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Wir überholten die Nacht.

Die Southern Cross war um Mitternacht auf Darkover gelandet. Dort hatte ich das terranische Flugzeug bestiegen, mit dem ich den halben Planeten umrunden würde. Erst eine Stunde war vergangen, und schon zeigte die dünne Luft die ersten Spuren der Morgenröte. Der Boden unter meinen Füßen kippte leicht, als die große Maschine sich auf den Westrand der Hellers niedersenkte. Gipfel auf Gipfel verschwand hinter uns. Wir durchflogen die spärlichen Wolken oberhalb der Schneegrenze. Schon begann ich, nach Landmarken Ausschau zu halten, obwohl ich wußte, daß wir zu hoch waren.

Sechs Jahre lang hatte ich mich in einem halben Dutzend Sternensystemen herumgetrieben, und nun kam ich wieder nach Hause. Aber ich empfand nichts. Kein Heimweh. Keine Aufregung. Nicht einmal Groll. Ich hatte Darkover nicht Wiedersehen wollen. Andererseits war mir Darkover so gleichgültig geworden, daß es mir nicht der Mühe wert gewesen war, mich zu weigern.

Vor sechs Jahren hatte ich den Planeten mit der Absicht verlassen, nie mehr zurückzukehren. Die dringende Botschaft des Regenten war mir von Terra nach Samarra und von da nach Vainwal gefolgt. Es kostet eine Menge Geld, eine Nachricht an eine Privatperson durch den Raum zu schicken, auch über das terranische Relais-System, und der alte Hastur – Regent des Comyn, Herr der Sieben Domänen – hatte keine Wörter für Erklärungen verschwendet. Es war einfach ein Befehl gewesen. Ich konnte mir nur nicht vorstellen, warum sie mich zurückhaben wollten. Sie waren alle froh gewesen, mich los zu sein, als ich ging.

Ich wandte mich von dem heller werdenden Fenster ab, schloß die Augen und preßte meine gute Hand an die Schläfe. Die interstellare Reise war wie immer unter schweren Sedativen erfolgt. Die Wirkung des Medikaments, das der Schiffsarzt mir gespritzt hatte, ließ jetzt langsam nach; die Müdigkeit schwächte meine Barrieren, und ein quälendes telepathisches Gemurmel drang in meinen Geist ein.

Ich fühlte förmlich, wie die anderen Fluggäste mich heimlich anstarrten – wegen meines narbenbedeckten Gesichts, wegen meines Arms, der am Handgelenk in einem umgeschlagenen Ärmel endete, aber hauptsächlich deswegen, was und wer ich bin. Ein Telepath. Eine Abnormität. Ein Alton, Angehöriger einer der Sieben Familien des Comyn, der erblichen Autarchie, die Darkover schon regierte, lange bevor unsere Sonne zu Rot verblaßte.

Und doch dieser Kaste nicht ganz zugehörig. Mein Vater Kennard Alton – jedes Kind auf Darkover konnte die Geschichte erzählen – hatte etwas Schockierendes, beinahe Schimpfliches getan. Er hatte mit einer ehrenhaften Laran-Heirat eine Terranerin zur Frau genommen, verwandt mit den verhaßten Imperiumsleuten, die die zivilisierte Galaxis überrannt haben.

Er war damit durchgekommen, weil er stark war. Man hatte meinen Vater im Comyn-Rat gebraucht. Nach dem alten Hastur war er der mächtigste Mann im Comyn gewesen. Es war ihm sogar gelungen, dem Comyn meine Wenigkeit in den Hals zu stopfen. Aber sie waren alle froh gewesen, als ich Darkover verließ. Und jetzt war ich wieder da.

