Читать книгу Die zerbrochene Kette - Marion Zimmer Bradley - Страница 8
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ОглавлениеBis ans Ende ihres Lebens vergaß Lady Rohana Ardais diese wahnsinnige Flucht aus Shainsa nicht. Die ganze Zeit horchten sie, ob hinter ihnen irgendein leises Geräusch verriet, dass Jalak – oder seine Leiche – gefunden worden war und die Jagd auf sie begonnen hatte.
In der ersten Stunde war es sehr dunkel, und Rohana folgte blindlings den donnernden Hufen und den undeutlichen Schatten vor sich. Dann erschien Kyrrdis als leuchtender Halbkreis über dem Horizont. Er war so hell, dass Rohana erkannte, er war der Sonne nicht mehr als eine oder zwei Stunden voraus. In seinem blaugrünen Licht erkannte sie die anderen Pferde und Reiterinnen.
Jetzt mäßigten sie ihre Geschwindigkeit. Nicht einmal die schnellen Pferde aus den Ebenen von Valeron konnten den anfänglichen Galopp länger beibehalten. Rohana wunderte sich darüber, dass Leeanne den Weg im Dunkeln gefunden hatte; offenbar war der Ruf der Amazone als Pfadfinderin wohlverdient. Sie sah Jaelle, die sich schläfrig an Camillas Rücken lehnte. Was mochte sich das Kind bei alldem denken?
In der Stunde vor der Morgendämmerung hielten sie an, um die Pferde wieder zu Atem kommen zu lassen. Leeanne stieg auf einen nahe gelegenen Hügel und hielt Ausschau nach Anzeichen für eine Verfolgung. Rima kam, drückte Rohana Brot und Trockenfleisch in die Hand und goss Wein in den Becher an ihrem Sattelknopf.
»Esst und trinkt, solange Ihr es noch könnt, Lady. Sollten wir verfolgt werden, bleibt uns keine Zeit zum Frühstücken. Es gibt ein paar Verstecke zwischen hier und Carthon, und Kindra kennt sie alle, aber unsere Sicherheit liegt hauptsächlich in einem guten Vorsprung. Deshalb esst jetzt.«
Rohana kaute gehorsam einen Bissen, obwohl ihr Mund trocken war und das Zeug wie Pergament schmeckte.
Dann führte Rohana ihr Pferd langsam ein paar Schritte, bis seine keuchenden Atemzüge sich normalisierten. Geistesabwesend rieb sie ihm den Kopf und lehnte sich an den warmen, schwitzenden Körper. Nicht zum ersten Mal seit Beginn dieser langen Reise dachte sie, welch ein Glück es sei, dass sie bei der Falkenjagd in ihrer fernen Bergheimat lange Ritte unternommen hatte und deshalb abgehärtet war. Wenn ich zu den Frauen gehörte, die kaum mehr tun, als über ihren Strickrahmen zu sitzen, hätte ich mich so wund geritten, dass ich halbtot wäre. Der Gedanke brachte sie wieder auf Melora (wie müde sie sein muss!), und sie bahnte sich einen Weg durch die Amazonen, die abgestiegen waren, sich ausruhten, aßen und leise Unterhaltungen führten. Jaelle war aus dem Sattel gehoben worden und schlief fest, eingewickelt in irgendjemandes Mantel und zugedeckt mit einem anderen. Wenigstens sorgen sie gut für sie. Ich nehme nicht an, dass eine von ihnen viel über Kinder weiß.
Rohana hielt Ausschau nach Melora und sah, dass Kindra ihr eben aus dem Sattel half. Bevor sie bei ihnen angekommen war, fing Nira sie ab, der der provisorische Verband locker um den Oberschenkel hing. »Könnt Ihr diese Wunde bei Mondschein verbinden, vai domna? Sie behindert mich beim Reiten mehr, als ich dachte, sonst würde ich auf Tageslicht warten.«
Einen Augenblick lang empfand Rohana Ungeduld. Dann erinnerte sie sich daran, dass Nira die Wunde im Einsatz für sie erhalten hatte, und schämte sich. »Ich will es versuchen. Kommt hierher, heraus aus den Schatten, wo das Licht am hellsten ist.« Sie suchte in ihrer Satteltasche nach den paar weiblichen Kleidungsstücken, die sie mitgenommen hatte, fand ein noch nicht getragenes Hemd und riss es in Streifen. Wie alles andere knirschte es von dem Sand der Trockenstädte, war jedoch sauber.
