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»Nun gut, meine Lords. Ich werde tun, was Ihr wünscht!«

Ich hatte gerade den Vorhang geöffnet und trat in die Abteilung der Altons in der Ratshalle des Comyn. Die Stimme der Frau ließ mich erstarren.

Wir waren spät in der Verborgenen Stadt eingetroffen, so spät, daß keine Zeit mehr gewesen war, dem alten Hastur eine Nachricht zu schicken oder auch nur Linnell von meiner Ankunft zu benachrichtigen, wie es ihr als meiner nächsten Verwandten und Pflegeschwester zustand. Marius, der nie in den Comyn-Rat aufgenommen worden war, hatte sich außerhalb der Halle von mir getrennt und seinen Platz im unteren Teil zwischen den geringeren Adligen und jüngeren Söhnen eingenommen. Ich war die Stufen zu der langen Galerie hochgestiegen und hatte beabsichtigt, leise durch die Vorhänge in die umschrankte Abteilung zu schlüpfen, die den Altons von der Comyn-Hierarchie zugewiesen war.

Nun stand ich wie angewurzelt da, denn die Frau, die gesprochen hatte, war Callina Aillard.

Natürlich hatte ich sie mein ganzes Leben gekannt. Auch sie war meine Cousine; Linnell war ihre Halbschwester. Aber als ich sie das letzte Mal vor sechs Jahren gesehen hatte – mir grauste vor der Erinnerung –, war sie ein Mädchen gewesen, still, farblos. Jetzt sah ich, daß sie eine Frau war, und schön.

Sie stand mit zurückgeworfenem Kopf, vor dem Hochsitz, eine schlanke Frau mit einem hellen, zarten Gesicht, gekleidet in eine dunkle Robe. Edelsteine waren in ihr Haar geflochten, goldene Ketten lagen um ihren Hals und ihre Taille und gaben ihr irgendwie das Aussehen einer Gefangenen, die in Fesseln noch stolz ist. Wieder erklang ihre Stimme, klar und zornig.

»Wann ist eine Bewahrerin schon einmal den Launen des Rats unterworfen worden?«

Also das war es!

Marius hatte mir nicht erzählt, daß eine neue Bewahrerin im Comyn-Rat war, und ich hatte nicht daran gedacht, ihn zu fragen.

Im Grunde hatte er mir überhaupt nicht viel erzählt. Ich ließ mich auf meinen Platz hinter dem Geländer gleiten und blickte in die Ratshalle des Comyn hinunter.

Es war ein hoher Raum mit Gewölbedecke, voll von Schatten und Sonnenschein. Im unteren Teil saßen die geringeren Adligen, entlang der Estrade oder Galerie, wo die Comyn, jede Familie in ihrer eigenen Abteilung, einen Halbkreis bildeten. Im Mittelpunkt, vor dem Hochsitz stand der alte Danvan von Hastur, Regent des Comyn. Hinter ihm hielt sich ein junger Mann, den ich nicht deutlich sehen konnte, im Schatten. Neben ihm erkannte ich den jungen Derik Elhalyn, Lord des Comyn – er regierte unter Hastur, bis er im nächsten Jahr volljährig werden würde. Derik lümmelte sich in seinem Sessel und wirkte gelangweilt.

Ich ließ meinen Blick wandern und fand mich schnell zurecht. Dyan Ardais hob mit rätselhaftem Grinsen den Kopf, als spüre er meine Anwesenheit. Dio Ridenow saß zwischen ihren Brüdern. Ich entdeckte meine Cousine Linnell, aber sie konnte mich von ihrem Platz aus nicht sehen.

Meine Augen wanderten zurück zu Callina. Eine Bewahrerin!

