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ABTEILUNG FÜR

FREMD-ANTHROPOLOGIE

COTTMAN VIER (Darkover)

An alle medizinischen Dienststellen des Imperiums auf offenen und geschlossenen Planeten: Sie erhalten hiermit Anweisung, Menschen mit telepathischen oder Psi-Talenten ausfindig zu machen, vorzugsweise solche, deren Fähigkeiten latent und unentwickelt sind. Nicht gemeint sind Personen, die des Profits wegen hellseherische Kräfte benutzen, da solche von einer fortgeschrittenen Technologie simuliert werden können. Sie haben die Vollmacht, ihnen Verträge des Medizinischen Dienstes, Klasse A, anzubieten ...

Wenn man ein großes Netz bis an die Enden des bekannten Universums auswirft, fangen sich seltsame Dinge in seinen Maschen ...

Rondo war ein kleiner, verhutzelter Mann unbestimmbaren Alters, und er hatte entsetzliche Angst. Er schmeckte diese Angst wie etwas Kaltes in seinem Mund, und er versuchte, sie abzuschütteln. Denn sie störte die Konzentration, die er für das, was er vorhatte, dringend brauchte.

Seine Augen waren nur ein Paar unter einigen fünfzig, die der Spiralbahn der Kugel folgten. In einem zunehmend exzentrischen Orbit sauste sie innerhalb der großen kristallenen Spielmaschine umher. Wenn sie gegen andere auf Zufallsbahnen wirbelnde Materiebröckchen stieß, änderte sich der Orbit, und langsam, langsam wanderte sie in der Gewichtslosigkeit abwärts, um endlich – endlich – in einen der Fangbecher zu fallen ...

Hier, hier. Das Etwas in seinem Geist – er hatte keinen Namen für die Gabe, die er schon immer besessen hatte – langte hinaus und berührte die Kugel behutsam. Wie ein weiteres treibendes Staubflöckchen dirigierte es die unvorhersehbare Bahn ganz leicht in Richtung der sich unaufhörlich drehenden Becher am Boden der Maschine. Langsamer, schneller – warte, warte, meiner ist noch nicht da ... jetzt, JETZT!

Die Kugel bewegte sich schneller, wie von einem Magneten angezogen, und fiel klick in einen Becher. Aus einigen fünfzig wartenden Kehlen und Mündern stieg der Seufzer nachlassender Spannung auf. Dann erhob sich ein unartikulierter Schrei der Enttäuschung.

Die Stimme des Croupiers verkündete: »Nummer acht-vierzwei gewinnt, sechs zu eins.«

Rondo zitterte so heftig, dass er seinen Gewinn kaum zusammenraffen konnte. Die Augen des Croupiers straften die leidenschaftslose Stimme Lügen. Sie sagten: »Warte nur, du Bastard. Sie kommen schon. Diesmal hast du dein Glück überstrapaziert, du kleiner Schurke ...«

So liefen seine Gedanken, während er weiterleierte: »Setzen Sie für die nächste Runde. Legen Sie das Geld hin.« Seine Hand drückte den Knopf, der die Kugel auf eine neue Reise schickte.

Rondo spielte mit seinem Gewinn herum und begann, alles wie hypnotisiert auf einen der Fangbecher zuzuschieben, der genau vor ihm gähnte – zwei Zoll im Durchmesser für jedes andere Auge, ein wartender Abgrund für ihn. Er hätte längst gehen sollen; er wusste es genau, und doch stand er unter einem Zwang, der wie eine Krankheit war, er sah einen Becher glänzen, leuchten, überlaufen von dem Gold, das ihm gehören konnte ...

Er schob die Münzen auf den Becher zu, der sich in seiner Phantasie wie ein großer Mund öffnete, und sah im Geist schon den goldenen Strom ...