Sie musste den alten Verband und dann das Hosenbein mit einem Messer aufschneiden, weil beides mit verklumptem Blut an der Wunde klebte. Nira fluchte halblaut, zuckte jedoch nicht zusammen, als Rohana die hässliche Schnittwunde mit saurem Wein auswusch – wenigstens ist das Zeug zu irgendetwas gut, dachte sie –, ein zusammengelegtes Stück Stoff dagegendrückte und sie fest verband. »Das müsste genäht werden, aber das traue ich mich bei Mondschein nicht. Wenn die Wunde von neuem zu bluten beginnt, werde ich tun, was ich kann, sobald es hell wird.«
Nira dankte ihr. »Wenn dieser Schurke Jalak bloß seine Waffen nicht vergiftet – man hört solche Dinge von den Trockenstädtern …«
»Das tut er nicht«, sagte Melora neben ihnen leise, und Rohana, die gerade die Überreste des zerrissenen Hemds faltete, blickte auf und sah ihre Cousine dort stehen. Sogar bei Mondschein war zu erkennen, dass ihr Gesicht gedunsen und ungesund wirkte. »Jalak hält das für den Brauch von Feiglingen; es würde bedeuten, dass seine Streiche nicht die Kraft haben zu töten, und damit verlöre er kihar – Prestige, würdet ihr sagen. Wenn er sich herabließe, eine Klinge zu vergiften, stände er vor Männern seines eigenen Ranges beschämt da.«
Nira stand mühsam auf und schnitt eine Grimasse, als sie das verwundete Bein belastete. Sie zog den Stiefel an, der voller Sand war. »Das ist ein tröstlicher Gedanke, Lady«, meinte sie trocken. »Ich wüsste allerdings gern, ob es eine Tatsache oder nur ein Gefühl ist, das sich für eine liebende Ehefrau ziemt.«
»Es ist die Wahrheit, bei der Ehre meines Hauses«, erklärte Melora ruhig, wenn auch mit zitternder Stimme, »und nur meine eigenen Götter wissen, wie wenig liebende Ehefrau ich Jalak war. Ich war nichts anderes als eine Schachfigur für seinen schmutzigen Stolz.«
»Ich wollte Euch nicht beleidigen«, erwiderte Nira, »aber ich entschuldige mich auch nicht, Lady. Ihr habt volle dreizehn Jahre in seinem Haus gelebt, und Ihr seid nicht gestorben. Ich wäre nicht zur Schande meiner Verwandten am Leben geblieben, obwohl mein Vater kein großer Comyn-Lord, sondern nur ein Kleinbauer in den Kilghardbergen ist.«
»Ihr habt Blut in meinem Dienst vergossen, mestra. Fühlte ich mich von Euch beleidigt, wäre mein Stolz ebenso groß und so schlecht wie der Jalaks. Und was mein eigenes Leben betrifft – könnt Ihr in der Dunkelheit sehen?« Sie streckte die Arme aus, fasste Niras Hände und leitete sie. Auch Rohana sah und fühlte die rauen Schwielen von den metallenen Armbändern an der Kette, und über ihnen saß an beiden dunkel gebräunten Handgelenken eine lange, gezackte, wulstige Narbe. »Ich werde diese Narben bis zu meinem Tod tragen«, sagte Melora. »Ich wurde bei Tag und auch bei Nacht angekettet – so fest, dass ich nicht einmal allein essen konnte und von den Frauen gefüttert und ins Bad und zur Latrine getragen werden musste.« Ihre Stimme bebte vor Zorn über die erlittenen Demütigungen. »Als die Wunden geheilt waren, bewegte sich das Kind in mir schon, und ich wollte das Ungeborene nicht gleichzeitig mit mir töten.« Sie sah zu ihrer schlafenden Tochter hin. »Wie ist es euch gelungen, sie herauszuholen? Jalak hatte sie in die Obhut seiner grimmigsten Wächterin gegeben …«
Leeanne war rechtzeitig von der Hügelkuppe zurückgekehrt, um das zu hören. Sie berichtete: »Bisher gibt es kein Anzeichen für eine Verfolgung. Nicht einmal eine Sandratte scheint sich zwischen hier und Shainsa zu bewegen. Was die Kinderfrau Eurer Tochter angeht, Lady, so wird sie aus ihrem Schlaf nicht wieder erwachen. Ich liebe es nicht, Frauen zu töten, aber sie griff mich mit einem Dolch an. Es tat mir Leid, sie vor den Augen des Kindes niederstechen zu müssen, doch ich hatte keine andere Wahl.«
»Ich werde nicht um sie weinen.« Melora verzog das Gesicht. »Tatsächlich glaube ich, dass sogar in Jalaks Haus wenig um sie geweint werden wird. Sie war meine oberste Gefängniswärterin, bevor Jaelle geboren wurde, und ich hasste sie mehr als Jalak selbst. Er war grausam, weil es seine Art und er so erzogen worden war; sie dagegen war grausam, weil sie Freude am Schmerz anderer hatte.« Sie wandte sich Rohana zu; erst jetzt fanden sie Zeit für eine schnelle, verlegene Umarmung. »Breda … ich bin mir immer noch nicht sicher, ob es kein Traum ist, dass ich nicht in Jalaks Bett erwachen werde.«
Die körperliche Berührung von Meloras angeschwollenen Händen und ihrem tränennassen Gesicht stellte den Rapport wieder her. Meloras Geist lag offen vor Rohana, und mehr: quälendes Unbehagen, Schmerz. Angstvoll fragte sich Rohana: Kann sie reiten? Wird sie hier in der Wüste Wehen bekommen, weit entfernt von jeder Hilfe, wird sie uns aufhalten …?
