Читать книгу Herrin der Falken - Marion Zimmer Bradley - Страница 6

3.

Оглавление

Zehn Tage vor Mittsommer, an Romillys fünfzehntem Geburtstag, kam ihr Bruder Darren nach Hause.

Rael sah die Reiter als erster. Die Familie saß gerade beim Frühstück. Das Wetter war so gut, daß Luciella angeordnet hatte, den Tisch auf dem offenen Balkon zu decken, von dem man Aussicht auf das Kadarin-Tal hatte. Rael nahm sein zweites Honigbrot mit an das Geländer, obwohl Luciella ihn sanft ermahnte, er solle sich ordentlich hinsetzen und fertig essen. Jetzt lehnte er sich über die Querleiste und warf Brotkrumen auf die breiten Blätter des Efeus, der auf beiden Seiten der Burg bis zu dem hohen Balkon hinaufkroch.

»Sieh mal, Mutter«, rief er, »da kommen Reiter den Pfad hoch – ob sie hierher wollen, was meinst du? Vater, siehst du sie?«

Der MacAran hob seine Tasse an die Lippen und antwortete stirnrunzelnd: »Still, Rael, ich rede mit deiner Mutter!« Aber Romilly wußte sofort, wer die Reiter waren.

»Das ist Darren!« rief sie und flog ans Geländer. »Ich erkenne sein Pferd. Ich laufe hinunter und begrüße ihn!«

»Romilly! Setz dich hin und iß auf«, schalt Luciella. Doch Romilly war bereits aus der Tür und sprang die lange Treppe hinunter. Die Zöpfe klatschten ihr gegen die Schulterblätter. Hinter sich hörte sie das Klappern von Raels Stiefeln und lachte im Gedanken an Luciellas Aufregung – das friedliche Frühstück war unwiderruflich gestört. Sie leckte sich die Finger ab, die klebrig von Honig waren, und lief in den Hof hinaus. Rael folgte ihr dichtauf, hängte sich an das große Tor und rief den Leuten zu, sie sollten kommen und es öffnen.

»Es ist mein Bruder Darren. Er kommt!«

Gutmütig begannen die Männer, die Torflügel aufzuziehen, noch bevor sie den Hufschlag der Pferde hören konnten. Rael war ihr Liebling und wurde von allen verwöhnt. Er hielt sich am Tor fest, lachte, als die Männer ihn mit wegschoben, und winkte mit einem Arm aufgeregt den Reitern zu.

»Es ist Darren, und es ist jemand bei ihm. Romilly, komm – sieh – lauf ihm entgegen!«

Aber Romilly, plötzlich scheu, war ein bißchen zurückgeblieben. Es kam ihr ins Bewußtsein, daß ihr hastig geflochtenes Haar schlecht saß, Finger und Mund verschmiert waren und sie immer noch das Honigbrot in der Hand hielt. Schnell warf sie es dem Hofhund zu und rieb sich mit dem Taschentuch über die klebrigen Lippen. Warum war sie so verlegen? Es waren nur Darren und irgendein Freund, den er im Kloster kennengelernt hatte. Darren glitt von seinem Pferd. Rael kletterte an ihm hoch, umarmte ihn, redete so schnell, daß er kaum zu verstehen war. Darren lachte, setzte Rael ab, kam und nahm Romilly in die Arme.

»Du bist gewachsen, Schwester. Du bist fast schon eine Frau.«

»Es ist ihr Geburtstag, Darren, was hast du ihr mitgebracht?« erkundigte Rael sich, und Darren grinste. Er war groß und dünn, das rote Haar fiel ihm in dichten Locken über die Augen, und sein Gesicht hatte die Zimmerblässe eines im Schnee von Nevarsin verbrachten Winters.

»Ich habe deinen Geburtstag vergessen, Schwester – kannst du mir verzeihen? Dafür bekommst du ein Geschenk zu Mittsommer«, sagte er.

»Das schönste Geschenk ist, daß du heute gekommen bist, Darren«, erwiderte sie, und Schmerz durchzuckte sie. Sie liebte Darren, aber Ruyven war der Bruder, mit dem sie am engsten verbunden gewesen war, während Mallina und Darren immer alles geteilt hatten. Und Ruyven würde nicht nach Hause kommen, niemals mehr. Haß auf die Türme, die ihr ihren Bruder weggenommen hatten, quoll in ihr auf. Sie schluckte schwer und schüttelte die Zornestränen von den Wimpern.

