Читать книгу Herrin der Falken - Marion Zimmer Bradley - Страница 5
2.
ОглавлениеRomilly starrte aus dem Fenster, den Kopf in den Händen. Die große rote Sonne stieg vom Mittagspunkt nieder. Zwei der kleinen Monde standen als blasse Tageslicht-Reflektionen am Himmel. Die ferne Linie der Kilgardberge lockte ihre Gedanken hinaus und hinauf, wo sie mit den Wolken und Vögeln flogen. Eine Seite mit fertigen Additionen lag vor ihr auf dem hölzernen Schreibtisch, dazu eine noch feuchte Seite mit sauber geschriebenen Maximen aus dem Cristofero-Buch der Bürden. Romilly sah sie nicht, und ebensowenig hörte sie die Stimme ihrer Erzieherin. Calinda schalt mit Mallina wegen ihrer schlimm verklecksten Seiten.
Heute nachmittag, wenn ich Preciosa mit dem Federspiel trainiert habe, wird Windracer gesattelt. Ich nehme die verkappte Preciosa vor mir auf den Sattel, damit sie sich an den Geruch und die Bewegungen des Pferdes gewöhnt. Ich kann ihr noch nicht soweit trauen, daß ich sie frei fliegen lasse, doch lange wird es nicht mehr dauern...
Auf der anderen Seite des Raums scharrte ihr Bruder Rael geräuschvoll mit den Füßen. Calinda verwies es ihm mit einem stummen Kopfschütteln. Rael, so dachte Romilly, war jetzt schrecklich verwöhnt – er war so gefährlich krank gewesen, und heute war sein erster Tag im Schulzimmer. Stille senkte sich auf die Kinder nieder. Nur das harte Kratzen von Mallinas Feder und das fast lautlose Klappern von Calindas Stricknadeln waren zu hören. Die Erzieherin machte eine wollene Unterweste für Rael. Und wenn sie damit fertig ist, dachte Romilly nicht ohne Bosheit, gilt es nur noch das Problem zu lösen, wie sie Rael dazu bringt, sie zu tragen!
Die Augen glasig vor Langeweile, blickte Romilly aus dem Fenster, bis das Schweigen von Mallinas lautem Jammern gebrochen wurde.
»Verfluchte Feder! Sie verspritzt Kleckse wie Nüsse im Herbst! Jetzt habe ich schon wieder eine Seite versaut!«
»Aber, Mallina!« rügte die Erzieherin. »Romilly, lies deiner Schwester die letzte der Maximen vor, die du aus dem Buch der Lasten abgeschrieben hast.«
Romilly, gegen ihren Willen ins Schulzimmer zurückgeholt, seufzte. Mißmutig las sie: »Nur ein schlechter Arbeiter gibt dem Werkzeug in seiner Hand die Schuld.«
»Es ist nicht die Schuld der Feder, wenn du nicht ohne Kleckse schreiben kannst«, erklärte Calinda, trat zu Mallina und führte die Hand ihrer Schülerin, die die Feder umklammerte. »So mußt du deine Hand halten.«
»Mir tun die Finger weh«, murrte Mallina. »Warum muß ich überhaupt schreiben lernen, mir die Augen verderben und meine Hände anstrengen? Keine der Töchter von Hohenklippen kann schreiben oder lesen, und sie stehen deswegen nicht schlechter da. Sie sind bereits verlobt, und es tut ihnen keinen Schaden!« »Du solltest dich glücklich preisen«, mahnte die Erzieherin streng. »Euer Vater wünscht nicht, daß seine Töchter in Unwissenheit aufwachsen, zu nichts anderem fähig als zu nähen, zu spinnen und zu sticken, ohne auch nur soviel zu lernen, daß sie zur Erntezeit ›Apfel-Nuß-Konserve‹ auf ihre Krüge schreiben können! Als ich ein Mädchen war, mußte ich darum kämpfen, auch nur soviel an Bildung zu bekommen! Euer Vater ist ein vernünftiger Mann, der weiß, daß seinen Töchtern Kenntnisse ebenso nützlich sind wie seinen Söhnen. Deshalb wirst du hier sitzen, bist du eine Seite ohne einen einzigen Klecks geschrieben hast. Romilly, laß mich deine Arbeit sehen. Ja, das ist sehr sauber. Willst du deinen Bruder aus seinem Buch lesen lassen, während ich deine Additionen nachrechne?«
Romilly stand flink auf und setzte sich zu Rael. Alles war besser, als bewegungslos an ihrem Schreibtisch zu hocken! Calinda beugte sich über Mallina und führte ihre Hand, und Rael lehnte sich an Romillys Schulter. Sie drückte das Kind verstohlen an sich. Dann zeigte sie pflichtbewußt mit dem Finger auf die erste Zeile der handgeschriebenen Fibel. Sie war sehr alt; Romilly hatte aus demselben Buch lesen gelernt und, wie sie annahm, auch Ruyven und Darren vor ihr. Denn ihre eigene Großmutter hatte die Fibel für ihren Vater geschrieben und geheftet. Auf dem ersten Blatt stand in krakeligen Lettern Mikhail MacAran, sein eigenes Buch. Die Tinte begann, ein bißchen zu verblassen, aber es war noch vollkommen lesbar.