Sanft löste Melora die Hände ihrer Verwandten, und der Kontakt schwächte sich ab. »Man merkt gleich, dass du wenig über die Trockenstädte weißt. Mögest du niemals Gelegenheit haben, mehr zu erfahren! Von mir wäre verlangt worden zu reiten, auch wenn ich meiner Zeit noch näher wäre. Mach dir keine Gedanken über mich, breda.« Ihre Stimme brach in Schluchzen. »Oh, es tut so gut, mit dir in unserer eigenen Sprache zu reden …«
Rohana machte sich verzweifelte Sorgen um sie. Sie verstand nicht viel von Geburtshilfe, doch als Herrin von Ardais war sie bei vielen Geburten zugegen gewesen und wusste, Melora brauchte Ruhe und Pflege. Dabei stiegen die Amazonen auf Kindras Zeichen hin bereits wieder auf, und es blieb ihnen ja auch wohl nichts anderes übrig.
Kindra kam und sah sich kurz Niras bandagierte Wunde an.
»Bisher gibt es kein Zeichen von einer Verfolgung, aber bei Tagesanbruch wird man Jalak bestimmt finden – oder seine Leiche. Und ich bin gar nicht wild darauf, gegen Jalaks Männer zu kämpfen oder mein Leben angekettet in einem Bordell von Shainsa zu beenden.«
Meloras Lächeln war sogar in dem schwachen Licht zu erkennen. »Es kann durchaus sein, dass wir überhaupt nicht verfolgt werden. Höchstwahrscheinlich haben Jalaks Erben ihn tot aufgefunden und streiten bereits über sein Eigentum und seine Frauen und die Herrschaft über das Große Haus. Sie hätten nicht das geringste Interesse daran, einen Sohn von ihm zurückzuholen, der einen legitimen Anspruch erheben könnte!«
»Aldones gebe es«, erwiderte Kindra. »Immerhin könnte ein Verwandter Jalaks kihar suchen, indem er ihn rächt – oder irgendein Rivale mag dafür sorgen wollen, dass kein Sohn, der einen legitimen Anspruch stellen könnte, ihn überlebt.«
Melora drückte krampfhaft Rohanas Hände, doch ihre Stimme klang ruhig. »Ich kann so weit reiten, wie ich muss.« Ihr Blick wanderte zu ihrer schlafenden Tochter. »Darf ich sie zu mir aufs Pferd nehmen?«
»Lady, Ihr seid schwer; Euer Pferd sollte keine zweite Person tragen«, meinte Kindra. »Diejenigen von uns, die am leichtesten reiten, werden sie abwechselnd zu sich nehmen, damit sie ein bisschen länger schlafen kann. Hat sie das Reiten gelernt? Wir haben ein übriges Pferd für sie, wenn sie fähig ist, sich allein im Sattel zu halten.«
»Sie konnte fast ebenso früh reiten wie laufen, mestra.«
»Dann wird sie ein eigenes Pferd bekommen, sobald sie aufwacht; lassen wir sie vorerst noch schlafen.« Damit hob Kindra die ruhig weiterschlafende Jaelle in ihren eigenen Sattel und stieg auf, während Rohana ihrer Cousine half. Melora war schrecklich unbeholfen und schwankte im Sattel, aber Rohana sagte nichts. Es gab nichts zu sagen; Kindra hatte recht, und das wussten sie beide. Mit ihren eigenen Zügeln ergriff Rohana auch die von Meloras Pferd, um es durch die Wüste zu fuhren.
Melora sah verlangend der aufgehenden Sonne entgegen. »Zu dieser Stunde sehne ich mich immer nach – oh, ich weiß nicht – nach Schnee oder Regen, nach irgendetwas anderem als dem ewigen Sand und dem heißen, trockenen Wind.«
Rohana sagte leise: »Wenn die Götter wollen, breda, wirst du innerhalb von zehn Tagen wieder in unsern Bergen sein und den Schnee bei jedem Sonnenaufgang sehen.«
Melora lächelte, doch sie schüttelte den Kopf. »Ich kann mein Pferd jetzt selbst lenken, wenn du das für besser hältst.«
»Lass es mich lieber führen, wenigstens noch für eine Weile«, antwortete Rohana. Melora nickte, lehnte sich im Sattel zurück und ertrug die Bewegung des Tieres, so gut es gehen wollte.
Die Sonne ging auf, und während Meile auf Meile unter den Hufen der Pferde verschwand, sah Rohana, dass der Charakter der Landschaft sich veränderte. Die flache, unfruchtbare Sandwüste war niedrigen, welligen Hügeln gewichen, die sich erstreckten, so weit das Auge reichte, und der Boden war mit verkrüppelten Dornbäumen und grauen, federigen Gewürzbüschen bedeckt. Anfangs war der Geruch angenehm; nach ein paar Stunden meinte Rohana jedoch, sollte sie jemals wieder beim Mittwinterfest Gewürzbrot essen, müsse sie daran ersticken. Ihre Kehle war trocken; beinahe bedauerte sie, den sauren Wein nicht getrunken zu haben. Jede Stunde saß Melora unsicherer im Sattel, aber sie beklagte sich nicht mit einem einzigen Wort. Tatsächlich sprach sie überhaupt nicht. Sie ritt mit gesenktem Kopf, das Gesicht steingrau vor Anstrengung.