Jahrelang hatte es keine Bewahrerin mehr im Rat gegeben. Die alte Ashara war in ihrem Turm geblieben, solange ich lebte und solange mein Vater gelebt hatte. Sie mußte jetzt unglaublich alt sein. Während meiner Kinderzeit war für kurze Zeit ein zartes, flammenhaariges Mädchen dagewesen, verschleiert wie ein hinter Wolken verborgener Stern, und sogar die Hasturs hatten ihr Ehrerbietung erwiesen. Sie starb oder zog sich in die Einsamkeit zurück, als ich noch ein Junge war, und von dem Tag an waren keine Mädchen mehr in den Geheimnissen der Hauptschirme ausgebildet worden. Ein paar Unter-Bewahrerinnen und Matrix-Mechaniker – ich war einer, und ich hätte meinen Platz unter ihnen wieder einnehmen können, wenn ich gewollt hätte – hielten die Relais in Betrieb. Mir fiel die Vorstellung schwer, daß meine Cousine Callina die Bewahrerin war und in ihren zarten Händen die ganze unglaubliche Macht Asharas hielt.

Doch ich kannte ihren Mut. Der Gedanken weckte schmerzliche Erinnerungen. Ich wollte nicht daran denken, wie und wann ich Callina das letzte Mal gesehen hatte.

Der alte Hastur erwiderte Callina streng:

»Meine Dame, die Zeiten haben sich geändert. Heutzutage ...«

»Sie haben sich in der Tat geändert ...« – sie warf den Kopf in den Nacken, und ihr Schmuck klingelte silbrig – »... wenn wir Sklaverei auf Darkover haben und eine Bewahrerin wie eine Stute auf dem Markt verkauft werden kann! Nein, hört mich zu Ende an! Ich sage Euch, wir täten besser daran, alle unsere Geheimnisse den verfluchten Terranern auszuhändigen, als uns mit den Renegaten von Aldaran zu verbünden!«

Ihre Augen suchten in den Schatten, trafen auf meine, und überraschend hob sie den Arm und zeigte mit einem schlanken Finger auf mich.

»Und da sitzt einer, der beweisen kann, was ich sage!«

Ich stand bereits. Ein Bündnis mit Aldaran? Ich hörte meine eigene Stimme gellen:

»Ihr verdammten, unglaublichen Narren!«

Plötzlich war es still. Dann klang Stimmengemurmel auf, das sich zum Grollen steigerte, und bestürzt erkannte ich, was ich getan hatte. Ich war mit beiden Beinen zugleich in eine Angelegenheit gesprungen, von der ich absolut nichts wußte. Aber der Name Aldaran genügte. Ich sah dem alten Hastur ins Gesicht und bot ihm Trotz.

»Habe ich richtig gehört, daß Ihr von einem Bündnis mit Aldaran spracht? Mit diesem Renegaten-Clan, dessen Name über ganz Darkover Gestank verbreitet? Mit den Männern, die unsere Welt an die Terraner verkauft haben?« Meine Stimme schnappte über wie die eines Knaben.

Der junge Derik Elhalyn neben Hastur stand auf. Er machte Hastur ein Zeichen und sprach inoffiziell.

»Lew, du vergißt dich.« Er beugte sich vor. Die Sonnenstrahlen schimmerten auf seinem rotgoldenen Haar. Mit einem charmanten Lächeln wandte er sich an den ganzen Rat.

»Seht! Ein Comyn-Lord kommt nach sechs Jahren zu uns zurück, und wir heißen ihn nicht willkommen, sondern lassen ihn wie eine Maus in ihr Loch kriechen. Willkommen daheim, Lew Alton!«

Ich schnitt den Applaus ab, den er hatte einleiten wollen. »Das ist jetzt unwichtig«, sagte ich. »Lord Hastur – und Ihr, mein Prinz, bedenkt folgendes: Die Männer von Aldaran waren einst Comyn und hatten eine Stimme hier im Rat. Warum wurden sie verbannt? Fragt Euch das selbst! Oder ist aus der alten Schande ein Kindermärchen geworden? Wer hat den Terranern einen Stützpunkt auf Darkover gegeben? Sind wir hier alle wahnsinnig? Oder habe ich jemanden ein Bündnis mit Aldaran erwähnen hören?«

Ich drehte mich nach links und rechts und forschte in den Gesichtern nach einem Zeichen des Verständnisses.» Wollen wir die Terraner auf unserer Türschwelle haben?«

Verzweifelt appellierte ich zum letzten Mal an sie. Ich hob den Arm, der in einem festgesteckten Ärmel endet. Meine Stimme zitterte.