»Das Pferd ist im Stall«, buchstabierte Rael langsam. »Das Huhn ist auf dem Nest. Der Vogel ist in der Luft. Der Baum ist im Wald. Das Boot ist auf dem Wasser. Die Nuß ist auf dem Baum. Der Junge ist in der –« Er betrachtete das Wort finster und riet: »Scheune?«
Romilly lachte leise. »Bestimmt wünscht er sich, dort zu sein, genau wie du«, flüsterte sie. »Aber das ist nicht richtig, Rael. Sieh hin, was ist der erste Buchstabe? Sprich ihn aus.«
»Der Junge ist in der Küche«, las Rael verdrießlich. »Das Brot ist – im Topf?«
»Rael, du rätst schon wieder«, sagte Romilly. »Sieh dir die Buchstaben an. Du kannst es doch.«
»Das Brot ist im Ofen.«
»Das ist richtig. Jetzt versuch es mit der nächsten Seite.«
»Die Köchin bäckt das Brot. Der Bauer –« er zögerte, bewegte die Lippen, betrachtete finster die Seite. »Sammelt?«
»Das ist richtig, mach weiter.«
»Der Bauer sammelt die Nüsse. Der Soldat reitet das Pferd. Der Knecht legt den Sattel auf das Pferd. Romy, wann darf ich etwas lesen, das Sinn hat?«
Wieder mußte Romilly lachen. »Wenn du deine Buchstaben ein bißchen besser kennst«, antwortete sie. »Zeig mir dein Schreibheft. Ja, die Buchstaben hast du geschrieben, aber sieh mal, sie wackeln über die Linie wie Enten, wo sie doch ordentlich marschieren sollten wie Soldaten – siehst du, wo Calinda für dich die Linie mit dem Lineal gezogen hat?« Sie legte die Fibel beiseite. »Aber ich will Calinda sagen, daß du deine Aufgabe kannst, soll ich?«
»Dann können wir vielleicht zu den Ställen gehen«, wisperte Rael. »Romy, hat Vater dich dafür geschlagen, daß du den Falken gezähmt hast? Ich hörte Mutter sagen, er sollte.«
Daran zweifele ich nicht im geringsten, dachte Romilly. Doch Lady Luciella war Raels Mutter, und sie wollte zu dem Kind nicht schlecht über sie sprechen. Und Luciella war niemals wirklich unfreundlich zu ihr gewesen. Sie antwortete: »Nein, ich bin nicht geschlagen worden. Vater sagte, ich hätte es gut gemacht – andernfalls hätte er den Falken verloren, und Verrin-Falken sind teuer und selten. Dieser war nahe daran, auf dem Block zu verhungern.«
»Wie hast du es gemacht? Kann ich eines Tages auch einen Falken zähmen? Ich hätte Angst, sie sind so wild –«
Seine Stimme war lauter geworden. Calinda hob den Kopf und sah sie stirnrunzelnd an. »Rael, Romilly, beschäftigt ihr euch mit der Aufgabe?«
»Nein, mestra«, antwortete Romilly höflich. »Er ist fertig. Er hat zwei Seiten der Fibel mit nur einem Fehler gelesen. Dürfen wir jetzt gehen?«
»Ihr wißt, ihr sollt beim Arbeiten nicht flüstern und schwatzen«, sagte die Erzieherin, aber auch sie sah müde aus. »Rael, bring mir dein Heft. Oh, das hast du gar nicht gut gemacht!« Sie schüttelte den Kopf. »Die Buchstaben laufen ja über die ganze Seite weg! Ein großer Junge wie du sollte besser schreiben. Setz dich und nimm deine Feder.«
»Ich will aber nicht«, erklärte Rael. »Mir tut der Kopf weh.« »Wenn dir der Kopf weh tut, werde ich deiner Mutter sagen, daß es dir nicht gut genug geht, um nach dem Unterricht zu reiten.« Calinda verbarg das Lächeln, das ihre Lippen umspielte. Rael setzte sich verdrießlich, krümmte die Faust um die Feder und begann, eine weitere Reihe von beschwipsten Druckbuchstaben zu malen. Seine Zunge lugte ein Stückchen zwischen den Zähnen hervor, und sein Gesicht war finster.
»Mallina, geh und wasch dir die Tinte von den Fingern. Romilly, hol deine Stickerei, und Mallinas kannst du auch gleich mitbringen«, befahl die Erzieherin, über Raels Pult gebeugt. Romilly trat stirnrunzelnd an den Schrank und zog ihren und ihrer Schwester Arbeitskorb hervor. Sie war recht geschickt mit der Feder, aber, so dachte sie ärgerlich, man drücke mir eine Nadel in die Hand, und ich könnte ebensogut Hufe wie Finger haben!