Die Sonne stieg höher, das Licht wurde greller, und die Hitze nahm zu. Einige der Amazonen zogen Hemd oder Jacke höher und bedeckten ihre Köpfe damit. Rohana tat es ihnen nach, denn die Hitze war der gleißenden Helligkeit vorzuziehen. Immer wieder fragte sie sich, wie lange Melora noch werde reiten können – und sie selbst war so müde und wund, dass sie Gefahr lief, aus dem Sattel zu fallen. Da wandte sich Leeanne, die vorausritt, zurück, hob die Hand und rief Kindra. Die Anführerin rückte schnell zu ihr auf, während die anderen Frauen nach und nach anhielten.
Nach kurzer Zeit kam Kindra zurückgeritten. An der nächsten Schlucht gibt es ein Wasserloch und Felsen zum Schutz vor der Sonne. Dort können wir die größte Hitze abwarten.« Die Frauen folgten ihr den Pfad entlang, den Leeanne ihr gezeigt hatte. Kindra ließ sich zurückfallen, bis sie neben Rohana und Melora angelangt war.
»Wie steht es mit Euch, Lady?«
Meloras Versuch zu lächeln zog nur ihren Mund ein bisschen in die Breite. »Mir geht es so gut, wie ich hoffen kann, mestra. Aber ich leugne nicht, dass ich froh sein werde, wenn ich mich eine Weile ausruhen kann.«
»So geht es uns allen. Ich wünschte, ich könnte Euch dies ersparen. Aber …« Melora wehrte ihre Entschuldigungen mit einer Geste ab. »Ich weiß ganz genau, dass Ihr und Eure Frauen das Leben für mich riskiert habt, und mehr. Die Götter verhüten, dass ich mich über etwas beschwere, das Ihr für Eure und meine Sicherheit tun müsst.«
Es lag etwas in diesen Worten, das Rohana den Atem stocken ließ. Einen Augenblick lang hatte sich Melora wie ihr altes Selbst angehört: anmutig, sanft, mit der gewinnenden Höflichkeit, die sie Hoch und Niedrig gleichermaßen erwiesen hatte. So hat sie gesprochen, als wir in Dalereuth Mädchen waren. Gnädige Evanda, besteht wirklich Hoffnung, dass sie eines Tages wieder sie selbst sein und ihr Leben glücklich und frei zu Ende führen wird?
Das Wasserloch war eine trüb schimmernde Fläche von weniger als zwanzig Fuß Durchmesser. Es sah ungesund aus, aber Kindra behauptete, das Wasser sei gut. Dahinter erhob sich eine Gruppe von schwärzlich roten, abweisenden Felsen, die purpurne Schatten auf den Sand warfen und die allgegenwärtigen Gewürzbüsche zu lavendelfarbenen Flecken auf dem trockenen Boden machten. Rohana musste bei diesem Anblick mehr an Schlangen und Skorpione als an einen kühlen, einladenden Ruheplatz denken, aber dem sengenden Glast der Trockenlandsonne zur Mittagszeit war dieser Ort vorzuziehen.
Rohana half Melora beim Absteigen und stützte sie bei ihren unsicheren Schritten. Als sie sie im Schatten der Felsen untergebracht hatte, wollte sie ihr Pferd ans Wasser bringen. Kindra hielt sie zurück. »Sorgt für Eure Verwandte, Lady.« Sie ergriff die Zügel beider Pferde und senkte die Stimme. »Wie geht es ihr tatsächlich?«
Rohana schüttelte den Kopf. »Bis jetzt kommt sie zurecht. Mehr kann ich wirklich nicht sagen.« Sie wusste recht gut, dass jeder, der etwas von diesen Dingen verstand, gesagt hätte, Melora dürfe nicht reiten. Aber auch Kindra wusste es, und es gab einfach nichts, was sich hätte tun lassen.
»Gibt es Anzeichen für eine Verfolgung?«, erkundigte sich Rohana.
»Bisher keine«, antwortete Leeanne. Jaelle war von ihrem Pferd gerutscht, näherte sich ihnen und blieb schüchtern in einiger Entfernung stehen. »Woher wisst Ihr, dass wir nicht verfolgt werden, mestra?« Sie sprach die Sprache des Berglandes mit einem leichten Akzent, aber sie war zu verstehen. Kindra lächelte das Kind an.
