Читать книгу Fürstenkrone Staffel 6 – Adelsroman - Marisa Frank - Страница 7

Оглавление

Die Wolken jagten über den Himmel, der Wind zerrte an Prinzessin Angelas schulterlangen Locken, blähte ihren Rock auf. Sie schien sich nicht daran zu stören und schritt durch ihren Obstgarten, der in voller Blüte stand. Angela Prinzessin von Rittlingen lehnte sich an einen Stamm. Eine der Blüten wurde vom Wind abgerissen und fiel direkt vor ihre Füße. Sie bückte sich danach, betrachtete sie sinnend. Ein Unwetter würde die Ernte nicht beeinträchtigen, es dürfte nur keinen Frost mehr geben. Sie war angewiesen auf einen guten Ertrag. Dieses Jahr wollte sie ihre Ernte direkt auf dem Markt verkaufen, da erzielte sie höhere Preise.

Prinzessin Angela hörte den Mann nicht rufen, der Wind, der sich inzwischen zum Sturm gemausert hatte, nahm seinen Ruf mit sich.

Graf von Eckhold mußte gegen den Sturm ankämpfen, um zu seiner Freundin zu gelangen. Er packte sie an den Schultern.

»Angela, was fällt dir nur jetzt wieder ein? Ich suche dich bereits seit einer halben Stunde, und du stehst hier und läßt dich durchblasen. Jeden Augenblick kann das Unwetter losbrechen.«

Angela sah zum Himmel hinauf.

Die Wolken hatten sich nun geballt, dunkel und drohend standen sie am Himmel. Wie zur Bestätigung von Graf Olivers Worten durchzuckte ein greller Blitz die Wolkenwand.

»Komm!« Graf Oliver mußte schreien, um sich verständlich zu machen. Er begann zu laufen, ließ dabei jedoch Prinzessin Angelas Arm nicht los. Er zog sie mit, sie stolperten die ausgetretenen Steinstufen hinunter, eilten auf den Torbogen zu, als sich plötzlich ein Stein aus dem Gemäuer löste und ihnen vor die Füße rollte.

Graf Oliver verhielt den Schritt.

Entsetzt sah er seine Freundin an. Da setzte der Regen ein. Es geschah so schlagartig, daß die beiden bis auf die Haut durchnäßt waren, als sie endlich durch das offenstehende Tor das Burginnere erreicht hatten. In der Halle war es kalt, deutlich war der Wind zu hören, der um das alte Gemäuer heulte.

»Das hast du nun davon«, schimpfte Oliver. Er schüttelte sich, strich sich das nasse Haar aus der Stirn. Sein Blick fiel auf Angela, die fröstelnd die Schultern in die Höhe zog. Freundlicher meinte er: »Liebes, du mußt dich umziehen, du holst dir sonst eine Verkühlung.«

Angela nickte. »Wir wollen hinaufgehen, auch du mußt dich trocknen, und dann mache ich uns einen Tee.«

Oliver brummte etwas Unverständliches, aber er folgte ihr über eine Treppe in einen schwach beleuchteten Gang, der in den Seitentrakt führte. Hier hatte sie sich eine kleine Wohnung eingerichtet. Sie brachte Oliver ein Handtuch, dann zog sie sich in ihr kleines Schlafzimmer zurück. Seufzend begann Oliver sich die Haare zu trocknen. So konnte es nicht weitergehen. Er konnte es einfach nicht zulassen, daß Angela sich weiter in diesem alten Gemäuer aufhielt. Es war zu gefährlich.

Er ließ das Handtuch sinken und lauschte. Selbst hier konnte man den Wind noch hören, obwohl Angela die Fenster erst kürzlich hatte isolieren lassen. Er mußte zugeben, sie hatte es verstanden, wenigstens drei Räume der alten Burg wohnlich einzurichten, aber sonst konnte man sich in der Burg, die langsam aber sicher zur Ruine wurde, nirgends mehr aufhalten.

Angela kam aus ihrem Schlafzimmer, sie lächelte ihm zu, und er stellte fest, daß sie bezaubernd aussah. Sie trug einen Hosenanzug, der ihre Figur ausgezeichnet zur Geltung brachte. Ihre schulterlangen Locken hatte sie mit einem Band zusammengebunden. Sie trug kein Make-up, sie wirkte wie ein junges Mädchen. Oliver brachte es nicht fertig, länger ärgerlich zu sein. Er ging zu ihr und küßte sie.

Nach einigen Minuten entzog sie sich seinen Armen.

»Ich muß mich um deine Gesundheit kümmern. Zieh zumindest das Jackett aus. Ich verschwinde in die Küche und koche Tee. Mal sehen, ob ich auch etwas zu essen finde. Ich habe ja heute mit deinem Kommen nicht gerechnet.«

»Ein Flug ist ausgefallen, und da habe ich mich ins Auto gesetzt und bin hergefahren. Ich hoffe, ich komme dir nicht ungelegen.«

»Nein!« Sie lächelte ihn an. »Ich wollte nur im Garten arbeiten, aber bei diesem Wetter ist dies sowieso nicht mehr möglich.« Sie drehte sich um und verschwand in die Küche. Die Tür ließ sie angelehnt, und so hörte er sie hantieren. Das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht. Angela mußte alles selbst machen, seit Jahren gab es auf der Burg keine Angestellten mehr. Ohne das Jackett auszuziehen, folgte er ihr in die Küche.

Angela hatte den Kühlschrank geöffnet. »Bist du mit Leberwurstbroten einverstanden?« fragte sie, ohne sich aufzurichten. »Ich habe noch ein Glas Essiggurken, auch könnte ich ein paar Eier kochen.«

»Angela, du sollst nicht für mich die Köchin spielen.«

»Ich habe aber auch Hunger.« Sie holte die Leberwurst aus dem Kühlschrank, dann drehte sie sich nach ihm um. »Dein Jackett«, mahnte sie. »Du hast es noch immer nicht ausgezogen. Warte, ich hole einen Kleiderbügel.« Sie wollte an ihm vorbei, doch er hielt sie fest.

»Ich möchte nicht, daß du mich bedienst.«

»Mach dich doch nicht lächerlich!« Sie entzog ihm ihren Arm, eilte ins Schlafzimmer und kam mit einem Kleiderbügel zurück. »Nun gib mir schon dein Jackett. Zum Glück ist es nicht kalt, aber wir können den Ofen anmachen.«

Oliver schlüpfte aus seiner Jacke und hielt sie Angela hin. »Um den Ofen kümmere ich mich. Ich heize ein.«

Ein kleines, amüsiertes Lächeln huschte um die Lippen der Prinzessin. »Du kannst es ja versuchen, aber hast du schon einmal in einem Ofen Feuer gemacht? Es ist ein alter Ofen, es gehört eine gewisse Technik dazu, ihn einzuheizen.«

Oliver wußte, daß sie recht hatte, daher sagte er heftiger als beabsichtigt: »Ich finde es nicht gut, daß du hier alles allein machst. Du mußt dir zumindest ein Hausmädchen nehmen.«

»Wo sollte das denn wohnen? Und was noch wichtiger ist, wovon sollte ich es bezahlen?« Angela konnte nur den Kopf schütteln. »Oliver, wir wollen nicht schon wieder damit anfangen.«

»Du mußt hier heraus! Du kannst einfach nicht länger hier leben!«

Prinzessin Angelas Miene wurde abweisend. »Warum? Findest du es hier etwa nicht gemütlich?«

»Angela, bitte, versteh mich nicht falsch!« Er ging zu ihr, legte ihr die Hand auf die Schulter. »Ich kann es einfach nicht zulassen. Es ist zu gefährlich! Du lebst hier mutterseelenallein.«

»Es ist mein Zuhause!« Sie streckte sich unter seinen Händen, ihr Blick wurde eisig.

Aus Erfahrung wußte er, daß man mit ihr darüber nicht reden konnte. Es war besser, dieses Thema zu vermeiden, wollte er verhindern, daß es wieder zu einem Streit kam. So ließ er sie auch los und ging hinüber in ihr Wohnzimmer, wo er versuchte, ein Feuer in Gang zu bringen. Der Versuch scheiterte kläglich, und er fuhr herum, als er Angela hinter sich lachen hörte.

»Laß gut sein! Solange der Sturm so tobt, hat es auch keinen Sinn. Der Rauch kann nicht abziehen. Komm!« Sie streckte die Hand nach ihm aus und meinte versöhnlich: »Der Tee ist fertig. Er wird dir guttun.«

»Wie du hier nur leben kannst«, brummte Oliver. Er erhob sich, wollte ihre Hand nehmen, stellte jedoch fest, daß er rußig war. Er fluchte.

»Aber, Graf«, spottete Angela, »das ist nicht gerade die feine Art!«

»Mach dich nur lustig! Du wirst so lange hier hausen, bis das ganze Gebäude über dir zusammenfällt.« Er eilte an ihr vorbei, um sich seine Hände am Waschbecken zu reinigen. Schweigend reichte sie ihm ein Handtuch.

»Frierst du?« fragte er, nachdem er sie einen Augenblick betrachtet hatte.

»Ich nicht! Ich bin es gewohnt. Wenn der Ofen erst mal eingeheizt ist, dann ist es hier gleich warm.« Sie ging zum Herd und holte die Teekanne.

»Kann ich dir helfen?« fragte Oliver.

»Die Tassen sind im Schrank, das weißt du ja.«

Oliver, der öfter hier war – leider nicht so oft, wie er wollte, da er durch seinen Beruf sehr viel unterwegs war – ging sofort zum Tisch und deckte ihn. »Du machst aus mir noch einen perfekten Hausmann«, brummte er dabei.

»Das will ich gar nicht!« Sie sagte es mit Nachdruck.

Er ging zu ihr hin, nahm ihr die Teekanne aus der Hand, dabei fragte er, ihr tief in die Augen sehend:

»Was willst du dann?«

Sie erwiderte seinen Blick. »Ich denke über die Zukunft nicht nach. Ich bin froh, daß ich noch hier leben kann, und freue mich, wenn du auf Besuch kommst.«

»Mir ist es ein Rätsel, was du die ganze Zeit treibst.«

»Aber das weißt du doch!« Sie lachte. »Ich versuche zu überleben. Ich habe mir jetzt auch einen Gemüsegarten angelegt. Dieses Jahr werde ich zum ersten Mal Kartoffeln und Karotten aus dem eigenen Garten essen können.«

Er stellte die Teekanne auf den Tisch. »Du scheinst wirklich vergessen zu haben, wer du bist.«

»Du irrst! Das hier ist der Besitz meiner Vorfahren, das hier ist mein Zuhause!« Ruhig griff sie nach der Kanne und begann, die Tassen zu füllen. »Was spielt es denn für eine Rolle, daß ich jetzt nicht nach dem Mädchen klingeln kann? Wichtig ist, daß ich noch hier lebe. Da mache ich mein Brot gern selbst.«

»Du tust mehr«, erinnerte Oliver sie. Er blieb beim Tisch stehen, wartete, bis sie sich gesetzt hatte, dann erst nahm er ihr gegenüber Platz. »Du spielst hier Bäuerin, oder wie soll ich es sonst nennen, wenn du nicht gerade den Garten umgräbst oder die Hühner fütterst, fertigst du Puppen an.«

»Stimmt! Davon lebe ich! Einige Souvenirläden haben meine Puppen und andere Kleinigkeiten im Verkauf. Leider ist es noch immer viel zu wenig, um das Schloß renovieren zu lassen.«

»Schloß! Angela, das ist nur noch eine Burgruine! Das ganze vordere Gebäude müßte neu aufgebaut werden.« Er führte die Tasse an die Lippen und nahm einen Schluck. »Angela, ich mache mir wirklich Sorgen. Du bist oft tagelang allein hier. Es könnte dir weiß Gott was zustoßen, niemand würde es erfahren.« Er stellte die Tasse ab und griff nach ihrer Hand.

»Daran habe ich mich gewöhnt. Ich habe keine Angst. Im Gegenteil, ich fühle mich hier bedeutend wohler als in irgendeiner kleinen Mietwohnung in München.«

»Du könntest zu mir in mein Appartement ziehen.« Oliver senkte den Blick, aber er drückte ihre Hand so fest, daß es sie schmerzte. Er machte ihr diesen Vorschlag nicht zum ersten Mal, doch auch jetzt lehnte sie entschieden ab. »Was sollte ich dort? Herumsitzen und auf dich warten? Nein, hier habe ich alles, was ich brauche. Es reicht, um meine Bedürfnisse zu befriedigen.« Sie entzog ihm ihre Hand. »Mach nicht so ein Gesicht!« bat sie. »Du kennst meine Einstellung.« Sie hob den Kopf und lauschte. »Ich glaube, es hat aufgehört zu regnen. Wenn wir gegessen haben, muß ich nachsehen, welchen Schaden das Unwetter angerichtet hat. Die Bretter am Hühnerstall sind ziemlich morsch. Hoffentlich hat es nicht eine Latte losgerissen.«

Oliver wollte etwas sagen, er schluckte es jedoch hinunter. Er würde nicht lange bleiben können. Diese wenigen Stunden, die er in ihrer Gesellschaft verbringen konnte, wollte er so harmonisch wie möglich verleben.

Es war, als habe sie seine Gedanken gelesen, denn unvermittelt fragte sie: »Wie lange kannst du bleiben?«

»Ich muß noch am Abend zurück nach München. Morgen früh fliegen wir nach Hongkong. Ich werde über eine Woche unterwegs sein.«

Sie war enttäuscht, versuchte jedoch, es nicht zu zeigen. »Dann laß dir meine Leberwurstbrote schmecken. Wenn du wieder im Land bist, dann kannst du mich ja einmal zum Essen einladen.«

»Nach München willst du nicht kommen?«

Sie schüttelte den Kopf. Er wußte, daß es keinen Sinn hatte, sie überreden zu wollen. Allerdings fragte er sich, ob sie Angst davor hatte, Bekannten zu begegnen. Die einzige Stadt, die sie hin und wieder aufsuchte, war Passau. Hier machte sie ihre wenigen Einkäufe.

Prinzessin Angela begleitete Graf Oliver zu seinem Wagen. Er hatte in der Nähe des ehemals runden, großen Turms geparkt, der bereits so baufällig war, daß der Eingang mit Brettern vernagelt worden war. Angela hatte sich bei ihm eingehängt. »Schön, daß du vorbeigekommen bist«, sagte sie.

