Читать книгу Die schöne Begleiterin - Marion Chesney - Страница 4

2

Оглавление

Miss Constance Lamberton legte Lady Amelias Brief zur Seite, nachdem sie ihn bereits zum dritten Mal gelesen hatte, und starrte auf den ungepflegten Rasen von Berry House hinaus, auf dem einige Hühner nach Würmern suchten.

Unaufhörlicher Nieselregen fiel auf den trostlosen Garten und sickerte in den morastigen Boden. Alles hatte sich mit Feuchtigkeit vollgesogen. Die Öfen im Haus waren kalt, und neue feuchte Stellen hatten sich zu den alten braunen Flecken an der Wand gesellt.

Constance nahm den Brief erneut zur Hand. Ihre Tante, Miss Maria Lamberton, für die der Brief offensichtlich bestimmt war, lag sechs Fuß unter dem feuchten Lehmboden des hiesigen Kirchhofs, auf dem sie vor einer Woche beigesetzt worden war.

Einen wunderbaren Augenblick schien der Brief für Constance die Lösung all ihrer Schwierigkeiten zu sein. Ihre Tante hatte kein Testament hinterlassen. Also würde das stark mit Hypotheken belastete Haus mitsamt der unfruchtbaren Erde und dem wurmstichigen Mobiliar nach einem langen Rechtsstreit schließlich an einen entfernten männlichen Verwandten gehen. Constance hatte die Zeitungen bereits nach einer Stelle als Anstandsdame durchgesehen und auch schon drei Bewerbungen verschickt, doch bisher noch keine Antwort erhalten.

Wieder richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf den Brief. »Sie würden in den Genuß aller Vorzüge eines eleganten Zuhauses sowie der Bälle und Veranstaltungen der Saison kommen«, hatte Lady Amelia geschrieben. »Als Gegenleistung erwarte ich von Ihnen lediglich, daß Sie meine Begleiterin sind. Ich bin sicher, wir werden uns vortrefflich verstehen ...«

Eine Ballsaison! Constance klatschte freudig in die Hände und zerknüllte dabei den Brief. Seit ihrem zwölften Geburtstag hatte sie nicht mehr von einer Saison zu träumen gewagt. Sie war von ihrem Vater Sir Edward Lamberton, einem ruhelosen Taugenichts, mehr schlecht als recht erzogen worden. Ihre Mutter war an Schwindsucht gestorben, als Constance noch ein kleines Kind war. Sie hatte ihren jungenhaften Vater abgöttisch geliebt, war von seinen Freunden verwöhnt und verhätschelt worden und genoß es, wenn immer wieder Gäste auf Schloß Courtleigh einfielen, um eine herrlich lange Zeit nur mit Jagen und Glücksspielen zu verbringen. Aber Sir Edward brach sich bei einem Jagdunfall das Genick und hinterließ seiner Tochter nichts als einen riesigen Schuldenberg.

Seine Schwester Maria war zur Beisetzung erschienen und hielt es für ihre christliche Pflicht, sich der verwaisten Constance anzunehmen. Sie hatte das Mädchen nach Berry House gebracht und einer strengen religiösen Erziehung unterzogen. Das bedeutete keine schönen Kleider oder Schmuckstücke mehr für Constance, sondern nur noch langweiliges Alpaka oder Serge, während sie ihre Mußestunden mit den einzigen beiden Büchern verbringen mußte, die die Tante ihr gestattete: der Bibel und einem Predigtbuch.