»Ich höre keinen Hufschlag, wenn ich mein Ohr auf den Boden lege, und soweit ich sehen kann, erhebt sich keine Staubwolke, die mir verraten würde, dass dort Männer reiten.«
»Ihr seid ja ebenso gut wie Jalaks beste Pfadfinder!«, rief das kleine Mädchen erstaunt. »Ich wusste nicht, dass Frauen Pfadfinder sein können.«
»Da du in Shainsa gelebt hast, kleine Lady, wird es vieles geben, was du über Frauen nicht weißt.«
»Wollt Ihr es mir erzählen?«, fragte Jaelle eifrig.
»Wenn ich Zeit habe. Weißt du denn so viel über Pferde, dass sie getränkt und abgekühlt werden müssen?«
»Oh, entschuldigt – halte ich Euch auf? Kann ich Euch helfen?«
Kindra gab dem kleinen Mädchen die Zügel der Stute, die Melora geritten hatte. »Geh mit ihr langsam auf und ab, bis ihr Atem ruhig wird und der Schweiß um den Sattel fast trocken ist. Dann führst du sie ans Wasser und lässt sie trinken, so viel sie will. Meinst du, das bringst du fertig?«
»O ja!« Jaelle ging davon, den Zügel in der Hand. Kindra folgte ihr mit Rohanas Pferd. Rohana blieb zurück und sah Jaelle nach. Sie war groß für ihr Alter, schmächtig gebaut, mit zarten Knochen. Ihr Haar war feuerrot und reichte bis zur Mitte des schmalen Rückens. Sie trug das Nachtgewand, in dem sie aufgeweckt worden war – fein gesponnenes Trockenlandleinen, glatt gewebt und bestickt. Eine der Amazonen hatte ihr eine kurze Jacke, für sie viel zu groß, um die Schultern gelegt. Ihre Füße waren bloß, aber sie ging über den heißen Sand, ohne dass es ihr etwas auszumachen schien. Bis auf das flammende Haar entdeckte Rohana an dem Kind keine Ähnlichkeit mit Melora. Allerdings hatte es auch keine ins Auge springende Ähnlichkeit mit Jalak.
Sie kehrte zu Melora zurück, die ihren schweren Körper auf ihrem Reitumhang ausgestreckt und die Augen geschlossen hatte. Rohana betrachtete sie voller Sorge. Dann öffnete Melora die Augen, und Rohana zwang schnell einen gleichmütigen Ausdruck auf ihr Gesicht. »Wo ist Jaelle?«, fragte Melora.
»Sie hilft Kindra, die Pferde zu tränken«, antwortete Rohana. »Glaub mir, es geht ihr gut, und der Ritt scheint sie nicht übermäßig angestrengt zu haben.« Rohana ließ sich im Schatten neben ihrer Cousine nieder. »Ich wollte, ich hätte nur ein bisschen von ihrer Energie.«
Melora ergriff Rohanas Hand, als gebe ihr die Berührung Trost. »Ich sehe, wie auch du dich meinetwegen verausgabt hast, Cousine … Wie bist du in die Gesellschaft dieser – dieser Frauen geraten? Du hast doch Mann und Kinder nicht verlassen, wie sie es tun …?«
Rohana lächelte ihr beruhigend zu. »Nein, Liebes. Meine Ehe ist in Ordnung, wie ich es von Anfang an erwartet hatte. Gabriel und ich sind so glücklich miteinander, wie man nur sein kann.«
»Wie kam es dann, dass …«
»Das ist eine lange Geschichte und nicht leicht zu erzählen. Ich hatte den Eindruck, alle hätten dich vergessen, und fast hatte auch ich dich vergessen. Ich nahm an, du seist tot oder – oder hättest dich mit deinem Leben abgefunden.« Sich verteidigend, setzte sie hinzu: »Es war so lange her.«
»Ja, ein Menschenalter«, meinte Melora seufzend.