Es war eine Krankheit. Das war ihm klar, während er die kreisende Kugel verfolgte, eine Krankheit, die vielleicht aus dieser ihm selbst unheimlichen Geschicklichkeit geboren war. Hilflos jetzt, wo die Wetten platziert waren, heftete er seinen Blick auf die Kugel und beschimpfte sich in Gedanken so laut, dass er meinte, die Männer neben ihm im Spielsalon müssten es hören:

Verdammter Idiot – Unverstand – nimm deinen Gewinn und verschwinde – gleich packen sie dich – gleich packen sie dich, nimm deinen Gewinn und laufe, LAUFE, LAUFE, SIE KOMMEN, KOMMEN JETZT ...

Trotzdem blieb er wie gelähmt stehen, bis die Hand auf seine Schulter fiel und eine ruhige Stimme den Aufstieg der kleinen goldenen Kugel mit den Worten anhielt:

»Die Einsätze gehen zurück, Ladies und Gentlemen. Das nächste Spiel beginnt in drei Megasekunden. Wir haben Grund zu der Annahme ...«

Rondo hörte nicht mehr, was danach kam. Er quietschte: »Ihr habt selbst gesagt, eure Maschinen seien nicht manipulierbar, ihr dreckigen Betrüger! Hat irgendwer gesehen, dass ich den Apparat auch nur mit einem Finger angefasst habe?«

Die Stimme war nicht laut, füllte den Spielsalon aber wie der Klang einer Glocke. »Keine Maschine ist sicher gegen einen Esper. Du hast verdammt oft gewonnen.« Der Griff um seinen Arm verstärkte sich, und Rondo ging ohne ein weiteres Wort. Er wusste, Protest war sinnlos, und seine Angst spielte dazu den Kontrapunkt: Meine eigene Schuld ... keine Zurückhaltung ... kein Beweis, kein BEWEIS ...

Draußen vor dem Spielsalon ließ der Druck auf seinem Arm erst ein bisschen nach, dann packte die Hand ihn um so fester. Der Mann, der über dem kleinen Spieler aufragte, sagte: »Wir haben keinen von einem Gericht anerkannten Beweis, und es gibt kein Gesetz, das das Espern einer Maschine auf Gewinn verbietet. Wenn du ein bisschen schlauer gewesen wärst – juristisch können wir dir nichts anhaben. Aber mach bloß, dass du wegkommst, und wenn wir dich hier drin noch einmal erwischen, wirst du nicht mehr lange genug leben, um deinen Gewinn zu genießen.«

Eine grobe Hand drehte seine Taschen nach außen. »Du hast schon genug eingesackt«, sagte der Mann. »Vergiss die heutige Ernte! Und nun hau ab!« Ein gut gezielter Tritt, und Rondo stolperte aus dem Gebäude auf die Straße, hinaus ins helle Licht des großen, künstlichen Mondes der Vergnügungswelt Keef.

Er zitterte wie ein geprügelter Hund und betastete seine leeren Taschen. Er hatte es wieder getan. Jetzt war er aus jedem Spielsalon auf Keef verbannt, wie es ihm schon auf vier oder fünf anderen Welten ergangen war. Früher oder später entdeckte man ihn. Es war die Sucht des krankhaften Spielers, die ihn immer wieder zurückholte, die es nicht zuließ, dass er kleine Summen, normale Gewinne einstrich und ging, um in ein paar Tagen oder einer Woche von neuem zu spielen.

Da stand er unter dem riesigen falschen Mond mit seinem rosenfarbenen Licht und hasste und hasste. Vor allem hasste er sich selbst. Er hatte sich das selbst angetan, das erkannte er in lichteren Momenten. Der Grund war tief in seinem Inneren vergraben, dort, wo auch die merkwürdige Fähigkeit lag, vorherzusagen, den Fall zu kontrollieren. Sie hatte ihn überall verhasst gemacht, sogar als er sie noch (eine kleine Weile, vor vielen, vielen Jahren) dazu benutzt hatte, zu warnen, zu helfen, zu heilen. Und jetzt zwang ihn die Sucht, die er nicht unter Kontrolle zu halten vermochte, immer weiter zurückzugehen, alles auszulöschen im Fieber darüber, wie eine Karte, eine Kugel fiel.