»Ich wäre gern länger geblieben.« Er nahm sie in die Arme. »Angela, es wäre alles einfacher, wenn du von hier wegziehen würdest.«

Rasch schlang sie ihre Arme um seinen Nacken und küßte ihn.

Voller Leidenschaft erwiderte er ihren Kuß, dann nahm er ihr Gesicht zwischen seine Hände. »Liebes, ich mache mir Sorgen.«

Unwillig runzelte sich ihre Stirn.

Er fuhr jedoch fort: »Wenn du schon nicht an dich denkst, dann denke wenigstens an mich, Ich muß dich jetzt hier zurücklassen.«

»Oliver, ich bin doch kein kleines Mädchen mehr.«

»Ich weiß! Du bist eine achtundzwanzigjährige Frau und hast deinen eigenen Kopf. Wenn du schon unbedingt allein leben mußt, dann tue es nicht in diesem baufälligen Gemäuer.« Sie wollte sich ihm entziehen, doch er hielt sie fest. »Du wirst sehen, eines Tages bricht der Boden unter dir ein, und du landest im ehemaligen Verlies, oder irgendeine Mauer stürzt um, wenn du dich dagegen lehnst.«

»Nun übertreibst du aber!« Angela versuchte zu lächeln, obwohl sie wußte, daß Oliver so unrecht nicht hatte. Sie hatte schon selbst festgestellt, daß einige Steine locker saßen. Unwillkürlich sah sie zum Turm hin. Er war wirklich einsturzgefährdet.

Oliver war ihrem Blick gefolgt. »Genau, das meine ich!«

»Soweit ist es noch lange nicht.« Angela legte ihren Kopf in den Nacken, ihre Augen blitzten. »Es kann nichts passieren. Wie du siehst, habe ich nicht nur ein Schild angebracht, auf dem steht, daß das Betreten verboten ist, sondern auch den Eingang vernagelt.«

»Angela.«

»Nein«, sagte sie nun heftig. »Ich gehe nicht von hier weg!« Freundlicher setzte sie dann hinzu: »Ich bleibe hier und warte, daß du wieder einmal vorbeikommst.«

»Morgen früh fliege ich nach Hongkong«, sagte Oliver automatisch. Er war Flugkapitän und meistens auf Überseeflügen eingesetzt.

»Das hast du schon gesagt. Du meldest dich einfach, wenn du wieder in München bist. Und nun sieh zu, daß du wegkommst, sonst bin ich noch schuld, wenn du morgen deinen Flug versäumst.« Sie lächelte, da vergaß er alles, nahm sie einfach noch einmal in die Arme und küßte sie.

Sie hörten das Auto erst, als es bereits die letzte Kurve genommen hatte und an der Mauer anhielt. Sie fuhren auseinander. Die junge Frau, die hinter dem Steuer eines Kleinwagens saß, wäre am liebsten umgekehrt, aber da kam die Prinzessin schon auf sie zu.

»Sie wollen doch sicher zu mir«, meinte sie erfreut. »Brauchen Sie weitere Puppen?«

»Nein, eigentlich nicht!« Frau Geißler stieg unsicher aus ihrem Auto. »Ich wußte nicht, daß Sie Besuch haben, Hoheit!«

»Bitte, Sie wissen doch, daß ich es nicht mag, wenn Sie mich so anreden. Das ist übrigens ein guter Freund von mir, Graf Oliver. Oliver, das ist Frau Geißler. Sie hat in Passau eine Boutique. Sie hat meine neue Puppenkollektion übernommen. Nun hoffe ich, daß diese auch Käufer findet.«

»Ich glaube schon, Hoh… Prinzessin Angela.« Frau Geißler sah zu Graf Oliver hin. Mit der Prinzessin konnte man reden, sie hatten sich schon oft sehr gut unterhalten. Da vergaß man leicht, daß sie blaublütig war. Nun, da sie nicht allein war, wußte Rita Geißler nicht, wie sie sich verhalten sollte. »Ich wollte nicht stören. Ich komme morgen wieder.« Sie neigte den Kopf in Richtung des Grafen.

»Nein, nein, bleiben Sie doch! Sie sind doch gekommen, weil Sie etwas wollten.« Angela sah die junge Frau erwartungsvoll an. Noch immer hoffte sie, daß es um ein Geschäft ging. Sie brauchte Geld, viel Geld, wollte sie im Sommer doch anfangen, den Innenhof etwas renovieren zu lassen.

»Ja, aber es ist nicht wichtig. Ich bin auch sicher, daß der Mann sich heute oder morgen selbst bei Ihnen melden wird.«

»Welcher Mann?« fragte Oliver, der aufmerksam geworden war und nun an Angelas Seite trat.

Frau Geißlers Wangen färbten sich. Sie war keine Klatschbase. Auf keinen Fall wollte sie, daß der Graf jetzt diesen Eindruck von ihr bekam. Sie zuckte die Achseln.

»Es ist vielleicht dumm von mir, daß ich gleich zu Ihnen heraufgefahren bin, aber ich dachte, Sie sollten es wissen, dann sind Sie vorbereitet, wenn der Mann kommt.«

Sie hatte sich wieder der Prinzessin zugewandt. »Dieser Mann war gestern bereits bei mir im Laden und hat sich nach Ihnen erkundigt. Zuerst dachte ich, er wollte Puppen kaufen, doch dann wollte er wissen, wie Sie leben.« Das Rot auf Frau Geißlers Wangen wurde noch dunkler. »Zuerst wollte er nicht glauben, daß Sie auf der Burg leben. Erst als ich ihm jede weitere Auskunft verweigerte, stellte er sich mir vor. Er ist von einem Großkonzern.«

»Wie?« wunderte Angela sich. »Was habe ich mit einem Großkonzern zu tun?«

Darauf konnte Frau Geißler antworten, denn sie hatte den Mann danach gefragt. Sie sah die Prinzessin an und sagte: »Er ist an Ihrem Besitz interessiert. Er will die Burg kaufen. Leider habe ich nicht herausfinden können, welche Pläne er damit hat. Aber wie gesagt, er handelt im Auftrag eines Konzerns. Man spricht auch schon davon, daß die Straße zu Ihnen herauf verbreitert werden soll.«

»Angela, das ist doch prima! Wenn sich ein Konzern für deinen Besitz interessiert, dann ist er sicher bereit, dafür auch zu zahlen.«

»Moment!« Prinzessin Angela funkelte ihren Freund an. »Ich denke gar nicht daran zu verkaufen. Das weißt du!«

»Angela, sei doch vernünftig! So eine Gelegenheit kommt wahrscheinlich nicht wieder. Du mußt froh sein, wenn du diesen alten Kasten los wirst.«

»Du scheinst zu vergessen, daß das hier meine Heimat ist. Ich werde nie verkaufen.«

»Willst du wirklich warten, bis keine einzige Mauer mehr steht?«

»Oliver«, empörte Angela sich. Ihr war diese Auseinandersetzung in Gegenwart einer Passauer Geschäftsfrau peinlich. Oliver wandte sich jedoch bereits an Frau Geißler. »Wissen Sie, wie dieser Mann heißt, wo er zu finden ist, oder um welchen Konzern es sich handelt?«

»Der Mann stellte sich mir als Herr Pleil vor«, sagte Frau Geißler. Sie wünschte sich weit weg. »Ich wollte Ihre Hoheit auch nur informieren. Ich dachte, es ist für sie sicher leichter, mit dem Mann zu verhandeln, wenn sie darauf vorbereitet ist.«

»Ich werde nicht verhandeln. Das steht überhaupt nicht zur Debatte.« Angela besann sich. Sie wandte sich an Frau Geißler: »Danke, daß Sie mich informiert haben. Es ist nicht sehr fein, wenn man hinterrücks Erkundigungen über mich einzieht.«

»Angela, es handelt sich um einen Konzern«, versuchte Oliver sie zu beruhigen. »Die hören sich zuerst einmal um, ob sie ihre Pläne verwirklichen können. Schade, daß ich weg muß, ich wäre gern geblieben und hätte mir angehört, was dieser Herr Pleil dir unterbreiten wird.«

»Oliver, ich werde ihn nicht anhören.«

»Angela, du darfst jetzt keinen Fehler machen, das ist eine große Chance. Du kannst ein völlig neues Leben beginnen.«

»Aber das will ich doch nicht! Nun sind wir schon so lange befreundet, zu kennen scheinst du mich aber noch immer nicht. Entschuldigen Sie, Frau Geißler, aber ich liebe meinen Besitz. Mit meinen Eltern habe ich einmal für einige Zeit in München gelebt. Damals war ich noch ein Kind, aber ich fühlte mich unglücklich. Ich kann nirgends anders leben als hier.«

»Es käme auf einen Versuch an«, murmelte Oliver.

»Seit dem elften Jahrhundert lebt meine Familie hier«, fuhr Angela ihn an. »Du kannst dies in der Familienchronik nachlesen.«

Frau Geißler räusperte sich. »Hoheit, wenn Sie mich bitte entschuldigen würden. Es tut mir leid, daß ich gestört habe.« Sie neigte den Kopf in Richtung des Grafen, verbeugte sich tiefer vor Prinzessin Angela, dann wandte sie sich ihrem Auto zu.

Oliver kam heran und öffnete für sie die Autotür. »Danke, daß Sie gekommen sind. Es ist für die Prinzessin sicher wichtig, daß sie Bescheid weiß.«

Frau Geißler war froh, daß der Graf das gesagt hatte. Jetzt fühlte sie sich etwas besser. Sie nickte noch einmal, dann zwängte sie sich hinter das Lenkrad und startete. Bevor sie die erste Kurve nahm, warf sie noch einen Blick in den Rückspiegel. Ihre Erleichterung schwand, denn die eisige Miene der Prinzessin war nicht zu übersehen.

*

Wie ein gefangenes Tier lief Stephan Dorr in seinem Büro auf und ab. Er war mit seinem Leben nicht mehr zufrieden. Hier lief alles wie am Schnürchen, er wurde nicht gebraucht. Ausgewählte, verläßliche Männer standen an der Spitze seines Unternehmens. Er konnte es ruhig ihnen überlassen, Entscheidungen zu treffen. Stephan Dorr trat ans Fenster. Sein Büro befand sich im Citycorp-Building, einem neuen Wolkenkratzer von New York. Von seinem Standpunkt aus lagen nun die anderen Hochhäuser zu seinen Füßen, bis auf das Empire State Building, aber auch das konnte er von hier aus gut sehen, ebenso die Nadel des Chrysler Building, die sich in den Himmel zu bohren schien. War es der Anblick dieser Steinwüste, der ihn so deprimierte? Stephan Dorr seufzte. Er war mit seinen dreißig Jahren ein sehr reicher Mann, aber er wußte auch, daß er diesen Reichtum seinen Vorfahren zu verdanken hatte. Er war viel gereist, aber nach Deutschland, dem Land, aus dem seine Vorfahren stammten, war er noch nie gekommen. Vielleicht lag dies daran, daß er kaum etwas über seine Vorfahren wußte. Die Sehnsucht, dieses Land kennenzulernen, war in der letzten Zeit aber immer größer geworden.

Das Telefon auf dem Schreibtisch klingelte. Es war seine Vorzimmerdame, die ihm das Erscheinen von Miß Paddon meldete.

»Warum lassen Sie Miß Paddon nicht herein?« rief er ärgerlich in den Hörer.

»Selbstverständlich! Ich wollte Sie nur informieren«, kam es spitz zurück.

»Danke!« entgegnete Stephan und unterdrückte einen Seufzer. Er war sich bewußt, daß er seiner Sekretärin unrecht getan hatte. Sie hatte den strikten Auftrag, ihm jegliche Besucher fernzuhalten. Er haßte es, ohne Voranmeldung in seinem Büro überfallen zu werden. Jetzt jedoch freute er sich. Erwartungsvoll sah er zur ledergepolsterten Tür. Als Flora eintrat, ging er ihr entgegen.

»Du bist also nicht böse, daß ich so einfach hier hereinplatze?« Temperamentvoll, wie es ihre Art war, eilte sie auf ihn zu und küßte ihn. »Ich gebe zu, ich habe mich gelangweilt, da bist du mir eingefallen. Wie schön, daß du für mich Zeit hast. Du hast doch?« Forschend sah sie ihn an.

»Ich habe!« Stephan lachte. »Du kommst gerade recht. Ich habe über mein Leben nachgedacht und bin zu dem Schluß gekommen, daß du darin bereits eine große Rolle spielst.«

»Das ist schön!« Sie setzte sich auf die Schreibtischkante, und er bekam ihre wohlgeformten Beine zu sehen. Sie war hübsch. Am besten gefiel ihm aber ihre Stupsnase, die zu ihrem Ärger mit zwei Sommersprossen verziert war. Sie strich sich das Haar zurück, baumelte ungeniert mit den Beinen, bis sie ihren rechten Schuh verlor. »Laß nur«, meinte sie, als er sich danach bücken wollte. Sie streifte auch ihren zweiten Schuh ab, seufzte und gestand: »Jetzt fühle ich mich wohler.«

»Willst du etwas trinken?« fragte Stephan.

»Keine schlechte Idee! Im Broad­way glaubt man zu ersticken. Ich bin völlig geschafft.« Sie streckte sich.

»Das gleiche dachte ich gerade vorher auch«, sagte Stephan. Er ging zur Bar, die in einem Teakholzschrank untergebracht war. In zwei Gläser gab er Eiswürfel und füllte sie dann mit einer Flüssigkeit auf. Mit den Drinks kam er zu Flora zurück, die noch immer auf der Schreibtischkante hockte. »Man sollte New York den Rücken kehren.« Er reichte ihr das Glas.

»Mmh!« machte Flora und nippte daran. »Das schmeckt köstlich! Du verstehst es wirklich, Drinks zu mixen. Auf dein Wohl!« Sie nahm einen kräftigen Schluck.

»Auf das deine!« Er trank ebenfalls, dann betrachtete er sie sinnend. »Ich meine es ernst, Darling! Was hältst du davon wegzufahren?« Er sah, daß sie das Gesicht verzog und setzte rasch hinzu: »Egal wohin, du kannst das Ziel bestimmen.«

»Verlockend!« Sie lächelte, trank erneut.