»Ich will dir noch einmal zeigen, wie man den Knötchenstich macht.« Calinda nahm das angeschmutzte, zerknitterte Stück Leinen in die eigenen Hände und versuchte, es zu glätten. Währenddessen stach Romilly sich beim Einfädeln mit der Nadel in den Finger und jaulte auf wie ein junger Hund. »Das ist eine Schande, Romilly. Ich glaube wirklich, Rael könnte es besser als du, wenn er es versuchte!«
»Warum laßt Ihr es dann nicht Rael tun?« brummte Romilly. »Pfui, ein großes Mädchen, beinahe fünfzehn, alt genug, um verheiratet zu werden.« Calinda sah Rael über die Schulter. »Was hast du denn da geschrieben?«
Aufgeschreckt von dem Ton der Erzieherin beugte sich auch Romilly über die Schulter ihres kleinen Bruders. In ungleichmäßigen Druckbuchstaben stand da: ICH WÜNSCHTE MEIN BRUDER RUYVEN KÄME NACH HAUSE.
»Das tue ich ja auch.« Rael blinzelte heftig und bohrte die Fäustchen in die Augen.
»Zerreißen wir es, schnell!« Calinda nahm das Papier und ließ dem Wort die Tat folgen. »Wenn euer Vater es sähe – du weißt, er hat befohlen, daß deines Bruders Name in diesem Haus nicht erwähnt werden darf!«
»Ich habe ihn nicht erwähnt, nur geschrieben«, verteidigte Rael sich, »und er ist mein Bruder, und ich werde über ihn reden, wann ich will! Ruyven, Ruyven, Ruyven – so!«
»Pst, pst, Rael«, mahnte Calinda. »Wir alle –« Sie verstummte und beendete nicht, was sie hatte sagen wollen. Aber Romilly hörte es mit ihren neuen Sinnen so deutlich, als hätte Calinda es ausgesprochen: Wir alle vermissen Ruyven. Milder fuhr Calinda fort: »Leg dein Buch weg und lauf zu deiner Reitstunde, Rael.«
Rael knallte die Fibel in sein Pult und raste zur Tür. Romilly sah ihrem Bruder neidisch nach und wandte den Blick dann sorgenvoll wieder auf die zerknüllte Stickerei in ihrer Hand. Nach einer Minute seufzte Calinda: »Für ein Kind ist es schwer zu verstehen. Dein Bruder Darren wird zu Mittsommer nach Hause kommen, und darüber bin ich froh – Rael braucht seinen Bruder, glaube ich. Hier, Romilly, paß auf – wickele den Faden so dreimal um die Nadel und zieh ihn durch – siehst du, du kannst es recht gut, wenn du dir Mühe gibst.«
»Knötchenstich ist leicht«, bemerkte Mallina selbstzufrieden und sah von dem glatten Stück gebleichten Leinens hoch, wo unter ihrer Nadel eine leuchtende Blume erblühte.
»Schämst du dich nicht, Romilly? Mallina hat bereits ein Dutzend Kissenhüllen für ihre Aussteuertruhe gestickt, und jetzt arbeitet sie an ihren Brautlaken.«
»Ja, was brauche ich denn bestickte Kissenhüllen?« fragte Romilly, in die Verteidigung gedrängt. »Ein Kissen ist da, um darauf zu sitzen, nicht um schöne Muster zu zeigen. Und ich hoffe, wenn ich einen Mann bekomme, wird er mich ansehen und nicht die gestickten Blumen auf unsern Brautlaken!«
Mallina kicherte und errötete, und Callina tadelte: »Still, Romilly, wie kannst du so etwas sagen!« Doch sie lächelte. »Wenn du dein eigenes Haus hast, wirst du stolz sein, es mit schönen Dingen schmücken zu können.«
Das bezweifele ich sehr, dachte Romilly, doch sie nahm resignierend das Stück Stoff wieder auf und zog die Nadel hindurch. Mallina beugte sich über die Steppdecke, die sie in Arbeit hatte, zarte weiße Sternblumen auf blauen Grund appliziert, und begann, winzige Stiche in die Umrandung zu setzen. Ja, es war hübsch, dachte Romilly, aber warum kam es so sehr darauf an? Eine einfache Decke würde sie des Nachts ebenso warmhalten, sogar eine Satteldecke! Es hätte ihr nichts ausgemacht, etwas Vernünftiges herzustellen, einen Reitmantel oder eine Haube für einen Falken. Aber diese dummen Blumenmuster! Sie sollten doch nur die komplizierten Stiche zeigen, die sie haßte. Grimmig nahm sie von neuem ihre Arbeit vor, die Nadel unbeholfen in der Faust. Da blickte die Erzieherin von dem Blatt mit den Additionen auf, die Romilly heute morgen gemacht hatte.
»Hierin bist du über das, was ich dich lehren kann, hinausgewachsen, Romilly«, stellte sie fest. »Ich will mit Dom Mikhail sprechen und ihn fragen, ob dir der Haushofmeister Unterricht im Führen der Bücher und im Rechnen geben darf. Es wäre schade, eine solche Intelligenz wie deine zu verschwenden.«
»Unterricht vom Haushofmeister?« fragte eine Stimme von der Tür her. »Unsinn, mestra. Romilly ist zu alt, um Unterricht von einem Mann zu bekommen; das wäre ein Skandal. Und was braucht eine Dame Bücher führen zu können?« Romilly hob den Kopf von den verwirrten Fäden und sah ihre Stiefmutter Luciella eintreten.