Was sollte er jetzt anfangen? In seiner Unterkunft war weniger Geld versteckt, als er brauchte, um den Planeten zu verlassen. Er war hier auf Keef gestrandet, und an diesem Ende des Imperiums ging die Raumpolizei nicht gerade sanft mit Bedürftigen um. Wer krank oder verarmt auf einem Planeten des Überflusses hängen blieb, wurde außer Sicht geschafft. Vielleicht fand er Arbeit als Badewärter in einer der großen Vergnügungsstätten, die euphemistisch Bäder genannt wurden. Für alles andere dort war er weder jung noch schön genug, auch wenn das Etwas in seinem Gehirn ihm ermöglicht hatte, annähernd so jung und schön wie ein durchschnittlicher Tourist auf einer Welt wie dieser auszusehen. Nur indem er alle seine Kräfte auf das Spiel konzentrierte, konnte er sich davor bewahren, krank zu werden ...

Und nun war er auch davon ausgeschlossen.

Sein Kiefermuskel spannte sich, und sein Gesicht wurde sehr hässlich. Er war hinausgeworfen worden, weil er zu oft gewann.

Nun gut, sollten sie einmal sehen, was sie damit angerichtet hatten, dass sie seinen Zorn erweckten! Die rote, überwältigende Wut des unbeherrschten Psychoten stieg in ihm auf. Der Schaden, den seine Sucht ihm zufügte, war ihm jetzt einerlei. Er sah nur noch, dass er von dem einen Spiel auf dem ganzen Vergnügungsplaneten ausgeschlossen war, das ihm Vergnügen machte, und das war das Fallen und Kreisen und Dahintreiben einer Orbit-Kugel. Es tat weh, und er wollte nur noch Rache.

Bewegungslos stand er da, seine Gedanken auf das eine Ding gerichtet, das ihn interessierte, die fallende Kugel, die fallende Kugel ...

Die Welt um ihn schwankte und blieb stehen. Das Etwas in dem halbpsychotischen Geist des Telepathen lähmte ihn und lähmte auch dies einzig interessante Ding ...

Drinnen in der Spielhalle starrten siebzig Spieler, ein Croupier und ein Manager ungläubig, als das kreisende, fallende Goldflöckchen in der Maschine mitten in der Luft hängen blieb und sich nicht mehr bewegte.

Es dauerte eine halbe Stunde, bis die verärgerten Spieler sich auf die Suche nach anderen Vergnügungen machten. Rondo kam wieder zu sich und erinnerte sich, dass er weglaufen musste. Doch da war es schon zu spät.

Sie ließen ihn schließlich blutend und zu mehr als neun Zehnteln tot im Rinnstein einer dunklen Sackgasse liegen. Eine Stunde darauf wurde der stöhnende Rondo von zwei Raumpolizisten gefunden. Sie wussten nicht, wer er war, und entschlossen sich, ihn auf alle Fälle in ein Krankenhaus zu bringen. Und da blieb er lange, lange Zeit ...

Als die Welt sich wieder unter ihm drehte, kamen ihn nacheinander zwei Männer besuchen.

»Darkover ...« Rondo wollte es nicht glauben. »Warum im Namen von allem, was unheilig ist, sollte ich Lust haben, nach Darkover zu gehen? Ich weiß über diesen Planeten nur, dass es eine höllisch kalte Welt am Rand des Universums ist und nicht einmal so viel Anstand hat, zum Imperium zu gehören. Andere Telepathen? Teufel, es ist schlimm genug, dass ich selbst eine Abnormität bin! Soll ich mich darüber freuen, dass es noch andere gibt?«