Auf den Sitzen vor mir saßen zwei professorenhaft wirkende Erdmänner, wahrscheinlich Forscher, die auf Urlaub von ihrer Vermessungs- und Erkundungsarbeit waren. Sie diskutierten die bärtige Frage des Ursprungs. Der eine verteidigte stur die Theorie der Parallel-Evolution, der andere die Lehre, irgendein alter Planet – vorzugsweise die Erde selbst – habe die ganze Galaxis vor einer Million Jahren kolonisiert. Ich konzentrierte mich auf ihr Gespräch und versuchte, von den neugierigen Blicken rings um mich keine Notiz zu nehmen. Telepathen fühlen sich in Menschenmengen nie wohl.

Der Anhänger der Verbreitungslehre brachte all die alten Argumente für ein vergessenes Zeitalter der Sternenreisen vor, und der andere Mann führte die nichtmenschlichen Rassen und die unterschiedlichen Kulturniveaus auf jedem beliebigen Planeten ins Treffen.

»Darkover zum Beispiel«, dozierte er. »Der Planet befindet sich immer noch im frühen Stadium einer feudalen Kultur und versucht, den Zusammenstoß mit dem Terranischen Imperium zu verkraften ...«

Ich verlor das Interesse. Man konnte nur darüber staunen, wie viele Terraner Darkover immer noch für einen feudalen oder barbarischen Planeten hielten. Und das nur, weil wir gegen importierte terranische Maschinen und Waffen nicht etwa Widerstand leisten, sondern einfach gleichgültig sind. Wir ziehen es vor, auf Pferden und Maultieren zu reiten, statt Zeit auf den Straßenbau zu verwenden. Und die Darkovaner, gebunden durch einen in alter Zeit abgeschlossenen Vertrag, wollen das Risiko nicht eingehen, daß die Tage der Kriege und des Massenmordes mit Feiglingswaffen zurückkehren. So lautet das Gesetz auf allen Planeten der Darkovanischen Liga und allen zivilisierten Welten außerhalb derselben. Wer töten will, muß sich selbst in Lebengefahr begeben. Auf Terra hatte ich gehört, daß man herabsetzend über den Duell-Kodex und das feudale System sprach. Ja, ist es nicht zivilisierter, einen persönlichen Feind im Nahkampf mit einem Schwert oder Messer zu töten, als tausend Fremde aus sicherer Entfernung umzubringen?

Die Bevölkerung Darkovers hat sich weniger als die meisten anderen von dem Glanz des Terranischen Imperiums blenden lassen. Ich bin auf fremden Planeten gewesen, und ich habe gesehen, was aus den Welten wurde, sobald die Erdmänner kamen und die Verlockungen einer sternenumspannenden Zivilisation mitbrachten. Sie unterwerfen sich neue Welten nicht mit Waffengewalt. Der Erdmann kann es sich leisten, ruhig abzuwarten, bis die einheimische Kultur unter dem Impakt zusammenbricht. Sie warten, bis der Planet inständig darum bittet, in das Imperium aufgenommen zu werden. Und früher oder später tut der Planet das auch – und wird ein weiteres Glied in der riesigen, überzentralisierten Monstrosität, die Welt nach Welt verschluckt.

Hier war das noch nicht geschehen.

Von einem der vordersten Sitze im Abteil erhob sich ein Mann und kam zu mir. Ohne um Erlaubnis zu fragen, schwang er sich auf den leeren Platz neben mir.

»Comyn?« Doch es war keine Frage.

Der Mann war hochgewachsen und schmal, ein Berg-Darkovaner, ein Cahuenga aus den Hellers. Sein Blick verweilte einen Augenblick länger, als es höflich gewesen wäre, auf den Narben und dem leeren Ärmel. Dann nickte er.

»Dachte ich’s mir doch. Ihr seid der Junge, der in die Sharra-Sache verwickelt war.«

Ich fühlte, wie mir das Blut ins Gesicht stieg. Sechs Jahre lang hatte ich mich bemüht, die Sharra-Rebellion zu vergessen – und Marjorie Scott. Die Narben trug ich für immer. Verdammt noch mal, wer war dieser Mann, daß er es wagte, mir das alles ins Gedächtnis zurückzurufen?

