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Ich

Ein Lob der Schönheit

Manchmal muss man weit reisen oder 60 Jahre alt werden, um zu einer Pediküre zu gehen. Ich habe das bisher noch nie gemacht. Gestern hat mich beim Spaziergang mit Maia das Schild pedicure angesprungen und schon war der Termin vereinbart. Keine Ahnung, was sowas in Deutschland kostet, ich habe inkl. Trinkgeld 32 Dollar bezahlt (ca. 28 Euro). Hat mit Kurzmassage und Eincremen fast 1 Stunde gedauert. Die Maniküre wird folgen. Ist eine feine Sache.

Das Trinkgeld ist Pflicht, selbst wenn man unzufrieden ist. Bei Unzufriedenheit beschwert man sich beim Manager, aber das Trinkgeld gibt’s trotzdem. Es beträgt immer 15-20 % des Preises und wird oft in bar gegeben. Man kann es auch als Tip auf den Kreditkartenbeleg schreiben, wenn man kein Kleingeld hat. Der landesweite Mindestlohn liegt übrigens bei 7,25 Dollar/Stunde (zurzeit ca. 6,40 Euro). In New York erhalten Fast-Food-Mitarbeiter seit 1. Januar 2019 15 Dollar pro Stunde. Amazon zahlt das sogar landesweit. 19 Bundesstaaten und 21 Städte haben zu Jahresbeginn die Mindestverdienstgrenze erhöht. Ein Sieg der Bewegung Fight for $15.

Buck Schmitz ist gerne Friseur. Die Schere wirkt zwar etwas stumpf, aber die Schneidefrequenz ist überirdisch. Ich will einen wilden Kurzhaarschnitt. Buck schaut sich das mitgebrachte Foto an, fragt, ob ich schon mal kurze Haare hatte und legt los. 3 Schnipp-Schnapp und die Länge ist weg. Je mehr er wie Edward mit den Scherenhänden an mir herumwirbelt, umso mehr ist mir klar, dass ich vermutlich genauso aussehen werde wie der Mann, den er vor mir behandelt hat. Es gibt kein Zurück. Er schneidet und schneidet und wir unterhalten uns ganz prima: über seine Vorfahren aus Köln (it was great, I was in Cologne 3 years ago and all the people looked like me), seine Schwester in Wisconsin, die 17(!) Kinder hat, seine Vorliebe für Regen und seine Abenteuer mit Marihuana-Keksen in Amsterdam (I laughed two days, it was so funny).

Ich will mit Kreditkarte bezahlen, dem Standardzahlungsmittel in San Francisco. Buck nimmt nur Bargeld, aber so viel habe ich nicht dabei. Für Buck kein Problem. Ich kann irgendwann - wenn ich in der Nähe bin - vorbeikommen und ihm das Geld bringen. No Problem.

Nachdem Buck Schmitz am 7. Februar ordentlich abgeschnitten hatte, war so schnell kein neuer Schnitt fällig. Aber eine Tönung sollte das Grau verbergen. Da ich bei Friseuren immer sehr spontan und mutig bin, suche ich vor meiner Wanderung im Presidio einen japanischen Friseur auf, der auf dem Weg liegt. Ich bin da wohl in so einen Schicki-Micki-Salon geraten. Es gibt nur das notwendigste Mobiliar, die Wände sind Betonkunst. Da ich nur Tönung will, haben sie Zeit. Um mich herum nur Japaner und meine Friseurin spricht auch nicht besser Englisch als ich. Am Ende sind einige Haare immer noch grau und es kostet 90 Dollar (ohne das Trinkgeld von 20 %).

10 Wochen nach Buck Schmitz ist Zeit für einen kleinen Nachschnitt. Auf der Market Street gibt es eine Schule für angehende Friseure. Ein riesiger Salon voller junger Mädels in schwarzer Kleidung. Ich denke mir, dass beim Spitzen schneiden (heißt übrigens hair trimming) nicht viel passieren kann.

Danesha ist 17 und seit 5 Monaten in der Ausbildung. Beim Haare waschen berührt sie meinen Kopf als wäre er aus Porzellan. Man muss Zeit mitbringen, ich bin ja ein Versuchsobjekt. Die Lehrerin macht vor und Danesha macht super vorsichtig nach. Sie ist echt süß, auch, weil sie aussieht wie eine Indianerin mit ihren langen Zöpfen. Erst wird meine rechte Kopfseite bearbeitet, dann die linke, dann oben. Am Ende schaut die Lehrerin nochmal drüber. Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis und dem Preis von 5 Dollar für Waschen und Schneiden. Danesha bekommt 5 Dollar Trinkgeld von mir und strahlt wie eine kleine Pocahontas.