»Vater und Luciella sind beim Frühstück«, sagte sie. »Komm hinauf auf den Balkon, Darren; sag dem Coridom, er soll deine Satteltaschen auf dein Zimmer tragen lassen.« Sie nahm seine Hand und wollte ihn mit sich ziehen. Er aber wandte sich zu dem Fremden zurück, der sein Pferd dem Stallknecht übergeben hatte.

»Zuerst möchte ich dir meinen Freund vorstellen.« Er zog den jungen Mann nach vorn. »Alderic von Castamir – meine älteste Schwester Romilly.«

Alderic war noch größer als Darren. Sein Haar schimmerte wie ein Hauch von Kupfer auf Gold, über den tiefliegenden, stahlgrauen Augen wölbte sich eine hohe Stirn. Er war schäbig gekleidet, ein seltsamer Gegensatz zu Darrens prächtigem Anzug – Darren, als der älteste Sohn von Falkenhof, trug einen mit dunklem Pelz verbrämten Samtmantel, während der Mantel des jungen Castamir abgeschabt war, als habe er ihn von seinem Vater oder gar seinem Großvater geerbt. Der billige Besatz aus Rabbithorn-Wolle hatte sich an einigen Stellen schon gelöst.

Also hat er mit einem Jungen Freundschaft geschlossen, der ärmer ist als er selbst, und ihn sicher deswegen mitgebracht, weil ihm die Mittel fehlen, über die Ferien nach Hause zu reisen. Darren ist immer gutmütig. Sie begrüßte den jungen Mann freundlich. Doch eine Spur von Herablassung lag in ihrer Stimme, als sie sagte: »Seid uns willkommen, Dom Alderic. Kommt und schließt Euch meinen Eltern beim Frühstück an, wollt ihr? Garin«, sie winkte dem Haushofmeister, »laß die Satteltaschen meines Bruders in sein Zimmer und Dom Alderics Gepäck für den Augenblick in die rote Kammer tragen. Falls Lady Luciella nicht andere Anweisungen gibt, wird es richtig sein, ihn in der Nähe meines Bruders unterzubringen.«

»Ja, komm mit.« Darren hakte sich bei Romilly ein und zog Alderic mit ihnen die Treppe hinauf. »Ich kann nicht gehen, wenn du dich so an mich hängst, Rael, lauf uns voraus!«

»Er hat dich vermißt«, sagte Romilly. »Und –« Sie hätte beinahe von ihrem älteren Bruder gesprochen. Aber damit hätte sie Familienangelegenheiten vor einem Fremden diskutiert. Ihr und Darren würde noch genug Zeit für vertrauliche Mitteilungen bleiben. Sie erreichten den Balkon, Darren wurde von Mallina umarmt, und Romilly blieb es überlassen, ihrem Vater Alderic von Castamir vorzustellen.

Der MacAran sagte mit ernster Höflichkeit: »Sei uns willkommen in unserm Heim, Junge. Ein Freund meines Sohnes wird hier als Freund aufgenommen. Bist du mit Valdrin Castamir von Hochhof verwandt? Wir dienten zusammen in der Leibgarde König Rafaels, bevor er heimtückisch ermordet wurde.«

»Nur entfernt, Sir«, antwortete Alderic. »Wißt Ihr nicht, daß Lord Valdrin tot ist und seine Burg ihm über dem Kopf mit Haftfeuer angezündet wurde, weil er Carolin auf seinem Weg ins Exil Zuflucht gewährte?«

Der MacAran schluckte sichtbar. »Valdrin tot? Wir waren Spielgefährten und Bredin«, sagte er. »Aber Valdrin war immer ein Tor, wie jeder Mann ein Tor ist, der sich in die Angelegenheiten der Großen des Landes einmischt.«

Alderic erklärte steif: »Ich ehre das Andenken Lord Valdrins wegen seiner Loyalität gegenüber unserm rechtmäßigen König im Exil, Sir.«

»Ehre«, bemerkte der MacAran bitter, »Ehre ist weder dem Toten von Nutzen noch all seinen Angehörigen, die er in den Streit der Großen hineingezogen hat. Eine große Ehre muß es für seine Frau und die kleinen Kinder gewesen sein, zu sterben, indem ihnen das Fleisch von den Knochen gebrannt wurde. Als ob es mich oder sonst einen vernünftigen Mann etwas anginge, welcher große Esel den Thron mit seinem königlichen Hintern warmhält, während bessere Männer ihren Geschäften nachgehen!«

