Читать книгу Die Suche hat ein Ende - Mario Walz - Страница 9
Morphogenetisches Feld
ОглавлениеUm bei der oben erwähnten Mode zu bleiben: Im Raum klebt eine Idee – zum Beispiel vor dreißig Jahren: Punk. In allen Kulturen, die gedanklich und mental miteinander verbunden sind, ist dieser Gedanke plötzlich wahrnehmbar. Dabei geht dies von der zugrunde liegenden Idee bis zur äußerlichen Kleidung. Je mehr Menschen diesen Gedanken, diese Idee in sich leben lassen –ihm sozusagen Energie geben – desto größer wird das entsprechende Feld. Und immer mehr Leute werden davon erreicht. Je größer das Feld, umso leichter ist es für Gleichgesinnte, sich einzuklinken und die Idee »downzuloaden«.
Wenn eine Mehrheit der Menschen das Feld in ihr Wesen übernommen hat, ist das Feld so groß, dass es zur grundlegenden Struktur in Mentalität und Gesellschaftsordnung wird. Ungewohntes wird über Nacht zur Normalität.
Heutzutage ist das Färben der Haare, das Piercen und Tätowieren der damals oft verspotteten Punks so normal geworden, dass sich niemand mehr darüber aufregt. Höchstens ich, weil ich die damalige Idee als verraten empfinde. Aber so funktioniert das Assimilieren. Ein anfänglich revolutionärer Gedanken wird zu einer Massenbewegung, die aber den Ursprungsgedanken in extrem verwaschener Form in das eigene Denken übernimmt. Wobei oft die Idee oft entkernt, und der Inhalt auf sein äußere Erscheinungsform reduziert wird. Aus dem Feld des Revoluzzertums wurde über die Zeit ein matschiger Abdruck. Untergegangen im Massenbewusstsein. Der ursprüngliche Gedanke wurde einfach integriert und weggeschwemmt. Und hat dadurch seine Kraft verloren. Übrig blieben die übernommenen Frisuren und Teile der Kleidung, die jetzt normal geworden sind.
So funktionieren alle Veränderungen. Ob das nun eine industrielle Revolution, kirchliches Gedankentum, das Fahrradfahren, Computer oder Modeerscheinungen sind: Am Anfang war ein kleines Feld, das einige Wenige initiierten oder erspürten. Diese »Idealisten« oder – im oberflächlichen Sinne – Designer ziehen durch ihre intuitive Wahrnehmung der neuen Impulse die formgewordene Idee in die materielle, sichtbare Welt. So wird ein Trend geboren. Ein Trend, den erst wenige verfolgen, die dafür oft ausgelacht oder beschimpft, verspottet und verfolgt werden. Die Idealisten fühlen das Wachsen dieser Struktur und sind sich ihrer Bedeutung bewusst. Je mehr Menschen diese Idee nun wahrnehmen, umso größer wird das entsprechende Feld und umso einfacher ist es für nachfolgende Leute oder Designkopisten, den Trend nachzuahmen und weiterzuführen. Mit jedem neuen Nutzer der Idee verbreitet sich das Gedankentum oder die Mode. Plötzlich trägt jeder Schlaghosen! Und es wird normal, Schlaghosen zu tragen. Und mit der Normalität verändert sich sogar der Massengeschmack: alle finden Schlaghosen spitze, klasse, groovy.
Auf anderen Ebenen wächst der Gedanke an eine Revolution aus idealistischen Gründen und Szenarien werden gemacht, wie eine bessere Welt auszusehen habe. Es werden Anstrengungen und Unternehmungen angeleiert, die das entstandene geistige Feld vergrößern, ihm mehr Kraft und Bedeutung geben. Bis sich das Feld verselbstständigt und in die Masse eingeht. Dann werden im schlimmsten Fall aus friedlichen Protesten radikale Demos, bei der Mauern zerstört und Grenzen eingerissen werden. Um dann im neu eroberten Land mit 100 DM und einer Gurke die ursprüngliche Idee von Freiheit mit reichlich viel Sekt zu Grabe zu tragen. So ist der Lauf der Dinge. Hoffen wir, dass die momentane Bewusstseinsrevolution ihre Ideale behalten kann, wenn sie zu einer Massenbewegung wird.