»Wollen wir Sharra?«

Ihr Schweigen verriet nichts Gutes. Dann begannen alle auf einmal zu reden. Darüber wollten sie nichts hören. Die Stimme von Dyan Ardais erhob sich klar und zuversichtlich über die anderen.

»Da spricht dein Haß, Lew, nicht dein gesunder Menschenverstand. Freunde, ich denke, wir können Lew Alton seine Worte nachsehen. Er hat Grund für sein Vorurteil. Aber jene Zeit liegt lange zurück; wir müssen nach den heutigen Tatsachen urteilen, nicht nach den Ärgernissen von gestern. Setz dich, Lew. Du bist lange Zeit weggewesen. Wenn du mehr darüber erfahren hast, wirst du deine Meinung vielleicht ändern. Hör dir die Argumente unserer Seite wenigstens an.«

Das allgemeine Gemurmel drückte Zustimmung aus. Verdammt, verdammt sollte er sein! Bebend setzte ich mich. Er hatte angedeutet – nein, er hatte es deutlich ausgesprochen –, daß ich zu bemitleiden sei, ein Krüppel mit einem alten Groll, der heimgekehrt war und die verjährte Fehde da wiederaufnehmen wollte, wo er sie verlassen hatte. Indem er ihre unausgesprochenen Gefühle geschickt fokussierte, hatte er ihnen einen guten Grund gegeben, meine Worte unbeachtet zu lassen.

Aber die Aldarans waren der Mittelpunkt der Sharra-Rebellion gewesen! Wußten sie nicht einmal das?

Oder wollten sie es nicht wissen? Die Sharra-Rebellion war wie alle Bürgerkriege nur ein Symptom für innere Schwierigkeiten. Die Aldarans waren nicht die einzigen auf Darkover, die sich von dem Terranischen Imperium verlocken ließen. Der Comyn stand fast allein gegen die magnetische Anziehungskraft der sternenumspannenden Föderation.

Und ich war für beide Seiten der geeignetste Sündenbock. Die Konservativen im Comyn mißtrauten mir, weil ich Halbterraner war, und die Anti-Comyn-Fraktion mißtraute mir, weil Kennard Alton, mein Vater, der zuverlässigste Führer des Comyn gewesen war. Und beide fürchteten, was ich über Sharra wußte. In ihrer Vorstellung war ich immer noch Teil jener Schrecken, die das Land überschwemmt hatten mit Terranern in ledernen Uniformen, Blaster statt ehrlicher Schwerter in der Hand, die saubere Nacht mit dem Auswurf ihrer Raketen verpestend. Das hatten sie nie vergessen oder vergeben. Warum sollten sie auch?

»Unsere Vorväter vertrieben die Aldarans«, sagte Lerrys Ridenow. »Es ist höchste Zeit, daß wir ihren abergläubischen Unsinn vergessen.«

Aus der Dunkelheit hinter dem alten Hastur erklang eine junge und schüchterne Stimme. »Warum hören wir uns nicht an, was Lew Alton zu sagen hat? Er kennt die Terranan; er hat unter ihnen gelebt. Und er ist mit Aldaran verwandt. Würde er ohne guten Grund gegen seine eigenen Verwandten sprechen?«

»Laßt es uns wenigstens unter uns diskutieren«, sagte Callina, und mm nickte Hastur. Er sprach die Formel, die die Außenseiter entließ. Vom unteren Teil der Halle kam Murren, das allmählich verstummte. Zu zweit und zu dritt standen die Zuschauer auf und gingen.

Mein Kopf begann zu schmerzen, wie immer in der Halle. Sie war natürlich voll von telepathischen Dämpfern, die mentale Interferenzen verhinderten – eine notwendige Vorsichtsmaßnahme, wenn eine große Zahl von Comyn versammelt war. Ein Dämpfer war genau über meinem Kopf angebracht. Das Gesetz sah vor, daß sie zufällig verteilt wurden, aber irgendwie tauchten sie immer im Schoß der Altons auf.