Romilly sah, daß Alderic eine scharfe Antwort auf der Zunge lag. Doch er verbeugte sich nur und blieb stumm; er wollte seinen Gastgeber nicht beleidigen. Mallina wurde Alderic vorgestellt und lächelte geziert zu ihm auf, während Romilly angewidert zusah. Bei allem, was Hosen trägt, dachte sie, wendet Mallina ihre törichten weiblichen Listen an, sogar bei diesem schäbigen politischen Flüchtling, den Darren in Nevarsin aufgelesen und zweifellos mitgebracht hat, damit der Junge ein paar gute Mahlzeiten erhält. Dürr ist er wie ein Rechen. In Nevarsin erhalten sie sicher nur Brei aus Eicheln und kaltes Wasser!

Mallina schwatzte immer noch auf den jungen Mann ein.

»Und die Leute von Storn-Höhe kommen, und die Söhne und Töchter Aldarans von Scathfell, und während des ganzen Mittsommerfestes wird es Gesellschaften und Beizen und Jagden geben und einen großen Mittsommertanz.« Sie schlug die langbewimperten Augen zu Alderic auf und fragte: »Tanzt Ihr gern, Dom Alderic?«

»Ich habe seit meiner Kinderzeit nur wenig getanzt«, antwortete er, »nur die Stampftänze der Mönche und Novizen, wenn sie Mittwinter feiern – aber ich hoffe, daß Ihr es mich lehrt, damisela.« Er verbeugte sich vor ihr und Romilly. Mallina zwitscherte: »Oh, Romilly tanzt nicht mit Männern! Sie ist mehr in den Ställen daheim und wird Euch wohl lieber ihre Falken und Hunde zeigen.«

»Mallina, geh zu deiner Unterrichtsstunde«, sagte Luciella mit einer Stimme, die deutlich verriet: Mit dir befasse ich mich später, junge Dame. »Ihr müßt verzeihen, Dom Alderic, sie ist nur ein mutwilliges Kind.«

Mallina brach in Tränen aus und rannte weg. Alderic lächelte Romilly zu. »Auch mir ist in der Gesellschaft von Falken und Pferden wohler als in der von Frauen. Gehört nicht eins der Pferde, das wir von Nevarsin mitgebracht haben, Euch?«

»Es gehörte«, Darren bemerkte das finstere Gesicht seines Vaters und berichtigte sich, »einem Verwandten von uns. Er ließ es in Nevarsin, um es wieder in unsere Hände gelangen zu lassen.« Aber Romilly fing den Blick auf, der zwischen Darren und Alderic gewechselt wurde. Also hatte ihr Bruder seinem Freund die ganze Geschichte anvertraut. Wie weit, fragte sie sich, hatte sich die skandalöse Nachricht verbreitet, daß der Sohn des MacAran sich mit seiner Familie entzweit hatte und in einen Turm geflohen war?

»Romilly«, sagte ihr Vater, »solltest du nicht bei Mistress Calinda im Schulzimmer sein?«

»Du hast mir zu meinem Geburtstag einen freien Tag versprochen«, erinnerte Romilly ihre Stiefmutter, und Luciella erwiderte ungeschickt: »Nun ja, da ich es versprochen habe – ich vermute, du wirst die Zeit mit deinem Bruder verbringen wollen. Dann geh nur, wenn du möchtest.«

Romilly lächelte ihren Bruder an. »Ich würde dir gern meinen neuen Verrin-Falken zeigen.«

»Romilly hat ihn selbst abgetragen«, platzte Rael heraus, doch der MacAran runzelte die Stirn. »Als Davin krank war, blieb sie die ganze Nacht bei dem Falken, bis er kröpfte, und der Falkenmeister sagt, Vater selbst hätte es nicht besser machen können.«

»Aye«, brummte der MacAran, »deine Schwester hat getan, was du nicht tun würdest, Junge. Du solltest bei ihr Unterricht in Geschicklichkeit und Mut nehmen! Ich wünschte, sie wäre der Junge und du das Mädchen. Dann könntest du Röcke um die Knie tragen und den Tag mit Kritzeln und Sticken im Haus verbringen.«

