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Drittes Kapitel

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»Wenn du mir nicht hilfst, Betty«, sagte Carina Armitage streng, »werde ich dafür sorgen, daß du bis ans Ende deiner Tage im Pfarrhaus schuftest und als alte Jungfer stirbst.«

»Wenn Sie nicht tun, was der Herr Vikar sagt«, schniefte das Mädchen Betty, »dann werden Sie auch nicht heiraten, und was ist dann mit Mr. Armitage, der kein Geld hat, wo doch Miss Minerva und Miss Bella bei den Heiden sind.«

»Für dich immer noch Lady Sylvester und Lady Peter, Miss«, sagte Carina bissig. »Sei kein Frosch, Betty«, fuhr sie in schmeichlerischem Ton fort. »Alles wird gut werden, wenn Minerva und Bella aus Paris zurückkommen – Paris ist nicht heidnisch, Betty. Denk nur an die Hüte! – und ich werde dafür sorgen, daß Papa dich deinen John heiraten läßt. Aber wenn du Papa dabei unterstützt, mich zu zwingen, diese schreckliche Perücke zu tragen, dann werde ich alles in meiner Macht Stehende tun, ihn darin zu bestärken, daß wir es uns nicht leisten können, John Summer mehr Lohn zu bezahlen.«

»Aber ich werde dafür geschimpft!« jammerte Betty.

In wenigen Minuten sollte Carina Lord Harry Desire vorgestellt werden. Carina hatte Lady Godolphin erzählt, daß Betty sich sehr gut als Kammerzofe eigne. Betty war aufgetragen worden, eine von Lady Godolphins zweitbesten, nußbraunen Perücken aufzudrehen und zu kämmen und dafür zu sorgen, daß nicht eine verräterische rote Locke hervorblitzte.

Das Kleid, das ihr Vater und Lady Godolphin für Carina ausgesucht hatten, war aus weißem, mit Rosenknospen besticktem Musselin, ein Meisterstück der Schneiderkunst, das äußerst geschickt Unschuld mit Raffinesse verband. Das Mieder war am Rücken mit Fischbein verstärkt und saß vorne so eng, daß Carinas Brüste wie zwei Äpfelchen in dem tiefen Ausschnitt lagen. Der Rock war so kurz, daß ihre Fesseln fast ganz zu sehen waren.

»Ich weiß, was ich mache«, sagte Carina. »Ich lasse die Perücke ins Waschbecken fallen und sage, daß sie mir vom Kopf gefallen ist, als ich mein Gesicht gewaschen habe. Dann werde ich geschimpft. Komm jetzt, ich will dieses skandalöse Kleid anziehen.«

Betty wußte nichts von der Abneigung Seiner Lordschaft gegen rotes Haar. Deshalb lächelte sie plötzlich, nachdem sie voller Zweifel Carinas Haar und die Perücke genau miteinander verglichen hatte, und meinte, sie sei überzeugt davon, daß Lady Godolphin nicht ganz bei Troste war, als sie ihre Anweisungen gab. Jedermann könne doch sehen, daß Carina mit ihren eigenen Haaren viel besser aussehe, auch wenn es schade war, daß die Rosenknospen auf ihrem Kleid gar so rosa waren, ganz zu schweigen von der breiten rosa Schärpe, die um ihre Taille geschlungen war.

Normalerweise hätte Carina schreckliches Lampenfieber gehabt, weil sie gewissermaßen der Ehrengast des Abends war. Aber ihre schmerzliche, zarte, kostbare Liebe zu Guy Wentwater gab ihr ein Gefühl, als könne sie alles ertragen.

Statt mit sich ins Gericht zu gehen wegen der Schnelligkeit, mit der sie sich in einen Mann von zweifelhaftem Ruf verliebt hatte, war sie sogar noch stolz auf ›ihre Liebe auf den ersten Blick‹, wie so manch verblendeter Liebender vor ihr. Und wie viele vor Liebe blinde Mädchen war sie davon überzeugt, daß die Übereinstimmung ihrer und Guys Seelen ein seltenes und kostbares Phänomen war.