Jede Comyn-Familie besitzt ihre besondere Gabe, ihr spezifisches Talent. Bei den Altons ist es die überentwickelte telepathische Kraft, die einen ungewünschten Rapport erzwingen und den menschlichen Geist lähmen kann. Der Comyn hatte immer ein bißchen Angst vor den Altons gehabt. Heute sind die Gaben größtenteils rezessiv, durch Generationen von Heiraten mit Nichttelepathen verschwunden. Doch die Tradition ist geblieben, und immer stellt man den Altons telepathische Dämpfer genau vor die Nase. Die unaufhörlichen arhythmischen Wellen – teils Schall, teils Energonen – gingen mir auf die Nerven.

Der Junge neben Hastur, der meine Partei ergriffen hatte, kam auf mich zu. Inzwischen hatte ich erraten, wer er war: Regis Hastur, der Enkel des alten Regenten. Als er an Callina Aillard vorbeiging, stand sie auf und folgte ihm zu meinem Erstaunen.

»Was passiert jetzt?« fragte ich.

»Nichts, hoffe ich.« Regis lächelte mir freundschaftlich zu. Er war einer dieser Rückschläge auf den reinen Comyn-Typ, die in alten darkovanischen Familien immer noch auftauchen, mit hellem Teint, dem dunkelroten Haar der meisten Comyn und Augen von einer fast metallischen Farblosigkeit. Er war schmal gebaut, und wie Callina wirkte er zerbrechlich. Doch es steckte die elastische Härte eines Dolchs dahinter.

Er sagte: »Du bist also im Raum gewesen und zurückgekehrt. Willkommen, Lew.«

»Es sieht mir ganz nach einem Willkommen aus«, bemerkte ich trocken. »Was ist das für eine Geschichte mit Aldaran? Ich war erst vor ein paar Sekunden eingetreten, als Callina auf mich zeigte.«

Regis wies mit dem Kopf auf die leeren Sitze in der unteren Halle. »Politik. Sie wollen, daß Aldaran wieder unter die Comyn aufgenommen wird.«

Callina unterbrach: »Und Beltran von Aldaran hat einen Wunsch geäußert. In seiner Unverschämtheit, seiner – verdammten Frechheit – will er durch Heirat Comyn werden. Durch Heirat – mit mir!«

Ich pfiff vor Erstaunen. Das war wirklich eine Frechheit! O ja, Außenseiter können in den Comyn-Rat einheiraten. Der Mann, der eine Comynara ehelicht, erhält sämtliche Privilegien seiner Frau. Aber die Bewahrerinnen, jene Frauen, die zur Arbeit an den Hauptschirmen ausgebildet werden, müssen nach uraltem darkovanischem Brauch Jungfrau bleiben, solange sie ihr hohes Amt versehen. Beltrans Ersuchen war an sich bereits eine Beleidigung; es hätte für den Mann, der es aussprach, blutigen Tod bedeuten sollen. Auf Darkover hat es Kriege schon aus wesentlich geringfügigeren Ursachen gegeben. Und jetzt diskutierten sie ungerührt im Rat darüber!

Regis streifte mich mit einem ironischen Blick. »Wie mein Großvater sagte, die Zeiten haben sich geändert. Die Comyn legen gar keinen Wert mehr darauf, eine Bewahrerin im Rat zu haben.«

Ich dachte darüber nach. Vierunddreißig Jahre ohne Ashara hatten dem Rat wahrscheinlich alle Lust genommen, von neuem unter die Hand einer Frau zu geraten.

Bei objektiver Betrachtung war es logisch. Wie Hastur gesagt hatte: Die Zeiten hatten sich geändert. Ob es uns paßte oder nicht, sie änderten sich. Das Amt einer Bewahrerin war früher eine gefährliche und heilige Sache gewesen. Einst, so hatte mein Vater mir erzählt, waren auf Darkover alle technischen Arbeiten durch die Hauptschirme erfolgt, betrieben von den vereinigten Geisteskräften der Bewahrerinnen. Bergbau, Transport, Energieversorgung – sogar atomarer Art – beruhten auf den Energon-Ringen, von denen jeder mit dem Geist eines dieser jungen Mädchen verbunden war.