»Und?« drängte er. »Wohin fahren wir?«

»Du willst wirklich verreisen?« Flora stellte das Glas auf den Schreibtisch, schlug die Beine über­einander. »Nun, warum sollst du nicht Urlaub machen? Wann gedenkst du zu fahren?«

»Wenn du willst, schon morgen!«

»Ich? Was habe ich damit zu tun?« Flora rutschte vom Schreibtisch. »Fliege ruhig für vierzehn Tage nach Hawaii oder wohin du immer willst. Einige Tage Nichts­tun werden dir sicher guttun.«

»Flora, du hast mich nicht richtig verstanden. Es dreht sich nicht um einige Urlaubstage. Ich möchte weg von New York.« Er ließ seinen Blick durch das Büro gleiten. »Ich weiß nicht, was ich hier noch soll. Im Grunde werde ich nicht gebraucht. Mein Vermögen vermehrt sich auch ohne mein Zutun von Woche zu Woche. Ich will etwas anderes sehen, etwas anderes tun.«

»Ich verstehe«, sagte Flora, obwohl sie nicht verstand. Sie schlüpfte in ihre Schuhe. »Darling, was machen wir nun? Wir könnten zusammen essen gehen. Ich habe heute Zeit.«

»Flora, hör mir zu, ich möchte, daß du mich begleitest. Laß uns nach Europa fahren.«

»Europa? Das ist doch sehr weit.«

Stephan nickte. »Ich möchte nach Deutschland. Das ist ein ganz kleines Land«, begann er eifrig zu erzählen. »Dieses Land möchte ich bereisen, dort möchte ich mich umsehen. Meine Vorfahren haben einst dort gelebt.«

Flora zog eine Schnute.

»Deutschlandl! Wenn Urlaub, dann auf einer Insel. Ich träume von Palmen und weißen Sandstränden. Was willst du denn in diesem Deutschland tun?«

»Ich möchte es kennenlernen. Ich sagte ja schon, daß meine Vorfahren dort lebten.«

»Wenn du mich nach meinen Vorfahren fragst – ich habe mir darüber noch nie den Kopf zerbrochen. Ich weiß nur, daß mein Vater in Brooklyn aufgewachsen ist, und da ist er auch nie herausgekommen.« Sie runzelte die Stirn. »Was willst du denn plötzlich von deinen Vorfahren?«

Stephan zuckte die Achseln. Darauf konnte er nicht antworten. So meinte er nur: »Dies alles habe ich doch ihnen zu verdanken.«

»Du hättest es auch allein geschafft. Schließlich und endlich verfügst du über den nötigen Grips.« Sie lachte, doch Stephan ging nicht darauf ein.

»Was hältst du vom Wegfahren? Du hast dich dazu noch nicht geäußert.«

»Zehn Tage mit dir auf einer Insel, das könnte traumhaft sein.« Sie schlang ihm die Arme um den Nacken. »Sag, willst du wirklich Urlaub machen?«

»Ich möchte weg von New York!« Stephans Gesicht war jetzt sehr ernst. »Ich frage dich, ob du mitkommst.«

»Weg von NewYork für länger? Das ist nicht möglich!« Floras Augen verengten sich. Langsam begriff sie, daß ihr Freund es ernst meinte.

»Aber warum? Was hindert dich daran, New York den Rücken zu kehren? Ich bin dazu bereit, am liebsten würde ich noch heute aufbrechen.«

»Nein!« Flora trat einen Schritt zurück.

»Nein?« Stephan wollte es nicht glauben. Er streckte die Hände nach ihr aus. »Du willst mich nicht begleiten?«

Flora rührte sich nicht. Sekundenlang sahen sie sich an, dann schob sie ihre Unterlippe nach vorn. Sie wirkte jetzt wie ein bockiges Kind. »Nicht auf unbegrenzte Zeit und nicht nach Deutschland!«

Stephan schluckte seine Enttäuschung hinunter. Ruhig fragte er: »Was hast du gegen Deutschland?«

»Nichts!« Sie kreuzte angriffslustig die Arme vor der Brust. »Es ist nur zu weit weg! Wie gesagt, gegen einige Tage Ferien hätte ich nichts.«

»Ich denke nicht an Ferien.« Stephan begann wieder auf und ab zu gehen. Was hatte er eigentlich erwartet? Er wandte den Kopf nach seiner Freundin. Es wäre schön, wenn sie mit ihm zusammen durch Deutschland reisen würde. »Was hält dich in New York?« fragte er.

»Meine Karriere! Du weißt, daß ich daran schon lange bastle. Ich will endlich einen richtig guten Film drehen.«

Stephan starrte sie an. Natürlich hatte sie immer wieder davon gesprochen. Auch hatte sie bereits schon kleine Rollen gespielt, hatte als Fotomodell oder Mannequin gearbeitet.

»Ich weiß, daß ich Talent habe.« Flora stellte sich in Positur. »Ich werde es allen beweisen! Bald werde ich mit den Großen der Filmbranche in einem Atemzug genannt werden.«

Sie sah entzückend aus in ihrem Eifer, und Stephan mußte lächeln. »Kannst du mit deiner Karriere nicht noch warten? Wir machen zuerst unsere Europareise.«

Ihre dunklen Augen blitzten, ihr Schmollmund erschien. Sie entzog sich seiner Umarmung. »Du nimmst mich nicht ernst! Aber auch dir werde ich noch beweisen, was in mir steckt. Meine ersten Kontakte zu Hollywood sind geknüpft. Wenn du Näheres wissen willst, dann komm mit, ich erzähle dir davon beim Essen.« Sie stürmte zur Tür, und Stephan hatte keine andere Wahl, er mußte ihr folgen.

*

Ungeduldig trat Stephan Dorr von einem Fuß auf den andern.

War Flora etwa nicht zu Hause? So wie er wußte, hatte sie erst gegen Abend eine Verabredung. Erneut drückte er auf den Klingelknopf. Nach einer Zeit, die ihm endlos vorkam, ertönte ihre Stimme aus der Sprechanlage.

»Darling, ich bin es!«

»Du?« Wie Stephan hören konnte, klang dies nicht gerade begeistert.

»Ich habe mich gelangweilt, und da dachte ich, ich sehe einmal bei dir vorbei. Ich möchte mit dir etwas besprechen.«

»Jetzt? Aber ich habe nicht viel Zeit. Darling, ich habe dir doch erzählt, daß ich eine Verabredung habe.«

»Willst du mich etwa vor dem Haus stehen lassen?« Stephans Stirn runzelte sich.

»Natürlich nicht! Komm herauf!« Der Türsummer gab Laut, und Stephan drückte gegen die Tür. Er fuhr mit dem Lift nach oben zu ihrem Appartement. Die Tür war bereits angelehnt, aber sie war nirgends zu sehen. »Moment«, kam da ihre Stimme aus dem Schlafzimmer. »Ich bin gerade dabei, mir die passende Garderobe für den Abend auszusuchen. Ich komme gleich! Nimm dir doch inzwischen einen Drink.«

Stephan mußte lächeln, das war typisch Flora. Wahrscheinlich sah es in diesem Moment in ihrem Schlafzimmer chaotisch aus. Er ging zur eingebauten Bar. Ehe er ein Glas herausholte, rief er: »Darling, darf ich dir auch einen Drink mixen?«

»Nein, nein, dazu habe ich keine Zeit. Ich bin völlig verzweifelt. Ich weiß nicht, was ich anziehen soll. Dabei ist der erste Eindruck sicher der wichtigste.«

Schmunzelnd rief er zurück: »Kann ich dir behilflich sein?«

»Stephan, mach dich nicht lustig über mich«, kam es aus dem Schlafzimmer. »Untersteh dich und komm herein! Ich ziehe mich schon seit Stunden aus und an. Ich möchte nicht zu sportlich wirken, aber auch nicht zu elegant.«

Stephan lachte. Da steckte sie den Kopf ins Wohnzimmer. »Drei neue Kleider habe ich mir gekauft«, jammerte sie, »aber nun finde ich keines mehr passend.«

»Laß doch sehen«, schlug Ste­phan vor.

Flora zog ihre Nase kraus. Zuerst hielt sie nicht viel von diesem Vorschlag, doch dann wirbelte sie herum. »Warum nicht? Du bist auch ein Mann. Ich werde für dich eine Modenschau veranstalten. Mal sehen, welches Kleid dir am besten gefällt.« Diese Idee begeisterte sie so, daß sie auf Stephan zulief, jetzt bekam er auch seinen Kuß. Dann drückte sie ihn in einen bequemen Sessel. »So, da bleibst du nun sitzen.« Sie musterte ihn. »Du mußt aber ehrlich sein, Darling. Du mußt mir wirklich sagen, in welchem Kleidungsstück ich dir am besten gefalle.«

Stephan kam im Moment aber überhaupt nicht dazu, etwas zu sagen, denn seine Freundin wirbelte bereits wieder davon. Er stieß einen kleinen Seufzer aus und ergab sich in sein Schicksal. Er mußte nicht lange warten, und Flora erschien wieder. Sie trug ein raffiniert geschnittenes Kleid. Sie bewegte sich darin sehr graziös, und Stephan klatschte begeistert Beifall. Von nun an ging es Schlag auf Schlag. Flora wurde zum Mannequin, und Stephan konnte sich nun davon überzeugen, daß sie eine gute Schauspielerin war, denn sie benahm sich stets entsprechend der Kleidung, in die sie geschlüpft war. Er war begeistert, und von ihm aus hätte diese Vorführung noch stundenlang dauern können, doch völlig unerwartet brach Flora damit ab. Sie stieß einen erschrockenen Schrei aus.

»Ich muß mich beeilen! Nun, Stephan, was soll ich anziehen?«

Stephan erhob sich. »Du hast stets bezaubernd ausgesehen.« Er ging auf sie zu, wollte sie in die Arme nehmen, doch sie stemmte die Hände gegen seine Brust.

»In welchem Kleid würdest du mich am liebsten sehen?« stellte sie die Frage neu.

»Das wäre mir völlig egal«, sagte er ehrlich. »Du gefällst mir in jedem Kleid.«

Seine Antwort erboste Flora jedoch. »Denk jetzt nicht an dich«, fuhr sie ihn an. »In welchem Kleid kann ich den Mann am meisten beeindrucken?«

»Ich weiß nicht einmal, mit wem du verabredet bist.«

»Na hör mal, das habe ich dir doch erzählt!« Flora stampfte mit dem Fuß auf. »Ich treffe mich mit dem bekannten Produzenten Dodwell. Nun, begreifst du endlich? Ich muß ihn beeindrucken, er muß von mir hingerissen sein.«

Stephan war der Mann kein Unbekannter. Er wußte aber auch, daß William Dodwell schon einige Male verheiratet gewesen war und laufend neue Affären hatte. So zog er die Augenbrauen in die Höhe und fragte: »Willst du mich eifersüchtig machen?«

Flora ballte die Hände. »Sei nicht kindisch! Ich will eine Hauptrolle in seinem neuen Film. Der Mann hat Geschmack.«

Stephan zog es vor, darauf nichts zu sagen. Er ging zur Bar und schenkte sich noch einmal sein Glas voll. »Stephan, nun äußere dich doch!« forderte hinter ihm Flora. Er drehte sich nach ihr um.

»Darling, das habe ich doch schon getan.« Er sah, daß ihre Augen zornig blitzten, und lenkte ein: »Mit dem neuen seidenen Hosenanzug bist du sicher gut angezogen.«

»Meinst du nicht, daß er zu extravagant ist?«

»Er kleidet dich ausgezeichnet. Vor allem steht dir Gelb gut.«

»Dann könnte ich auch das Kostüm anziehen. Es ist aus gelbem Leinen. Was hältst du davon?«

Stephan unterdrückte einen Seufzer. »Natürlich könntest du auch das Kostüm anziehen. Wie gesagt, Gelb steht dir. Du wirkst darin sehr damenhaft.«

»Genau das ist es!« Verzweifelt rang Flora die Hände. »Wie will Dodwell mich haben? Als Vamp oder als Lady?«

»Ich glaube, du machst dir zu viele Gedanken, setz dich zu mir. Willst du jetzt nicht doch einen Drink?«

»Bitte, Stephan! Ich muß eine Entscheidung treffen.« Sie griff sich mit beiden Händen an den Kopf. »Wenn ich nur wüßte, welchen Typ er bevorzugt. Das Leinenkostüm wirkt sicher zu brav.«

»Flora, setz dich!« Er packte sie an den Schultern und drückte sie in die weichen Polster der Couch. Langsam verlor er die Geduld. »Ich finde, es ist völlig egal, was du anhast. Es geht um eine Filmrolle. Wenn er dich engagiert, wirst du sowieso in irgendeine Rolle schlüpfen müssen.«

»So kannst auch nur du sprechen!« Sie stemmte die Hände in die Seiten. »Dir wäre es wahrscheinlich lieber, wenn ich die Rolle erst gar nicht bekommen würde.«

Stephan biß sich auf die Lippen. Sie hatte den Nagel auf den Kopf getroffen.

»Genauso ist es! Du gibst es wenigstens zu.« Sie sprang auf.

»Bitte, Flora, hör mir einen Augenblick zu. Ich habe auch Pläne, und ich möchte dich in meine Pläne mit einbeziehen. Ich möchte, daß du meine Frau wirst.«

»Ist das ein Heiratsantrag?« Sie sah ihn mit leicht geöffnetem Mund an…

»Genau, mein Liebes! Deswegen bin ich hier.« Ehe sie sich versah, hatte er sie in die Arme genommen. Er küßte sie voller Leidenschaft. Zuerst schmiegte Flora sich an ihn. Sie liebte ihn, und so erwiderte sie seine Küsse.

»Darling, wir heiraten so schnell wie möglich«, flüsterte er ihr ins Ohr. Da versteifte sie sich in seinen Armen. »Darling, es wird wunderschön sein! In Zukunft werden wir alles gemeinsam machen.« Sein Mund suchte wieder ihre Lippen, doch jetzt drehte sie den Kopf zur Seite.

»Was erwartest du von mir?«

»Ich verstehe nicht! Wichtig ist doch, daß wir heiraten. Über unsere Zukunft können wir dann gemeinsam entscheiden.«

»Ich kann dich jetzt nicht heiraten.« Sie löste sich aus seinen Armen. »Stephan, hast du denn nicht verstanden? Ich bin im Begriff, Karriere zu machen.«

»Ich liebe dich, Flora! Ich habe nicht die Absicht, über dich zu bestimmen. Ich verspreche dir auch, nicht eifersüchtig zu sein.«

»Aber du willst nicht, daß ich mich von William Dodwell unter Vertrag nehmen lasse?«

Stephan konnte dem forschenden Blick ihrer Augen nicht ausweichen. Natürlich war er von ihren Filmplänen nicht begeistert. »Noch steht nicht einmal fest, ob du unter Vertrag genommen wirst«, wich er aus.