»Wenn ich meine Bücher selbst führen könnte, Pflegemutter, brauchte ich nie Angst zu haben, von einem unehrlichen Haushofmeister betrogen zu werden.«
Luciella lächelte freundlich. Sie war eine kleine, mollige Frau mit sorgfältig gelocktem Haar und so untadelig gekleidet, als wolle sie die Königin bei einem Gartenfest empfangen. Sie meinte: »Ich glaube, wir können einen Mann für dich finden, der dir all diese Sorgen abnehmen wird, Pflegetochter.« Sie beugte sich nieder, um Mallina auf die Wange zu küssen, und tätschelte Romillys Kopf. »Ist Rael schon zu seiner Reitstunde fort? Ich hoffe, die Sonne ist nicht zu stark für ihn, er hat sich noch nicht wieder völlig erholt.« Stirnrunzelnd betrachtete sie das Durcheinander von Fäden und die schwankenden Reihen farbiger Stiche. »Oh, liebes Kind, so geht das nicht! Gib mir die Nadel, Romilly, du hältst sie wie einen Striegel! Halte sie so, siehst du? Jetzt ist der Knoten ordentlich – geht es nicht leichter, wenn du sie so hältst?«
Widerstrebend nickte Romilly. Domna Luciella war nie anders als freundlich zu ihr gewesen. Aber sie verstand nicht, warum Romilly nicht genauso wie Mallina war, nur ein Stück weiter, da älter.
»Mach nun du ein Knötchen, so, wie ich es dir gezeigt habe«, sagte Luciella. »Siehst du wohl, das ist schon viel besser, mein Liebes. Ich wußte, du kannst es, du bist ja geschickt mit den Händen – deine Schrift ist viel sauberer als die Mallinas. Du versuchst es nur nicht. Calinda, ich wollte Euch bitten, den Kindern einen freien Tag zu geben – Rael ist bereits zu den Ställen gerannt? Auch gut, ich brauche nur die Mädchen. Ich möchte, daß sie mitkommen und ihre neuen Reitkleider ausprobieren. Die müssen fertig sein, wenn die Gäste zum Mittsommerfest eintreffen.«
Natürlich quietschte Mallina vor Freude.
»Ein neues Reitkleid für mich, Pflegemutter? Welche Farbe hat es? Ist es aus Samt wie das einer Dame?«
»Nein, mein Liebes, deins ist aus Gabardin, strapazierfähig und aufs Wachsen berechnet«, antwortete Luciella. Mallina murrte: »Ich habe es satt, Kleider mit dicken Säumen zu tragen, damit sie ein halbes Dutzend Mal verlängert werden können, wenn ich wachse. Und dann ist der Stoff ausgeblichen, so daß jeder sehen kann, wo der Saum ausgelassen worden ist.«
»Du mußt dich eben beeilen, mit dem Wachsen fertig zu werden«, erwiderte Luciella freundlich. »Es hat keinen Sinn, ein Kleid nach deinen Maßen zu nähen, wenn du nach sechs Monaten hinausgewachsen bist. Und du hast nicht einmal eine jüngere Schwester, an die du es weitergeben könntest.« Lächelnd setzte sie hinzu: »Du hast Glück, überhaupt ein neues Kleid zu bekommen, weißt du. Du solltest Romillys alte tragen. Allerdings nutzt Romilly, wie wir alle wissen, ihre Reitsachen so ab, daß nach einem halben Jahr nichts mehr von ihnen übrig ist – man kann sie kaum noch dem Milchmädchen schenken.«
»Nun, ich reite ein Pferd«, erklärte Romilly. »Ich sitze nicht nur auf seinem Rücken und lächele schmachtend dem Stalljungen zu!«
»Biest!« fauchte Mallina und trat ihr heimlich gegen den Knöchel. »Das tätest du auch, wenn er dich nur ansähe! Aber dich wird nie jemand ansehen – du bist wie ein angezogener Besenstiel!«
»Und du bist ein fettes Schwein«, gab Romilly zurück. »Du könntest meine abgelegten Sachen sowieso nicht tragen, weil du so dick bist von all den Honigkuchen, die du schmatzt, wann immer du dich in die Küche schleichen kannst!«
»Mädchen! Mädchen!« flehte Luciella. »Müßt ihr ständig streiten? Ich habe um einen freien Tag für euch gebeten – wollt ihr statt dessen bis heute abend im Schulzimmer sitzen und Küchentücher säumen?«
»Nein, wirklich nicht, verzeih mir, Pflegemutter«, sagte Romilly schnell, und Mallina fragte muffig: »Soll ich mich vielleicht von ihr beleidigen lassen?«
»Nein, und du solltest sie auch nicht beleidigen«, seufzte Luciella. »Kommt, kommt, die Näherinnen warten auf euch.«
»Braucht Ihr mich noch, vai domna?« fragte Calinda.