Veränderungen in der Technologie haben das heute überflüssig gemacht. Es ist nicht mehr notwendig, daß die Bewahrerinnen völlig auf menschliche Kontakte verzichten und hinter Mauern leben, um ihr Kräfte in dieser Abgeschlossenheit zu erhalten. Folglich werden sie auch nicht mehr verehrt.

Callina erriet meine Gedanken und lächelte schief. »So ist es«, bestätigte sie, »und ich giere nicht nach Macht.« Sie sah mir gerade in die Augen. »Trotzdem bin ich gegen das Bündnis, und du weißt, warum, Lew. Ich wollte es im Rat nicht Vorbringen, weil es deine Angelegenheit ist. Ich bitte dich nicht gern darum, aber ich muß. Willst du ihnen von Sharra und den Aldarans erzählen?«

Unfähig zu sprechen, beugte ich mich über ihre Hand.

Um meine geistige Gesundheit nicht zu gefährden, hatte ich mich stets bemüht, niemals davon zu sprechen oder daran zu denken, was die Aldarans und ihre Rebellenhorde mir – und Marjorie – angetan haben.

Jetzt mußte ich. Ich stand so hoch in Callinas Schuld, daß ich es ihr nie vergelten konnte. Als das schreckliche Ende kam, als ich mit Marjorie floh – wir beide verwundet, Marjorie dem Tod nahe –, war es Callina gewesen, die uns die Verborgene Stadt öffnete. In jener Nacht, als die Schwerter Darkovers und die Blaster der Terraner uns gleichermaßen jagten, setzte sich Callina der Radioaktivät auf dem Landeplatz der alten Sternenschiffe aus und nahm die Gefahr eines furchtbaren Todes auf sich, um Marjorie noch eine Chance zu geben. Auch wenn es für Marjorie zu spät gewesen war, würde ich es Callina nie vergessen.

Trotzdem – das alles vor dem Rat auszubreiten ... Meine Stirn bedeckte sich mit Schweiß.

Regis gab ruhig zu bedenken: »Eine andere Chance haben wir nicht, Lew. Vielleicht hören sie dich an.«

Ich schluckte. Endlich antwortete ich: »Ich will es ... versuchen.«

»Was versuchen? Lange genug nüchtern zu bleiben, um uns alle zu begrüßen?« Derik Elhalyn drängte sich vergnügt zwischen Regis und Callina durch und faßte meine Schultern. »Lew, alter Junge, ich wußte gar nicht, daß du auf Darkover bist, bevor du hochsprangst wie eins von den Spielzeugen, die dein Vater für uns machte! Dyan hat es schon gesagt, und ich will es noch einmal sagen: Willkommen zu Hause!« Er trat zurück und wartete darauf, daß ich die Umarmung erwiderte. Dann fiel sein Blick auf meinen leeren Ärmel. Um den peinlichen Augenblick zu überspielen, fuhr er schnell fort: »Ich freue mich, daß du wieder da bist. Wir haben schöne Zeiten miteinander verlebt.«

Ich nickte. Seine Verwirrung schuf mir Unbehagen, und gleichzeitig war ich froh über die angenehmeren Erinnerungen. »Und es werden wieder schöne Zeiten kommen, hoffe ich. Sind die Elhalyn-Falken immer noch die besten in den Bergen? Steigst du immer noch die Klippen hinauf, um dir deine Nestlinge selbst zu holen?«

»Ja, obwohl ich nicht mehr soviel Zeit habe«, lachte Derik. »Weißt du noch, wie wir die Nordwand von Nevarsin erstiegen und an unsern Augenbrauen hingen?« Erneut brach er ab. Es war zu offensichtlich, daß zumindest ich nie mehr klettern würde. Ich wiederum überlegte, was aus dem Comyn werden sollte, wenn dieser Wirrkopf den ihm rechtmäßig zustehenden Platz eingenommen hatte. Der alte Hastur war Staatsmann und Diplomat. Aber Derik? Dies eine Mal war ich froh über die telepathischen Dämpfer, die es den anderen unmöglich machten, meinen Gedanken zu folgen.