Mein Geburtstag

Wenn ich daran denke, dass ich vor einem Jahr noch gearbeitet habe! Ich hatte damals einen Traum. Er sollte mich in die weite Welt führen, wohin auch immer. Dieser Traum hat mich hierher geleitet. Es ist schön, wenn Träume in Erfüllung gehen. Ich hatte ein wirklich gutes Lebensjahr und mit San Francisco habe ich es so phänomenal getroffen, dass ich es manchmal selber kaum glauben kann.

Am Vorabend meines Geburtstages gehe ich raus in die nächtliche Stadt. Der Abend ist mild und die Menschen sind unterwegs. Zuerst gehe ich in das nobelste Einkaufszentrum der Stadt und trinke einen Erdbeer/Pfirsich/Lemon -Smoothie. Dann probiere ich 5 Hosen an, aber keine passt. Ich lasse mich mit dem Menschenstrom die Marketstreet entlang treiben, esse sehr leckere Nudelsuppe, trinke auf mein Wohl und hebe Geld ab. Klingt banal, ist aber ein echter Erfolg. Man kann nämlich mit der neuen ec-Karte nicht mehr an Geld kommen. Wenn das MAESTRO-Symbol noch drauf ist, geht es, aber bei mir wurde es durch das sichere V-Pay-Verfahren ersetzt und das kennen die amerikanischen Geldautomaten (noch) nicht. Gottseidank habe ich eine VISA-Card und noch Gottseidanker habe ich mir die Geheimzahl gemerkt. Bei der ersten Bank klappt es trotzdem nicht, aber die BankofAmerica rückt dann endlich den Zaster raus. Auch ein Geburtstagsgeschenk.

Am Morgen singen Maia, Anke und James ein Geburtstagsständchen. Dann gibt‘s Torte und Blumen und ein ganz besonderes Geschenk: ein Wellnessnachmittag in einem supergeilen (anders kann man das echt nicht ausdrücken) Spa im 5. Stock des Nobeleinkaufszentrums. Also Dienstleistung können sie hier. Mir wird der Spa erklärt, alles gezeigt und es fehlt an nichts: Bademantel, Badetuch, kühle Lappen, warme Lappen, wirklich alles für den Body und die Haare, Rasierschaum und Einmalrasierer, Mundwasser, überall kühles Limonenwasser, Fön, Lockenstab, Glätteisen, Bürsten, Kämme, Tücher, Deo, Ohrstäbchen, Badeschlappen und und und. Es gibt eine Dampfsauna, einen Ruheraum und einen Whirlpool. Die Frage ist natürlich jetzt: was ziehe ich an oder besser aus? Männer und Frauen haben getrennte Bereiche und ich schaue, wie es die anderen machen. So prüde sind sie dann doch nicht - bis auf 1 Frau sind alle nackt.

Ich habe eine Massage geschenkt bekommen. Es gibt mindestens 20 Massageräume. Die Massage beginnt sehr dezent. In der Zeit, in der ich den Bademantel ablege und mich unter das Badehandtuch kuschele, geht die Masseurin für 1 Minute raus. Dann werde ich mit heißen Steinen belegt, mit Aromaölen besprüht und durchgewalkt. WUNDERBAR. Anschließend wartet sie wieder draußen, bis ich meinen Bademantel angezogen habe und begleitet mich liebevoll zurück.

Vielen Dank an ANKE und JAMES. Sie haben mir einen unvergesslichen Tag geschenkt.

Love

Die Stadt hat eine Straße nach mir benannt. Na ja, eine Straße ist es eigentlich nicht, aber eine hübsche, kleine Gasse ohne Autos mit einem wunderbaren Blick auf die Bay.

Es ist anders als Urlaub. Ich bin nach 2 Monaten hier zu Hause. Es ist wunderbar, so viel Zeit zu haben, manches 2 x anzuschauen, sich einzulassen und immerhin 2,5 Jahreszeiten zu erleben. Wobei der Unterschied zwischen den Jahreszeiten nicht so deutlich ist wie in Deutschland.

Ich bin angefüllt mit neuen Erfahrungen. Ich liebe meine Erlebniswochenenden, bin aber auch froh, dass während der Woche nicht so viel los ist. Sonst käme ich mit dem Schreiben gar nicht hinterher. Deutschland vermisse ich nicht, aber meine Liebsten fehlen mir immer wieder.

Ich konnte mir nie wirklich vorstellen,

 mich so leicht in der Fremde einzurichten,

 mich mit mir so wohl zu fühlen,

 so viel Spaß am Schreiben zu entwickeln,

 mich so gerne anzupassen und Neues auszuprobieren,

 mich nicht nur in die Stadt, sondern auch in Maia zu verlieben,

 so gerne Bus zu fahren,

 die Wochenenden allein zu füllen und erfüllt zu sein,

 die Wochentage mit Spielplatz, Duplo und Unsinn zu verbringen.

Wie schön, dass ich gefunden habe, obwohl ich gar nicht wusste, was ich suche.