Sie ließ es geduldig geschehen, daß Betty sie anzog und ihr Haar raffiniert in griechischem Stil frisierte, was sie von Annabelles Zofe gelernt hatte.

Es befriedigte sie, daß die Kombination von weißem Musselin und rosa Rosenknospen mit ihrem flammend roten Haar so abstoßend war, und um noch ein übriges zu tun, legte sich Carina eine rosafarbene Seidenstola um die Schultern.

»Ich sehe ziemlich schrecklich aus, Betty«, sagte sie schadenfroh, als sie vor dem großen Wandspiegel herumwirbelte.

Betty sah ihre junge Herrin prüfend an. Im stillen dachte sie, daß Carina noch nie besser ausgesehen habe. Die Pomade, die sie auf ihr Haar aufgetragen hatte, ließ dieses tiefroter erscheinen, und das rosa–weiße Kleid brachte ihren makellosen Busen und ihre zarten Fesseln wunderbar zur Geltung. Die ungewöhnliche Kombination von Rosa und Weiß mit ihrem roten Haar und den grünen Augen machte aus Carina eine ungewöhnlich aufregende, exotische Erscheinung. Betty kam zu dem Schluß, daß es nicht gut sei, Miss Carina Armitage zu bewundern. Zuviel Eitelkeit hätte Miss Annabelle beinahe verdorben, und Miss Daphne war auf dem besten Weg dazu.

»So geht es schon«, war alles, was Betty sagte, und Carina ging befriedigt darüber, daß sie ganz gräßlich aussah, nach unten.

Lord Harry Desire hatte auf einem Sofa Platz genommen. Es war nicht möglich, aus der schönen Ausdruckslosigkeit seines Gesichts seine Gedanken zu erraten.

Einmal hob er sein Monokel und blickte verblüfft im Raum umher – aber das war auch alles.

Mit Ausnahme der noch nicht anwesenden Carina und Mr. Anstey, dem albernen Liebhaber von Lady Godolphin, war keiner der Anwesenden unter fünfzig Jahren.

Lady Godolphin hatte nicht gewollt, daß Seine Lordschaft oder auch Carina durch irgend jemanden abgelenkt wurden. Selbst der Sopran, der der Star des heutigen Abends sein sollte, war dick, ausufernd und fünfzig, und ihr Begleiter drehte die Seiten des Notenheftes mit zitternder Hand, die mit Altersflecken bedeckt war, um.

Lord Harry erkannte die alte Lady Chester, die aussah und roch, als wäre sie für diese Gelegenheit ausgemottet worden.

Brüchige, vor Alter hohe Stimmen sprachen über Gicht, Rheuma und Depressionen. Lady Godolphin sah am jüngsten von allen Anwesenden aus. Sie genoß es, daß ihr all diese alten Leute ein Gefühl der Verjüngung vermittelten.

Aber sie beteiligte sich dennoch mit Vergnügen am Wettstreit der Krankheiten, indem sie ausführte, ihr Arzt habe ihr gesagt, sie leide an Rheumatismus, sie sei aber überzeugt, daß es Arthritis sei. Sie war gerade dabei, ihre Krampfadern lebhaft zu beschreiben, als sich die Tür öffnete und Miss Carina Armitage hereinkam.

Lady Godolphin sprang mit erstaunlicher Behendigkeit von ihrem Stuhl auf. Der Vikar stieß einen lauten Fluch aus, der ein schockiertes Gemurmel und ein heftiges Rascheln von Fächern auslöste.

»Ich tue so, als ob sie jemand anderes wäre«, dachte Lady Godolphin, als sie durch das Zimmer eilte, »und bringe sie so schnell wie möglich nach oben, um ihr die Perücke aufzusetzen.«

Aber direkt hinter Carina tauchte Colonel Arthur Brian auf.

Lady Godolphin errötete wie ein Schulmädchen unter ihrer Schminke. Sie öffnete und schloß ihren Mund, aber kein Laut war zu hören.