»Du glaubst also auch nicht an mich? Ich werde es dir beweisen. Ich habe jetzt keine Zeit zum Heiraten. Ich werde nach Hollywood gehen.«

»Ich dachte, du liebst mich«, konnte Stephan nach diesem Ausbruch nur sagen.

Sie warf den Kopf in den Nacken. »Das hat nichts damit zu tun. Ich will endlich beweisen, was in mir steckt. Ich will nicht nur deine Ehefrau sein, vor allem will ich nicht durch Deutschland reisen. Das hast du doch vor, oder?«

»Es muß nicht unbedingt Deutschland sein«, schränkte Stephan sofort ein.

»Ich will eine bekannte Filmschauspielerin werden.«

Das verletzte Stephan. »Du meinst, unter allen Umständen?« fragte er scharf.

»Genau! Endlich scheinst du begriffen zu haben. Und nun habe ich keine Zeit mehr. Wenn du mir keinen Tip wegen meiner Kleiderwahl geben kannst, dann muß ich mich eben allein entscheiden.« Sie drehte sich um, wollte im Schlafzimmer verschwinden, doch Ste­phan bekam sie noch zu fassen.

»Moment! Ich habe dich gefragt, ob du meine Frau werden willst. Du kannst mich jetzt nicht einfach stehen lassen.«

»Au, du tust mir weh!« Mit einem heftigen Ruck entzog sie ihm ihren Arm.

Er stellte sich vor die Tür und versperrte ihr so den Weg. Er war jetzt richtig wütend. »Ich habe dich etwas gefragt!«

»Und ich sagte dir, daß jetzt nicht der richtige Moment für diese Frage war. Ich bin mit einem der bekanntesten Produzenten verabredet. Das ist das einzige, was für mich im Moment zählt.« Sie blitzte ihn wütend an.

»Dann habe ich hier nichts mehr verloren.« Stephans Atem ging schneller. Er stürmte an seiner Freundin vorbei. An der Tür hielt er kurz inne, er wartete. Von Flora kam kein Ton. Er wandte den Kopf, da fiel gerade die Schlafzimmertür krachend hinter ihr ins Schloß. Sekundenlang starrte Stephan die Tür an, dann ging er.

*

Stephan Dorr hatte nicht länger gezögert, gleich am nächsten Tag hatte er einen Flug nach Europa gebucht. Er hatte sich seinen langgehegten Traum erfüllt und war nach Deutschland geflogen. Und so war er nach München gekommen. Von dieser Weltstadt mit Herz hatte er schon öfter gehört gehabt. München gefiel ihm ausgezeichnet. Er fühlte sich in dieser Stadt wohl, den Gedanken an Flora schob er weit von sich.

Eines Abends, als er in einer Ecke des Hofbräuhauses saß und amüsiert den Trubel beobachtete, fiel ihm ein, daß seine Mutter einmal von Passau gesprochen hatte. Diese Stadt hatte sie sehen wollen. Warum war seine Mutter gerade auf Passau gekommen? Stephan nahm von seiner Umgebung kaum mehr etwas wahr. Er saß da und starrte in seinen Bierkrug. Doch so sehr er sich auch anstrengte, er war damals noch zu klein gewesen. Er konnte sich an keine weiteren Gespräche mit der Mutter erinnern. Trotzdem brach er am nächsten Tag seine Zelte in München ab und fuhr nach Passau.

In Passau mietete sich Stephan in einem alten Gasthof ein. Auch von diesem Städtchen war er begeistert. Er fuhr an der Donau entlang, und dabei entdeckte er die Burgruine auf der Anhöhe. Ste­phan konnte nicht sagen, warum er es tat, aber er hielt an und sah zu den Mauern hinauf. Er konnte sich vorstellen, daß da einst hohe Zinnen ins Tal hinuntergeschaut hatten. Es mußte schön sein, da oben zu leben. Schade, daß sich niemand darum zu kümmern schien. Selbst vom Ufer der Donau aus konnte er erkennen, daß die Mauern baufällig waren. Gab es keine Interessenten für die Burg? Er erinnerte sich gehört zu haben, daß in Deutschland viele Schlösser und Burgen verfielen, da ihre Besitzer entweder schon tot waren oder einfach kein Interesse hatten. Er fand dies schade, denn gerade diese alten Burgen und Schlösser machten die Romantik Deutschlands aus. Während der Rückfahrt nach Passau ging ihm die Burgruine nicht aus dem Kopf. So betrat er einen Souvenirladen in Passau und sah sich dort unter den angebotenen Ansichtskarten um. »Kann ich Ihnen behilflich sein?« fragte Frau Geißler.

»Ja.« Stephan zögerte kurz. Wie sollte er der Frau erklären, was er suchte. »Ich bin fremd hier«, sagte er.

Rita Geißler lächelte. »Das habe ich mir gedacht.«

»Ja! Mir gefällt Deutschland sehr. Heute bin ich an der Donau entlanggefahren. Da habe ich eine Burg gesehen. Sie muß einmal sehr schön gewesen sein.« Er sah, wie sich die Miene der Frau verschloß. Sie sah an ihm vorbei und fragte: »Sie wünschen?«

Stephan war irritiert. »Die Burg«, begann er erneut. »Sie gefällt mir. Haben Sie eine Ansichtskarte davon?«

»Nein! Die Burg befindet sich in Privatbesitz.« Rita Geißler wandte sich ab. Sie ging zur anderen Seite ihres Ladens, begann die Illustrierten zu ordnen. Stephan kam ihr nach.

»Entschuldigen Sie! Wem gehört die Burg?«

Rita Geißler sah ihn kühl an. »Warum wollen Sie das wissen?«

Stephan zuckte lächelnd die Achseln. Er versuchte zu erklären: »Ich habe sie zufällig gesehen. Ich möchte einmal dort hinauf. Der Blick von oben muß wunderbar sein. Ich verstehe nicht, warum die Burg nicht renoviert wird. Warum tut man das hier in Deutschland nicht…« Er suchte nach Worten, aber da sagte Rita Geißler, die ihm kein Wort glaubte: »Sie sprechen sehr gut Deutsch.«

Stephan nickte. »Ich habe mich schon als kleines Kind für Deutschland interessiert. Leider weiß ich viel zu wenig über dieses Land.«

Rita Geißler musterte ihn ungeniert. Sie war davon überzeugt, daß dies wieder ein Trick des Großkonzerns war. Sie wußte, daß die Prinzessin Herrn Pleil hatte abfahren lassen. Spöttisch fragte sie: »Nun wollen Sie sich über Deutschland informieren? Und dazu kommen Sie ausgerechnet nach Passau? Deutschland ist groß. Warum nicht Köln oder Hamburg?«

Stephan lachte.

»Für uns Amerikaner ist Deutschland nicht groß. Ich werde mir sicher auch noch andere Städte und Orte ansehen, aber es hat mich einfach zuerst nach Bayern gezogen.«

»So!« sagte Rita nur, und ihre Mundwinkel bogen sich weiter nach unten. »Und nun sagen Sie schon, was Sie von mir wollen.«

»Von Ihnen wollen?« fragte Stephan verständnislos.

Rita gefiel der Amerikaner. Im Grunde hatte sie an ihm nichts auszusetzen, und so ließ sie sich gegen ihren Vorsatz nun doch auf ein Gespräch ein. »Sie haben die Burg zufällig entdeckt, sie gefällt Ihnen, und nun wollen Sie diese kaufen?«

»Wie?« Stephans Erstaunen schwand jedoch sogleich: »Daran habe ich überhaupt noch nicht gedacht! Aber das wäre eine Idee! Steht die Burg leer?«

Rita wandte sich ab. Sie war enttäuscht. Dieser Amerikaner war also ein perfekter Schwindler.

»Was haben Sie denn?« fragte Stephan. Er wurde aus dem Benehmen der Frau nicht klug. Gerade hatte sie noch gelächelt, doch jetzt war ihre Miene abweisend.

»Nichts! Über die Burg weiß ich nicht Bescheid, und Ansichtskarten habe ich auch nicht davon.«

Stephan verstand ihre plötzliche Unfreundlichkeit immer weniger. »Sie sind doch von Passau? Vielleicht können Sie mir sagen, an wen ich mich wenden muß, wenn ich Näheres über die Burg erfahren will?«

Ritas Blick schien ihn zu durchbohren. »Ich interessiere mich nicht für Burgen.«

»Aber…« Stephan schluckte. »Kann man die Burg besichtigen?«

»Tut mir leid, aber das müssen Sie schon selbst herausfinden.«

Er sah sie so verdattert an, daß er ihr beinahe leid tat. Freundlicher setzte sie hinzu: »Kann ich Ihnen sonst irgendwie behilflich sein?«

»Danke! Ich sehe mich noch um!« Ein anderer Kunde betrat den kleinen Laden, und Stephan konnte sich ungehindert umsehen, da Frau Geißler abgelenkt war. Er wählte unter den Ansichtskarten.

Dann nahm er noch eine Wanderkarte aus dem Ständer, dabei sah er unauffällig zu Frau Geißler hin. Irgend etwas hatte die Frau erbost. Was hatte es mit dieser Burg auf sich? Sein Interesse daran wuchs. Nachdem der Kunde das Geschäft wieder verlassen hatte, trat er an die Ladentheke, hinter der Frau Geißler nun stand. Er reichte ihr die ausgesuchten Dinge. Sie steckte sie in eine Tüte und tippte die Verkaufspreise in die Kasse. Er holte sein Portemonnaie hervor, reichte ihr einen Geldschein. Dabei beugte er sich etwas über die Theke, sah ihr ins Gesicht und meinte: »Sie wollen mir also das Geheimnis der Burg nicht verraten?«

»Geheimnis?« Mit offenem Mund sah Rita ihn an. Worauf wollte er nun hinaus? »Wie meinen Sie das?«

»Nun, ich habe gehört, daß es in alten Burgen geistern soll. Das ist romantisch.«

Rita mußte lachen. »Da verwechseln Sie Deutschland mit Schottland.«

»Ich habe aber gehört, daß es auch in Deutschland Gespenster gibt«, beharrte Stephan. »Da ist doch die Loreley! Ich habe keine Angst vor Gespenstern. Ich werde trotzdem zur Burg hinauffahren. Man kann doch hinauffahren?«

Rita wurde einer Antwort enthoben, denn eine Reisegruppe stürmte ihren Laden, und sie hatte in den nächsten Minuten alle Hände voll zu tun. Stephan ging, er nahm sich aber vor wiederzukommen.

*

Bereits am nächsten Vormittag fuhr Stephan wieder an der Donau entlang. Er suchte einen Parkplatz, stellte sein Auto ab und stieg dann, die äußere Mauer der Burg stets vor Augen, zu ihr hinauf. Bald kam er ins Schwitzen und mußte sein Jackett ausziehen. Er ließ sich deswegen jedoch nicht entmutigen. Mit dem Taschentuch wischte er sich den Schweiß von der Stirn, um die letzten Meter auch noch zu bewältigen. Der Pfad, dem er gefolgt war, wurde immer schmaler, er mußte immer öfter Dornenzweigen ausweichen, die in den Weg hineinrankten. Stephan stellte fest, daß dieser Weg kaum noch benutzt wurde. In ihm wuchs die Überzeugung, daß die Burg unbewohnt war.

Er kam direkt unter der äußersten Mauer heraus, und nun mußte er erst ein wenig suchen, bis er die ausgetretenen Steinstufen entdeckte. Ihnen folgte er, und so kam er zur Fahrstraße. Jetzt sah er sich um. Er hatte sich nicht geirrt, die Burg mußte einst sehr stattlich gewesen sein. Er setzte sich auf einen großen Stein und ließ seiner Phantasie freien Lauf. Dieser runde Turm, der nun in sich zuammenzustürzen drohte – war er einst von einem Burgfräulein bewohnt gewesen, das sehnsuchtsvoll nach ihrem Liebsten ausschaute? Er konnte sich gut vorstellen, daß aus dem Tor Ritter hervorgesprengt kamen. Sekundenlang glaubte er sogar das Wiehern von Pferden zu hören. Er horchte. Es war nur eine Biene, die sich summend an dem ersten blühenden Strauch ergötzte. Ein einsamer, verwunschener Platz! Hielt man hier etwa Dornröschen gefangen?

Laut lachte Stephan über seine eigenen Gedanken. Aber es war schön hier! Er, der die Hektik vom Broadway gewohnt war, der Harlem kannte, verliebte sich in die sonnenbeschienenen Mauern. Sein Blick folgte einer Eidechse, die blitzschnell in einer Mauernische verschwand. Er erhob sich, ging durch den Torbogen und kam so in den Innenhof. Hier sah er, daß zwischen den Mauern bereits Gras wucherte. Wie konnte man einen so schönen Besitz nur so verwahrlosen lassen? Der linke Trakt war fensterlos, und ganz links stand sowieso nur noch eine Mauer, die von der einstigen Größe der Burg zeugte. Nirgends versperrte ihm eine Tür den Weg, so ging er durch einen weiteren Torbogen und kam in den Garten. Hier stieß er auf Prinzessin Angela. Sie hatte ihr schulterlanges blondes Haar unter einem Kopftuch verborgen und trug eine Leinenschürze und Gummistiefel. Ihre Hände waren schmutzig von der Gartenarbeit.

Stephan war überrascht. Er war inzwischen zu der Überzeugung gelangt, daß er allein zwischen den Mauern weilte. Angela wischte sich die Hände an der Schürze ab. Sie sah ihn abwartend an.

»Verzeihen Sie, ich dachte, hier ist niemand. Ich wollte mich etwas umsehen. So etwas gibt es bei uns in New York nicht. Ich habe die Burg von der Straße aus gesehen.« Er fuhr sich durchs Haar. Das Jackett hatte er lose über die Schultern gehängt.

»Sind Sie zu Fuß hier heraufgestiegen?« fragte Angela erstaunt.

Stephan nickte. »Die Burg hatte es mir angetan. Man kann schon von unten aus sehen, daß sie einmal sehr groß gewesen sein muß. Warum läßt man das alles hier nur so verkommen? Verzeihen Sie, arbeiten Sie hier?«

»Ich sehe hier nach dem Rechten.«

»Es ist doch nicht verboten, sich hier etwas umzusehen?« Stephan deutete nach vorn. »Von dort muß man eine wunderschöne Aussicht haben.«

»Stimmt!« sagte Angela, und ein kleines Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.