»Als du zu mir kamst, dachte ich anfangs, es sei ein Traum. Ich reiste nach Thendara und sprach mit einigen vom Rat. Sie sagten jedoch nur, sie könnten nichts tun, es sei nicht die richtige Zeit für einen Krieg mit den Trockenstädtern, und sie würden keinen weiteren Mann zum Sterben hinschicken. Fast glaubte ich selbst schon, es könne nichts unternommen werden, als ich durch Zufall – oder wer weiß, vielleicht durch das Werk einer Göttin – unterwegs einer kleinen Gruppe Freier Amazonen begegnete. Es waren Jägerinnen und Händlerinnen, und sie hatten zwei oder drei Kämpferinnen zu ihrem Schutz dabei. Im Gespräch mit ihnen erfuhr ich, dass zwar ihre Gruppe sich nicht in die Trockenstädte wagen würde, dass sie jedoch von einer anderen Gruppe wussten, die es täte. Also suchte ich ihr Gildenhaus auf und sprach mit Kindra, und sie erklärte sich bereit, die Rettung zu versuchen. Und so …«
»So bist du hier«, sagte Melora ergriffen, »und ich bin hier. Es stimmt, ich hatte mich mit meinem Leben abgefunden, und als ich wusste, dass ich zum zweiten Mal von Jalak schwanger war und dass es ein Sohn werden würde – da war ich bereit zu sterben.« Sie sah zu ihrer Tochter hin. Jaelle war fertig damit, das Pferd umherzuführen, und sah ihm zu, wie es aus dem Wasserloch trank. »Sie ist zwölf; mit dreizehn wäre sie angekettet worden. Ich glaube, wenn du nicht gekommen wärst, hätte ich sie getötet, und dann mich selbst …«
Rohana sah, dass ihre Cousine erschauerte. Schnell legte sie ihre Hand auf die Meloras. »Es ist vorbei, Liebes. Alles vorbei. Jetzt kannst du beginnen zu vergessen.«
Vergessen? Während ich Jalaks Sohn trage? Melora sprach es nicht laut aus, aber Rohana hörte die Worte auch so. Sie sagte sehr sanft: »Nun, vorerst kannst du dich ausruhen, und du bist frei und für den Augenblick in Sicherheit. Versuch zu schlafen, Liebes.«
»Schlafen.« Melora lächelte schief. »Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt richtig geschlafen habe. Und es wäre doch ein Jammer, würde ich jetzt schlafen, wo ich wieder mit dir zusammen und in Sicherheit bin … und ich bin glücklich … Erzähl mir alle Neuigkeiten über unsere Verwandten, Rohana. Regiert Marius Elhalyn noch in Thendara? Was ist mit unseren Leuten, unseren Freunden – erzähl mir alles«, bat sie sehnsüchtig, und Rohana brachte es nicht übers Herz, ihr diese Bitte abzuschlagen.
»Das ist eine lange Geschichte, und ich würde viele Stunden und Tage dazu brauchen. Dom Marius ist, ein Jahr nachdem du entfuhrt wurdest, gestorben. Aran Elhalyn hält ein Jahr um das andere den Thron warm, und wie üblich ist der Lord von Hastur der eigentliche Herrscher – nicht der alte Istvan, der ist senil, sondern Lorill Hastur, sein Erbe. Du erinnerst dich doch, dass Lorill und seine Schwester Leonie mit uns im Dalereuth-Turm waren? Ich dachte, vielleicht würde Lorill deinetwegen gegen Jalak ziehen …«
Melora seufzte. »Sogar ich hätte das besser gewusst. Die Hasturs haben an wichtigere Dinge zu denken als die Pflichten, die sie gegenüber ihrer Sippe haben. Und sind sie vielleicht besser als die Trockenstädter mit all ihren Fehden und kleinen Kriegen? Herrscht ansonsten Frieden?«
»Frieden, ja … Lorill hat die Terraner von Aldaran nach Thendara gebracht. Sie bauen dort einen Raumhafen, und Lorill hat seine Handlung vor dem Rat verteidigt. Einige waren entschieden dagegen, aber letzten Endes setzte Lorill sich durch, wie es die Hasturs für gewöhnlich tun.«
»Die Terraner«, sagte Melora langsam. »Ja, ich habe von ihnen gehört: Menschen wie wir von einer anderen Welt, die mit großen Schiffen von den Sternen gekommen sind. Jalak erzählte solche Geschichten nur, um über sie zu lachen; in den Trockenstädten weiß man nicht, dass die Sterne Sonnen wie die unsere darstellen und Welten erhellen, die unserer eigenen nicht unähnlich sind. Jalak machte sich gern über solche Geschichten lustig und sagte, diese so genannten Außenweltler müssten wirklich schlaue Betrüger sein, wenn sie die Sieben Domänen zum Narren hielten, aber kein vernünftiger Mann aus dem Trockenland ließe sich so einwickeln …« Sie schloss die Augen. Rohana dachte zuerst, sie schlafe, und war dankbar dafür. Sie wollte versuchen, ebenfalls zu schlafen, aber ein Schatten fiel über ihr Gesicht, und als sie die Augen öffnete, sah sie Jaelle vor sich stehen. Das Mädchen flüsterte: »Seid Ihr es, die meine – unsere Verwandte ist, Lady Rohana?«
Rohana setzte sich hoch und streckte die Arme aus, und Jaelle umarmte sie rasch und schüchtern. »Wie geht es meiner Mutter, Verwandte? Schläft sie?«
»Sie schläft, und sie ist sehr müde.« Rohana stand schnell auf und zog das Kind beiseite, damit ihre Stimmen Melora nicht störten.
»Ich will sie nicht aufwecken, ich wollte nur wissen …« Jaelles Stimme zitterte. Rohana blickte auf das ernste Gesichtchen und die großen grünen Augen nieder.
Comyn, dachte sie. Sie sieht nicht wie Melora aus, aber ihr Comyn-Blut ist unverkennbar. Es wäre unrecht, sehr unrecht gewesen, sie in Jalaks Gewalt zu lassen, nicht nur unmenschlich, sondern verkehrt!
Jaelle sagte ganz leise: »Sie sollte jetzt nicht reiten; das Kind wird bald geboren werden …«
»Das weiß ich, Liebes. Wir sind hier jedoch nicht sicher, außer für eine kleine Ruhepause. Wenn wir Carthon erreichen, sind wir wieder in den Domänen und für immer außerhalb von Jalaks Reichweite«, antwortete Rohana ruhig.