Carina lächelte die Gesellschaft holdselig an, machte ihren Knicks und ging auf einen einzelnen Stuhl zu, der in der äußersten Ecke des Zimmers stand.

»Heh!« herrschte der Vikar sie an und trat ihr in den Weg. Seine kleinen Knopfaugen glitzerten so hart wie Straß, aber er zwang sich zu einem jovialen Lächeln, »Komm, mein Mädchen. Da ist ein schöner junger Mann, der es kaum erwarten kann, deine Bekanntschaft zu machen.«

»Ich bin entzückt, Papa«, antwortete Carina untertänig und knickste beflissen vor einem voreiszeitlichen Gentleman namens Mr. Sothers.

»Der doch nicht, du dummes Gänschen«, klagte ihr Vater. Darauf folgte peinliches Schweigen, und der Vikar schaute zornig um sich. »Ha, ha, ha«, machte er und entblößte seine Zähne zu einem schrecklichen Grinsen. »Das sind so unsere kleinen Familienscherze. Meine Carina ist ein unartiges Kätzchen.« Er ergriff seine Tochter entschieden am Oberarm, als ob er sie abführen wollte, und ging mit ihr zu Lord Harry hinüber.

Lord Harry erhob sich aus seiner gemütlichen Lage und machte eine untadelige Verbeugung.

Carina musterte ihn unter ihren Wimpern hervor mit großem Vergnügen. Das ging ja viel besser, als sie gedacht hatte. Er war ein sehr gut aussehender Mann, überlegte sie, aber die schiere Dummheit seines Ausducks beraubte ihn jeder Anziehung, die er sonst vielleicht ausgeübt hätte.

Er stand da und lächelte sie leer und liebenswürdig an.

»Setz dich, setz dich!« sagte der Vikar betont herzlich.

Er gab seiner Tochter, die ihn zur Weißglut gebracht hatte, einen kräftigen Schubs, und sie fiel beinahe auf das Sofa. Lord Harry setzte sich anmutig neben sie und schaute sie höflich und umgänglich an.

Carina spielte mit ihrem Fächer.

»Ich war neulich im Theater«, begann Lord Harry liebenswürdig. »Ich habe Mrs. Siddons als Queen Catherine gesehen.«

Schweigen.

Der Vikar, der an Carinas anderer Seite wachte, zischte: »Du dumme Pute, frag ihn doch, wie es ihm gefallen hat!«

»Wie hat Ihnen das Stück gefallen, Mylord?« fragte Carina pflichtschuldig.

»Sehr gut«, antwortete Seine Lordschaft nach reiflicher Überlegung. »Ich habe meine Halskrause so getragen, wie es meinem Stil entspricht. Petersham meinte, sie sähe aus wie ein gefrorener Wasserfall. Aber, obwohl ich mich über das Kompliment gefreut habe, fand ich es nicht sehr zutreffend. Gemeißelter Schnee wäre besser gewesen, finden Sie nicht auch?«

»Nein«, sagte Carina. »Ich habe an Mode überhaupt nicht das geringste Interesse. Ich hätte mich dem Theaterstück gewidmet.«

Ein Zug von fast teuflischer Schadenfreude glitt über Lord Harrys schönes Gesicht, aber als Carina aufschaute, um die Wirkung ihrer ungezogenen Bemerkung zu sehen, zeigte sein Gesicht schon wieder diesen korrekten, unverbindlichen Ausdruck.

»Wissen Sie, warum Sie hier sind?« fragte Lord Harry, als der Vikar resigniert die Schultern zuckte und sich außer Hörweite begab.

»Ja«, sagte Carina. »Ich bin hier, um Sie kennenzulernen.«

»Wissen Sie, warum es so wichtig ist, mich kennenzulernen?«

»Ich glaube, daß mein Vater mich verheiraten möchte«, erwiderte Carina geradeheraus. »Aber, wie Sie sehen, würden wir natürlich überhaupt nicht zusammenpassen.«

»Und warum nicht, bitteschön?«

Die Antwort darauf wäre gewesen: Weil Sie ein absoluter Dummkopf sind und ich nicht, aber Carina fand, daß sie schon unhöflich genug gewesen war.