»Was ich auch war«, entgegnete ich kurz, »ich bin es nicht mehr. Und ich erinnere mich nicht an Euch.«

»Ihr wollt ein Alton sein?« spöttelte er.

»Ungeachtet aller Horrorgeschichten«, erklärte ich, »laufen Altons nicht herum und lesen so ganz nebenbei Gedanken. Erstens ist das schwere Arbeit. Zweitens sind die Gedanken der meisten Menschen zu voll von Schmutz. Und drittens«, setzte ich hinzu, »sind sie uns einfach gleichgültig.«

Er lachte. »Ich habe auch nicht erwartet, daß Ihr mich erkennt. Als ich Euch zuletzt sah, wart Ihr betäubt und deliriertet. Ich sagte Eurem Vater, diese Hand werde letzten Endes doch amputiert werden müssen. Es tut mir leid, daß ich damit recht hatte.« Es klang nicht so, als ob es ihm leid tue. »Ich bin Dyan Ardais.«

Jetzt erinnerte ich mich halbwegs wieder an ihn. Er war ein Berglord aus dem hintersten Winkel der Hellers. Die Altons und die Männer von Ardais haben nie viel Sympathie aneinander verschwendet, auch im Comyn nicht.

»Ihr reist allein? Wo ist Euer Vater, junger Alton?«

»Mein Vater ist auf Vainwal gestorben«, antwortete ich kurz.

Seine Stimme hörte sich wie ein Schnurren an. »Dann seid willkommen, Comyn Alton!« Der zeremonielle Titel traf mich wie ein Schock, als er ihn aussprach. Er blickte zum Fenster.

»Gleich landen wir in Thendara. Wollt Ihr mit mir reisen?«

»Ich rechne damit, abgeholt zu werden.« Das tat ich nicht, aber ich hatte keine Lust, diese Zufallsbekanntschaft fortzusetzen. »Dann treffen wir uns im Rat«, sagte er und setzte mit lässiger Eleganz hinzu: »Oh, und gebt gut acht auf Eure Habseligkeiten, Comyn Alton. Zweifellos gibt es solche, die die Sharra-Matrix gern wieder an sich brächten.«

Er machte kehrt und ging, und ich blieb sprachlos vor Schreck zurück. Verdammt! Hatte er meine Gedanken durchforscht? Woher sollte er es sonst wissen? Der dreckige Cahuenga! Da ich immer noch unter Prokalamin-Einfluß stand, konnte er meine telepathischen Barrieren überwinden und sich wieder zurückziehen, bevor ich etwas davon merkte. Aber würde sich einer vom Comyn so weit erniedrigen?

In meiner Wut wollte ich hinter ihm herlaufen, wurde jedoch mit einem Ruck auf meinen Sitz zurückgeschleudert. Wir verloren schnell an Höhe. Das Zeichen, die Sicherheitsgurte anzulegen, leuchtete auf. Ich fummelte mit meinem herum, völlig außer mir.

Er hatte mich gezwungen, mich zu erinnern, warum ich Darkover vor sechs Jahren verlassen hatte, narbenbedeckt und gebrochen und fürs Leben verkrüppelt. Er hatte Wunden, die zu heilen begannen, wieder aufgerissen. Und er hatte den Namen Sharra ausgesprochen.

Ich, ein Halbblut, ein Bastard, Comyn nur gnadenhalber, weil mein Vater keine darkovanischen Söhne hatte, war leichte Beute für die Rebellen und Unzufriedenen gewesen, die mit dem Schlachtruf Sharra ausschwärmten. Sharra – die Legende nannte sie eine Göttin, die zum Dämon geworden war, gefesselt mit goldenen Ketten, herbeizurufen durch Feuer. Ich hatte vor einem solchen Feuer gestanden und meine telepathischen Gaben benutzt, die Macht Sharras heraufzubeschwören.