»Aber – was wird es ihr antun? Das Reiten, die Müdigkeit …«, begann Jaelle zögernd, dann wandte sie den Blick ab. Rohana dachte: Hat sie Laran? Auch in der Telepathenkaste der Comyn zeigte die Gabe sich erst kurz vor der Pubertät. Eine ausgebildete Leronis vermochte ein Kind in Jaelles Alter mit ziemlicher Sicherheit einzuschätzen. Rohana selbst hatte von ihrem Training so lange keinen Gebrauch mehr gemacht, dass sie im Falle Jaelles nicht einmal raten konnte. Gerade jetzt, da ich sie nötig habe, lässt mich die Gabe im Stich … Warum müssen Frauen immer zwischen ihrem Laran und allen anderen Dingen im Leben einer Frau entscheiden?
Sie blickte auf Melora nieder, die in tiefem Erschöpfungsschlaf dalag, und dachte an die Zeit, als sie beide junge Mädchen im Turm von Dalereuth gewesen waren und den Gebrauch der Matrixsteine lernten, die Energien umwandelten. Sie hatten als Monitoren in den Relaisnetzen gearbeitet, die die Kommunikation in den weiten Gebieten Darkovers aufrechterhielten, und die Technologie der Sieben Domänen studiert.
Sie waren drei gewesen, alle im gleichen Alter: Rohana, Melora und Leonie Hastur, Schwester jenes Lorill Hastur, der jetzt die Macht hinter dem Thron von Thendara verkörperte. Rohanas Familie hatte darauf bestanden, dass sie heiratete. Nicht ohne Bedauern hatte sie ihre Arbeit im Turm verlassen und war die Frau des Erben der Domäne Ardais geworden, um die großen Güter zu beaufsichtigen und diesem Clan Söhne und Töchter zu gebären. Leonie war zur Bewahrerin erwählt worden. Sie, eine Telepathin von überragenden Fähigkeiten, herrschte nun im Turm von Arilinn und kontrollierte alle aktiven Telepathen auf Darkover. Aber Leonie hatte den Preis der Bewahrerin gezahlt; sie hatte auf Liebe und Ehe verzichten müssen und verbrachte ihr ganzes Leben in Abgeschlossenheit und als Jungfrau …
Melora hatte keine freie Wahl gehabt. Jalaks bewaffnete Männer hatten sie ergriffen und als Gefangene in Ketten weggeführt … zu Vergewaltigung und Sklaverei und langem Leiden.
Jaelles kleine Hand berührte leicht die ihre, und das Mädchen sagte: »Verwandte … Ihr seid so bleich …«
Schnell kehrte Rohana in die Wirklichkeit zurück und erklärte sachlich: »Ich habe nichts gegessen. Und bald muss ich deine Mutter wecken und dafür sorgen, dass auch sie etwas zu sich nimmt.« Sie ging mit Jaelle dahin, wo die Amazonen das Essen austeilten. Diesmal mischte Rohana den Wein mit Wasser aus dem Brunnen und fand ihn sauer, aber trinkbar. Kindra ging, um sich die schlafende Melora anzusehen, kehrte zurück und meinte: »Sie braucht die Ruhe notwendiger als Nahrung, Lady; sie kann essen, wenn sie aufwacht« Zu Jaelle sagte sie: »Du wirst in diesem Nachthemd einen Sonnenbrand bekommen und dich wund reiten, chiya. Gwennis, Leeanne, Devra, ihr seid die Kleinsten, könnt ihr ein paar Sachen für das Mädchen finden?«
Jaelle ließ es zu, dass Rohana ihr das Nachthemd aus- und die fremdartigen Kleidungsstücke anzog. Zwar sah sie zögernd zu ihrer Mutter hin, wollte sie aber offenbar nicht stören. Als Rohana die weiten, langen Hosen mit dem Gürtel zusammenzog und die hübschen Stiefel aus gefärbtem Leder zuschnürte, erklärte sie mit zitternder Stimme: »Mir ist immer gesagt worden, es schicke sich nicht für eine Frau, Hosen zu tragen, und – und ich bin doch beinahe alt genug, dass man mich eine Frau nennen könnte.«
»Besser in Hosen als nackt, Jaelle«, bemerkte Rohana kurz.
Camilla sah nach, ob die Stiefel passten. »Wenn sie zu locker sitzen und Blasen machen, sag es mir, Kind, dann gebe ich dir ein zusätzliches Paar dicke Strümpfe.«
Gwennis fuhr mit der Hand über Jaelles langes, wirres Haar. »Es ist ein Jammer, dass es so verfilzt.«
Jaelles Augen füllten sich mit Tränen. Mit einem Blick auf Rohanas kurz geschnittenes Haar fragte sie: »Müsst ihr es abschneiden?«
Rohana erklärte fest: »Nein! Lass es mich kämmen und fest einflechten, damit es sich beim Reiten nicht verwirrt.« Jaelle musste sich hinsetzen, und Rohana begann, das taillenlange, feuerrote Haar zu kämmen. Wieder tat es ihr Leid um ihr eigenes, das ihr Stolz, ihr einziger Anspruch auf Schönheit gewesen war. Gabriel wird zornig werden, wenn er sieht, dass man mir das Haar abgesäbelt hat wie einer Amazone. Als antworte sie ihrem Mann, verteidigte sie sich: Es blieb mir nichts anderes übrig, es war um Meloras willen. Doch Jaelles Haar durfte nicht geopfert werden.