»Nein, geht und ruht Euch aus, mestra – ich bin sicher, Ihr habt es nach einem Vormittag mit meiner Brut nötig. Schickt zuerst den Stallknecht nach Rael. Er muß seine neue Jacke heute anprobieren, aber das kann warten, bis er mit seiner Reitstunde fertig ist.«
Voller böser Ahnungen folgte Romilly ihrer Stiefmutter in den Raum, wo die Näherinnen arbeiteten. Er war hell und luftig mit breiten Fenstern und grünen Pflanzen – keine Blumen, denn Luciella war eine praktische Frau, sondern Töpfe mit Küchen- und Heilkräutern, denen die durch die Glasscheiben fallenden Sonnenstrahlen einen süßen Duft entlockten. Luciellas Geschmack neigte zu Kräuseln und Volants. Aus einem früheren Streit schloß Romilly, daß ihr Reitkleid, wenn Luciella es bestellt hatte, entsetzlich aufgedonnert sein würde. Doch dann sah sie das Kleid. Es war aus dunkelgrünem Samt, und der Schnitt betonte geschickt ihre Schlankheit. Dabei war es einfach, ohne anderen Aufputz als ein einziges weißes Band um den Ausschnitt. Die Farbe war genau die ihrer grünen Augen und ließ ihr kupfernes Haar leuchten. Romilly errötete vor Vergnügen.
»Es ist wunderschön, Pflegemutter.« Sie hielt so still, wie sie konnte, während die Näherinnen das Kleid an ihrem Körper absteckten. »Es ist fast zu fein für mich!«
»Nun, du wirst ein gutes Kleid für die Beize und die Jagd brauchen, wenn die Leute von Hohenklippen zum Mittsommerfest kommen«, sagte Luciella. »Zeig ruhig, was für eine gute Reiterin du bist. Ich finde nur, du brauchst ein Pferd, das für eine Dame besser geeignet ist als der alte Windracer. Ich habe mit Mikhail wegen eines guten Pferdes für dich gesprochen – war da nicht eins, das du selbst trainiert hast?«
Romilly keuchte auf vor Begeisterung, und ihre Stiefmutter lächelte. Dem Mädchen war erlaubt worden, ihrem Vater beim Trainieren der drei edlen Rappen von den Lanart-Gütern zu helfen, und sie gehörten zu den besten Pferden, die den Ställen von Falkenhof Ehre machten. Wenn ihr Vater zustimmte, daß sie eins dieser Pferde bekam – voll Freude und Entzücken stellte sie sich vor, wie sie auf einem der temperamentvollen Rappen über die Hügel galoppierte, Preciosa auf ihrem Handgelenk. Ihre spontane Umarmung verblüffte Luciella. »Oh, danke, ich danke dir, Stiefmutter!«
»Es ist ein Vergnügen, dich ganz als Dame zu sehen.« Luciella freute sich über den hübschen Anblick, den Romilly in dem grünen Kleid bot. »Zieh es jetzt aus, mein Liebes, damit es genäht werden kann. Nein, Dara«, wandte sie sich an eine der Näherinnen, die Mallinas Kleid über ihren vollen jungen Brüsten absteckte, »die Jacke da nicht so eng, das schickt sich nicht für ein so junges Mädchen.«
Mallina schmollte: »Warum müssen alle meine Kleider wie Kinderkittel geschnitten sein? Ich habe schon mehr Figur als Romilly!«
»Das hast du wirklich«, bemerkte Romilly. »Wenn deine Titten noch weiter wachsen, kannst du dich als Amme verdingen.« Kritisch betrachtete sie Mallinas schwellenden Körper. Das jüngere Mädchen zischte: »Ein Damenkleid ist an dich verschwendet, du könntest ein Paar von Darrens alten Hosen tragen! Du würdest am liebsten wie ein Stalljunge herumlaufen, in alten Ledernen, wie eine aus der Schwesternschaft vom Schwert!«
»Kommt, kommt«, sagte Luciella friedlich. »Mach dich nicht über die Figur deiner Schwester lustig, Romilly. Sie wächst schneller als du, das ist alles. Und du bist auch still, Mallina. Romilly ist jetzt erwachsen, und euer Vater hat strengen Befehl gegeben, daß sie nicht mehr mit Stiefeln und Hose im Herrensitz reiten darf. Dafür bekommt sie ein richtiges Damenkleid und einen Damensattel. Zu Mittsommer werden die Leute von Hohenklippen zur Beize und Jagd herkommen, vielleicht auch Aldaran von Scathfell mit seinen Söhnen und Töchtern und ein paar Leute von Storn-Höhe.«
Mallina jubelte – die Zwillingstöchter von Scathfell waren ihre engsten Freundinnen, und während des Winters hatten schwere Schneefälle Falkenhof von Scathfell und Hohenklippen getrennt. Romilly empfand keine solche Freude. Jessamy und Jeralda waren etwa in ihrem Alter, aber ähnlich wie Mallina, rund und weich, eine Beleidigung für jedes Pferd, das sie tragen mußte. Ihre Aufmerksamkeit galt viel mehr dem Sitz ihrer Reitkleider und den Ornamenten auf Sattel und Zügel als dem Wohlbefinden ihrer Pferde oder ihrer eigenen Reitkunst. Der älteste Sohn von Hohenklippen war in Ruyvens Alter und sein liebster Freund gewesen. Er behandelte Romilly und sogar Darren als kleine Kinder. Und die Leute von Storn waren alle erwachsen, die meisten verheiratet, und einige hatten schon Kinder.