»Mir ist unbegreiflich, warum hier niemand mehr lebt.« Stephan drehte sich um, sah auf das Gebäude zurück. »Es ist ein wunderschöner Ort. Der Besitzer ist zu beneiden.«

»Die Leute sind der Ansicht, daß alles hier zur Ruine wird.« Angela hatte Stephan nicht aus den Augen gelassen.

»Aber dem kann doch abgeholfen werden. Wie ich sehe, kümmern Sie sich um den Garten. Damit ist es jedoch nicht getan. Sämtliche Außenmauern gehörten erneuert. Kein Wunder, daß hier niemand mehr wohnt.«

»Sie scheinen nicht zu wissen, daß man dazu Geld benötigt«, meinte Angela leicht amüsiert.

»Natürlich, Sie haben recht! Ich habe keine Ahnung von den hiesigen Verhältnissen. Ich lebe in New York, aber ich hatte diese Steinwüste satt. Seit zehn Tagen bin ich nun in Deutschland.«

Er lächelte unsicher.

Es war dieses Lächeln, mit dem er bei Angela Sympathie erweckte.

»Und wie gefällt Ihnen Deutschland?«

»Von Deutschland habe ich noch nicht viel gesehen. Ich wollte mich zuerst in Bayern umsehen. So war ich in München, in Füssen, und nun bin ich in Passau gelandet.« Er sah sich erneut um. »Hier habe ich mich gleich zu Hause gefühlt. So habe ich mir meine Heimat vorgestellt.« Er fing ihren erstaunten Blick auf und erklärte: »Meine Vorfahren wanderten von Deutschland aus, doch dies ist schon sehr lange her, und ich weiß nichts von ihnen.«

Sie musterten sich, und Angela sagte spontan: »Ich liebe meine Heimat!«

»Sind Sie in Passau zu Hause?« fragte Stephan.

Angela biß sich auf die Lippen. Sie sah an sich hinunter. Kein Wunder, daß er sie für eine Angestellte hielt. Dann warf sie ihren Kopf in den Nacken und lächelte. Sie würde ihn in diesem Glauben lassen.

»In der Nähe von Passau.«

»Und Sie arbeiten hier ganz allein?« Dieses Mädchen begann ihn zu interessieren. »Bekommen Sie wenigstens genügend bezahlt?«

Übermütig blitzte es in Angelas rehbraunen Augen auf. »Ich arbeite gern hier.«

Stephan musterte sie. Er fand, daß dieses Mädchen bezaubernd aussah. Sie war so natürlich, wahrscheinlich ein Bauernmädchen aus der Umgebung. »Sie werden von dem Besitzer ausgenutzt«, stellte er fest.

Nun konnte Angela nicht anders, sie lachte hellauf.

»Warum lachen Sie?« erkundigte Stephan sich irritiert.

»Bei einer freiwilligen Arbeit kann man nicht ausgenutzt werden«, belehrte Angela ihn lächelnd.

»Das verstehe ich nicht«, gab Stephan zu.

»Mir macht die Arbeit Freude, das ist es.«

Jetzt nickte Stephan. »Das kann ich verstehen. Nur, sind Sie ganz allein hier?«

»Wie Sie sehen!« Angela senkte rasch den Blick. Sie amüsierte sich und wollte sich nicht verraten. »Sie können sich gern umsehen, Sie müssen nur auf die Sperrtafeln achten. Einige Mauern sind leider wirklich einsturzgefährdet.«

»Dagegen müßte etwas unternommen werden.« Erneut sah Stephan sich um, dieses Mal sehr nachdenklich. Dann wandte er sich mit der direkten Frage an Angela: »Sie können mir sicher etwas über den Besitzer sagen.«

Beinahe wäre Angela aufgefahren. Es fiel ihr schwer, ruhig zu fragen: »Was wollen Sie von dem Besitzer?«

»Eigentlich nichts!« Stephan lächelte sie an. »Ich habe diese Burg entdeckt, sie gefiel mir, und nun werde ich immer neugieriger. Gestern dachte ich bereits, daß ein Gespenst hier sein Unwesen treibt.«

»Wie kamen Sie zu dieser Ansicht?«

»Man tat so geheimnisvoll, als ich mich in einem Souvenirgeschäft nach der Burg erkundigen wollte. Eigentlich wollte ich nur eine Ansichtskarte kaufen.«

»Da waren Sie sicher bei Frau Geißler.«

»Kann sein, ich weiß es nicht.« Er beschrieb, wo sich das Souvenirgeschäft befand, und sie nickte. »Jedenfalls benahm sich die Frau so, daß ich an ein Geheimnis zu glauben begann«, schloß er. Zu seiner Verwunderung lachte seine Gesprächspartnerin erneut herzlich auf.

»Die arme Frau Geißler! Nun, vielleicht gibt es hier Gespenster. Ich fürchte mich jedenfalls nicht vor ihnen.«

»Ich auch nicht«, sagte Stephan.

Dieses Mädchen wurde ihm von Minute zu Minute sympathischer. »Sie scheinen sich auch nicht vor dem Alleinsein zu fürchten. Ist es nicht recht einsam hier oben?«

»Oft verirrt sich nicht jemand hier herauf«, gab Angela zu und fügte hinzu: »Sie haben mir noch nicht gesagt, was Sie von dem Besitzer wollen.«

»Eine plötzliche Idee! Ich bin ohne Ziel nach Deutschland gekommen. Ich… ich bin nicht mittellos, kann tun und lassen, was ich will.« Wieder wurde Stephan unsicher. Er wollte vor diesem einfachen Mädchen nicht als Angeber dastehen.

Im ersten Moment verstand Angela ihn auch falsch. »Sie wollen hier arbeiten? Das müssen Sie sich aus dem Kopf schlagen. Hier ist kein Geld zu verdienen.«

»Ich dachte auch nicht ans Verdienen. Ich verfüge über Geld. Ich bin nach Deutschland gekommen, weil ich etwas Neues anfangen wollte.« Er merkte, daß mit dem Mädchen eine Veränderung vor sich ging. »Eigentlich weiß ich selbst nicht, was ich will«, schloß er, um in Gedanken hinzuzusetzen: Ich möchte mich noch länger mit dir unterhalten.

Angela hatte sich aber bereits entschlossen, zu ihrer Arbeit zurückzukehren. Seit sie allein hier lebte, war sie ein wenig zur Eigenbrötlerin geworden. Es war sowieso das erste Mal, daß sie sich länger mit einem Fremden unterhalten hatte.

»Ich muß weiterarbeiten. Es ist bald Mittag, und bis dahin muß ich noch einiges erledigen.« Ohne Stephan Zeit zu einer Antwort zu lassen, eilte sie davon. Erst als sie wieder ihrer vorigen Beschäftigung nachging, fiel ihr ein, daß der Mann sich ihr nicht einmal vorgestellt hatte. Dann wurde ihr bewußt, daß er sie für einen Dienstboten hielt, und sie mußte schmunzeln.

Angela hatte die Pflanzen eingesetzt, das bereits sprießende Unkraut ausgerissen, sie hatte an den Fremden nicht mehr gedacht. Als sie jetzt jedoch hinter der Mauer hervorkam, sah sie ihn. Er stand neben dem Ziehbrunnen. Rasch trat sie wieder hinter die Mauer zurück. Eine Zeitlang beobachtete Angela nun den Fremden. Offensichtlich schien er sich hier wohl zu fühlen. Nachdem er sich am Ziehbrunnen erfrischt hatte, schlenderte er herum. Schließlich setzte er sich in die Sonne. Angela schob eine vorwitzige Locke unter das Kopftuch zurück, band dieses fester, dann trat sie hinter der Mauer hervor. Sie achtete nicht auf den Weg, brachte dadurch einen Stein ins Rollen, und so hörte Stephan sie kommen. Er erhob sich sofort.

»Sie scheinen wirklich über viel freie Zeit zu verfügen«, sagte Angela.

»Das habe ich doch gesagt. Ich habe mich etwas umgesehen, das haben Sie mir vorhin gestattet, und außerdem habe ich auf Sie gewartet. Ich habe gehofft, daß Sie wieder einmal auftauchen würden. Jetzt ist gleich Mittag.« Erwartungsvoll sah er sie an und fragte: »Gehen Sie nun hinunter ins Tal?«

»Nein, ich bleibe auch über Mittag hier.«

»Schade! Ich hätte Sie gern begleitet.«

Normalerweise hätte Angela so einen Vorschlag empört abgelehnt, doch der Mann sah sie so offen an, daß sie lächelte, ohne sich dessen bewußt zu sein.

Stephan ging auf sie zu. »Ich habe mich Ihnen noch nicht vorgestellt. Ich heißte Stephan Dorr! Wenn Sie heute keine Zeit für mich haben, dann vielleicht morgen? Nein, nein…« Beschwichtigend hob Stephan die Hände. »Sie dürfen sich nichts Schlechtes denken. Ich bin nicht auf ein Abenteuer aus. Ich möchte mich nur unterhalten! Ich habe so viele neue Eindrücke, und ich kann mit niemandem darüber sprechen.«

Angelas Mißtrauen schwand sofort wieder. »Sie sind allein nach Deutschland gekommen?« fragte sie.

»Ja, meine Freundin wollte mich nicht begleiten. Verraten nun Sie mir, wie Sie heißen?«

Angela zögerte einen Augenblick, dann nannte sie ihren Vornamen, sie sah dabei Stephan jedoch nicht an.

»Darf ich Sie Angela nennen?« fragte Stephan erfreut.

»Warum nicht?« sagte Angela. Sie mußte aber sofort daran denken, daß Oliver mit ihrem Verhalten nicht einverstanden gewesen wäre. Er hatte ständig Angst, daß ihr in ihrer selbstgewählten Einsamkeit einmal etwas zustoßen könnte. Er wollte ihr auch nicht glauben, daß sie noch nie belästigt worden war.

»Angela, wenn Sie noch arbeiten müssen, will ich Sie nicht aufhalten. Ich möchte nicht, daß Sie meinetwegen Schwierigkeiten bekommen. Wenn Sie mir sagen, wann Sie Feierabend machen, dann kann ich Sie vielleicht hier abholen. Ich habe gesehen, daß auch eine Fahrstraße heraufführt.«

Er meint es nett, und Angela wollte sich auch nicht über ihn lustig machen, trotzdem amüsierte der Vorschlag sie. »Ich kann Feierabend machen, wann ich will.« Sie lächelte, fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. Sie schwitzte unter dem Kopftuch. Es war ein wolkenloser Tag und für Mai fast zu heiß. »Haben Sie auch Durst?« fragte sie.

»Ja, ich habe mich vorhin schon umgesehen. Zu kaufen bekommt man hier oben wohl nichts?«

»Nein, aber ich werde uns etwas holen.« Sie machte einige Schritte, dann besann sie sich. »Kommen Sie doch mit, das ist einfacher.«

Stephan folgte ihr in den Innenhof. Er stieg hinter ihr die Stufen zum rechten Seitentrakt hinauf und wunderte sich, daß sie so einfach die Tür aufstieß und eintrat. »Kommen Sie doch«, forderte sie ihn auf, als er zögerte.

»Ich hätte nicht gewagt, die Burg zu betreten«, sagte Stephan. »Kann ich mich hier auch umsehen?« Sein Blick glitt durch die Halle, die spartanisch eingerichtet war.

»Warum nicht? Es ist leider nichts Wertvolles mehr vorhanden. Aber kommen Sie, wir wollen zuerst etwas trinken.« Ehe er weiterfragen konnte, eilte sie leichtfüßig die Treppe hinauf. Er ging hinter ihr her, bis sie stehenblieb und eine Tür öffnete. »Nehmen Sie Platz«, bat sie, und als er sich umschaute, fand er sich in einem gemütlich eingerichteten Wohnzimmer wieder. »Ich bin gleich zurück.« Mit diesen Worten verschwand sie.

Stephan begriff nicht ganz. Wohnte das Mädchen hier? Derjenige, der dieses Zimmer eingerichtet hatte, der hatte Geschmack. Plötzlich wurde ihm bewußt, daß er sich geirrt hatte. Die Burg war bewohnt. Verwirrt versuchte er seine Gedanken zu ordnen, da erschien Angela bereits wieder. Sie hatte sich umgezogen. Ihr Haar fiel nun in großen Locken auf ihre Schultern. Das Blond paßte ausgezeichnet zu der blauen Seidenbluse, die sie nun trug. Stephan konnte sie nur anstarren.

»Was wollen Sie trinken?« fragte Angela lächelnd. »Ich habe allerdings keine große Auswahl. Ich kann Ihnen einen Orangensaft anbieten, eine Zitronade, selbstgemachten Himbeersaft, aber…«

Stephan fiel ihr ins Wort: »Wer sind Sie?«

»Ich heiße Angela, das habe ich Ihnen doch gesagt.« Angela hatte sich noch nie so leicht gefühlt.

Stephan konnte den Blick nicht von ihr lassen. »Sie sind kein Bauernmädchen.«

»Das habe ich auch nicht behauptet.« Langsam kam sie auf ihn zu. Sie gab den Blick zurück, und ein prickelndes Gefühl durchlief ihren Körper. Seitdem sie nicht mehr in der Gesellschaft verkehrte, lebte sie völlig zurückgezogen. Sie hatte das Flirten fast verlernt.

»Sie machen sich über mich lustig! Sie kommen mir vor wie…« Stephan überlegte. »Es gibt da ein Märchen. Meine Mutter hat es mir oft erzählt, als ich noch ganz klein war. Ja!« rief er dann erfreut. »Aschenputtel heißt es. Ich lernte Sie als Aschenputtel kennen, und nun sind Sie zur Prinzessin geworden.«

Darauf entgegnete Angela nichts, sie holte den selbstgemachten Himbeersaft und füllte zwei Gläser.

»Lassen Sie mich das machen!« Stephan trat an ihre Seite. »Eine Prinzessin hat ihre Diener.«

»Im Märchen«, entgegnete Angela, und in ihren Augen war ein Funkeln, das Stephan nicht deuten konnte. Sie reichte ihm ein Glas.

»Ich liebe Märchen«, sagte Stephan. »Als Kind konnte ich nie genug davon bekommen.« Er griff nach dem Glas. Nun stand er dicht vor ihr. Er war etwas größer als sie und sah daher auf sie hinab. Ihre Blicke versanken ineinander. Angela war im Begriff, alles um sie herum zu vergessen. Stephan hatte die Hand gehoben, er strich ihr durch das Haar. »Märchen haben den großen Vorteil, sie gehen immer gut aus«, murmelte er.