Darren errötete bis an die Haarwurzeln. »Verspotte mich nicht vor meinem Freund, Vater. Ich werde tun, was ich kann, das gelobe ich dir. Aber ich bin, wie die Götter mich gemacht haben, und kein anderer. Ein Rabbithorn kann kein Streitroß sein und würde nur verlacht werden, wenn es das versuchte.«

»Lernt ihr so etwas bei den verdammten Mönchen?«

»Sie lehrten mich, daß ich bin, was ich bin«, erwiderte Darren. Romilly sah Tränen in seinen Augen glitzern. »Und doch bin ich auf dein Geheiß hier, Vater, um mein armseliges Bestes für dich zu tun.« So deutlich, als sei der verbotene Name ausgesprochen worden, hörte Romilly: Es ist nicht mein Fehler, daß ich nicht Ruyven bin. Auch bin ich nicht daran schuld, daß er von hier fortging.

Der MacAran schob sein kantiges Kinn vor, und Romilly erkannte, daß auch er diese Worte gehört hatte. Er knurrte: »Geh mit deinem Bruder ins Falkenhaus, Romy, und zeig ihm deinen Falken. Vielleicht beschämt es ihn so, daß er sich Mühe gibt, ebensoviel zu leisten wie ein Mädchen.«

Darren öffnete den Mund zum Sprechen. Aber Romilly knuffte ihm in die Rippen. Gehen wir, solange wir es noch können, bevor er Schlimmeres sagt, hieß das. Mit erstickter Stimme stieß Darren hervor: »Komm mit, Alderic, wenn Falken dich nicht langweilen.« Alderic murmelte eine höfliche Unverbindlichkeit, verbeugte sich vor dem MacAran und Lady Luciella und stieg mit Romilly und Darren die Treppe hinab.

Seit ein paar Tagen hatte Preciosas Block Platz zwischen den bereits abgetragenen Falken gefunden. Mit ruhigen Bewegungen streifte Romilly den Handschuh über und nahm den Vogel auf. Dann kehrte sie zu den beiden jungen Männern zurück.

»Das ist Preciosa«, stellte sie stolz vor und fragte Darren: »Würdest du sie einen Augenblick halten, während ich Federspiel und Leinen hole? Sie muß lernen, Hand und Stimme eines anderen zu ertragen.«

Sie ging auf ihn zu, und Darren zuckte erschrocken zurück. Romilly spürte, wie seine Furcht in dem Vogelgehirn widerhallte. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit Preciosa zu und streichelte sie beschwichtigend mit der Spinnfeder. Ohne Vorwurf, aber so konzentriert auf ihr Tun, daß ihr nicht klar war, wie ihre Worte aufgefaßt werden konnten, sagte sie: »Bewege dich in der Nähe eines Falken nie so schnell – das solltest du wissen! Du erschrickst sie; man könnte glauben, du hättest Angst vor ihr!«

»Es ist nur«, ich bin nicht daran gewöhnt, so dicht bei etwas so Großem und Wildem zu sein.« Darren biß sich auf die Lippe. »Wild? Preciosa? Sie ist doch zutraulich wie ein Hündchen«, meinte Romilly ungläubig. Sie winkte dem Jungen des Falkenmeisters. »Bring mir die Federspiele, Ker«, und als er sie brachte, prüfte sie die Atzung, runzelte die Stirn und rümpfte die Nase.

»Das da gibst du den anderen Falken? Hältst du sie für Aasfresser? Ein Hund würde sich davon angeekelt abwenden! Ich habe angeordnet, daß Preciosa frisch getötetes Fleisch haben soll, Mäuse, wenn nichts Besseres in der Küche zu finden ist, bloß kein so altes und stinkendes Zeug wie das hier.«

»Es ist das, was Davin für die Vögel beiseite gelegt hat, Mistress Romilly.«

Schon wollte Romilly ihn schelten, wie er es verdiente. Doch bevor ein Wort über ihre Lippen kam, schlug der Falke auf ihrem Handgelenk wütend mit den Flügeln. Ihr eigener Zorn hatte sich auf Preciosa übertragen. Romilly holte tief Atem und sagte gleichmütig: »Ich werde mit Davin darüber reden. Diesen Abfall würde ich keinem anständigen Falken zumuten. Hol mir jetzt frisches Fleisch. Wenn du keine Taube bekommst, stöberst du mit einem der Hunde Mäuse oder eine Ratte auf – und zwar sofort.«