Mittelpunkt der Rebellion waren die Aldarans gewesen, die Comyn-Familie, die wegen ihrer Bündelei mit den Terranern ausgestoßen worden war. Ich war ein Verwandter Beltrans, des Lords von Aldaran.

Gesichter, die ich hatte vergessen wollen, zogen erbarmungslos vorbei, um mich zu quälen. Der Mann, der sich Kadarin nannte und mich überredet hatte, mich den Rebellen um Sharra anzuschließen. Der Säufer Zeb Scott, der die Talisman-Matrix Sharras gefunden hatte, und seine Kinder. Der kleine Rafe, der mir als seinem Helden auf Schritt und Tritt nachlief, Thyra mit dem Gesicht eines Mädchens und den Augen eines wilden Tieres – und Marjorie ...

Marjorie! Ich war wieder in der Vergangenheit. Ein verängstigtes Mädchen mit weichem braunem Haar und goldgefleckten Bernsteinaugen stahl sich in dem seltsamen Feuerlicht an meine Seite. Lachend wanderte sie durch die Straßen einer Stadt, die jetzt Schutt und Asche war, eine Girlande aus goldenen Blumen in der Hand ...

Ich verbannte die Erinnerungen. Das tat mir nicht gut. Das Donnern der bremsenden Düsen schmerzte mir in den Ohren. Durch das Fenster erkannte ich die gedrungenen Türme von Thendara, rosig im ersten Sonnenlicht, ein heller Fleck auf der dunklen, mit Wäldern und niedrigen Hügeln besetzten Ebene. Wir kamen tiefer und tiefer. Ich sah die Seen wie Silberspiegel aufblitzen, dann raste der Wolkenkratzer des terranischen Hauptquartiers am Fenster vorbei, das viele Weiß des Raumhafens gleißte, die Maschine setzte holpernd auf, und wir waren unten. Ich zog an meinem Gurt. Jetzt wollte ich mir Dyan kaufen ...

Aber ich verfehlte ihn. Das Raumhafenfeld war ein Durcheinander aus Menschen von dreißig Planeten, die in hundert Sprachen babbelten, und als ich mich durch die Menge drängte, stieß ich mit einem dünnen, weißgekleideten Mädchen zusammen.

Sie schwankte und fiel, und ich bückte mich, um ihr aufzuhelfen. »Entschuldigen Sie«, bat ich auf Standard, »ich hätte auf meinen Weg achten sollen ...« und dann erst sah ich ihr Gesicht.

»Linnell!« rief ich freudig. »Wie herrlich!« Unbeholfen umarmte ich sie. »Wolltest du mich abholen? Was bist du gewachsen, Cousinchen!«

»Verzeihung?« Die Stimme des Mädchens klirrte vor Eis. Verblüfft stellte ich sie auf die Füße. Sie sprach jetzt Darkovanisch, aber noch nie hat ein darkovanisches Mädchen einen solchen Akzent gehabt. Ich starrte sie an.

»Es tut mir leid«, brachte ich schließlich heraus. »Ich dachte ...« und starrte weiter. Sie war ein hochgewachsenes Mädchen, sehr hell, mit einem herzförmigen Gesicht, weichem dunkelbraunem Haar und sanften grauen Augen. Nur jetzt waren sie nicht sanft; sie flammten vor Zorn.

»Nun?«

»Es tut mir leid«, wiederholte ich tölpelhaft, »ich hielt Sie für eine meiner Cousinen.«

Sie zuckte kühl die Schultern, murmelte etwas und ging weiter. Ich folgte ihr mit den Augen. Die Ähnlichkeit war phantastisch. Es war nicht nur eine oberflächliche Übereinstimmung von Farben und Größe. Das Mädchen war das Spiegelbild meiner Cousine Linnell Aillard. Sogar ihre Stimme klang wie die Linnells.