Nun, vielleicht bekam sie Gelegenheit, mit ihrem Vater und Darren, der aus Nevarsin erwartet wurde, auszureiten und Preciosa fliegen zu lassen. Es wäre nicht allzu schlimm, wenn sie dazu, solange Besuch da war, einen Damensattel benutzen und statt der zur Jagd besser geeigneten Stiefel und Hosen ein Reitkleid tragen mußte. Die Leute würden nur ein paar Tage bleiben, und dann konnte sie zum Reiten wieder in ihre vernünftige Jungenkleidung schlüpfen. Vor den Gästen ihrer Eltern wollte sie sich gern schicklich anziehen. Es verstand sich von selbst, daß sie gelernt hatte, in der Anwesenheit von Fremden – und auch, um ihrer Stiefmutter eine Freude zu machen – mit Reitröcken und Damensattel fertig zu werden.
Auf dem Weg in ihr Zimmer summte Romilly vor sich hin. Sie wollte sich zum Reiten umziehen. Vielleicht würde sie Rael mitnehmen, wenn sie Preciosa am Federspiel übte, diesem Gebilde aus Federn, auf dem Fleischstückchen befestigt werden und das man mit einer langen Leine um den Kopf wirbelt. Aber als sie hinter ihrer Tür nach den alten Stiefeln und Hosen suchte, die sie immer zum Reiten trug – sie hatten früher Ruyven gehört –, fand sie sie nicht.
Romilly klatschte in die Hände, um das Mädchen herbeizurufen, das die Kinder bediente. Es kam jedoch die alte Gwennis. »Was soll das, Gwennis? Wo sind meine Reitsachen?«
»Dein Vater hat strengen Befehl gegeben«, antwortete Gwennis. »Lady Luciella hieß mich, sie wegzuwerfen. Sie waren ja kaum noch für den Jungen des Falkenmeisters geeignet, diese alten Dinger. Dein neues Kleid wird schon genäht, und du kannst dein altes tragen, bis es fertig ist, mein Schätzchen.« Gwennis zeigte auf den Rock und die Jacke, die auf Romillys Bett ausgelegt waren. »Komm, mein Lämmchen, ich helfe dir beim Zuschnüren.«
»Du hast die Sachen weggeworfen?« explodierte Romilly. »Wie konntest du es wagen!«
»Oh, oh, sprich nicht so mit mir, mein Liebchen. Wir müssen alle tun, was Lady Luciella sagt, nicht wahr? Das Reitkleid da paßt dir immer noch gut, auch wenn es ein bißchen eng in der Taille ist – sieh her, ich habe es gestern, als Lady Luciella es mir sagte, für dich ausgelassen.«
»Darin kann ich Windracer nicht reiten!« Romilly knäulte die beleidigenden Röcke zusammen und warf sie quer durchs Zimmer. »Er ist nicht an einen Damensattel gewöhnt, und ich hasse es, so zu reiten, und Gäste sind gar keine da! Besorg mir irgendeine Reithose!« tobte sie.
Gwennis schüttelte streng den Kopf. »Das darf ich nicht, Herzchen. Dein Vater hat befohlen, du sollst nicht mehr in Hosen reiten, und es ist auch Zeit! Zehn Tage vor Mittsommer wirst du fünfzehn. Wir müssen jetzt daran denken, dich zu verheiraten, und wer wird ein Mannweib heiraten wollen, das in Hosen herumläuft wie eine Troßdirne oder eine dieser skandalösen Frauen von der Schwesternschaft mit ihren Schwertern und durchbohrten Ohren? Wirklich, Romilly, du solltest dich schämen. Ein großes Mädchen wie du, das ins Falkenhaus davonläuft und die ganze Nacht draußen bleibt – du mußt endlich zu einer Dame gezähmt werden! Jetzt zieh deinen Reitrock an, wenn du ausreiten möchtest, und rede keinen solchen Unsinn mehr.«
Romilly starrte ihre Kinderfrau entgeistert an. Also diese Strafe hatte ihr Vater ihr zugedacht! Schlimmer, viel schlimmer als Schläge, und sie wußte, eine Auflehnung gegen den Befehl ihres Vaters gab es nicht.
Wenn er mich doch geschlagen hätte! Wenigstens hätte er sich dann unmittelbar mit mir, mit Romilly, mit einer Person befaßt. Aber mich Luciella zu übergeben, damit sie mich zu ihrer Vorstellung von einer Dame ummodelt...
»Es ist eine Beleidigung für ein anständiges Pferd!« schimpfte Romilly. »Ich werde das Zeug nicht anziehen!«
Sie versetzte dem Bündel auf dem Fußboden einen wilden Tritt.
»Ja, dann, Schätzchen, kannst du wie eine Lady im Haus bleiben, du mußt ja nicht ausreiten«, meine Gwennis gemütlich.