Derik schob mich, eine Hand auf meiner Schulter, zum Hochsitz. »Es war alles schon vorbereitet, ehe dein Vater starb, weißt du. Linnell wollte jedoch nichts von der Festlegung unseres Hochzeitstages hören, bis du wieder zu Hause wärst! Deshalb habe ich zwei Gründe, mich über deine Rückkehr zu freuen«, plauderte er.

Ich erwiderte sein freundschaftliches Grinsen. Also war ich doch nicht ganz allein. Ich hatte Verwandte, Freunde. Diese Heirat hatte in der Luft gelegen, seit Linnell ihre Puppen weggeräumt hatte, aber ich mußte meine Zustimmung dazu geben. »Ich habe Linnell bisher nicht einmal gesehen«, sagte ich. »Ichhabenureine Fremde mit ihr verwechselt.«

Ob Linnell wußte, daß sie eine Doppelgängerin in der Terranischen Zone hatte? Das mußte ich ihr erzählen – es würde sie amüsieren.

Hastur rief zur Ordnung, und ich nahm zwischen Regis und Derik Platz. Die kleine Zahl von Personen, denen ihr Blut das Recht auf einen Sitz im Rat gab, erschreckte mich. Männer und Frauen zusammengezählt, waren es nicht mehr als drei Dutzend. Dessen ungeachtet wirkten sie wie eine feindliche Armee, als ich mich auf Hasturs Zeichen hin erhob.

Ich begann langsam, denn ich mußte meine Sache ohne Hitze vortragen.

»Wenn ich dies recht verstehe, möchtet ihr euch mit Aldaran verbünden und die alte Siebte Domäne dem Comyn von neuem eingliedern. Diese Allianz soll euch Frieden mit Aldarans Berglords bringen und den Aufständen und Scharmützeln an der Grenze ein Ende bereiten. Die Aldarans sollen euch helfen, die Gesetzlosen und Renegaten und Waldläufer da zu halten, wo sie hingehören – auf der anderen Seite des Kadarin-Flusses. Vielleicht denkt ihr auch an ein bißchen Handel mit den Terranern und Genehmigungen für Maschinen und Flugzeuge, ohne daß ihr den Terranern selbst zu viele Zugeständnisse machen müßt.«

Lerrys Ridenow stand auf. »Bis dahin bist du korrekt informiert«, stellte er fest. »Kannst du uns etwas Neues sagen?«

»Nein.« Ich musterte ihn. Er war der einzige von Dios Brüdern, den man im weitesten Sinn als Mann bezeichnen konnte. Ich hatte alle drei auf dem Vergnügungsmond von Vainwal kennengelernt. Sie waren alle zart, feminin, von katzenhafter Anmut — und gefährlich wie Tiger. Sie versuchten, sich das Beste von beiden Welten zu nehmen, indem sie von ihrem großen Reichtum und der Comyn-Immunität gegen die gewöhnlichen darkovanischen Gesetze Gebrauch machten. Aber Lerrys schien die Kraft eines Mannes hinter dieser weiblichen Maske zu besitzen und verdiente eine Antwort.

»Nein, doch ich kann euch etwas Altes erzählen. Es wird nicht funktionieren. Beltran von Aldaran selbst ist ein anständiger Bursche. Nur hat er sich so sehr mit Renegaten und Rebellen und Waldläufern und halbblütigen Spionen eingelassen, daß er mit uns keinen Frieden schließen kann, auch wenn er es möchte. Und ihr wollt ihn wieder unter die Comyn aufnehmen?« Ich spreizte die Hände. »Nur zu! Holt Beltran von Aldaran herein. Holt den Mann herein, den man Kadarin nennt, und Lawton von Thendara und den terranischen Koordinator von Port Chicago, wenn ihr schon einmal dabei seid!«

Hastur runzelte die Stirn. »Wer ist dieser Kadarin?«

»Hölle, ich weiß es nicht. Er soll mit den Aldarans verwandt sein.«

»Wie du«, murmelte Dyan.