Dies brachte Angela in die Wirklichkeit zurück. Sie trat zur Seite. »Es gibt keine Märchen mehr«, sagte sie fast heftig.

Erstaunt sah Stephan sie an. »Liegt das nicht an uns? Wir nehmen uns keine Zeit mehr zu träumen.« Er hob die Hände und ließ sie wieder sinken. »Ich habe Zeit! Ich habe beschlossen, etwas Neues anzufangen.«

»Sie können es sich wahrscheinlich leisten.« Angelas Lippen bogen sich jetzt etwas nach unten. »Setzen Sie sich doch! Ich richte uns einen kleinen Imbiß.«

»Aber das ist nicht nötig!«

»Doch, ich habe Hunger!« Ste­phan sagte nichts mehr. Er setzte sich und sah ihr zu, wie sie geschickt hantierte. Jetzt fiel ihm auch auf, wie anmutig ihre Bewegungen waren. Als sie sich ihm gegenübersetzte, bat er: »Angela, erzählen Sie mir von sich. Leben Sie ständig auf der Burg?«

Sie nickte.

»Sie leben ganz allein hier?« fragte er nach. Er konnte es nicht glauben. »Warum, Angela? Eine Frau wie Sie!«

»Weil ich es will!« Sie hob den Kopf und sah ihn an. »Das hier ist meine Heimat.«

Im ersten Moment konnte er es nicht glauben. »Ihnen gehört die Burg? Sie sind die Eigentümerin dieses Besitzes?«

Angela nickte. Da griff er über den Tisch. »Erzählen Sie mir von sich«, bat er und nahm ihre Hand in die seine.

Angela hatte eigentlich ihr Inkognito nicht lüften wollen. Das Spiel hatte sie amüsiert, sie hätte es gern fortgesetzt. Doch jetzt sah er sie so bittend an, daß sie zu sprechen begann. Sie begann, ihm von sich zu erzählen. Ein einziges Mal unterbrach er sie, indem er feststellte: »Es gibt sie also doch, die Märchen!«

*

Mit einer riesigen Schachtel Pralinen erschien Stephan am nächsten Tag wieder auf der Burg. »Ich konnte Ihnen doch keine Blumen bringen«, meinte er. »Hier grünt und blüht bereits alles. Sie leben in einem Paradies, Angela.«

»Danke! Aber das hier wäre nicht nötig gewesen.« Angela nahm die Pralinen entgegen, ihre Wangen hatten sich leicht gefärbt. Sie freute sich über diese kleine Aufmerksamkeit. Sie hatte auf sein Kommen gehofft, obwohl sie dies nie zugegeben hätte. Jedenfalls hatte sie darauf verzichtet, im Garten zu arbeiten, und so trug sie ein Sommerkleid, dem man nicht ansah, daß es von der Stange gekauft war.

»Störe ich sehr?« fragte Ste­phan. »Sie haben mir erlaubt wiederzukommen, und ich brachte es einfach nicht fertig, länger damit zu warten.«

»Es freut mich, daß es Ihnen hier gefällt.«

»Ich habe Ihnen ja erzählt, daß ich mich von der Burgruine angezogen gefühlt habe. Ich mußte einfach hier herauf! Dabei hatte ich keine Ahnung, hier auf ein menschliches Wesen zu stoßen.«

»Sie dachten eher an Gespenster«, neckte ihn Angela.

»Mit diesen hätte ich es aufgenommen«, versicherte Stephan. »Ich muß Ihnen einfach sagen, daß ich Sie bewundere. Ich hätte wirklich nicht gedacht, in Deutschland auf Menschen wie Sie zu stoßen.«

»Ich weiß nicht! Sie machen einen Fehler, wenn Sie mir eine Art Heiligenschein aufsetzen wollen. Wahrscheinlich bin ich nichts anderes als ein großer Dickkopf. Wollen wir einen Spaziergang machen?«

Er nickte, er wollte ihr so viel sagen.

»Warten Sie noch einen Moment, ich bringe nur die Bonbonniere in Sicherheit, sie schmilzt am Ende noch in der Sonne.«

Lächelnd sah Stephan ihr nach. Er war heute morgen sehr früh aufgewacht, hatte dann nicht mehr einschlafen können und so über sie nachgedacht. Er ließ seinen Blick schweifen. Es mußte eine wunderbare Aufgabe sein, diese Burg zu retten. Es mußte verhindert werden, daß der Verfall weiter fortschritt. Allein konnte Angela das nicht schaffen. Er jedoch hatte die Mittel dazu. Mit beiden Händen fuhr Stephan sich durch das Haar. Obwohl er die Prinzessin erst seit gestern kannte, wußte er, daß sie von ihm kein Geld annehmen würde. Sie würde sich nichts schenken lassen. Sie war nicht nur ein Dickkopf, sie hatte auch ihren Stolz.

Leichtfüßig kam sie auf ihn zu, und ihm wurde wieder bewußt, daß sie eine sehr schöne Frau war. »Es ist nicht zu glauben«, murmelte er.

»Was?« fragte sie. Sie hatte seine Worte gehört, obwohl sie nicht für sie bestimmt gewesen waren.

»Eine so schöne Frau wie Sie lebt in dieser Einöde.« Er verbesserte sich rasch: »In dieser Einsamkeit.«

Sie warf ihren Kopf in den Nacken. Ihre Augen blitzten. Erfreut stellte er fest, daß sie auch Temperament hatte. »Was soll ich sonst machen? Ich will auf keinen Fall meine Heimat verlieren.«

»Aber...«

»Fangen Sie jetzt nicht so an wie Oliver. Ich habe gedacht, Sie verstehen mich. Hier lebten meine Vorfahren. Sie haben auf diesem Boden Freud und Leid erfahren. Aus der Familienchronik weiß ich, wie es früher hier ausgesehen hat. Dort waren die Stallungen, dahinter das Gesindegebäude. Meine Urgroßmutter bewohnte noch das Erkerzimmer im rechten Flügel der Burg. Davon ist leider nichts mehr zu sehen.« Angelas Atem ging nun heftig. »Für Oliver ist das Unsinn. Er wirft mir vor, daß ich in der Vergangenheit lebe.« Sie hielt inne.

»Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Ich komme aus New York. Ich kenne keine Frau wie Sie.« Kurz dachte er an Flora. Sie hatte nur ihre Karriere im Kopf, den Begriff Heimat kannte sie nicht. Er schob diese Gedanken rasch von sich. New York war weit. Sein Blick suchte den ihren. Er wollte ihr antworten.

»Es ist sicher ein Fehler, wenn man in der Vergangenheit lebt. Aber das tun Sie nicht. Sie wollen Altes erhalten. Das ist schön. Hier kann man sich noch wohl fühlen, kann man träumen. Wo ist dies in den Städten noch möglich? Dort ersticken wir in Beton, in immer gewagteren Konstruktionen. Au­ßer­dem beneide ich Sie um Ihre Vorfahren. Sie scheinen viel von ihnen zu wissen. Ich weiß nur, daß die Meinigen aus Deutschland stammen, wahrscheinlich aus Bayern. Ich würde sehr gern mehr über sie wissen.« Er zuckte die Achseln. »Ich habe keinen Stammbaum.«

»Über einen Stammbaum verfüge ich, auch über eine Ahnengalerie.« Angelas Lächeln wurde bitter. »Im Grund hat Oliver recht, wenn er mich für verrückt erklärt. Ich habe kaum das Nötigste zum Leben, hebe aber Bilder auf, von denen einige sicher sehr viel wert sind. Ich habe sie noch nicht einmal schätzen lassen. Sie hängen im ehemaligen Festsaal der Burg. Und ich habe Angst, daß es demnächst dort hineinregnen wird.«

»Bilder?« fragte Stephan zurück.

»Ja! Bilder meiner Vorfahren. Einige davon sind bereits vierhundert Jahre alt. Ich möchte mich nicht von ihnen trennen, andererseits weiß ich auch nicht, wo ich sie aufheben soll, damit sie nicht Schaden erleiden.«

Lassen Sie sich von mir helfen! wollte Stephan sagen, aber statt dessen fragte er: »Und Ihr Freund?«

»Oliver? Er meinte es gut!« Angela begann zu gehen, Stephan blieb an ihrer Seite, er wartete. Sie hatten den mächtigen Lindenbaum hinter sich gelassen, waren in den Waldweg eingebogen, als Angela wieder zu sprechen anfing.

»Ich darf nicht ungerecht sein. Oliver versucht mich zu verstehen, so gut er eben kann. Er stammt aus einem Schloß in der Heide. Der Stammsitz seiner Väter wurde jedoch bereits vor dem Krieg verkauft. Schon sein Vater mußte einen Beruf ausüben. Trotzdem hat Oliver versucht, weiterhin in der aristokratischen Gesellschaft zu verkehren. Nun, mir liegt es nicht, so zu tun als ob, und mir zuliebe verzichtet er nun auch auf diverse Einladungen des Adels.«

Stephan verspürte etwas wie Eifersucht, dies ließ ihn mit gerunzelter Stirn fragen: »Wo steckt Ihr Freund eigentlich? Warum läßt er Sie hier allein?«

»Oliver ist Flugkapitän. Seine Freizeit ist begrenzt.«

Am Tonfall ihrer Stimme merkte Stephan, daß er zu weit gegangen war. Er wechselte das Thema, indem er sagte: »Mich würde Ihre Ahnengalerie interessieren.«

»Wirklich?« Angela verhielt ihren Schritt. Erstaunt sah sie ihn an.

»Sehr sogar! Sie dürfen nicht vergessen, ich komme aus einem Land, wo nur das Neue zählt. Es gibt keine Tradition, kaum Kultur.«

»Sie müssen mir mehr von sich erzählen», bat Angela.

»Einverstanden, dafür zeigen Sie mir Ihre Ahnengalerie. Es muß interessant sein, Bilder von Menschen zu sehen, die vor so vielen Jahren gelebt haben.«

»Und hier gelebt haben«, ergänzte Angela. Sie lächelte. Eigenartig, daß dieser Stephan so wie sie empfand. Oliver verstand es nicht, daß sie sich gern in dem Raum aufhielt, den sie ihre Ahnengalerie nannte. Er hätte gelacht, wenn er gewußt hätte, daß sie sogar schon heimlich Zwiesprache mit dem einen oder anderen Bild gehalten hatte. »Kommen Sie, ich möchte sehen, wie Ihnen meine adeligen Vorfahren gefallen. Es sind sehr hübsche Damen darunter, und auch die Herren sind nicht zu übersehen.«

Auch Stephan war gespannt. So hielt er den Atem an, als sie die Tür zu dem einst prachtvollen Saal aufstieß. In ihm herrschte Dämmerlicht. Angela betätigte einen Lichtschalter, und hintereinander flammten die Lampen auf. Ste­phan entschlüpfte ein erstaunter Ruf. Fasziniert trat er näher an die Wand heran. Teilweise waren die Bilder lebensgroß.

»Man möchte mit ihnen reden«, entfuhr es Stephan. »Man hat das Gefühl, sie sehen einen an. Sie wissen, was man denkt.« Er atmete tief durch. Es war phantastisch!

Noch dichter trat er heran, um dann wieder einen Schritt zurückzutreten.

»Die Namen, Angela! Kennen Sie die Namen dieser Menschen?« Er konnte den Blick nicht von den Gesichtern lösen. Die Augen sahen ihn an, als ob Leben in ihnen war.

»Natürlich! Namen und Jahreszahl stehen auf kleinen Schildchen neben den Bildern.« Sie sprach leise, war dicht hinter ihn getreten. Er spürte also den Zauber, der in diesem Raum herrschte.

»Alle diese Menschen lebten einmal, und zwar in einer Zeit, von der ich keine Ahnung habe.« Er streckte die Hand nach ihr aus, und sie kam ihm mit der ihren entgegen. Er drückte sie. »Wie gern möchte ich mit ihnen sprechen.«

Hand in Hand gingen sie langsam von einem Bild zum andern. Ehrfurchtsvoll nannte Angela die Namen ihrer Ahnen. Doch dann spürte sie, wie Stephan erstarrte. Er ließ ihre Hand los. Magisch wurde er von einem Bild angezogen. Die Frau auf dem Bild war sehr schön, und sie war stolz. Sie schien über sie hinwegzusehen. Auf ihrem kunstvoll aufgetürmten Haar trug sie eine Krone.

»Sie muß eine sehr stolze, herrische Frau gewesen sein«, sagte Angela, die ihm gefolgt war.

»Das ist es nicht! Ich habe das Gefühl, sie zu kennen. Wahrscheinlich ist es nur das Licht. Es läßt das Haar so golden leuchten, genauso wie auf einem Medaillon. Sie erinnert mich an das Bild im Medaillon, das mir meine Mutter kurz vor ihrem Tod gegeben hat.«

»Wo haben Sie das Medaillon? Zeigen Sie es mir?«

»Sie werden mich auslachen. Es ist auch lächerlich. Diese Frau hier war eine Fürstin. Sie ist geschmückt mit Perlen und Diamanten. Das Mädchen auf meinem Bild hat die Haare zu einem Zopf geflochten und diesen auf dem Kopf festgesteckt, ein einfaches Mädchen, ein Mädchen aus dem Volk.« Stephan wandte sich ab. Die Ähnlichkeit hatte ihn betroffener gemacht, als er zugeben wollte. Er brachte es jedoch nicht fertig, den Saal zu verlassen, ohne sich noch einmal vor das Bild zu stellen. Und als er Luitgard Fürstin von Rittlingen wieder ins Gesicht sah, konnte er nicht widerstehen, er holte das Medaillon hervor, das er seit Jahren ständig bei sich trug.

»Eigenartig«, sagte Angela, die ihm über die Schulter blickte. »Es besteht wirklich eine Ähnlichkeit. Wenn dieses Mädchen hier auf dem Medaillon eine Krone tragen würde und ihr Blick starrer nach vorn gerichtet wäre, könnte man wirklich meinen, es wäre ein und dieselbe Person. Wer ist das Mädchen?«

»Ich weiß es nicht! Meine Mutter hatte es von ihrer Großmutter und diese muß es aus Deutschland mitgebracht haben.« Stephan klappte das Medaillon zu und steckte es wieder ein. »Mir bedeutet das Medaillon viel«, meinte er leichthin. »Ich begreife daher, daß Sie an diesen Bildern hängen, Angela, darf ich Sie heute zum Essen einladen?«

Angela zögerte. »Ich pflege nicht auszugehen.« Sie sah auf eines der Bilder, als erwarte sie von dort eine Antwort.