Sie ließ ein kurzes Lachen hören. »Um nur mal anzufangen – Sie werden ja bemerkt haben, daß ich rote Haare habe. Mein Vater hat mir gesagt, daß Sie rote Haare nicht ausstehen können.«

»Hat er das gesagt?« rief Lord Harry aus. »Bei Gott, das stimmt, das habe ich gesagt. Wissen Sie, rotes Haar bei Damen hat auf mich eine verheerende Wirkung. Ich verliebe mich in rothaarige Damen … wie soll ich es sagen … sozusagen auf den ersten Blick.«

»Dann genügt es wohl zu sagen, daß ich den Ruf habe, ein Blaustrumpf zu sein«, sagte Carina schnell. »Das wird Ihnen ja sicher eine gewisse Abneigung gegen mich einflößen.«

»Das würde es sicherlich, wenn es wahr wäre«, entgegnete Lord Harry ernsthaft. »Aber Sie können in dieser Hinsicht ganz beruhigt sein, Miss Carina, denn ich finde Sie überhaupt nicht intelligent.«

Carina schnappte entrüstet nach Luft, aber die entsprechend scharfe Entgegnung erstarb ihr auf den Lippen, weil der Sopran angefangen hatte zu singen.

Es war Madame Vallini, sie besaß eine laute, durchdringende Stimme, sehr zum Entzücken der hinteren Reihen auf der Galerie, die sich damit brüsten konnten, jeden Ton zu hören.

In einem Privatsalon war die Wirkung dagegen entsetzlich.

Unter den faszinierten Blicken von Carina brachte Lord Harry aus den Tiefen seiner Frackschöße eine Schnupftabaksdose zum Vorschein. Er ließ sie aufschnappen und nahm ein weißes Wachskügelchen heraus. Dann holte er aus einer anderen Tasche ein Taschenmesser, schnitt das Wachs feinsäuberlich entzwei, rollte jede Hälfte zwischen den Fingern und stopfte sich dann feierlich die entstandenen Wachszäpfchen in die Ohren. Er lehnte sich bequem zurück und ließ offenbar seine Gedanken schweifen.

Wie Guy lachen wird, wenn ich ihm von diesem Gecken erzähle, dachte Carina belustigt.

Dann übermannte sie eine Welle der Traurigkeit.

Guy.

Ach, wenn sie doch schon wieder in Hopeworth wäre und die Wege gehen könnte unter dem reinen weiten Himmel und dabei seine Stimme hören.

Papa würde kein Verständnis haben, das war ihr klar. Wie sollte jemand, der der Erde so sehr verhaftet war wie ihr Vater, das geistige Erlebnis ihrer Zusammenkünfte und den Gleichklang ihrer Seelen erfassen.

Guy hatte ihr von der Armee erzählt und von der großen Schlacht von Waterloo. Er hatte sie als ebenbürdig behandelt.

Zwei große Tränen zitterten an Carinas langen Augenwimpern.

Durch einen Tränenschleier sah sie überrascht, daß ihr träger Begleiter ihr ein sehr hilfreiches großes Taschentuch hinhielt.

Sie errötete, ergriff es aber und betupfte ihre Augen damit. Er nahm sicher an, daß sie von der Musik ergriffen sei, dachte Carina.

Sie wußte, daß der Vikar und Lady Godolphin irgendwann, wenn der Gesang vorüber war, beschlossen, sie mit Lord Harry allein zu lassen.

Sie mußte versuchen, ihn davon zu überzeugen, daß die geplante Verbindung schlicht und einfach unpassend war.

Auf einmal war es Carina, als ob Guy mit ihr zusammen im Raum wäre, als ob er irgendwie mit ihr in Verbindung stände.

Sie lächelte vor sich hin. Sie wußte blitzartig, wo er war. Er saß in der alten, kaum benutzten Bibliothek in Lady Wentwaters dunklem Herrenhaus. Er stützte sein Kinn in die Hand, schaute über die ungepflegten Rasenflächen hinweg und dachte dabei an sie.