»Trotzdem, denken Sie darüber nach«, meinte der Mann neben seinem Krankenhausbett. »Ich möchte keinen Druck auf Sie ausüben, Mr. Rondo, aber wohin wollen Sie sonst gehen? Hier können Sie gewiss nicht bleiben. Und verzeihen Sie, wenn ich es erwähne, Sie sehen nicht so aus, als hätten Sie große Chancen, eine andere Beschäftigung zu finden.«

Rondo zuckte die Schultern. »Es wird sich schon etwas ergeben.« Das war sein Ernst. Immer trafen mit den großen Schiffen irgendwelche Trottel ein. Er war nicht auf dem ganzen Planeten ein geächteter Mann. Irgendwie würde er sich Geld erspielen und verschwinden; es gab immer noch Planeten, auf denen er es bisher nicht versucht hatte.

Doch dann tauchte ein zweiter Besucher auf, und er änderte seine Meinung. Der Plan klang ja recht verlockend. Nach den strengen Vorschriften des Imperiums waren alle Spielmaschinen von Kraftfeldern umgeben, die es unmöglich machten, sie zu manipulieren – aber, so redete ihm der Besucher zu, kein Kraftfeld konnte einen Esper ausschließen. Man würde für Verkleidungen sorgen und ihm einen großzügigen Anteil am Gewinn geben ...

Und bei allen schönen Reden nahm er das unmissverständliche Gefühl wahr, das ihm den Gangster verriet. Eine solche Gruppe hatte ihn fast totgeschlagen. Sollte er sich jetzt mit einer anderen einlassen?

Rondo war ein Einzelgänger, war es sein ganzes Leben lang gewesen, er hatte auch nicht die Absicht, sich zu ändern. Schlimm genug, dass er die eine Gang auf dem Hals hatte. Der Gedanke, zwischen zwei rivalisierende Gruppen zu geraten, ließ sogar ihn mit seiner selbstzerstörerischen Spielsucht zusammenzucken.

Wenn Darkover auch nicht der geeignete Ort für ihn zu sein schien, konnte man ihn doch nicht zwingen, dort zu bleiben. Der Planet musste einen großen Raumhafen haben, und wo es einen Raumhafen gab, wurde gespielt, und wo gespielt wurde, ließ sich Beute machen – und dann wartete von neuem eine ganze große Galaxis auf ihn.

Er rief die Nummer an, die ihm der erste Besucher dagelassen hatte.

Conner war bereit zu sterben.

Er schwebte wieder, wie er seit dem Unfall vor einem Jahr so viele Male geschwebt war: schwerelos, krank, desorientiert. Sterbend, und der Tod wollte nicht kommen. Nicht schon wieder. Ich war bereit, nach der Überdosis zu sterben. Ich dachte, damit würde es aufhören. Und nun fängt es von neuem an. Ist das meine Hölle?

Die Zeit verflog, wie sie es immer tat, ein paar Minuten, eine Stunde, fünfzig Jahre lang trieb er durch den Kosmos, und eine Stimme sagte laut und deutlich in seinem Gehirn, nicht in Worten: Vielleicht können wir helfen, aber du musst zu uns kommen. So viel Schmerz, so viel Entsetzen, dafür gibt es keinen Grund ...

Wo, wo? Seine ganze Welt, sein ganzes Sein war ein stummer Schrei. Wo kann ich dies abstellen?

Darkover. Habe Geduld, man wird dich finden.

Wo bist du, der du zu mir sprichst? Wo ist dieser Ort? Conner versuchte, in dem endlosen Drehen eine Richtung auszumachen.

Die Stimme verklang. Nirgendwo. Nicht im Körper. Hier ist nicht Zeit, nicht Raum.

Das unsichtbare Band des Kontakts wurde dünner, ließ ihn allein in seiner schwerelosen Hölle, und in seinem Inneren kreischte Conner: Geh nicht, geh nicht, du warst mit mir da draußen, geh nicht ...