Wandern mit Howard

Meetups gibt es überall auf der Welt. Es handelt sich um kostenlose oder sehr preiswerte Gruppenveranstaltungen, die ehrenamtlich organisiert werden. Man kann Howard vorab per Mail befragen. Das tun dann auch einige: Welche Schuhe soll ich anziehen? Gibt’s was zu essen?

Tour 1: Es gibt eine Tourenbeschreibung: Laufen bergauf und bergab und der Besuch von 5 Museen. Die Museen waren entweder kostenlos oder hatten einen kostenlosen Teil. Howard ist so erfahren, dass er auch die Anzahl der Toiletten auf der Route erwähnt. Er erklärt unterwegs nicht viel, erzählt aber gerne lustige Geschichten. Die Tour dauert von 10.30 Uhr bis 17.00 Uhr, ist ca. 9 km lang und dann ist es auch genug.

Ich muss den ganzen Tag Englisch sprechen, was eine gute Übung ist. Ich werde gefragt, ob ich aus Russland(!) komme - ich muss an meinem Akzent arbeiten. Ich unterhalte mich mit einer alten Dame aus Montana, einer Inderin, einer Mexikanerin, einem Iraner, einem Ehepaar aus Sacramento und (immerhin) einer Frau aus San Francisco. Unterwegs werden wir von einer Dame gefragt, gegen was wir protestieren. Die Wanderung startet mit 83 Personen, nach der Hälfte sind es nur noch 55.

San Francisco ist eine erstaunliche Stadt. In einem kleinen Abschnitt vereinigen sich völlig unterschiedliche An- und Aussichten. Abwechslungsreiche Architektur, grüne Hügel und verwunschene Wege.

Tour 2: Wir wandern in einem Bereich von San Francisco, auf den ich allein nicht gekommen wäre. Es ist meine schönste Wanderung mit wunderbaren Ausblicken, auch wenn Howard immer wieder dieselben Anekdoten erzählt.

7 Stunden bergauf und bergab in West-Portal, Glen-Park und Diamond Heights. Viel Natur, viele Parks, eine kleinstädtische Atmosphäre und Häuser der oberen Mittelklasse, oft mit viel Grün drum herum. Die werden in der Familie weitervererbt, allein die Grundstücke sind unbezahlbar.

Ist schon spannend, wenn man hört, wie die Asiatin dem Inder erzählt, warum sie ihren Typ nicht heiraten kann und er dann erwidert, er hätte eine Ehefrau mit einem kalten Herzen gehabt. Schon sind sie tief in die Beziehungsproblematik eingestiegen. Wer sagt denn, dass hier alle oberflächlich sind?

Jennifer hat sich im Laufe des Tages 3 Mal bei mir vorgestellt und Gwen hat mir erklärt, wie wichtig es sei, an das Gute im Menschen zu glauben. Daniel hat mir von Santa Barbara vorgeschwärmt und Linda hat mir alles über ihre 4 Söhne erzählt. 4 Frauen wollen eine Anti-Howard-Gruppe gründen mit dem Titel Don’t follow me, weil er wohl einige Wanderer aus seiner Gruppe verbannt hat. Jeder quatscht den anderen an und nachdem ich der 10. Person erklärt habe, dass ich aus Germany bin und Aupair („Oh, how great!“), will ich nix mehr reden und nur noch schauen. Da gibt es nur eine Chance, ich muss mich weit zurückfallen lassen. Am Ende sind Gottseidank alle ein bisschen erschöpft. Spaß macht es trotzdem.

Einziger Wermutstropfen ist das unberechenbare Wetter. Der Himmel ist überwiegend strahlendblau, aber es weht ein eiskalter Wind, der sich zu einem richtigen Sturm verdichtet. Es ist heftig und anstrengend. Hier muss man immer mit allem rechnen....... außer mit Regen.

Tour 3: Oakland ist in erster Linie für Armut und Kriminalität bekannt, aber auch diese Stadt hat schöne Seiten. Dazu gehört das Morcom Amphitheater of Roses. Dahin sind wir heute gewandert, vorbei am innerstädtischen See, spielenden Kindern und einem Super-Riesen-Whole-Foods-Markt.

Mitten in Oakland und völlig umgeben davon liegt die Stadt Piedmont, eine reine Villenstadt mit 11.000 Einwohnern. Hier haben in den 1920er Jahren mehr Millionäre pro Quadratmeile gewohnt als an jedem anderen Ort in den USA. Piedmont war früher eine Stadt der superreichen Republikaner und ist jetzt eine Stadt der normalreichen Demokraten. Die Stadt sieht heute noch genauso aus wie damals, viele der alten Villen sind noch da, ebenso wie die üppigen Anlagen und Blumen. Mir war das manchmal ein bisschen zu viel.

Einige berühmte Menschen wohnten in Piedmont, z.B. der Autor Jack London, Robert S. McNamara und Clint Eastwood.

Als Granny-AuPair in San Francisco

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