»Du bist sowieso zu oft in den Ställen. Es ist Zeit, daß du hübsch drinnen bleibst und die Falken und Pferde deinen Brüdern überläßt, wie es sich schickt.«
Entsetzt schluckte Romilly den Klumpen in ihrer Kehle hinunter. Ihr Blick wanderte von dem Reitkleid auf dem Fußboden zu der strahlenden Kinderfrau. »Das habe ich von Luciella erwartet«, sagte Romilly. »Sie haßt mich, stimmt’s? Das ist eine Bosheit von der Art, wie Mallina sie fertigbrächte, nur weil sie ein richtiges Pferd nicht reiten kann. Aber ich hätte nicht geglaubt, daß du dich mit ihnen gegen mich verbünden würdest, Gwennis!«
»Aber, aber, so darfst du nicht reden.« Gwennis schnalzte vorwurfsvoll mit der Zunge. »Wie kannst du so etwas über deine freundliche Stiefmutter sagen? Ich versichere dir, nicht viele Frauen sind zu ihren erwachsenen Stieftöchtern so gut wie Lady Luciella zu dir und Mallina. Sie gibt euch schöne Kleider, obwohl ihr beide hübscher seid als sie, und dabei weiß sie, daß Darren einmal hier Herr sein wird und ihr Kind nur ein jüngerer Sohn ist, nicht viel besser als ein Nedestro! Höre, deine eigene Mutter hätte dir das Hosentragen schon vor drei Jahren verboten. Nie hätte sie dich in dieser ganzen Zeit als Mannweib herumlaufen lassen! Wie kannst du sagen, Lady Luciella hasse dich?«
Mit brennenden Augen sah Romilly zu Boden. Es war die Wahrheit. Niemand hätte liebevoller zu ihr sein können als Luciella. Es wäre leichter gewesen, wenn Luciella ihr jemals die geringste Unfreundlichkeit gezeigt hätte. Ich könnte mich gegen sie wehren, wenn sie grausam zu mir wäre. Was kann ich jetzt tun?
Und Preciosa wartete auf sie. Dachte Gwennis wirklich, sie würde ihren eigenen Falken dem Jungen des Falkenmeisters überlassen? Nicht einmal Darren würde sie ihn geben! Mit vor Wut zitternden Händen zog sie das verabscheute Kleid an, einen fadenkahlen blauen Gabardin. Obwohl von Gwennis verändert, war es zu eng in der Taille, so daß die Verschnürung weit über ihrem Unterhemd klaffte. Immer noch besser, ich reite in Röcken, als überhaupt nicht, sagte Romilly zu sich selbst. Aber wenn sie glaubten, sie so leicht schlagen zu können, hatten sie sich geirrt!
Wird sie mich in diesem blöden Mädchenkleid überhaupt erkennen?
Wütend ging sie auf die Ställe und das Falkenhaus zu. Ein- oder zweimal stolperte sie über die lästigen Röcke und nahm daraufhin einen langsameren, damenhaften Gang an. Also Luciella wollte sie mit einem hübschen Kleid bestechen, um den Schlag zu mildern? Typisch Frau, sie mit einem albernen Trick hereinlegen zu wollen, statt ihr geradeaus zu sagen, sie dürfe nicht mehr in Hosen reiten!
Im Falkenhaus ging Romilly sofort zu dem Block, zog ihren alten Handschuh an und nahm Preciosa auf den Arm. Mit der freien Hand ergriff sie die zu diesem Zweck bereitliegende Spinnfeder und streichelte die Brust des Falken. Eine Berührung mit der Hand würde die Schutzschicht von den Federn streifen und sie beschädigen. Preciosa spürte Romillys Erregung und bewegte sich unruhig auf ihrem Handgelenk. Das Mädchen zwang sich zur Ruhe. Sie nahm das an der Wand hängende Federspiel und winkte dem Jungen Ker.
»Hast du frisches Fleisch für Preciosa?«
»Ja, damisela. Von einer eben für den Tisch getöteten Taube habe ich alle Innereien aufgehoben. Vor zehn Minuten waren sie noch im Bauch des Vogels«, antwortete Ker. Romilly schnupperte mißtrauisch an dem Fleisch. Dann band sie es an das Federspiel. Preciosa roch die Atzung, zuckte nervös und flatterte. Romilly sprach beruhigend auf sie ein. Beim Weitergehen mußte sie sich den Rock aus dem Weg treten. Im Stallhof löste sie die Fesseln und schwang das Federspiel hoch über ihren Kopf. Der Schwung, mit dem Preciosa sich in die Luft warf, stieß Romillys Hand nach unten. Das Falkenweibchen kreiste hoch am Himmel über dem Stallhof, stieß schnell auf das Federspiel nieder und schlug die Beute, fast noch bevor sie den Boden berührte. Romilly ließ sie eine Weile in Ruhe kröpfen. Dann rief sie sie mit der kleinen Falknerpfeife, die der Vogel mit seiner Nahrung in Verbindung bringen soll, und streifte ihr die Haube wieder über. Sie gab Ker das Federspiel und sagte: »Wirf du es, ich möchte sie fliegen sehen.«
Gehorsam nahm der Junge des Falkenmeisters das Federspiel und begann, es über seinem Kopf zu schwingen. Wieder ließ Romilly den Falken auf. Sie beobachtete, wie er hochflog und zum Klang ihrer Pfeife auf das Federspiel niederstürzte. Noch zweimal wurde die Übung wiederholt, bevor Romilly den Falken verkappte und zurück auf den Block setzte. Wieder und wieder streichelte sie ihn zärtlich mit der Spinnfeder, murmelte ihm sinnlose Worte der Liebe zu, spürte die Nähe und Zufriedenheit des satten Falken. Preciosa lernte schnell. Bald würde sie frei fliegen, ihre eigene Beute schlagen und auf Romillys Handgelenk zurückkehren...