»Ja. Vielleicht zur Hälfte Terraner. Ein Unruhestifter auf jeder Welt, die er besucht hat. Er ist von mindestens zwei anderen Planeten deportiert worden, bevor er nach hier zurückkehrte. Und dieser Mann Beltran von Aldaran, dieser Mann, den ihr mit einer Bewahrerin verheiraten wollt, hat Burg Aldaran zu einem Schlupfwinkel für alle verdammten Mitläufer und Renegaten Kadarins gemacht!«

»Kadarin ist kein Menschenname«, bemerkte Lerrys.

»Und ich bin mir auch gar nicht sicher, daß er ein Mensch ist«, gab ich zurück. »Die Berge um Aldaran – du weißt, was dort lebt – alle möglichen Wesen, die man kaum menschlich nennen kann. Er sieht ganz menschlich aus, solange man ihm nicht in die Augen blickt.« Ich verstummte. Innerlich wand ich mich vor Entsetzen. Dann erinnerte ich mich, wo ich war, und die Räder meines Gehirns setzten sich wieder in Gang.

»Der Name Kadarin ist als Herausforderung gedacht«, fuhr ich fort. »In den Bergen jenseits des Kadarin-Flusses wird jeder Bastard ein Sohn Kadarins genannt. Es heißt, er wisse nicht, wer und was sein Vater war. Als die Terraner ihn zur Befragung einfingen, gab er als seinen Namen Kadarin an. Das ist alles.«

»Dann arbeitet er also auch gegen die Terraner«, sagte Lerrys.

»Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Aber er war in die Sharra-Sache verwickelt ...«

»Du auch«, sagte Dyan Ardais leise. »Und doch bist du hier.«

Mein Stuhl kippte krachend nach hinten um. »Ja, verdammt noch mal! Warum sollte ich das alles auf mich nehmen, wenn nicht aus dem Grund, daß ich die Gefahr kenne? Ihr glaubt, sie sei vorbei? Wenn ich euch zeige, wo Sharra immer noch außer Kontrolle ist – keine zehn Meilen von hier entfernt –, werdet ihr dann auf dieses wahnsinnige Bündnis verzichten?«

Hastur, der besorgt wirkte, winkte Dyan und Lerrys zu schweigen. »Kannst du das, Lew? Du bist ein Alton und Telepath. Trotzdem schaffst du so etwas nicht allein. Du würdest einen mentalen Brennpunkt brauchen ...«

»Er verläßt sich darauf, daß es keinen gibt«, höhnte Dyan. »Das ist ein Bluff ohne Risiko für ihn! Er ist der letzte lebende Alton!«

Aus den Schatten sagte eine Stimme: »O nein, das ist er nicht.«

Marius stand langsam auf, und ich starrte meinen Bruder verblüfft an. Ich hatte gedacht, er habe die Halle mit den anderen verlassen. War er fähig – würde er es wagen, sich der fürchterlichsten der Comyn-Kräfte zu stellen?

Dyan lachte laut auf. »Du? Du – Terraner!« Wie er es aussprach, war das Wort eine Beleidigung.

Ich war noch nicht bereit, mich geschlagen zu geben. »Sollen wir die Dämpfer abstellen – und es an Euch beweisen, Lord Ardais?«

Jetzt bluffte ich wirklich. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, ob Marius die Alton-Gabe besaß oder ob er schreiend zusammenbrechen würde, wenn ich seinen Geist gewaltsam öffnete. Aber Dyan wußte es auch nicht, und sein Gesicht wurde blaß, bevor er es senken konnte.

»Und doch ist es ein Bluff«, ließ sich Lerrys hören. »Wir alle wissen, daß die Sharra-Matrix zerstört worden ist. Mit welchem Popanz willst du uns ängstigen, Lew? Wir sind keine Kinder, die vor Schatten zittern! Sharra? Soviel für Sharra!« Er schnippte mit den Fingern.

Ich ließ alle Vorsicht fahren. »Zerstört?« schrie ich. »Sie befindet sich in diesem Augenblick in meinem Zimmer!«

Ich hörte das Keuchen, das den Kreis umlief. »Du hast sie?«

Ich nickte langsam. Sie würden mich nicht noch einmal einen Lügner nennen.

Und dann bemerkte ich das höhnische Glitzern in Dyans Augen.

Plötzlich erkannte ich, daß ich alles andere als klug gewesen war.

Das Schwert des Aldones

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