Darren hatte sich vor dem wilden Klatschen der Flügel zurückgezogen. Als Ker loslief, um den Befehl auszuführen, bemerkte er: »Ich sehe, daß die Arbeit mit dem Falken dir wenigstens die Beherrschung deines Temperaments und deiner Zunge beschert hat, Romy. Es hat dir gutgetan!«

»Ich wünschte, Vater würde dem zustimmen.« Romilly streichelte Preciosa immer noch mit der Feder und versuchte, sie zu beruhigen. »Vögel sind wie Babys. Sie nehmen die Emotionen derer auf, die sie pflegen. Mehr als das ist es nicht, glaube ich. Erinnerst du dich noch an die Kinderfrau, die Luciella hatte, als Rael ein Baby war? An ihren Namen kann ich mich gerade eben nicht erinnern – Marja, Moyra, etwas in der Art. Luciella mußte sie wegschicken, weil der ältere Sohn der Frau ertrank und sie weinte, wenn sie Rael sah, und er bekam davon Koliken. Dann kam Gwennis zu uns –«

»Nein, es ist mehr als das«, fiel Alderic ein. Sie traten aus der Dunkelheit des Falkenhauses in den gepflasterten Hof. »Es gibt ein wohlbekanntes Laran, und wie mir gesagt wurde, trat es zuerst bei den Dellerays und den MacArans auf: Die Empathie mit Falke und Pferd und Kundschaftervogel... Dafür bildeten sie es aus, für die Kriege zur Zeit von König Felix. Bei den Dellerays band es sich an lethale Gene und verschwand. Aber die MacArans besitzen die Gabe seit Generationen.«

Darren meinte mit verlegenem Lächeln:»Ich bitte dich, mein Freund, sprich nicht so frei über Laran, wenn mein Vater es hören kann.«

»Wieso? Ist er einer, der von Süßnußblüten spricht, weil ihm Schneeflocken zu kalt sind?« fragte Alderic grinsend.

»Mein ganzes Leben lang habe ich gehört, daß die Pferde, die der MacAran trainiert hat, die besten auf der Welt sind, und Dom Mikhail ist einer der bemerkenswertesten MacAran-Lords. Er muß doch Bescheid wissen über die Gaben und das Laran seines Hauses.«

»Trotzdem will er das Wort nicht hören«, erklärte Darren. »Nicht, seit Ruyven in den Turm floh. Und ich mache ihm das nicht zum Vorwurf, obwohl manche vielleicht munkeln, ich sei der Gewinner bei dem, was Ruyven getan hat... Romilly, jetzt, wo Vater nicht dabei ist, will ich dir etwas erzählen, und du kannst es heimlich an Mallina weitergeben. Rael halte ich für noch zu jung, um es für sich zu behalten, doch entscheide darüber selbst. Im Kloster bekam ich einen Brief von Ruyven. Es geht ihm gut, er liebt seine Arbeit und ist glücklich. Euch allen sendet er seine Liebe und einen Kuß, und er bittet mich, mit Vater wieder von ihm zu sprechen, wenn ich meine, der richtige Zeitpunkt sei gekommen.«

»Das wird sein, wenn Äpfel und Schwarzfrüchte auf den Eisklippen von Nevarsin wachsen«, entgegnete Romilly. »Du warst hier, du weißt, was er empfindet.«

Darren schüttelte den Kopf. »Ah, nein, Schwester. Ich bin kein so guter Telepath wie du, obwohl ich weiß, daß er zornig war.« Romilly wandte sich ihm mit ungläubigem Blinzeln zu. »Kannst du nur hören, was laut ausgesprochen wird?« fragte sie. »Bist du kopfblind wie der unvernünftige Esel, den du reitest?«

Langsam kroch das Rot der Scham über Darrens Gesicht. Er senkte den Blick. »Genau so ist es, Schwester.« Romilly schloß die Augen, als wolle sie irgendeine schwere Verunstaltung nicht sehen. Das hatte sie nicht gewußt, nicht einmal geahnt. Sie hatte es immer für selbstverständlich gehalten, daß alle ihre Geschwister die Gabe teilten.