Kindra trat zu ihnen. Sie betrachtete Jaelle in den zu großen Kleidungsstücken der Amazonen, bemerkte jedoch nichts dazu. Sie zog Rohana beiseite. »Sagt dem Kind nichts davon und stört Eure Verwandte nicht – am Horizont ist eine kleine Staubwolke zu sehen. Wahrscheinlich geht sie uns nichts an – es ist nicht die Richtung nach Shainsa, von wo Verfolger kommen würden. Trotzdem muss ich meine Frauen warnen, und Ihr, Lady, solltet vorbereitet sein.«
»Müssen wir gleich wieder aufbrechen?«
Kindra schüttelte den Kopf. »Nein. Es wäre in der größten Tageshitze unsinnig; wir würden an der Hitze ebenso schmerzhaft sterben wie durch das Schwert eines Trockenstädters. Wir wollen uns zwischen den Felsen verstecken und hoffen, dass diese Staubwolke nichts mit uns oder mit Jalak und seinen Männern zu tun hat.
Schlaft, wenn Ihr könnt, Lady, nur bleibt in der Nähe Meloras und der Kleinen.«
»Darf ich mein Brot mitnehmen und es aufessen, bevor ich schlafe?«, fragte Jaelle.
»Natürlich«, antwortete Kindra und zog sich zurück. Gwennis fasste in ihre Tasche und fragte lächelnd: »Hast du Hunger, chiya? Hier ist etwas Süßes für dich. Lutsche es, bevor du einschläfst, dann wird dein Mund in dieser Hitze nicht zu trocken.«
Jaelle lächelte Gwennis an. »Du wärest schön, wenn du dein Haar wachsen ließest.«
Rohana hatte das selbst schon gedacht. Gwennis antwortete mit freundlichem Lächeln: »Das mag sein, kleine Schwester, aber warum sollte ich schön sein wollen? Ich bin keine Tänzerin oder Schauspielerin oder Sängerin, dass ich auf Schönheit so sehr angewiesen wäre!«
»Aber wenn du schön wärest, könntest du eine gute Heirat machen«, behauptete Jaelle, »und dann brauchtest du dir deinen Lebensunterhalt nicht als Soldat oder Jäger zu verdienen.«
Gwennis lachte. »Ich möchte doch gar keine Heirat machen, nicht einmal eine gute.«
»Oh?« Darüber musste Jaelle erst nachdenken. Es war ihr anzusehen, dass das ein ganz neuer Gedanke für sie war. »Warum nicht?«
»Aus vielen Gründen. Unter anderem«, erklärte Gwennis mit voller Absicht, »damit ich nicht in Ketten gelegt werde.«
Rohana empfand es wie einen Schlag. Jaelle hob die Hand an den Mund und biss sich in die Knöchel. Ihr Gesicht wurde erst weiß, dann färbte es sich mit einem verzweifelten, qualvollen Rot. Sie gab einen erstickten Laut von sich, drehte sich um, lief zu ihrer Mutter, warf sich auf der Decke neben ihr nieder und vergrub den Kopf in den Armen.
Gwennis sah fast ebenso bestürzt wie das Kind aus. »Meine Dame, es tut mir Leid, ich hätte das nicht sagen sollen.«
Rohana schüttelte stumm den Kopf. Nach einer Weile erwiderte sie: »Es musste ihr gesagt werden.«
Plötzlich hat Jaelle erfasst, um was dies alles geht. Vorher war es für sie ein Abenteuer, ungefährlich, weil ihre Mutter dabei ist. Richtig verstanden hatte sie es nicht. Und jetzt – jetzt weiß sie es.
Und ein solcher Schock könnte bei einem Mädchen auf der Schwelle zur Frau … bei einem Mädchen mit einem außergewöhnlichen telepathischen Potenzial … Rohana war sich nicht sicher, wie sie zu dieser Überzeugung gekommen war. Was wird es ihr antun? Sie legte sich zu Melora und Jaelle in den Schatten. Melora schlief fest. Jaelle versteckte das Gesicht in der Decke; ihre Schultern bebten heftig. Rohana streckte den Arm aus, um sie an sich zu ziehen, um sie zu trösten, wie sie es bei einem ihrer eigenen Kinder gemacht hätte, aber Jaelle versteifte sich abwehrend. Da ließ Rohana sie in Ruhe. Ich bin ihr so gut wie fremd, dachte sie traurig. Ich kann nichts für sie tun. Noch nicht.