»Geh und sattle Windracer«, sagte sie und setzte mißmutig hinzu: »Ich vermute, du mußt meinen Damensattel nehmen.« Der Junge vermied es, sie anzusehen.
»Es tut mir leid, damisela – der MacAran hat strengen Befehl gegeben. Er war sehr zornig.«
Das also war ihre Strafe. Spitzfindiger als Schläge und gar nicht die Art ihres Vaters – die von Luciellas Hand gesetzten feinen Stiche waren deutlich zu erkennen. Im Geist hörte sie fast die Worte, die ihre Stiefmutter benutzt haben mußte: Hör zu, ein großes Mädchen wie Romilly, und du läßt sie in den Ställen herumlaufen... Wie kann es dich da überraschen, wenn sie etwas anstellt? Überlasse sie mir, und ich werde eine Dame aus ihr machen.
Romilly wollte dem Jungen in ihrem Ärger schon sagen: Vergiß es, ein Damensattel ist eine Beleidigung für jedes Pferd mit Selbstachtung... Aber Preciosa flatterte aufgeregt auf ihrem Arm, und sie erkannte, daß ihre Wut sich auf den Vogel übertrug. So beherrschte sie sich und meinte ruhig: »Gut, dann leg ihm einen Damensattel auf.« Trotz ihres Zorns, trotz des Damensattels mußte Preciosa an die Bewegung des Pferdes gewöhnt werden. Und ein Ritt auf einem Damensattel war besser als überhaupt kein Ritt.
Unterwegs dachte Romilly lange und gründlich nach. Ein Appell an ihren Vater war sinnlos. Offenbar hatte er die Verantwortung auf Luciella übertragen. Das neue Reitkleid war nur ein Zeichen dafür gewesen, woher der Wind jetzt blies. Zweifellos würde der Tag kommen, an dem man ihr das Reiten ganz verbot – nein, das nicht. Luciella hatte ihr von seinen Plänen erzählt, ihr ein gutes Pferd zu schenken. Immerhin würde sie wie eine Dame reiten müssen, sittsam, weil kein Pferd unter einem Damensattel etwas Besseres als einen gemächlichen Trott fertigbrachte. Sie mußte hinderliche Röcke tragen und war nicht einmal mehr imstande, ihren Falken richtig zu schulen. Ein Damensattel bot nicht genug Platz für einen Falken, während sie auf einem Herrensattel den Block vor sich tragen konnte. Und dann würde man ihr den Zutritt zu den Ställen und Falkenhaus verwehren, und ihr bliebe nichts als solche läppischen Ausritte. Doch was konnte sie dagegen tun? Sie war noch nicht mündig – erst zu Mittsommer wurde sie fünfzehn –, und es blieb ihr nichts übrig, als den Befehlen ihres Vaters und ihrer Stiefmutter zu gehorchen. Romilly hatte das Gefühl, als schlössen sich Mauern um sie.
Wozu war ihr dann dieses Laran gegeben worden, wenn anscheinend nur ein Mann die Freiheit hatte, es zu benutzen? Sie hätte weinen mögen. Warum war sie nicht als Mann geboren worden? Sie wußte, wenn sie Luciella die Frage stellte, was sie mit ihrer Gabe anfangen solle, würde die Antwort lauten: Du hast diese Gabe, um sie an deine Söhne zu vererben.
War sie also nichts als ein Mittel, um einem unbekannten Gatten Söhne zu verschaffen? Oft hatte sie gedacht, daß sie gern Kinder haben würde. Sie erinnerte sich an Rael als Baby, klein und süß und weich und liebenswert wie ein noch nicht entwöhntes Hündchen. Aber mußte sie dafür alles aufgeben, im Haus bleiben und wabbelig wie Luciella werden? Hatte ihr eigenes Leben dann ein Ende, lebte sie dann nur noch durch ihre Kinder? Es war ein zu hoher Preis auch für das anbetungswürdigste Baby. Wütend blinzelte Romilly ihre Tränen weg und zwang sich zur Ruhe. Denn sie wußte, die Emotion würde auf Falken und Pferd übergreifen.
Sie mußte warten. Vielleicht konnte sie ihren Vater zur Einsicht bringen, wenn sein Zorn sich abgekühlt hatte. Und dann schoß es ihr durch den Kopf: Noch vor Mittsommer kam Darren nach Hause, und vielleicht würde er, als der einzige ihrem Vater gebliebene Erbe, bei ihm für sie eintreten. Sie streichelte den Falken mit der Spinnfeder, um ihn zu beruhigen, und ritt nach Falkenhof zurück. Ein Schimmer der Hoffnung lebte in ihrem Herzen.