Davin kam durch den Hof auf sie zu, und Romilly sprach ihn erleichtert an. »Warst du das, alter Freund, der Befehl gegeben hat, die Falken mit Küchenabfällen zu füttern, die nicht einmal frisch sind?« Sie zeigte auf den Topf mit dem verschmähten Futter. Davin hob ihn hoch, roch angewidert daran und stellte ihn beiseite.

»Dieser Faulpelz von einem Jungen hat das gebracht? Aus dem wird nie ein Falkner! Ich schickte ihn um frischeres Fleisch nach der Küche, aber Lady Luciella sagte, es dürften keine Tauben mehr für die Falken getötet werden. Zweifellos war Ker zu faul, Mäuse zu fangen. Aber ich werde etwas Besseres besorgen, damit Ihr Euren Falken üben könnt, Mistress Romilly.«

Alderic fragte: »Darf ich Preciosa berühren?« Dann nahm er die Spinnfeder aus Romillys Hand und strich damit über das glatte Gefieder. »Sie ist wirklich wunderschön. Verrin-Falken zu halten, ist nicht einfach, obwohl ich es versucht habe. Erfolg hatte ich nur, wenn sie im Falkenhaus geschlüpft waren. Und das ist ein Wildfang? Wer hat sie abgetragen?«

»Ich – und ich arbeite immer noch mit ihr; sie ist bisher noch nicht frei geflogen.« Romilly lächelte scheu, als er sie bewundernd ansah.

»Ihr habt sie abgerichtet? Ein Mädchen? Aber warum nicht, Ihr seid eine MacAran. In dem Turm, wo ich eine Zeitlang lebte, zähmten einige der Frauen Verrin-Falken, die Wildfänge waren, und jagten mit ihnen. Man sagt dort zu jemandem, der bemerkenswerten Erfolg mit einem Falken hat: Du hast eine Hand für Vögel wie ein MacAran...«

»Dann sind also MacArans in den Türmen?« fragte Romilly. »Ich wußte nicht, daß irgendwelche MacArans hinter ihren Mauern leben, bevor mein Bruder dorthin ging.«

Alderic antwortete: »Die Redensart war schon zur Zeit meines Vaters und seines Vaters bekannt – die Gabe eines MacAran.« Er benutzte das in den Kilghardbergen nicht gebräuchliche Wort Laran anstelle des alten Casta-Ausdrucks Donas. »Eurem Vater ist es nicht recht, daß einer seiner Söhne im Turm ist? Die meisten Leute aus den Bergen wären stolz darauf.«

Darrens Lächeln war bitter. »Ich habe kein Talent, mit Tieren zu arbeiten – und wenig Talent für sonst etwas, das Lernen ausgenommen. Doch solange Ruyven meines Vaters Erbe war, machte es nichts. Ich war für das Kloster bestimmt, und ich war glücklich bei der Bruderschaft. Jetzt wird er versuchen, diesen krummen Nagel an den Platz zu hämmern, der für meinen Bruder bestimmt war.«

»Hast du nicht noch einen zweiten Bruder?« erkundigte sich Alderic. »Ist der Kleine, der dich begrüßte, nedestro oder schwachsinnig, daß dein Vater den einen Sohn nicht Sankt Valentin im Schnee geben und Rafael – Rael, oder wie ihr ihn nennt, zum Herrn von Falkenhof erziehen kann? Oder, wenn man sieht, was Mistress Romilly fertigbringt...« Aus seinem Lächeln sprach Anerkennung, und Romilly errötete. Darren erwiderte heftig: »Du kennst meinen Vater nicht –« und brach ab. Romilly war in Gedanken versunken. Also hielt Alderic es für vorstellbar, daß sie Ruyvens Stelle auf Falkenhof einnehmen könnte?

»Ich bringe frisches Fleisch für Euren Falken, Mistress Romilly.« Davin war in den Stallhof zurückgekehrt. »Eine der Köchinnen hatte gerade ein Huhn geschlachtet, um es zum Dinner zu braten. Sie überließ mir die Innereien für Euren Vogel. Ich habe angeordnet, daß der frischste Abfall des Tages jeden Morgen für Euch bereitgelegt wird. Das Zeug, das Ker geholt hat, war von gestern. Eine der Köchinnen hatte es für die Hunde aufgehoben, und Ker war zu sehr damit beschäftigt, den Mädchen in der Küche schöne Augen zu machen, als daß er um frisches Fleisch gefragt hätte. Der wird nie ein Falkner! Ich schwöre, ich würde ihn für einen sekal hinauswerfen und anfangen, den kleinen Master Rael zu unterrichten!«