»Er kommt zu sich«, bemerkte eine viel zu irdische Stimme, und Verzweiflung und Einsamkeit und Qual verschwanden vor der furchtbaren körperlichen Übelkeit. Conner öffnete die Augen und sah vor sich das muntere, durchaus nicht anklagende Gesicht von Dr. Rimini. Der Arzt gab beruhigende Laute von sich, die Conner nicht liebte, da er sie schon viel zu oft vernommen hatte. Conner hörte stumm zu, versprach mechanisch, es nicht wieder zu tun, und versank wieder in die leblose Apathie, aus der er nur zweimal aufgewacht war, um einen vergeblichen Selbstmordversuch zu machen.

»Ich verstehe Sie nicht«, erklärte Rimini. Er sprach freundlich und mitfühlend, aber Conner wusste jetzt, wie leer die Worte waren. Er war Rimini verdammt gleichgültig, nur dass man ihn hier als einen hartnäckigen und immer noch interessanten Fall ansah. Natürlich nicht als einen Menschen mit einer einmaligen und grauenhaften Art zu leiden. Nur als einen Fall. Er öffnete einen Spalt in seinem Geist, um den Arzt weiterquasseln zu hören: »Sie haben nach dem Unfall so viel Lebenswillen gezeigt, Mr. Conner, und nachdem Sie diese Tortur überlebt haben, wäre es doch unsinnig, wenn Sie jetzt aufgeben ...«

Conner jedoch hörte ein Gebrüll, das Riminis Worte auslöschte, und das war die eigene Todesangst des Arztes. Sie überfiel Conner wie ein ekelhaftes, kleines, schäbiges Ding, und die Angst des Arztes vor dem, was Conner geworden war – kann er meine Gedanken lesen, weiß er, dass ich ... und der Strom versickerte in einer Wildnis von Obszönitäten, die wenigstens teilweise der Grund für seinen Selbstmordversuch waren. Es war nicht der Arzt allein, zu viele waren wie er, so dass Conner das Krankenhaus mit dem animalischen Schaudern von Körper und Geist in Qualen immer noch erträglicher fand als die Welt draußen, wo in den Gehirnen der Menschen Begierden und Lüste vorherrschten. Er war im Krankenhaus in ein Loch gekrochen und hatte es hinter sich zugezogen, und er kam daraus nur zum Vorschein, wenn er es der Abwechslung halber mit dem Sterben versuchte, und Erfolg hatte er nie.

Rimini plapperte sich schließlich wieder davon, und Conner lag da und blickte zur Decke hinauf. Am liebsten hätte er gelacht. Nicht, dass er es lustig gefunden hätte.

Da sprachen sie von dem Lebenswillen, den er nach dem Unfall gezeigt habe! Es war ein schwerer Unfall gewesen. Eins der großen Schiffe war im Raum explodiert, und das Personal hatte kaum Zeit gehabt, sich in die Rettungsboote zu drängen. Vier Mann hatten sich stattdessen in die experimentellen Blasenanzüge gestürzt und waren damit in den Raum gefallen.

Die anderen waren nie aufgefischt worden. Manchmal überlegte Conner, was ihnen zugestoßen sein mochte: War gnädigerweise das Lebenserhaltungssystem ausgefallen, so dass sie schnell und bei Verstand sterben durften? Waren sie alle wahnsinnig geworden und hatten sich zu Tode getobt? Trieben sie immer noch irgendwo durch die endlose Nacht? Er zuckte vor dem Gedanken zurück. Seine eigene Hölle war schlimm genug.

Die Blasen waren dazu gedacht, ein paar Minuten lang Schutz zu bieten, bis ein Rettungsboot den Verunglückten aufnahm, nicht tage- oder wochenlang. Das Lebenserhaltungssystem war narrensicher, und es hatte sich nicht nur bewährt, es hatte zu gut funktioniert. Conner hatte endlos wiederaufbereiteten Sauerstoff geatmet, war von intravenös zugeführten Nährstoffen gefüttert worden und am Leben geblieben. Und immer weiter am Leben geblieben. Tagelang, wochenlang, monatelang, sich im freien Fall in einem unsichtbaren Blasenfeld drehend, und sonst nichts zwischen sich und den Trillionen und Abertrillionen von Sternen.