All ihre Einsamkeit und Verzweiflung verflüchtigten sich, und sie fühlte sich geliebt, getröstet und unterstützt.

Gar nicht so weit weg streckte genau in diesem Augenblick Guy Wentwater seine Stiefel auf dem mit Sägemehl bestreuten Boden von Humbolds Kaffeehaus aus und lächelte seinem Begleiter, Silas Dubois, zu.

Allzuviel Aufmerksamkeit schenkte er Mr. Dubois nicht. Der einzige Grund, warum er seine Gesellschaft in Kauf nahm, war, daß er ihn zufällig getroffen hatte und daß Mr. Dubois den Wein bezahlte. Guys Gedanken kreisten vielmehr um die schwarzen Locken und den weißen Busen eines Mädchens, das draußen auf dem Gehsteig auf und ab ging.

Er überlegte gerade, ob er einfach aufstehen und sein Glück bei ihr versuchen sollte, als ein Herr auftauchte, sich vor dem kecken Ding verbeugte und Arm in Arm mit ihm abzog.

Guy seufzte bedauernd. Er hätte sein Bett gerne mit so etwas aufgewärmt.

Er hörte, daß Mr. Dubois ihm eine Frage stellte: »Sehen Sie eigentlich die Familie Armitage manchmal?« fragte Dubois und schielte ihn über den Vorsprung seiner großen Nase hinweg an.

»Nein«, antwortete Guy Wentwater. »Der Vikar und ich hatten einmal eine gewisse Meinungsverschiedenheit. Ich mache dort keine Besuche. Nicht daß es mich stört. Eine sehr provinzlerische Familie.«

»Und doch eine, die auf dem Heiratsmarkt bemerkenswert viel Erfolg hatte«, sagte Mr. Dubois bedächtig.

»Ich glaube schon«, gähnte Mr. Wentwater. »Ich habe gehört, daß der Vikar Miss Carina mit Lord Desire verheiraten will.«

»Davon habe ich schon in den Clubs gehört«, entgegnete Mr. Dubois.

»Das kann doch wohl nur bedeuten, daß der liebe Vikar wieder in Finanznöten ist.«

»Ja, immerhin hat der geistliche Herr aber eine Menge Töchter auf Lager.«

»Ist diese Carina so schön wie Minerva und Annabelle Armitage?«

»Nicht eigentlich«, zuckte Guy die Schultern. »Ein kleines Füchschen mit schrecklich roten Haaren.«

»Ich frage mich«, sinnierte Mr. Dubois und rieb sich die Hände, »ob Sie meinen, daß Minerva diese Schwester, Carina, ganz besonders liebt.«

»Unglaublich, wie die Familie Armitage Sie beeindruckt«, spöttelte Guy. »Minerva, die Gute, hängt an der ganzen Bande.«

»Und würde sie sich fürchterlich aufregen, wenn etwas schiefginge?«

Guy schaute Silas forschend an.

»Aha!« sagte er. »Jetzt fällt es mir wieder ein. Es geht ein Gerücht, daß Sie sich mit Lord Sylvester um die schöne Minerva duelliert haben und daß Lord Sylvester Ihnen die Pistole glatt aus der Hand geschossen hat.«

»Es war ein Trick, er hat mich hereingelegt«, verteidigte sich Mr. Dubois. »Er hat mich ruiniert. Ich war vorher der beste Schütze in England.« Er tätschelte zärtlich seine rechte Hand.

»Und Sie wollen sich rächen?«

»Warum nicht?«

Guy Wentwater grinste. »Dann sind Sie vielleicht mit einem kleinen Vorschlag einverstanden, der uns beiden nützen würde. Ich möchte mich nämlich auch an der Familie Armitage rächen. Kommen Sie ein wenig näher und hören Sie gut zu, wirklich sehr gut …«

Der Sopran schmetterte seinen letzten hohen Ton. Es gab ein arthritisches Händeklatschen, und dann erhob sich die Gesellschaft, um sich in das Eßzimmer zu begeben.

»Was macht Arthur hier?« verlangte Lady Godolphin vom Vikar zu wissen.

