ging ich in mich und fand diese verschüttete, längst vergessene Seite in mir: die lustige, humorvolle Ebene meines Wesens. Ich entschied mich diesem Pfad zu folgen und öffnete meinem künstlerischen Können neue Türen in andere Welten des Ausdrucks. Humor.

Meine Arbeiten wurden zusehends lustiger und brachten die Menschen zum Schmunzeln. Was ich dann auch bei Dekorationen und Kindersendungen einbringen konnte. Dieser Wandel in meinem Schaffen hat mir unglaublich viel Spaß gemacht und brachte auch für mein normales Leben Veränderung. Ich verdiente endlich ganz gut und schließlich zog ich daraufhin auch mit Petra zusammen. Und wir gründeten unsere Familie.

Eine absolut neue Welt tat sich auf. Meine Intention lag nicht mehr darin, meinen Leidensdruck darzustellen, sondern meiner Lebensfreude in mir und in meiner Arbeit Raum zu geben. Es folgte eine sehr spaßige und überaus kreative Schaffenszeit. Mein Dasein bekam eine bis dato nicht gekannte Leichtigkeit, mein Fokus war auf Leben gerichtet.

Die spannendste Zeit für mein kreatives Arbeiten waren die fünf Jahre im Kaiserhoftheater zu Köln. Unter der Regie von Walter Bockmayer, der so hervorragend das Beste aus seinen Schauspielern herausholen kann, durfte ich alle Register meines künstlerischen Könnens ziehen. Nicht nur die Bühne, die ich komplett durchkonstruieren durfte, sodass jeder Kubikzentimeter genauestens verplant war, weil immer irgendwo etwas aufging, herunterschwebte, hindurchgezogen wurde oder sogar aus dem Boden herauskam. Auch funktionelle Tier– und Phantasiekostüme konnte ich entwickeln und realisieren. Technik in allen Variationen: das Bemalen und themenbezogene Dekorieren des gesamten Theaters. Das Ausklügeln der ausgefallensten Aktionen: von fliegenden Engeln über den Köpfen der Zuschauer, herabpinkelnden Affen bis zu einem Minischwimmbad unter der Bühne, welches mittels aus dem Boden kommender Spiegel zum Esther–Williams–Gedächtnisspektakel erhoben wurde. Ich konnte mich und meine Kreativität vollends ausleben. In dieser Zeit lernte ich die Kraft des Entertainments kennen.

Früher dachte ich immer, ich müsste den Menschen mit in die Höhe gestrecktem Zeigefinger die Missstände in unserer Gesellschaft und des eigenen Lebens aufzeigen. Dies geschah durch meine Kunst und meinen missionarischen Eifer. Wodurch ich die Herzen der Menschen für das Mysterium des Lebens und der notwendigen gesellschaftlichen Veränderung zu öffnen versuchte. Ich stellte aber fest, dass sich Menschen beim Betrachten von Schmerz inspirierter Kunst eher verschließen.

Sie müssen sich auch schützen, denn oftmals wird durch das Betrachten von schrecklichen Bildern das eigene Leid angerührt. Der Mensch geht in Resonanz mit dem durch die Kunst ausgedrückten Schmerz. Es gibt viele Möglichkeiten mit dieser Resonanz umzugehen. Aber in den allermeisten Fällen bleibt das Herz dabei verschlossen. Muss es ja auch, da die wenigsten Menschen den eigenen Schmerz nicht sehen wollen. Und deswegen auch die Mauer errichtet haben, die das Herz vor weiteren Verletzungen schützen soll. Wodurch allerdings auch keine Veränderung geschehen kann. Weil nicht das Herz, sondern nur der Intellekt, das Denken angesprochen wird. Und um sich zu verändern, muss man das Herz öffnen. Um die dort gefangenen Gefühle zu befreien.

In meiner Theaterzeit erkannte ich dann, wie man Menschen tatsächlich berühren kann. Als ich 300 lauthals lachende Menschen im Theatersaal sitzen sah, und die Gelöstheit in deren Gesichtern bemerkte, als sie die Show verließen, wurde mir bewusst, welche Macht und Kraft in dieser Arbeit steckt. Durch den erlebten Spaß und das daraus erfolgende Lachen sind die Herzen der Zuschauer offen und weit, die Energie ist umwerfend. Ich konnte den Unterschied in der Raumenergie vor der Show und danach fast körperlich spüren. Nicht nur, dass die Menschen sich selbst beschenken, sie geben Herzensenergie an die Umwelt weiter, ein kleines Schneeballsystem der Freude und Gelassenheit. Faszinierend. Und wenn ich im Gegensatz dazu die betroffenen, mitleidsvollen oder gar verhärteten Gesichter der vermeintlich berührten Menschen in Ausstellungen betrachte, frage ich mich, welches System ist besser geeignet, um uns selbst und unsere Welt zu heilen?