Nun, eine Woche nach dem Tod ihrer Tante, stand Constance wieder mutterseelenallein da. Es schien, als wäre Maria Lamberton ebenso wie ihr Bruder eine Spielernatur gewesen und hätte ihr Lebtag Geld in zweifelhafte landwirtschaftliche Unternehmen gesteckt, in der Hoffnung, ihre mageren Felder würden eines Tages Reichtümer abwerfen. Statt dessen schien jede nur mögliche Pflanzen- oder Tierkrankheit sich auf Berry House eingenistet zu haben. Maria Lamberton war außerdem so damit beschäftigt gewesen, sich und Constance auf das Leben nach dem Tod vorzubereiten, daß es ihr nie in den Sinn gekommen war, sie könnte diesen Ort der Seligkeit früher aufsuchen müssen, als ihr lieb war, weswegen sie sich auch nie die Mühe gemacht hatte, ihren letzten Willen niederzuschreiben.

Berry House lag ziemlich einsam. Die nächste Ortschaft war etwa zehn Meilen entfernt. Maria Lamberton hatte nur selten Besuch gehabt. Obgleich sie behauptete, ihre Gedanken seien beständig auf den Himmel gerichtet, sprach sie doch von nichts anderem als von den Qualen der Hölle, weshalb sogar der Pfarrer nur, wenn es unbedingt sein mußte; vorbeikam. Schon seit vielen Jahren hatte Maria Lamberton keine Diener mehr beschäftigt, und die anfallende Arbeit wurde von ihr und Constance erledigt.

Bevor ihr Vater starb, war Constance eine fröhliche kleine Zwölfjährige gewesen. Jetzt, kurz vor ihrem achtzehnten Geburtstag, war sie immer noch sehr zierlich, aber mager und knochig. Der Winter hatte seine Spuren hinterlassen, ihre Hände waren von Frostbeulen verunstaltet und sahen zerschunden aus, ihre Haut spannte über den hohen Wangenknochen. Ihr schwarzes Haar war über ihrem Kopf zu einem strengen Knoten gewunden, es war schmutzig und fettig. Maria Lamberton hatte nämlich Reinlichkeit für Eitelkeit und damit für verwerflich gehalten. Das einzige, was Constances blasser Erscheinung etwas Farbe verlieh, waren ihre großen, außergewöhnlich schönen Augen, leuchtend goldbraun und umrahmt von dichten schwarzen Wimpern.

Unter dem Einfluß ihrer Tante war sie beinahe zu dem Glauben gelangt, Träume von Festlichkeiten und Bällen seien eine Sünde. Doch nun, ohne die übermächtige Gegenwart ihrer Tante, schien die Phantasie mit ihr durchzugehen.

Als sie so dasaß, mit dem Brief Lady Amelias in Händen, vermochte sie den Ballsaal ihrer Träume gleichsam zu sehen und den Duft der prächtig gekleideten Damen einzuatmen. Und wenn sie ihre Augen fest schloß, konnte sie seine Arme um sich spüren, die Arme jenes verbotenen Traumprinzen, jenes jungen Mannes mit dem lockigen Haar, der schon so lange ihre Gedanken beherrschte. In Wirklichkeit war sie, solange sie sich erinnerte, niemals einem solchen Mann begegnet, einem Mann, der ihr ein vollkommener Partner und Ehemann sein würde, mit dem man lachen und Spaß haben konnte, der mit seinem Frohsinn und seiner guten Laune zwischen ihr und dem Rest der düsteren und strengen Welt um Berry House stehen würde.

Was schrieb Lady Amelia noch? »Ich wünsche mir eine untadelige Dame aus gutem Hause als meine Gesellschafterin.«

Ich bin eine untadelige Dame aus gutem Hause, dachte Constance.

Von da an nahm in ihrem Kopf eine verrückte Idee Gestalt an. Der Brief war an »Miss Lamberton« adressiert. Ich bin eine Miss Lamberton, dachte Constance. Könnte ich nicht einfach nach London fahren und mich um die Stelle bewerben? Ich bin doch immerhin eine Verwandte Lady Amelias. Sicher würde sie mich nicht einfach abweisen, wenn ich ihr meine Situation erklärte.

Der Abendhimmel verfärbte sich schwarz, und eine leichte Brise strich durch die Bäume. Constance entzündete die Talgkerzen und besah sich im Spiegel über dem Kamin.