Eine leichte Hand berührte meine Schulter, und eine fröhliche Stimme rief: »Pfui, Lew! Was mußt du die arme Linnell in Verlegenheit gebracht haben! Sie ist eben ohne ein Wort an mir vorbeigerannt. Bist du so lange weggewesen, daß du deine guten Manieren ganz vergessen hast?«

»Dio Ridenow!« stellte ich überrascht fest.

Das Mädchen, das vor mir stand, war klein und keck. Flachsblondes Haar flatterte ihr um die Schultern, und in ihren graugrünen Augen saß der Schalk. »Ich dachte, du wärst auf Vainwal!« stotterte ich.

»Und als du mir dort Lebewohl sagtest, dachtest du, ich würde dableiben und mir die Augen ausweinen«, entgegnete sie schnippisch. »Ich nicht! Der Raum steht den Frauen ebenso offen wie den Männern, Lew Alton, und auch ich habe einen Sitz im Comyn-Rat, wenn ich Lust habe, ihn einzunehmen. Warum sollte ich dort bleiben und allein schlafen?« Sie kicherte. »O Lew, wenn du dein Gesicht sehen könntest! Was ist denn los?«

»Es war nicht Linnell«, erklärte ich, und Dio riß die Augen auf.

»Wer dann?« Sie sah sich um, aber das Mädchen, das wie Linnell aussah, war in der Menge verschwunden. »Und wo ist mein Onkel? Hast du wieder mit deinem Vater gestritten, Lew?«

»Nein.« Meine Stimme war rauh. »Er ist auf Vainwal gestorben.« Wußte das auf Darkover noch niemand? »Glaubst du, eine geringere Ursache hätte mich nach hier zurückgebracht?«

Die Fröhlichkeit verschwand aus Dios Gesicht. »O Lew! Das tut mir leid! Ich hatte ja keine Ahnung!«

Wieder berührte sie meinen Arm. Ich zuckte vor ihrem Mitgefühl zurück. Was mich betraf, war Dio Ridenow Dynamit. Auf Vainwal war das alles in Ordnung gewesen. Aber von uns beiden wußte zumindest ich, wie schnell aus der alten Affäre wieder Leidenschaft werden konnte. Und ich hatte schon ohne das genug Probleme.

Von neuem war es mir mißlungen, meine Gedanken abzuschirmen. Dios helles Gesicht lief blutrot an. Sie biß sich auf die Unterlippe, drehte sich um und rannte fast auf die Raumhafenschranken zu.

»Dio!« schrie ich ihr nach, doch in diesem Augenblick hörte ich meinen Namen. Und da machte ich meinen ersten Fehler. Ich folgte ihr nicht – fragte mich nicht, warum. Zum zweiten Mal wurde mein Name gerufen.

»Lew! Lew Alton!«

Und im nächsten Augenblick lächelte ein schlanker, dunkelhaariger Junge in terranischer Kleidung zu mir hoch.

»Lew! Willkommen daheim!«

Und ich konnte mich nicht um mein Leben an seinen Namen erinnern.

Er war mir bestimmt nicht fremd. Er kannte mich, und ich kannte ihn. Trotzdem wartete ich vorsichtig ab, denn schließlich hatte ich auch Linnell erkannt. Der Junge lachte.

»Kennst du mich nicht mehr?«

»Ich bin zu lange weggewesen, um mir noch bei irgend jemandem sicher zu sein«, sagte ich. Ich wollte einen telepathischen Kontakt herstellen, aber die Droge verwirrte immer noch mein Gehirn, und ich spürte nur eine vage Vertrautheit. Kopfschüttelnd betrachtete ich den Jungen. Er mußte noch ein Kind gewesen sein, als ich Darkover verließ; er war so jung, daß er sich wohl kaum schon rasierte.

»Zandrus Höllen«, entfuhr es mir, »du kannst doch nicht Marius sein?«

»Kann ich das nicht?«

Ich vermochte es immer noch nicht zu glauben. Mein Bruder Marius, der jüngere Bruder, der unsere terranische Mutter das Leben gekostet hatte – war es möglich, daß ich meinen eigenen Bruder nicht wiedererkannte?