Was bin ich früher ausgelacht worden, weil ich die Haare auf spezielle Weise frisiert oder gefärbt hatte, oder mit den außergewöhnlichsten Klamotten herumlief. Genau diese Mode ist heute zur Normalität geworden, und eben auch das Schwarz–Tragen. Die entstandene Normalität überrennt die ursprüngliche Idee einfach. Aber im Tod des assimilierten Gedankens blüht ein neuer Gedanke. Ein ständiges Kommen und Gehen, ein Hin–und–her–Geschubse von einem Extrem in das nächste, und die große Masse führt alle Ideen in die Normalität.
Das soll jetzt ohne Beurteilung verstanden sein. Es ist so, weil es genauso funktionieren muss. Es gibt die, welche von einer neuen Idee zur nächsten springen, immer jenseits der Norm, um eine Veränderung zu bewirken, einen Gegentrend zu schaffen, bewusst oder unbewusst. Eine Veränderung in Kleidung, Design, Musik, gesellschaftlichen Ideen oder gar politischen Strukturen. Eine Veränderung, die vonnöten ist, um eine Gesellschaft zu einer Evolution anzuregen. Und es gibt jene, welche die neuen Errungenschaften normalisieren müssen. Welche die neuen Ideen in die alltägliche Realität aufnehmen und integrieren. Ohne die Übernahme des Neuen in die Masse, in die Normalität, kann es keine tief greifende, alle berührende Veränderung geben.
Eine neue Idee muss Fuß fassen können, und um stabil zu bleiben. Sie muss auf festem Boden stehen. Deswegen auch der beobachtbare Gedanken– und Vorstellungswandel in den Generationen. Die eine Generation versucht die Gesellschaft durch neues, extremes Denken, und wagemutige Schritte zu verändern. Sie bringen neue Gedanken und Ideen ins Leben. Die nächste Generation zeigt sich im Gegensatz dazu von eher konservativer Natur, beständiger, wieder behäbiger, unbeweglicher. Beide Generationsmodelle sind wichtig: Die Geruhsame bestätigt zunächst die alten Werte, um aber gleichzeitig auf unrevolutionäre Art und Weise das neue Gedankengut mit in die Mentalität einzubeziehen. Um dann zum nächsten Schritt weiterzugehen.
Die morphogenetischen Felder bilden sich also, wenn neue Gedanken oder Ideen aufkommen, um späteren Benutzern oder Gleichgesinnten den Zugang zu diesem Wissen zu erleichtern. Beispiel Fahrradfahren: Ich weiß noch, dass ich damals Tage lang versuchte auf zwei Rädern zu balancieren. Und ohne den Sandhaufen am Ende unserer Straße wäre ich so manches Mal auf die viel befahrene Straße weitergerutscht.
Die ersten Radfahrer hatten es bestimmt nicht einfach, eine solch neue Weise der Fortbewegung in die damalige Welt zu transferieren. Es dauerte sicher eine geraume Zeit die nötige Balance zu finden, und mit dem Gerät richtig umzugehen. Bevor viele Menschen diese Art der Fortbewegung nutzen lernten, waren bestimmt einige unsanft auf ihrem Hintern gelandet.
Aber durch deren Erfahrungen und das daraus resultierende Wissen um die Benutzung des Rades und das Aufrechterhalten der Balance bildete sich ein Feld, in das diese Erfahrungen gespeichert wurde. Die nachkommenden Radfahrer konnten sich durch ihre Absicht Radfahren zu lernen, einfach das gespeicherte Wissen zunutze machen. Und lernten somit viel schneller Theorie in Praxis umzusetzen. Je mehr Menschen das Radeln beherrschen, desto einfacher ist es für die Nächstfolgenden, das System zu übernehmen. Meine Kinder lernten an einem Tag Fahrradfahren – einfach so. Ein quasi in die Wiege gelegtes normales Bewusstsein über das Balancieren auf zwei Rädern. Ein Glück für mich, denn ich sah mich schon, wie ich tagelang das Kinderrad festhaltend die Straße hoch– und runterrenne.
Beispiel Auto fahren. Faszinierend, wie einfach es geworden ist, diese Dinger zu bewegen. Fast jeder Mensch kann Auto fahren, ob er nun intelligent ist oder nicht. Es steht einfach in unserem menschlich verfügbaren Feld der normalen alltäglichen Möglichkeiten. Genau wie die Kinder heutzutage einfach so mit Handys und Computer umgehen können. Die Masse an Usern hat ein Feld errichtet, das die Neugeborenen bereits von Anfang an integriert haben. Weil es so stark ist. Es ist eben zur Normalität geworden.