Mr. Armitage warf ihr einen zerstreuten Blick zu. »Ich habe ihn überredet zu kommen«, sagte er. »Sie können doch an diesem Gecken, Anstey, nicht im Ernst interessiert sein.«

»Ich habe es nicht nötig, hier zu stehen und mir Ihre wirren Gedanken anzuhören«, entgegnete Lady Godolphin. »Ich rede später mit Ihnen darüber. Was wir jetzt tun müssen, ist, die Gäste ins Eßzimmer zu bitten und dafür zu sorgen, daß Carina und Desire in diesem Zimmer bleiben. Klar?«

»Ja, ja, ja«, brummte der Vikar. »Überlassen Sie das besser mir. Ich werde das taktvoll in die Wege leiten.«

Lady Godolphin schaute ihn nicht ganz überzeugt an, watschelte aber gehorsam davon, und bald konnte man sie ihre Gäste auffordern hören, doch ein Glas ›Cannery‹ zu trinken.

Der Vikar ging auf Carina und Lord Harry zu, die sich ebenfalls erhoben hatten.

»Wenn ihr beide euch zu etwas entschließen wollt«, sagte er, »dann ist es besser, ihr fangt bald damit an.«

Und damit machte er kehrt und folgte den übrigen Gästen, die vor ihm hinausgingen. Lord Harry versuchte, dem Vikar zu folgen, aber dieser unterband das, indem er ihm direkt vor der Nase die Tür zuschlug und sie von draußen fest versperrte.

»Ach herrje«, seufzte Lord Harry. »Ich bin so hungrig.«

»Es wäre besser, Sie würden jetzt um meine Hand anhalten und abgewiesen werden. Dann hätten wir diese idiotische Geschichte hinter uns gebracht«, schlug Carina vor.

Er nahm sein Monokel aus der Westentasche, polierte es gewissenhaft, klemmte es sich ins Auge und musterte Carina aufmerksam von oben bis unten.

»Ich muß mich entschuldigen«, sagte Carina und wurde ganz rot dabei. »Es ist mir sehr peinlich, wie Sie sehen. Ich will nicht verheiratet werden.«

»Nicht mit mir? Oder überhaupt nicht?«

Er hatte das Monokel fallen lassen, und sein Blick war ganz offen und freundlich.

»Das ist es nicht«, sagte Carina verzweifelt. »Es ist nur … o ja, es ist nur so, daß ich einen Mann meiner Wahl heiraten möchte.«

»Das ist nur natürlich«, sagte er gelassen. »Also, ich hasse es, zu etwas gezwungen zu werden. Mein Kindermädchen hat mir immer gesagt, daß ich gekochten Kohl essen muß, weil er so gesund für mich ist, und seitdem verabscheue ich ihn. Ihnen hat man gesagt, daß diese Heirat gut für Sie ist, und deshalb verabscheuen Sie die ganze Angelegenheit. Sie schauen mich an, und Sie sehen gekochten Kohl.«

»Nicht ganz«, kicherte Carina unsicher. Er stand sehr dicht vor ihr. Sein ganzes Wesen strahlte eine beunruhigende Sinnlichkeit aus. Sie war sich der Entschlossenheit seines Mundes und der Breite seiner Schultern nur allzusehr bewußt.

Unsinnigerweise fragte sie sich, ob sie gepolstert waren. Er war sonst so schlank. Abgesehen von seinen Beinen natürlich. Es war einfach nicht zu vermeiden, seine Beine zu bemerken, da seine Hose so extrem eng war. Vielleicht trug er falsche Waden. Aber wenn er sich bewegte, konnte man das ausgeprägte Muskelspiel unter dem Stoff ganz deutlich beobachten …

Carina errötete so heftig, daß sie beinahe so rot war wie ihre Haare.