Er grinste schüchtern zu mir hoch, und mein Argwohn legte sich. »Es tut mir leid, Marius. Du warst noch so jung, und du hast dich so sehr verändert. Nun ...«

»Wir können uns später unterhalten«, fiel er rasch ein. »Du mußt durch den Zoll und so weiter, aber ich wollte dich vorher begrüßen. Was ist los, Lew? Du siehst komisch aus. Krank?«

Ich stützte mich minutenlang auf seinen Arm, bis der Schwindel verging. »Prokalamin«, sagte ich kläglich, und als er mich verständnislos ansah, erläuterte ich: »Ein Sedativ, das Passagiere auf Sternenschiffen gespritzt bekommen, damit sie den Hyperantrieb aushalten, ohne daß ihnen der Kopf platzt. Es dauert eine Weile, bis die Wirkung nachläßt, und ich bin außerdem gegen das Zeug allergisch.«

Er musterte mich aus dem Augenwinkel, und mein Gesicht verhärtete sich. »Bin ich so abschreckend? Schon gut, du hast mich nicht gesehen, seit ich meine Hand verlor und mir das Gesicht zerschnitten wurde. Sieh es dir nur genau an.«

Er wandte die Augen ab, und ich legte ihm den Arm um die Schultern.

»Es macht mir nichts aus, wenn du mich anstarrst«, sagte ich freundlicher. »Aber, verdammt noch mal, schiele nicht nach mir hin, wenn du meinst, ich merkte es nicht, denn ich merke es immer. Verstanden?«

Er entspannte sich und betrachtete mich eine Minute lang ohne Scheu. Dann grinste er. »Nicht hübsch, aber du bist nie eine Schönheit gewesen, soviel ich mich erinnere. Gehen wir.«

Ich sah zu dem Wolkenkratzer des HQ und den hohen Gebäuden der Handelsstadt hinüber. Jenseits davon erhoben sich die gesplitterten Zähne der Berge, und hoch über der Ebene thronte die Comyn-Burg, auf der sich der Turm der Bewahrerin in den Himmel reckte.

»Haben sich die Comyn schon in Thendara versammelt?«

Marius schüttelte den Kopf. Ich hatte mich immer noch nicht an den Gedanken gewöhnt, daß dies mein Bruder war. Er gab mir einfach nicht das richtige Gefühl. »Nein«, antwortete er, »sie – wir treffen uns draußen in der Verborgenen Stadt. Lew, hast du irgendwelche Schußwaffen von Terra mitgebracht?«

»Hölle, nein. Was tue ich mit Schußwaffen? Und die Einfuhr ist sowieso verboten.«

»Dann bist du überhaupt nicht bewaffnet?«

»Nein. Auf den meisten Planeten des Imperiums ist es nicht erlaubt, Handwaffen zu tragen, und so habe ich die Gewohnheit abgelegt. Warum?«

Er blickte finster. »Ich habe mir voriges Jahr eine Pistole besorgt. Ich habe dafür viermal soviel bezahlt, wie sie wert ist, und sie trägt die Schmuggelmarke. Ich dachte – halt, da wird dein Name aufgerufen.«

So war es. Langsam ging ich auf das niedrige weiße Zollgebäude zu, und Marius folgte mir. Er ging mit einer verneinenden Kopfbewegung an dem diensttuenden Beamten vorbei. Mein Gepäck war auf das Förderband gelegt worden, und der Beamte sah mich ohne viel Interesse an.

»Lewis Alton-Kennard-Montray-Alton? Mit der Southern Cross auf Port Chicago gelandet? Matrix-Techniker?«

Ich gestand das alles ein und schob ihm die Plastikmarke zu, die mich als lizenzierten Matrix-Mechaniker auswies.