Wenn man sich mal vorstellt, was noch alles in den Feldern um uns angelegt ist, in welche sich mensch problemlos einklinken kann. Was wir alles lernen könnten, wenn wir diese Möglichkeit Inhalte aufzunehmen bewusst nutzen würden!
Ich erinnere mich, wie ich nach wochenlangen Bemühungen, den Adobe Photoshop zu ergründen – um meine Zeichnungen im Computer besser aussehen zu lassen –, fast verzweifelte. Weil ich das Programm einfach nicht kapierte. Bis ich eines Tages aufwachte, mich an den Computer setzte und ohne ersichtlichen Grund die Ebenenfunktionen beherrschte. Einfach so – ohne äußere Unterstützung oder Erklärungen. Es fiel mir quasi aus dem Himmel in den Schoss, oder: Ich hatte endlich Zugang zu dem Feld, in welchem das Wissen der mit Photoshop arbeitenden Designer und Grafiker gespeichert war.
Es ist alles da oben abgelegt und einfach zu ergründen. Alle erdenklichen Ideen zur Ausübung und Erfahrung liegen dort oben bereit: Sei es Krieg, wovon uns bestimmt ein großes Feld umgibt, das täglich durch gewaltverherrlichende Filme und tatsächlicher Gewalt Erweiterung erfährt. Oder ein Feld der Nächstenliebe, der Hilfe, des Mitgefühls und der Toleranz. Diese Felder müssten meines Erachtens noch mehr Energie erhalten, um einmal zur gesellschaftsbestimmenden Normalität zu werden. Aber dazu benötigt es vielleicht mehr Anregungen in diese Richtung, was über die alles erreichende Medienlandschaft geschehen könnte. Sodass mehr Menschen dieses Gedankengut in sich aufnehmen und sich aus dem Feld der Unsicherheit und Angst ausklinken können. Veränderung ist machbar.
Nachdem wir aus dem schwarz–weißen Café in den Strom der Feierabendfeiernden getreten waren, trennen wir uns und ich gehe – wie so oft – alleine ins Kino. Nach einem leidlich amüsanten Film sitze ich in meinem Auto und warte auf den Beginn meines mittwöchlichen Tanzvergnügens. Und falle wieder einmal in die Rolle des Außenstehenden. Ich beobachte die Menschen um mich herum. Wie sie durch die prall gefüllten, von Hektik durchzogenen Straßenwelten ziehen, verfolgt von gedankenschweren Energien, die sich in ihren Nacken geheftet haben. Leidende Menschen, betrunkene Menschen, ängstliche Menschen. Im Einkaufswahn oder der Einsamkeit verfallen. Kranke Menschen. Menschen, die sich der gesellschaftlichen Norm und Moral zu Füßen geworfen haben, um die eigene Unsicherheit nicht zu spüren. Um sich in Zeiten der Angst geleitet und geführt zu wissen. Anstatt sich der Angst zuzuwenden, um zu erkennen, dass Angst nur eine hohle Blase aus der Vergangenheit ist.
Ich stehe in meiner ehemals Lieblingstanzhalle und bemerke wieder einmal, dass die interessanten Leute bis auf wenige verschwunden sind. Die »next Generation« hat den Schuppen in ihren Besitz genommen, so wie ich es schon oft erlebt habe. Das bedeutet wieder Veränderung: Ich muss nach einem neuem Ort Ausschau halten. Alte Zelte abbrechen und Neues in Bewegung bringen.
Veränderung ist das einzig Beständige in meinem Leben. Immer wieder von Neuem zu beginnen, neue Wege zu gehen und Neues zu erproben. Und kaum habe ich mich an etwas gewöhnt, oder als akzeptabel abgespeichert, verändert sich die Situation von Neuem. Manchmal leide ich unter dem ewigen Hin und Her. Heute zum Beispiel.
Ich vermisse so etwas wie eine Heimat. Ein Ort, an dem ich mich absolut wohlfühle, der mir entspricht, wo ich Leute finde, die mir entsprechen. Gleichgesinnte. Eine Heimat für alle meine Bedürfnisse. Überhaupt eine Heimat.