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Die Erleuchtung kommt von oben

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Der Rest dieses grauen und nasskalten Herbsttages verlief zunächst unspektakulär. Nach meinem Termin beim Zahnarzt wollte ich die Wintersachen für meine jüngste Tochter heraussuchen, um mich mental darauf einzustimmen, dass der Sommer nun endgültig vorbei war.

Ich wohne in einer Altbauwohnung mit hohen Räumen. Im Kinderzimmer steht ein über drei Meter hoher Jugendstilschrank. In dessen oberen Fächern lagerten neben einigem anderen Kram, in einer Plastiktasche, die Sachen, die ich suchte.

Ich war zu faul, die Leiter zu holen und hochzuklettern. Deshalb streckte ich mich und fischte nach den Trageschlaufen der Tasche. Als ich sie endlich zu fassen bekam, zog ich daran, bis sich die Tasche bewegte. Sie kam mir entgegen, doch es rutschten noch ein paar andere Sachen mit, die anscheinend oben drauf gelegen waren. Etwas Schweres traf mich an der rechten Schläfe und polterte zu Boden. Es war ein Buch. Ich sprang zurück, während die Tasche mitsamt dem übrigen Kram vor meinen Füßen landete.

Verärgert versetzte ich dem Buch einen Tritt. Es flog nicht weit, denn es war dick und schwer. In der Mitte des Kinderzimmers blieb es aufgeschlagen liegen. Ich griff mir an die Schläfe und hatte keine Lust mehr, Winterkleidung zu sortieren. Zuerst die Sache im Bus und jetzt auch noch das. Es war einfach nicht mein Tag. Morgen ist dafür auch noch Zeit, dachte ich, und stopfte alles zurück in den Schrank.

Als ich auf dem Weg nach draußen schon das Licht abdrehen wollte, lag da noch immer das Buch. Es war ein Fachbuch aus meiner Anfangszeit an der Neurochirurgie. Ich bückte mich danach und sah das Kapitel, an dem es aufgeschlagen war. »Die Basalganglien«, so lautete es. Der Titel rief in mir Erinnerungen an alte Zeiten wach und so saß ich bald auf dem Boden neben einer Lego-Antarktis-Basisstation und blätterte darin.

Wie lange das alles her war! Es war so ähnlich, wie nach zehn Jahren Fotos einer alten Liebe wiederzufinden. Das Buch war ein Teil von vier Bänden über operative Neurochirurgie und ich hatte alle vier geliebt. Ich sah mir die Abbildungen der Basalganglien an, die mich schon als Studentin fasziniert hatten, weil sie längst nicht restlos erforscht waren und immer wieder neue Informationen darüber auftauchten. Ich hatte sie in der Neurochirurgie und in meiner Ausbildung zur Psychiaterin von jeweils unterschiedlichen Seiten kennengelernt. Die Basalganglien liegen unter der Großhirnrinde und sind vor allem für unsere Gewohnheiten und automatischen Bewegungen wichtig, etwa für das Gehen, das Radfahren oder das Klavierspielen.

Ich saß am Boden des Kinderzimmers, inmitten des Antarktis-Basislagers, mit dem drei Kilogramm schweren Neurochirurgie-Buch auf den Oberschenkeln und dachte über die Basalganglien nach. Eigentlich sind sie nicht nur für das Gehen, das Radfahren oder das Klavierspielen zuständig, überlegte ich, eigentlich sind alle unsere täglichen Verhaltensroutinen, über die wir nicht mehr nachdenken, während wir sie ausführen, in den Basalganglien gespeichert.

Mir fiel ein Satz ein, den ich als Psychiaterin schon oft gehört hatte.

Falsche Verhaltensmuster sind erlernt und können daher auch wieder verlernt werden. Neue Verhaltensmuster müssen geübt werden.

Ich dachte darüber nach, wie viele von meinen täglichen Routineabläufen ich wirklich bewusst wahrnahm, wenn ich aufstand, meine Hausschuhe anzog, ins Bad ging, die Zähne putzte, die Kinder weckte und so weiter.

Nicht nur diese Dinge liefen automatisch ab, sondern auch meine Gewohnheiten, etwa wie lange ich schlief, wie ich zur Arbeit fuhr, wann und wie oft ich mich bewegte und was, wann und wie viel ich aß. Diese Tatsache, die mir seit langem vertraut war und die für mich seit jeher selbstverständlich gewesen war, erschien mir jetzt neu und überraschend:

Meine Art, mich zu ernähren, besteht aus Verhaltensmustern, die ich irgendwann erlernt habe und die in meinen Basalganglien abgespeichert sind.

Ich hatte das Gefühl, eine richtig große Entdeckung machen, als ich den Satz aus meiner Weiterbildung diesem gegenüber stellte:

Falsche Verhaltensmuster sind erlernt und können daher auch wieder verlernt werden. Neue Verhaltensmuster müssen geübt werden.

Auf einmal schien alles ganz simpel!

Der Alltag holte mich ein und unterbrach meinen Gedankenfluss. Meine beiden kleinsten Kinder warteten mit der Zahnbürste in der Hand auf meine Hilfe. Doch ich konnte das Buch nicht einfach so wieder zur Seite legen. Ich markierte das Kapitel über die Basalganglien mit einer am Boden liegenden Uno-Karte und legte es ins Wohnzimmer. »Operative Neurochirurgie, Band 3«, wie lange war das her! Und trotzdem schöpfte ich neue Hoffnung daraus.

Das Gehirn hat vier Systeme, die uns beim Abnehmen helfen können. Die Basalganglien, den Hypothalamus, das Belohnungssystem und den präfrontalen Cortex. Wir müssen nur die Basalganglien neu programmieren, den Hypothalamus austricksen, das Belohnungssystem umpolen und den präfrontalen Cortex aktivieren. Klingt kompliziert, ich weiß, aber es ist ganz einfach! Auf jeden Fall ist es einfacher als Hungern.

Kopfsache schlank

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