»Das müssen wir anhand des Hauptspeichers überprüfen«, sagte der Terraner. »Es wird eine oder zwei Stunden dauern. Wir setzen uns mit Ihnen in Verbindung.«

Sein Blick wanderte über die Zeile eines Vordrucks. »Erklären – Sie – daß – Sie – nach – bestem – Wissen – und – Gewissen – keine – Energie- – oder – Projektilwaffen – in – Ihrem – Besitz – haben – Pistolen – Desintegratoren – oder – Blaster – atomare – Isotope – Narkotika – Drogen – Rauschmittel – oder – Brandstoffe?«

Ich unterschrieb. Er hielt mein Gepäck unter das Prüfgerät. Der Schirm blieb leer, wie ich ihm gleich hätte sagen können. Die genannten Artikel waren alle terranische Fabrikate, und ein feierlicher Vertrag mit den Hasturs verpflichtet das Imperium, nicht zuzulassen, daß sie in die darkovanische Zone oder sonstwohin außerhalb der Handelsstädte gebracht werden. Solche Gegenstände, Schmuggelware auf unserem Planeten, werden vor ihrer Verschiffung nach Darkover mit einem Tupfen aus einer radioaktiven Substanz versehen, harmlos, aber nicht wieder zu entfernen.

»Sonst etwas zu deklarieren?«

»Ich habe ein auf der Erde hergestelltes Fernglas, eine terranische Kamera und eine halbe Flasche Firi von Vainwal«, informierte ich ihn.

»Zeigen Sie her.«

Er öffnete die Koffer, und ich verkrampfte mich. Das war der Augenblick, den ich gefürchtet hatte.

Ich hätte versuchen sollen, ihn zu bestechen. Aber wenn ich an einen ehrlichen Mann geriet, hätte mir das eine Geldstrafe eingetragen und meinen Namen auf die schwarze Liste gebracht. Das wollte ich nicht riskieren.

Er warf einen Blick auf die Kamera und das Fernglas. Terranische Linsen sind ein Luxusartikel, auf denen ein hoher Zoll liegt.

»Zehn Reis«, sagte er und schob Kleidungsstücke beiseite. »Wenn in der Firi-Flasche weniger als zehn Unzen sind, ist sie zollfrei. Was ist das?«

Ich fürchtete, meine Zunge durchzubeißen, als seine Hand danach griff. Mir war, als quetsche eine Faust mein Herz zusammen.

»Fassen Sie das nicht an!« zwängte es sich aus meiner wie zugeschnürten Kehle.

»Was im ...« Er zog es heraus, und ich hatte das Gefühl, ein Nagel kratze an einem Nerv entlang. Er fing an, es auszuwickeln. »Eine geschmuggelte Waffe, he? Sie – Teufel, das ist ein Schwert!«

Ich konnte nicht atmen. Die blauen Kristalle im Griff blinzelten zu mir hoch, und seine Hand, die den Griff umfaßt hielt, war eine unerträgliche Qual.

»Das ist ein – ein Erbstück meiner Familie.«

Er sah mich merkwürdig an. »Nun, ich beschädige es ja nicht. Wollte mich nur vergewissern, daß es kein Blaster oder so etwas ist.« Er wickelte es wieder in das seidene Tuch, und ich erinnerte mich, wie man atmet. Dann nahm er die halbleere Flasche mit dem teuren Vainwal-Likör und maß den Inhalt mit den Augen. »Etwa sieben Unzen. Unterschreiben Sie eine Erklärung, daß Sie das zum eigenen Verbrauch und nicht zum Weiterverkauf mitbringen, und es ist zollfrei.«

Ich unterschrieb. Er ließ das Kofferschloß zuschnappen, und ich entfernte mich mit schwankenden Schritten von der Zollschranke.

Eine Hürde genommen. Und ich hatte es fertiggebracht, am Leben zu bleiben – diesmal.

Ich holte Marius ein und winkte ein Lufttaxi heran.

Das Schwert des Aldones

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