»Ich glaube nicht, daß diese Dame etwas dagegen hätte. Sie sieht sehr freundlich aus. Sicher hätte sie auch für mich Verständnis.« Stephan machte eine übertriebene Verbeugung in Richtung des Bildes. »Hoheit, es handelt sich um ein ganz einfaches Essen in irgendeinem Landgasthof. Ich verspreche Euch, mich korrekt zu benehmen. Natürlich habe ich nicht viel Ahnung, wie es in Euren gesellschaftlichen Kreisen zugeht, aber ich möchte mehr von Euch erfahren.« Er beugte sich nun in die verschiedensten Richtungen, und Angela rief: »Schon gut! Ich gebe mich geschlagen! Kommen Sie, Stephan, ich habe das Gefühl, Sie haben die Herzen meiner Vorfahren erobert. Gleich werden sie aus ihren Rahmen treten.« Sie nahm ihn am Arm und zog ihn aus dem ehemaligen Ballsaal.

*

Prinzessin Angela fühlte eine nicht gekannte Unruhe in sich, und so stieg sie zum Ballsaal hinauf. Wie lange noch, und die Treppe würde unter ihren Schritten nachgeben? Sie konnte nicht länger ihre Augen verschließen. Aber das tat sie doch gar nicht. Mit hängenden Schultern blieb sie im Eingang zum ehemaligen Ballsaal stehen. Vom Glanz alter Tage war kaum noch etwas zu sehen. Sie ging bis in die Mitte des Saales, dort drehte sie sich im Kreis.

»Was soll ich tun?« rief sie laut. »So helft mir doch!« Ihre Stimme hallte von den Wänden wider, und beschämt schlug sie die Hände vor das Gesicht.

Was war das? Hatte sich da nicht etwas bewegt? Ihre Augen schweiften über die Gemälde. Sollten die einstigen Hoheiten doch aus den Rahmen steigen, vor ihnen hatte sie keine Angst. Sie horchte in die Stille hinein. Nichts! Dann ein Geräusch. Schritte näherten sich.

»Stephan, sind Sie es? Ich habe gerade versucht, mit der schönen Luitgard zu sprechen.« Angela wandte sich der Tür zu, die halb offenstand. Wieder knarrte die Treppe. »Wollen Sie mich erschrecken? Bei meinen Ahnen bin ich sowieso sicher.« Sie lachte. »Die würden mich beschützen.«

»Angela!« ertönte eine Männerstimme, und Angela schoß das Blut ins Gesicht. Das war nicht Ste­phan. Rasch eilte sie auf die Tür zu, da erschien Oliver auch schon auf der Schwelle.

»Du bist schon zurück?« fragte Angela unnötigerweise mit roten Wangen.

»Bin ich! Aber du scheinst mich nicht erwartet zu haben.« Konsterniert sah er sie an.

»Ich… Warum hast du nicht angerufen? Ich habe eigentlich deinen Anruf erwartet.«

Graf Oliver richtete sich auf. Steif stand er da. »Komme ich ungelegen?«

»Nein! Schön, daß du da bist.« Sie ging auf ihn zu. Sie erwartete, von ihm in die Arme genommen zu werden, doch er beugte sich über ihre Hand, zog sie förmlich an die Lippen.

»Freust du dich wirklich?« Er richtete sich auf, suchte ihren Blick.

»Aber natürlich!« Sie versuchte zu lächeln, fühlte sich unsicher.

»Angela, was ist los?« Sein Blick wurde forschender. »Wen hast du erwartet?«

»Niemanden! Ich hörte nur Geräusche.« Das Rot ihrer Wangen vertiefte sich. Entschlossen legte sie den Kopf zurück und sah ihn an. »Dich habe ich noch nicht erwartet, und so dachte ich, daß es Stephan, Herr Dorr, sein könnte.«

»Stephan… Herr Dorr…« Er widerholte die Namen verständnislos. »Kenn ich den Mann?«

»Nein! Ich habe ihn erst kürzlich kennengerlernt.« Angela fiel es schwer, seinem Blick standzuhalten. Wie sollte sie Oliver die Begegnung mit Stephan erklären? Er würde es nicht verstehen. Sie verstand ja auch selbst nicht, warum sie sich zu diesem Amerikaner gleich so hingezogen gefühlt hatte. Sie hatte das Gefühl, ihn schon lange zu kennen. Ohne Bedenken hatte sie sich ihm anvertraut.

Oliver stutzte. Angelas Benehmen irritierte ihn. Während des ganzen Fluges hatte er an sie gedacht. In München angekommen, hatte er sich sofort in sein Auto gesetzt und war nach Passau gefahren. Er hatte geträumt, sie in die Arme zu nehmen, ihren Mund zu küssen, doch nun hatte er das Gefühl, vor einer Mauer zu stehen.

»Was tust du eigentlich hier oben?«

»Ich… ich habe versucht, mit meinen Ahnen zu sprechen.« Angela sagte es trotzig. Was sollte es auch! Oliver würde sie sowieso nicht verstehen.

»Was soll dieser Unsinn? Du bist doch eine vernünftige Frau!« Oliver ließ seinen Blick schweifen. »Du sollst nicht ständig hier heraufkommen. Das ganze Gebälk ist schon morsch.«

»Soweit ist es noch nicht!« entgegnete Angela heftig.

»Angela, du willst die Tatsachen nicht sehen.« Oliver schüttelte den Kopf. Er machte eine ausholende Handbewegung. »Diese Zeiten hier sind vorbei. Du kannst den Glanz nicht aufrechterhalten. Es ist schade, daß die Gemälde hier verrotten.« Er wandte sich ab.

»Oliver, bitte!« Sie ging ihm nach. »Wir wollen nicht schon wieder deswegen streiten.«

Er wandte sich zu ihr um, und endlich nahm er sie in die Arme. Sanft zog er sie an sich, küßte sie zärtlich. »Du machst es einem nicht leicht, Liebes! Ich lebe in ständiger Angst um dich.«

»Das brauchst du nicht! Ich bin hier gut aufgehoben.« Jetzt sah sie ihn an, und sie lächelte dabei.

»Unsinn! Du meinst doch nicht, daß diese… diese…« Es fehlte ihm an Worten, und er schluckte, ehe er fortfuhr: »Es sind Bilder, Gemälde! Vielleicht wurde eines davon von einem bedeutenden Maler gemalt. Wenn du Glück hast, bekommst du dafür Geld.«

»Das kannst du nicht verstehen.« Das Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht. »Sie gehören zu mir. Ich stamme von ihnen ab. Ich werde mich nie von ihnen trennen können.«

»Du machst es dir nur unnütz schwer!« Er legte ihr beide Hände auf die Schultern. Er wollte nicht, daß etwas Trennendes zwischen ihnen war. Gleich darauf fragte er jedoch erwartungsvoll: »Hast du Erfolg gehabt?«

Angela konnte seinen Gedankengängen nicht folgen. »Wie?« fragte sie verwirrt.

»Bei den Verhandlungen! Nun bin ich hier, jetzt kann ich dir behilflich sein.«

»Verhandlungen«, wiederholte Angela. Sie dachte nur an Ste­phan. Herrn Pleil hatte sie bereits völlig vergessen.

»Mit diesem Konzern! Herr Pleil hat dich doch noch einmal aufgesucht?« Er rüttelte sie sanft. »Angela, das war wichtig!«

Sie streckte das Kinn nach vorn. »Es kam zu keinen Verhandlungen!«

»Warum?« Er versuchte, sie festzuhalten, doch mit einer heftigen Bewegung befreite sie sich aus seinen Händen.

»Weil ich nicht wollte!«

Jetzt war es seine Miene, die ausdruckslos war. Er hatte so gehofft, daß das Angebot des Konzerns akzeptabel war, daß durch diesen Herrn Pleil, den er leider nicht kennengelernt hatte, Angelas Schwierigkeiten behoben waren.

»Wo ist dieser Mann?« Oliver wollte die Hoffnung noch nicht aufgeben.

Unter seinem Blick wuchs An­gela. »Ich weiß es nicht! Ich habe ihn weggeschickt. Oliver, ich habe ihn nicht einmal angehört.«

Oliver schüttelte den Kopf. Er konnte es nicht glauben. »Das war die Chance, Angela! Du hättest die Bedingungen notieren können. Deine Zukunft wäre gesichert gewesen.« Tief zog er die Luft ein. »Kennst du die Adresse des Konzerns?«

Ihr Blick war arrogant. »Du scheinst nicht zu verstehen. Ich habe nicht die Absicht zu verkaufen. Wir haben uns schon so oft darüber unterhalten, daß du es eigentlich wissen müßtest.«

»Was willst du dann tun?«

Da Angela darauf keine Antwort wußte, eilte sie die Treppe hinunter. Langsam folgte er ihr. Sie ging in ihre Wohnung, und als er eintrat, war sie gerade dabei, die Kaffeemaschine anzuschalten. »Du trinkst doch eine Tasse Kaffee?« fragte sie, ohne ihn anzuschauen.

»Bitte!« Erst als das Schweigen zwischen ihnen belastend wurde, fuhr er fort: »Ich habe mir unser Wiedersehen anders vorgestellt.«

»Wie?« Sie fuhr herum. »Hast du wirklich geglaubt, daß ich an einen Konzern verkaufe? Das hier ist das Land meiner Väter. Ich kann meine Heimat nicht verschachern.«

»Das ist doch Unsinn, Angela! So einen Besitz kann man in den heutigen Zeiten nicht halten. Viele von uns haben dies einsehen müssen.«

Ihre Augen verengten sich. Sie musterte ihn. »Wenn ich dich nicht so gut kennen würde, könnte ich jetzt fast meinen, du bist hinter meinem Geld her. Welche Pläne hast du denn? Wie wollen wir das Geld investieren?«

Es tat weh, denn in diesem Moment schien ihn nichts mehr mit ihr zu verbinden. Er hielt ihrem Blick stand. In seinem Gesicht zuckte es. War das das Ende ihrer Freundschaft? Er richtete sich auf. »Es ist besser, wenn ich gehe.«

Er trat bereits hinaus auf den Flur, als sie ihm nacheilte. »Nein, Oliver, verzeih!« Sie warf sich in seine Arme. »Es tut mir leid! Ich weiß, daß du nicht so denkst. Nur, ich kann nicht verkaufen. Ich bringe es einfach nicht fertig. Bitte, Oliver, versteh das doch!«

Er sah die Qual in ihrem Gesicht. »Ich versuche es, Liebling, wirklich!« Er streichelte sie, dann küßte er ihr die Falten von der Stirn. Fester nahm er sie in die Arme. Er liebte diese Frau, die verzweifelt versuchte, das Unmögliche möglich zu machen.

Unter seinem Kuß vergaß Angela Stephan. In ihre Augen kehrte der warme Glanz zurück. »Es ist schön, daß du da bist.« Sie bot ihm ihre Lippen. »Wir wollen Kaffee trinken, und dann machen wir einen Spaziergang. Du hast Zeit?«

»Erst in vierzehn Tagen muß ich wieder in die Staaten fliegen. Ich hoffe, du kommst während dieser Zeit auch einmal mit mir nach München. Wir werden uns schöne Tage machen.«

Angela nickte, den Gedanken an Stephan Dorr schob sie weit von sich.

*

Arm in Arm schlenderten Prinzessin Angela und Graf Oliver durch den Innenhof der Burg, als ihnen Stephan Dorr entgegenkam.

»Hallo!« Lächelnd löste sich Angela von ihrem Freund. Ehe sie noch etwas anderes sagen konnte, fragte Oliver scharf: »Was tun Sie hier? Das ist Privatbesitz!«

Stephan war enttäuscht. Er hatte nicht damit gerechnet, Angela in Begleitung anzutreffen. Sorgfältig hatte er sich einige Formulierungen zurechtgelegt. Er hatte ihr Vorschläge machen wollen. »Ich weiß«, sagte er, und seine Augen suchten Angela.

»Oliver, das ist Herr Dorr! Ich bin noch nicht dazu gekommen, dir von ihm zu erzählen.«

»Du hast also doch Besuch erwartet?«

»Ja… nein!« Warum benahm sie sich denn wie ein Backfisch? Mit Olivers Rückkehr hatte sie noch nicht gerechnet gehabt, aber sie hatte gehofft, daß Stephan noch einmal den Weg zu ihr herauffinden würde. Sie hatte ihn dazu aufgefordert. Nun wich sie Stephans Blick aus, sah ihren Freund an.

»Stephan interessiert sich für die Burg. Seine Vorfahren stammen aus Deutschland. Ich möchte euch miteinander bekannt machen. Stephan Dorr – Graf Oliver!«

Förmlich neigte Oliver den Kopf. »Oliver von Eckhold«, sagte er, ohne Stephan die Hand zu reichen. Sie standen sich gegenüber und wußten nichts zu sagen. Auch Angela war unsicher.

Oliver musterte den Amerikaner mit hochgezogenen Augenbrauen. »Interessieren Sie sich für alte Burgen?« fragte er spöttisch.

»Von dieser Burg hier habe ich mich besonders angezogen gefühlt. Ich war Angela daher auch sehr dankbar, daß ich mir alles ansehen konnte.« Stephan deutete Graf Olivers Gesichtsausdruck richtig, und so setzte er hinzu: »Prinzessin Angela.«

»Nein, belassen Sie es bei Angela.« Angela lächelte. »Du mußt wissen, Stephan hielt mich für eine Angestellte. Es war wirklich lustig. Stephan hatte sich an Frau Geißler gewandt, um etwas über die Burg zu erfahren. Diese wollte jedoch nicht noch einmal ins Fettnäpfchen treten, also verweigerte sie ihm die Auskunft.« Sie sah, daß sich Olivers Lippen aufeinanderpreßten, trotzdem fuhr sie munter fort: »So glaubte Stephan, daß die Burg unbewohnt sei. Ich trug eine Schürze und ein Kopftuch, ich war bei der Gartenarbeit.«

»Ich muß mich dafür wirklich noch einmal entschuldigen«, fiel ihr Stephan ins Wort. »Ich begreife nicht, wo ich meine Augen gehabt habe.« Voll Bewunderung lag nun sein Blick auf Angela. Diese lächelte.

»Es war meine Schuld! Ich hätte diesen Irrtum ja sofort aufklären können. Aber ich fand es nett. So lernten wir uns näher kennen.«

»Du kennst also Herrn Dorr bereits näher?« Oliver glaubte, vor Eifersucht zu ersticken.