Ihr mageres, bleiches Gesicht starrte ihr entgegen, und ihre Augen wirkten im flackernden Kerzenlicht sehr groß. »Du hast nicht behauptet, du würdest es tatsächlich tun«, murmelte sie. »Aber deine Haare könntest du dir wenigstens waschen.«

Mit hastigen Schritten eilte sie zur Küche hinunter und begann Feuerholz aufzuschichten. Als die Flammen emporstoben, hängte sie den großen Kessel an den Haken über dem Feuer, der eine praktische Vorrichtung besaß, mit der man den Kessel kippen und kochendes Wasser ausgießen konnte.

Dann nahm sie ein scharfes Messer und schabte Seife in eine Tasse, gab etwas Wasser hinzu und verrührte beides zu einer Paste. Als das Wasser kochte, setzte sie zunächst einen Krug Kamillentee auf, womit sie, sobald er abgekühlt war, ihr Haar spülen wollte.

Sie wusch ihr Haar so lange, bis die Arme sie schmerzten. Dann nahm sie die Zinkwanne vom Haken an der Wand und wartete wieder, bis das Wasser kochte.

Nachdem sie ihr Bad genommen hatte, leistete sie sich den außergewöhnlichen Luxus, ihre Kleider zu waschen. In Berry House wurde die Wäsche nur alle fünf Wochen gewaschen, auf dieselbe Art und Weise wie in fast jedem feineren Haushalt in England.

Nach zwei Stunden harter Arbeit stand sie, eingehüllt in ihren Morgenmantel, zitternd in ihrer Kammer und starrte auf ihr glänzendes schwarzes Haar, das ihr bis fast zu den Hüften reichte. »Heute nacht und morgen früh werde ich mein Haar offen tragen. Dann aber, wenn ich nach London fahre, muß ich so gesetzt wie nur möglich aussehen«, sagte sie sich.

Sie ließ fast die Haarbürste fallen, als sie gewahrte, daß sie nun tatsächlich nach London fahren wollte.

Ihre Gedanken begannen zu rasen. Das Haus mußte verschlossen werden. Sie würde die Schlüssel beim Pfarrer hinterlegen müssen, damit Tante Marias Erbe, der, wie es hieß, irgendwo in Hertfordshire lebte, getrost kommen konnte.

Constance fragte sich plötzlich, ob sie nicht doch etwas voreilig handelte. War es nicht besser zu bleiben, wo sie war, und auf die Barmherzigkeit des Erben zu vertrauen?

Aber London hatte eine zu starke Anziehungskraft. Constance wünschte sich nichts so sehr, als dem finsteren Haus zu entkommen.

Als sie ihr langes schwarzes Haar kämmte und bürstete, trat ihr die Londoner Festsaison lockend vor Augen.

Sie legte die Bürste weg und kniete sich ganz auf ihren Gebetsschemel. Doch dieses Mal ertappte sie sich dabei, daß sie für sich betete – um Geborgenheit, Liebe und ein richtiges Zuhause.

Schließlich stand sie auf und stieg in ihr Bett. Sie hatte das Gefühl, ihre Kindheit mit all ihrem Kummer und Elend hinter sich gelassen zu haben.

Die Postkutsche ist zu teuer – achtzehn Pence für die Meile, dachte sie und betrachtete die Muster, die die Talgkerzen an die Zimmerdecke warfen. Aber vom Verkauf der Eier ist noch genug übrig, so daß ich einen Platz bezahlen kann. Ich frage mich allerdings, ob das Eiergeld nicht eigentlich dem Erben zustünde. Wenn ja, werde ich es ihm zurückzahlen, sobald ich eine wohlhabende verheiratete Frau bin.

Dann wurde Constance von rosigen Träumen in tiefen Schlaf gewiegt.

Die schöne Begleiterin

Подняться наверх