Er hatte die Zeit nicht messen können. Er wusste nicht oben von unten zu unterscheiden, hatte keine Orientierungshilfe. Es gab nichts anzusehen als die fernen flammenden Punkte der Sterne, die um ihn kreisten, während er in kurzen Tagen um seinen eigenen Mittelpunkt rotierte.

In der Vorgeschichte der Psychologie hatten Menschen nach fünf Stunden in einem Tank, der sie aller Sinneseindrücke beraubte, den Verstand verloren.

Etwa die ersten zehn Tage – das rechnete er sich später aus – verbrachte Conner in verzweifelter Hoffnung auf Rettung und in dem Bemühen, bei Verstand zu bleiben.

Dann wurde er in seinem ihn gefangen haltenden Privatuniversum wahnsinnig. Seinen eigenen Mittelpunkt kontemplierend, drehte er sich wie ein Gott und kam zu der Erkenntnis, dass es auch im Wahnsinn weder Schutz noch Tod gab. Es gab nicht einmal mehr Hunger, um sich daran zu orientieren.

Es gab nur seinen eigenen Geist und das Universum. Und so begann er, das Universum zu durchstreifen, ließ seinen Körper zurück, gab seinem Geist völlige Freiheit. Er besuchte tausend, tausend Welten, berührte tausend, tausend Gehirne und unterschied niemals Traum und Wirklichkeit.

Durch einen unglaublichen Zufall wurde er vier Monate nach der Explosion gerettet. Conner war wahnsinnig, aber auf seltsame Weise. Sein Gehirn, zu lange mit sich selbst allein gelassen, hatte gelernt, in die Ferne zu greifen, und nun war er zu etwas geworden, für das er keinen Namen hatte und das andere Leute sich nicht vorzustellen vermochten. Jetzt war er an einen Körper gefesselt, der Hunger, Durst, Schwerkraft und Druck unterworfen war, er konnte ihn nicht mehr zurücklassen, und er ertrug das Leben nicht, das er so gern wegwerfen wollte.

»Mr. Conner«, riss eine Stimme ihn aus seinen Gedanken, »Sie haben Besuch.«

Ohne Neugier hörte er dem Mann zu und wünschte, er würde weggehen, bis er den Namen Darkover vernahm.

Es ging ihm nur darum, jedem weiteren Kontakt mit dem Krankenhaus zu entkommen, denn dieser Zufluchtsort war eine Sackgasse geworden, eine Mausefalle für seine Seele. Vielleicht gab es auf einer Welt voller Telepathen auch jemanden, der ihm half, mit diesem Ding fertig zu werden, die Alptraumgestalt aufzulösen, zu der er geworden war, ohne es zu wünschen und ohne zu wissen, warum.

Und vielleicht fand er dort die Stimme aus seinem Traum ...

David Hamilton taumelte blindlings durch die Tür, lehnte sich kurz gegen die Wand und wischte sich den Schweiß vom Gesicht.

Er hatte es wieder einmal geschafft, aber Gott! Die blinde Panik, als in dem narkotisierten Patienten das Licht zu verlöschen begann ...

Nein, es wurde zu viel. Er musste kündigen. Das Krankenhaus rings um ihn, vollgestopft mit Menschen und Nichtmenschen, atmete und schwitzte durch jede Ritze in der Wand Schmerz und Elend aus, und obwohl David in jahrelanger Praxis gelernt hatte, das meiste davon auszuschließen, hatte die gerade durchgeführte Operation seine Verteidigungen geschwächt, und nun stürmte es wieder von allen Richtungen auf ihn ein.