Romilly lachte. »Dazu hätte Luciella bestimmt eine ganze Menge zu sagen. Beschäftige Ker damit, die Schweine zu füttern oder die Hundezwinger in Ordnung zu halten. Es muß doch jemand auf dem Gut aufzutreiben sein, der ein bißchen Sinn für Falken hat!«

Darren grinste freudlos. »Versuche es mit Neldas Sohn Garris. Er ist ein Mittsommerfest-Kind, und es gehen Gerüchte um, wer sein Vater sei. Wenn er sich als geschickt mit Tieren erweist, wird ihn das vor die Augen meines Vaters bringen, was zu tun Nelda zu stolz war. Einmal schlug ich vor, er solle mit Rael zusammen unterrichtet werden, und unsere große Lady und Herrin Luciella fiel in Krämpfe, gerade als hätte ich den Schweinejungen zum Dinner an die Hohe Tafel mitbringen wollen.«

»Du solltest wissen, daß Luciella nur hört, was sie zu hören wünscht«, sagte Romilly. »Vielleicht glaubt sie, daß Bastardschaft wie Flöhe ist und sich überträgt...« Behindert durch Preciosas Gewicht auf ihrem Handgelenk, tastete sie nach Federspiel und Leinen. »Verdammt noch mal! Darren, kannst du sie nicht für einen Augenblick halten? Wenn nicht, dann binde um der Barmherzigkeit willen wenigstens das Fleisch an das Federspiel – sie riecht es und kann jeden Moment wild werden!«

»Ich werde sie nehmen, wenn Ihr mir Euren Falken anvertrauen wollt.« Alderic streckte den Arm aus. »So, willst du zu mir kommen, Hübsche?« Vorsichtig hob er den nervösen Falken von Romillys Handgelenk auf sein eigenes. »Wie nennt Ihr sie – Preciosa? Das ist sie auch, nicht wahr, du Kostbarkeit?«

Romilly beobachtete eifersüchtig, wie sich der behaubte Falke auf Alderics Handgelenk zurechtrückte. Aber Preciosa schien zufrieden zu sein. Romilly wand die Leine um das Fleisch, damit Preciosa es nicht zu schnell schnappen konnte, sondern es zu Boden bringen mußte, wie ein guter Jagdfalke es macht. Schlecht geschulte Falken neigen dazu, mitten in der Luft Atzung von einem Federspiel zu reißen, was sie nichts über die Regeln der Jagd lehrte. Sie mußten lernen, die Beute hinunter zu ihrem Herrn zu bringen und zu warten, bis ihnen das Fleisch von der Hand gegeben wurde.

»Gib mir Leine und Federspiel«, sagte Darren. »Auch wenn ich zu sonst nichts nütze bin, kann ich doch das Federspiel werfen.«

Romilly reichte es ihm erleichtert. »Danke – du bist größer als ich, du kannst es höher hinaufschwingen.« Damit nahm sie Preciosa wieder auf ihr Handgelenk. Einhändig streifte sie dem Falken die Haube ab und hob den Arm, um ihn fliegen zu lassen. Mit nachschleppender Leine stieg der Falke immer höher. Am Ende der Leine angekommen, wandte er den Kopf und entdeckte das fliegende, pfeifende Federspiel. Er legte die Flügel an, stürzte nieder, faßte das Federspiel mit Schnabel und Krallen und warf es augenblicklich Romilly vor die Füße. Romilly ließ den scharfen Pfeifton hören, den der Falke mit Atzung in Verbindung bringen sollte, nahm Preciosa wieder auf ihr Handgelenk und riß das Fleisch von dem Federspiel.

Preciosa stieß so hastig auf die Atzung nieder, daß sie seitwärts auf Romillys Arm hüpfte. Ihre Krallen drangen schmerzhaft in den leichtbekleideten Unterarm des Mädchens oberhalb des Handschuhs. Blut schoß hervor und befleckte ihr Kleid. Romilly biß die Zähne zusammen und gab keinen Laut von sich. Aber als sich das rote Blut auf dem blauen Stoff ausbreitete, schrie Darren auf:

»O Schwester!«

Preciosa erschrak, verlor das Gleichgewicht und fiel. Sie flatterte unbeholfen, und ihre Flügel schlugen Darren ins Gesicht. Romilly faßte nach ihr, doch Darren schrie entsetzt auf. Er riß die Hände hoch, um Schnabel und Krallen abzuwehren, die seinem Gesicht gefährlich nahe waren. Preciosa schwankte von neuem. Sie flog hoch, soweit die Leine es ihr erlaubte, und stieß einen schrillen Wutschrei aus.