»Ich muß heiraten, wissen Sie«, seufzte Lord Harry. »Eigentlich muß ich nicht wirklich, aber sehen Sie, ich bin ein verschwenderischer Mensch, und mein Onkel hat Geld in Hülle und Fülle. Das Dumme ist, daß ich zu faul bin, in den Londoner Salons nach weiblichen Wesen Ausschau zu halten und ihnen den Hof zu machen. Ich dachte, dieses Arrangement Ihres Vaters würde mir viel unnötige Mühe ersparen.« Man hörte die Türe leise aufgehen. »Der Herr Vikar hat befunden, daß wir genug Zeit gehabt haben.«

»Was soll ich tun?« fragte Carina. »Ich möchte so gerne nach Hause. Ich hasse London. Ich habe hier nichts verloren. Wenn ich Papa sage, daß wir nicht zusammenpassen, dann läßt er mich erst recht in London, in der Hoffnung, daß schließlich etwas aus der Sache wird.«

»Und würden Sie mich besser leiden können, wenn es mir gelänge, den Vikar zu überreden, Sie nach Hopeworth zurückzubringen, sagen wir, morgen?«

»Ich wäre Ihnen ja so dankbar dafür.«

»Dann werde ich das so einrichten«, sagte Lord Harry tröstend. »Jetzt wollen wir aber zu den anderen gehen.«

Carina war nur zu froh, ihm zu entrinnen.

Die ältlichen Gäste häuften Berge von Delikatessen auf ihre Teller. Sie bedienten sich von einem Buffet, das im Eßzimmer aufgebaut war. Lady Godolphin stritt sich gerade erbittert in einer Ecke mit Colonel Brian und schien gar nicht zu merken, daß Mr. Anstey Lady Chester angelegentlich den Hof machte.

Lord Harry knüpfte ein Gespräch mit der Sopranistin an. Er schien vergessen zu haben, daß Carina Armitage überhaupt existierte. Carina sah, wie sich ihr Vater näherte und begann hastig eine Unterhaltung mit dem alten Earl of Derham.

Derart um seine Beute betrogen, wandte sich der Vikar Lord Harry zu, der sich gerade von der Diva entfernte.

Während Carina mit Lord Derham über die Wirkung von Essig und Wasser auf die Milz plauderte, sah sie, wie Lord Harry seinen hübschen Kopf leicht zur Seite neigte, als er ihrem Vater zuhörte. Darauf lächelte er und sagte etwas. Der Vikar sah erfreut aus, klopfte ihm auf die Schulter und drückte seine Hand.

»Um Himmels willen!« dachte Carina entsetzt. »Dieser unglaubliche Dummkopf hat Papa wahrscheinlich erzählt, daß wir heiraten. Nichts anderes würde Papa so erfreuen.«

Sie beendete die Konversation mit dem Earl überstürzt und ging auf ihren Vater zu. Er sah sie kommen und strahlte sie an.

»Du bist ein vernünftiges Mädchen«, sagte er liebevoll. »Ich habe immer gewußt, daß du ein Schlauköpfchen bist. Als Desire mir von deiner Idee erzählte, daß er mit uns nach Hopeworth fahren und so lange bleiben soll, bis ihr euch besser kennengelernt habt, war ich ganz überrascht. Ich hätte nicht gedacht, daß du so vernünftig bist, wirklich wahr.«

»›Seele, du hast gut vorgesorgt für viele Jahre; ruh dich nun aus, iß, trink und sei fröhlich‹«, zitierte der Pfarrer freudig und griff an Carina vorbei nach einem Teller. »Ich habe mir ja solche Sorgen gemacht, daß ich mich fast zu Tode gehungert hätte. Aber heute beende ich mein Fasten.«

Carina wandte sich ab, um die blinde Wut auf ihrem Gesicht zu verbergen. »Der verdammte Narr!« wütete sie innerlich und verfluchte Lord Harry. Aber wenigstens bin ich morgen wieder zu Hause, und Guy braucht diesen Idioten nur zu sehen, um zu wissen, daß er mich retten muß. Wirklich, dieser Lord Harry ist solch ein Hornochse, daß er nicht einmal merkt, daß ich ihn gar nicht besser kennenlernen will! So ein Narr war ja wohl noch nie da!

Carina - Verlangen des Herzens

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