Stöhnt die ganze Welt vor Schmerz? Seine überreizten Nerven vermittelten ihm ein absurdes und Furcht erregendes Bild, ein Planet, der wie ein gespaltener Schädel aufbrach, eine Weltkugel mit einem Verband um den Äquator. Er brach in Gekicher aus und konnte sich gerade noch in dem Sekundenbruchteil beherrschen, als es zu einem hysterischen Anfall werden sollte.

Zwecklos. Ich muss kündigen.

Ich bin nicht wahnsinnig. Ich bin daraufhin gründlich untersucht worden, als ich neunzehn war und eben mit dem Medizinstudium angefangen hatte.

Ich habe das Medizinstudium mit schierer Willenskraft durchgehalten, und was ich sonst auch dabei gelernt oder nicht gelernt haben mag, es hat mir ein unheimliches Fingerspitzengefühl für Diagnosen gegeben. Aber hier im Krankenhaus wird es mir zu viel. Zu viele Symptome, zu viele Leute in Angst und Schrecken. Zu viele Schmerzen, und ich muss sie alle fühlen. Ich helfe niemandem, indem ich sie teile.

Dr. Lakshman, dunkel und ernst, die Augen unter der weißen Chirurgenkappe voller Mitleid, ging den Flur entlang und legte David kurz die Hand auf die Schulter. David in seinem Zustand wich vor der Berührung zurück. Dann entspannte er sich. Lakshman war wie immer ganz saubere Sympathie und Freundlichkeit, ein ruhiger Fleck in einer Welt voller Entsetzen. Er fragte: »Wird es schlimmer, Hamilton?«

David brachte ein Lächeln zustande. Er fühlte sich wie ein ausgewrungener Wischlappen. »Bei dem heutigen Stand der medizinischen Wissenschaft sollte man meinen, es gebe ein Heilmittel für meine spezielle Art von Verrücktheit.«

»Es ist keine Verrücktheit«, erwiderte Lakshman, »und unglücklicherweise gibt es kein Heilmittel. Nicht hier. Zufällig sind Sie eine Abnormität von einer sehr seltenen Art, David, und ich sehe jetzt seit mehr als einem Jahr zu, wie es Sie umbringt. Aber vielleicht gibt es eine Lösung.«

»Sie haben doch nicht –« David erschrak. Hatte ausgerechnet Lakshman sein Vertrauen missbraucht? Wem konnte er trauen? Der ältere Mann schien seinen Gedanken zu folgen. »Nein, ich habe mit niemandem darüber gesprochen. Aber als die Nachricht kam, habe ich sofort an Sie gedacht. David, wissen Sie, wo Cottmans Stern ist?«

»Keine Ahnung«, sagte David. »Interessiert mich auch nicht.«

»Der Stern hat einen Planeten – Darkover nennt man ihn«, berichtete Lakshman. »Dort gibt es Telepathen, und sie suchen nach – nein, hören Sie zu«, befahl er, als David sich unter seinen Händen verkrampfte. »Vielleicht kann man Ihnen dort helfen, etwas über diese Sache herauszufinden, sie unter Kontrolle zu bringen. Wenn Sie versuchen, hier im Krankenhaus weiterzumachen – nun, viel wird man Ihnen nicht mehr nachsehen, David. Früher oder später lenkt es Sie in einem kritischen Moment ab. Ihre Arbeit haben Sie bisher gut getan. Aber Sie sollten sich das einmal durch den Kopf gehen lassen. Oder Sie vergessen die Medizin und suchen sich einen Job im Forstdienst auf irgendeiner unbewohnten Welt. Einer sehr unbewohnten.«

David seufzte. Er hatte gewusst, dass es so kommen würde, und wenn neun Jahre des Studiums und der Arbeit umsonst gewesen wären, kam es nicht sehr darauf an, wohin er ging.

»Wo ist Darkover?«, fragte er. »Hat man dort einen guten Medizinischen Dienst?«

Die Weltenzerstörer

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