Romilly zischte durch die Zähne: »Verdammt, Darren, sie hätte sich eine Schwingpenne brechen können! Weißt du nicht, daß du in der Nähe eines Falken keine hastige Bewegung machen darfst? Geh weg, bevor du sie noch mehr ängstigst!« Darren stammelte: »Du... du... blutest...«

»Na und?« fragte Romilly barsch, schob ihn grob zurück und pfiff Preciosa leise und schmeichelnd zu. »Da würde ich ja besser Rael ins Falkenhaus mitnehmen, du Idiot! Verschwinde hier!«

»Und so etwas habe ich zum Sohn und Erben«, sagte der MacAran verbittert. Er stand in der Tür des Falkenhauses und hatte die drei jungen Leute ungesehen beobachtet. Trotz seines Zorns war seine Stimme leise – nie hätte er in Gegenwart eines verängstigten Vogels die Stimme erhoben. Schweigend, mit zusammengezogenen Brauen sah er zu, wie Romilly den Falken wieder auf ihr Handgelenk lockte und die Leinen entwirrte. »Schämst du dich nicht, Darren, unnütz herumzustehen, während ein kleines Mädchen etwas tut, das jeder Sohn von mir aus purem Instinkt vollbringen müßte? Hätte ich deine Mutter nicht so gut gekannt, würde ich schwören, du seist von einem zufällig des Weges gekommenen Landstreicher gezeugt... Lastenträger, warum hast du mir einen Sohn aufgebürdet, der so ungeeignet für seine Stellung ist?« Er packte Darren beim Arm und schleuderte ihn ins Falkenhaus. Romilly hörte Darren aufschreien und biß sich auf die Lippe, als sei der Schlag auf ihren eigenen Schultern gelandet.

»Und jetzt mach, daß du nach draußen kommst, und versuche, dich dieses eine Mal wie ein Mann zu benehmen! Nimm diesen Falken – nein, nicht so, verdammt sollst du sein! Hände hast du wie große Schinken, trotz all deines Schreibens und Kritzelns! Trag den Falken nach draußen und laß ihn nach einem Federspiel fliegen, und wenn ich sehe, daß du so wie eben vor ihm zurückweichst, schwöre ich, daß du Schläge bekommst und mit Brot und Wasser zu Bett geschickt wirst, als seist du in Raels Alter!«

Alderics Gesicht war totenbleich, und er hatte die Zähne zusammengebissen. Aber er hielt den Blick auf seinen Handrücken gerichtet und schwieg. Romilly zwang sich zur Ruhe – es hatte keinen Sinn, Preciosa noch einmal aufzuregen – und band von neuem Atzung auf das Federspiel. Wortlos faßte Alderic nach der Leine. Er begann, sie zu schwingen, und Romilly beobachtete, wie Preciosa abhob. Beide versuchten sie, Darren zu ignorieren, der auf der anderen Seite des Stallhofs mit rotem, verschwollenem Gesicht ungeschickt versuchte, einem fremden Falken die Haube abzunehmen. Mehr konnten sie im Augenblick nicht für Darren tun.

Romilly dachte: Wenigstens gibt er sich Mühe. Vielleicht ist das tapferer als das, was ich getan habe, als ich Vaters Befehl mißachtete. Ich habe die Gabe, ich tat nur, was natürlich für mich ist. Darren aber kämpft gegen alles, was für ihn natürlich ist, indem er gehorcht... Die Kehle wurde ihr eng, als müsse sie weinen, doch sie schluckte die Tränen hinunter. Es würde Darren nicht helfen. Nichts konnte ihm helfen, außer er besiegte seine eigene Nervosität. Und irgendwo in ihrem Inneren konnte sie nicht umhin, eine winzige Spur von Verachtung zu fühlen... wie war es möglich, daß er hei etwas versagte, das so leicht und einfach war?

Herrin der Falken

Подняться наверх