Durch humorvolles Entertainment, durch eine unterhaltsame Geschichte oder entsprechende Lieder kann ich den Zuschauern eine kleine Botschaft der Freude oder der allgemein gültigen Wahrheit einpflanzen. Dadurch erreiche ich mehr als durch erschreckende Bilder von Schmerz und Leid. Ich setze kleine Samen in die geöffneten Herzen, um eine friedlichere, offenere, und vor allem tolerantere Welt mitzugestalten. Der Samen wirkt im Herzen weiter und verändert den Menschen von innen heraus. Während Zeigefingerkunst nur den Verstand anspricht. Aber der Verstand ist nicht derjenige, der ändert. Er ist standhaft! Und wiederholt lieber das, was er kennt.

Insofern war die Theaterzeit im Kaiserhof eine vielfältige, spannende und interessante Zeit für mich. Aber auch dies ging leider vorüber. Das Theater konnte sich damals nicht mehr finanzieren. Mir blieb die Karriere als Bühnenbildner beim Fernsehen.

Das machte mir auch Freude, auch wenn der kreative Prozess dabei nur ein Bruchteil der gesamten Arbeit ausmacht. Immerhin waren auch meine logistischen und statischen Fähigkeiten gefordert. Und ich lernte die Gratwanderungen, welche die Vorgaben an den Entwurf brachten, zu beherrschen. Aber das kreative Arbeiten im Büro stellte mich nicht so zufrieden, wie das selbsthandanlegende Arbeiten mitten im Geschehen der Theaterszene.

Die Schaffensphase als Bühnenbildner hatte natürlich einige gute Seiten: Mein Honorar war um einiges gestiegen und ich arbeitete zu 90 Prozent von zu Hause aus. Wo ich meine Kinder erleben durfte, und ihnen ständig nahe war. Alles in allem in Ordnung. Eine gewisse Zeit lang.

Bis jetzt, wo ich spüre, dass eine neue Phase meines Lebens beginnt. Ein Neuanfang, der eine komplette Umstrukturierung mit sich bringt. Wohin? Ich weiß es nicht.

Ich fahre meinen neuen PC hoch. Klickklickklick und ich bin im Netz. Nachdem ich alle aufpoppenden Fenster entsorgt habe, die mich in unermüdlichem Dienst am Kunden seit Monaten daran erinnern, dass ich ein neues Virenprogramm bestellen müsste, öffne ich mein virtuelles Postamt.

Nachrichten. Ich freue mich, wenn ich Mails bekomme, muss aber feststellen, dass von zehn verschickten höchstens eine beantwortet wird. Ich liebe das Mail–Schreiben. Und aus den bereits verfassten Mails hätte ich Bücher unterschiedlichsten Niveaus machen können. Unter Massen von Spam erkenne ich die erwartete Nachricht über den neuen Job. Ich öffne den Anhang, drucke den Text aus, und surfe auf meine favorisierten Internetseiten, die ich täglich zu besuchen gewohnt bin.

Ich recherchiere gerne im Netz, wenn ich ein entsprechendes Thema, einen zu ergründenden Ansatz habe. Aber einfach so im Internet herumzugurken ist mir zu langweilig. Viele Seiten ziehen mich auch einfach runter oder verstopfen meine Synapsen mit überflüssigem Gedankenmüll mit langer Halbwertzeit. Ich beende die Verbindung, habe aber das Gefühl, noch darin verweilen zu müssen. Hypnose?

Das Blatt fällt aus dem Drucker auf den Boden. Ich hebe es auf und beginne die Anforderungen für das Bühnenbild zu lesen. Was sich am Telefon so toll angehört hatte, zeigt sich mal wieder von einer komplett anderen Seite. Nicht nur, weil der Entwurf schon gestern fertig sein müsste, weil in drei Wochen schon die erste Aufzeichnung geplant ist. Es gibt eine Kostenvoraussetzung, die überhaupt nicht realistisch ist. Nicht in der Kürze der Zeit und nicht wenn ich auch noch etwas daran verdienen will.

Ich rufe die Produktionsfirma an, um die extremen Voraussetzungen zu diskutieren, um Details zu erfahren. Auf die Frage, ob meine Entwurfsarbeit – als einer von fünf (!!!) zur Ausschreibung herangezogenen Bühnenbildnern – in gewissem Maße honoriert werden würde, höre ich nur: Das können wir uns nicht leisten. Aha, denke ich. Da wird wieder mal eine Sendung auf den Köpfen der Billigarbeiter ausgetragen. Ich kann ja verstehen, wenn die Kosten überhand nehmen, und die Produktion günstig realisiert werden muss. Aber ich weiß auch, was verdient werden kann, wenn die Sendung läuft und dass die Kosten bei rechtzeitiger Entscheidung halb so hoch sein würden. Ich kann das System einfach nicht mehr ertragen und sage kurzerhand ab. Mein Leben ist mir zu kostbar, um es mit solchen Spielen zu vermiesen. Bauchentscheidungen und Entscheidungen, die meinem Selbstwert dienen, sind immer die besten. Und letztlich hat sich immer gezeigt, dass es finanziell und arbeitstechnisch irgendwie weitergeht. Und meist eröffnen sich ganz neue Welten, neue, interessantere Jobs oder Arbeiten, für die ich keine Zeit gehabt hätte, wenn ich in dem System mitgeschwommen wäre. Und diese neuen Erfahrungen bereichern mein Leben ungemein.

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