Angelas Wangen färbten sich. Warum sollte sie nicht ehrlich sein? »Wir haben uns sofort gut verstanden. Es hat mich gefreut zu sehen, wie gut es Stephan hier gefällt. Ich habe dann auch seine Einladung zum Essen angenommen. Er hat mir viel von sich erzählt, und ich sprach mit ihm über meine Probleme.« Trotzig gab sie Olivers Blick zurück. »Er konnte zuerst auch nicht glauben, daß ich hier allein lebe. Aber er versteht es, daß ich an meiner Heimat hänge, daß ich mich von ihr nicht trennen möchte.«

»Ist Ihnen nicht aufgefallen, daß hier alles baufällig ist?« Ironisch bogen sich Olivers Mundwinkel nach unten.

»Natürlich ist ihm das aufgefallen. Zuerst hat er die Burg für eine Ruine gehalten.«

»Und in dieser Ruine wohnt Prinzessin Angela. Finden Sie, daß dies in Ordnung ist?« fragte Oliver erneut.

»Prinzessin Angela bemüht sich, das Erbe zu erhalten. Sie nimmt dadurch jegliche Unannehmlichkeiten auf sich«, verteidigte Ste­phan die Prinzessin. Sein Gesicht wurde dann jedoch sehr ernst. Er sah Graf Oliver an. »Mir ist klar, daß sie dies allein nicht schaffen kann. Man muß ihr helfen.«

»Glauben Sie wirklich, ich hätte mir darüber keine Gedanken gemacht? Ich bin nicht vermögend. Wir haben kein Geld. Wir können die Burg nicht renovieren lassen. Es ist auf die Dauer keine Lösung, einmal hier eine Mauer ausbessern zu lassen, einmal dort.« Empört sah Oliver den Amerikaner an. Was dachte sich dieser Mann? Glaubte er etwa, man hätte hier nur auf ihn gewartet?

»Bitte!« Die Feindseligkeit, die zwischen den Männern herrschte, war nicht zu übersehen. Angela versuchte zu vermitteln. »Wir wollen nicht darüber sprechen. Es hat keinen Sinn.«

»O doch!« Oliver dachte gar nicht daran, sich beruhigen zu lassen. Sein Blick versuchte Stephan weiterhin zu durchbohren. »Ich möchte wissen, wie Sie dazu gekommen sind, sich nach der Burg zu erkundigen. Haben Sie Interesse an dem Gebäude, wollen Sie den Besitz kaufen?«

Stephan platzte der Kragen.

Auch wenn dieser Mann ein Adeliger war, so hatte er nicht die Absicht, sich von ihm so von oben herab behandeln zu lassen. So entgegnete er scharf: »Wollen schon! Ich würde sehr gern hier leben. Ich könnte es mir auch leisten. New York habe ich den Rücken gekehrt, um etwas Neues anzufangen. Nur, Angela will ihre Heimat nicht verlieren.« Er sah zu ihr hin, lächelte ihr zu.

Angela war genauso verblüfft wie ihr Freund. »Sie hatten die Absicht, die Burg zu kaufen? Davon haben Sie kein Wort gesagt.«

Stephan sah nur noch die Prinzessin an. Er hatte mit ihr allein sprechen wollen. Er wollte ihr Geld zur Verfügung stellen. Er wollte alles tun, damit ihr die Heimat erhalten blieb. Doch jedes Wort, das er nun sprechen würde, könnte falsch ausgelegt werden.

»Ich hatte keine festen Absichten, ich folgte nur einer Eingebung. Ich habe Ihnen erzählt, daß ich auf der Suche bin und kein festes Ziel habe.« Ein unsicheres Lächeln huschte über sein Gesicht. »Von der Burg fühlte ich mich angezogen. Ich hatte das Gefühl, gerufen zu werden…«

»Sie können sich Ihr Herumgerede sparen«, fiel ihm Oliver ins Wort. »Was wollten Sie von meiner… meiner Verlobten?«

»Sie sind mit Prinzessin Angela verlobt?« Stephans Blick glitt zu Angela hin.

»Nein, verlobt sind wir noch nicht«, sagte Angela ruhig. »Aber wir sind eng befreundet. Im Grunde liegt es an mir. Ich kann mich nicht entschließen, von hier wegzuziehen.«

»Das ist unsere private Angelegenheit. Das geht Herrn Dorr nichts an.« Oliver trat an Angelas Seite. Mit einer besitzergreifenden Geste legte er ihr den Arm um die Schultern. »Die Frage ist, ob Herr Dorr dir ein Angebot machen will.«

»Ich wollte schon!« Unsicher sah Stephan Angela an. »Ich möchte Sie nur nicht bedrängen. Ich wollte in Ruhe mit Ihnen darüber sprechen.«

Eine Welle von Enttäuschung überflutete Angela. »Ich werde nicht verkaufen, Sie können sich jedes weitere Wort sparen.« Sie sah durch ihn hindurch, doch dann suchte ihr Blick den seinen. »Ich dachte, Sie verstehen mich.«

»Das tue ich auch! Ich will Ihnen die Heimat nicht nehmen. Deswegen habe ich mit Ihnen auch noch nicht gesprochen. Es muß eine andere Möglichkeit geben, damit Ihnen Ihre Heimat erhalten bleibt.«

»Das ist doch nur Gerede. Was wollen Sie wirklich?« mischte Oliver sich wieder ein. »Mich können Sie nicht täuschen. Für wen wollen Sie die Burg kaufen? Sie selbst verfügen doch kaum über genügend Kapital.«

»Da irren Sie, Graf!« Stephan griff in die Tasche, er holte eine Visitenkarte hervor. »Sie können jederzeit Erkundigungen über mich einziehen. Ich habe das Vermögen geerbt, und dieses Erbe habe ich meinen deutschen Vorfahren zu verdanken. Leider weiß ich nichts von ihnen.« Oliver verzog das Gesicht, und Stephan sagte: »Ich verstehe, das alles interessiert Sie nicht. Ich wollte Sie auch nicht damit belästigen. Sie wollten eine Erklärung für mein Hiersein. Ich werde nicht weiterreisen, ich werde in Passau bleiben.« Diese Worte richtete er bereits wieder an Angela. »Darf ich Sie noch einmal aufsuchen?«

»Selbstverständlich!« sagte Angela spontan. »Sie sind jederzeit herzlich willkommen. Wollen Sie nicht noch bleiben?« Sie biß sich kurz auf die Lippen, trat einen Schritt nach vorn, so daß Olivers Arm von ihren Schultern glitt. »Wir wollten gerade einen kleinen Spaziergang machen.«

»Es ist sicher besser…« Stephan besann sich. »Verzeihen Sie, ich möchte Sie nicht stören. Ich kam unangemeldet. Wenn Sie erlauben, werde ich Sie morgen anrufen. Es wäre schön, wenn Sie für mich einmal Zeit hätten. Ich würde sehr gern noch einmal Ihre Ahnengalerie besuchen.«

»Sie können jederzeit hinaufgehen. Sie wissen doch, daß nichts abgeschlossen ist.«

»Bitte, verstehen Sie mich nicht falsch!« Seine Augen baten. »Ich würde gern mit Ihnen zusammen die Gemälde ansehen.«

»Gut! Rufen Sie an!« Angela lächelte. Sie fand es schön, daß er wiederkommen wollte. Sie bot ihm die Hand. »Bis morgen also!«

»Ja! Bis morgen!« Er nahm ihre Hand und drückte sie. Als er sich Graf Oliver zuwandte, nickte dieser nur mit abweisendem Gesicht. Die Hände hielt er auf dem Rücken verschränkt. Stephan begriff, daß der Graf ihm nicht die Hand reichen wollte.

Angela starrte Oliver an. So dominierend kannte sie ihn gar nicht. Olivers Gesicht verschloß sich.

»Was erwartest du von mir? Ich komme von einem Auslandsflug zurück und stelle fest, daß ein Amerikaner bei dir ein und ausgeht. Willst du unbedingt ins Gerede kommen?«

»Das ist doch lächerlich! Ich werde mich wohl noch unterhalten können.« Angela hob ihre Stimme.

»Es verstößt gegen den Anstand, wenn du mit einem Fremden, der dir nicht offiziell vorgestellt wurde, allein bist. Das wirst du wohl noch wissen.« Oliver zog die Augenbrauen in die Höhe. »Wenn mich nicht alles täuscht, dann bist du so erzogen worden.«

»Du kannst dir deine Ironie sparen. Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen.«

»Ach so!« Oliver sah auf die Visitenkarte, die er noch immer in der Hand hielt. »Falls alles stimmt, ist Herr Dorr wirklich sehr begütert. Ihm dürfte es nicht schwerfallen, dir finanziell unter die Arme zu greifen. Mir ist dies leider nicht möglich.« Er schob die Visitenkarte in die Tasche. »Ich werde mich erkundigen. Falls sich herausstellen sollte, daß der Mann ein Betrüger ist, hörst du wieder von mir. Leb wohl!«

Am liebsten wäre Angela wieder hinauf in die Ahnengalerie geflüchtet. Sie verstand sich selbst nicht. Warum ließ sie Oliver gehen? Er hatte doch recht. Sie kannte Stephan nicht, und trotzdem fühlte sie sich zu ihm hingezogen.

Allein begab sie sich auf einen ausgedehnten Spaziergang.

*

Stephan war zu Fuß zur Burg hinaufgestiegen, und so wanderte er auch wieder hinunter. Da er aber nichts weiter vorhatte, setzte er sich bald auf einen Stein und sah ins Tal hinab. Einen Teil der Auffahrt der Burg konnte er von hier aus auch sehen, und so sah er, daß ein Auto abwärts fuhr. Es mußte das Auto des Grafen sein. Er hatte es unter dem großen Lindenbaum in der Nähe des baufälligen Außenturms stehen gesehen.

Es sprang auf. Leider konnte er nicht sehen, ob die Prinzessin auch im Auto saß. Er kniff die Augen zusammen, aber da war der Wagen bereits an der unteren Kurve angelangt und verschwand aus seinem Blickfeld.

Er hatte gedacht zu stören. Wenn der Graf nun aber weggefahren und Angela zu Hause geblieben war, wenn… Er schob die Wenns zur Seite und begann, den Weg wieder hinaufzusteigen. An der äußeren Schloßmauer kamen ihm jedoch Bedenken. Konnte er Prinzessin Angela noch einmal aufsuchen? Er hatte ihr gesagt, daß er sie vorher anrufen würde. Hier befand sich jedoch nirgends ein Telefon. Stephan schob die Hände in die Hosentaschen und beschloß, vorerst einmal die Burg in einem weiten Bogen zu umgehen.

Gedankenverloren ging er dem Pfad nach, den Kopf hielt er gesenkt. Wieder einmal formulierte er an den Sätzen, die er Angela sagen wollte. Sein Fuß stieß dabei einzelne Steine zur Seite. So bemerkte er Angela nicht, die aus der anderen Richtung kam und ihn schon längst entdeckt hatte. Sie war stehengeblieben und wartete. Ein kleines Lächeln lag auf ihren Lippen.

Stephan sah hoch. »Angela! Sie sind also doch hiergeblieben. Ich habe es gehofft.« Er sah ihren erstaunten Blick. »Ich habe das Auto Ihres… des Grafen gesehen. Da bin ich zurückgekommen in der Hoffnung, daß Sie Zeit für mich haben.«

»Sie haben recht, mein Freund ist weggefahren.« Angela zögerte. Sie wußte, daß sie weitergehen sollte und es bei der Verabredung für morgen belassen müßte.

»Darf ich Sie begleiten, Angela? Ich möchte natürlich nicht stören. Aber ich glaube, ich habe bereits gestört.«

»Es war nicht Ihre Schuld. Oliver war unhöflich. Es wäre schön gewesen, wenn wir zusammen etwas unternommen hätten. Sie hätten dann meinen Freund kennenlernen können und mein Freund Sie. Aber lassen wir das!«

»Sie haben sich meinetwegen gestritten«, stellte Stephan fest. Er konnte nicht heucheln, er war froh, daß der Graf weg war.

»Ja und nein!« Angela beschloß, ehrlich zu sein. Es war schön, daß Stephan zurückgekommen war. Im Augenblick war er ihr näher als ihr Freund, der einfach davongelaufen war. Es spielte doch keine Rolle, daß sie ihn erst so kurz kannte. Er war da, und sie war nicht mehr allein. »Begleiten Sie mich«, schlug sie vor. »Wir machen eben allein den Spaziergang.«

»Gern! Angela, wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann? Ich werde in Passau bleiben. Ich möchte hierbleiben, denn ich möchte Sie öfter sehen.«

Angela antwortete nicht. Sie begann zu gehen, immer schneller schritt sie aus, aber sie konnte vor ihren Gefühlen nicht davonlaufen. Stephan beschleunigte ebenfalls seinen Schritt und blieb an ihrer Seite. Unvermittelt blieb Angela wieder stehen.

»Sie wissen nun, daß ich mit Graf Oliver so gut wie verlobt bin. Da ich das hier erhalten will, habe ich mich völlig zurückgezogen. Langsam aber sicher werde ich zur Einsiedlerin. Oliver hat es mit mir nicht leicht. Ich denke an nichts anderes mehr als an die Burg. Auch ohne Sie hatten wir in der letzten Zeit meistens Streit.«

Sie quälte sich, das sah er. »Darf ich etwas sagen, Angela?«

Sie nickte.

»Ich mag Sie! Daher möchte ich auch nicht, daß Sie so ein unglückliches Gesicht machen. Angela, ich kann Ihren Freund verstehen, Wenn ich an seiner Stelle wäre, würde ich mir auch um Sie Sorgen machen. Sie können doch nicht auf die Dauer hier allein leben.«

»Nun sprechen Sie genauso wie Oliver.«

Stephan zuckte die Achseln. »Ich sagte doch, ich kann ihn verstehen. Er liebt Sie, nicht wahr?«

»Er will mich heiraten. Er hat ein Appartement in München, dort könnten wir leben. Ich kann das hier nur nicht aufgeben. Im Grunde haben Oliver und ich ständig aneinander vorbeigeredet. Er wollte nicht wahrhaben, daß ich nicht verkaufen will. Soll ich irgendeinen Konzern hier einziehen lassen? Ich habe nicht einmal gefragt, was der Konzern mit der Burg will, weiß nicht einmal, wieviel er mir geboten hätte.«

Angela begann wieder zu gehen. »Angela, ich kann Sie verstehen. Ich würde mich auch nicht von so einem Besitz trennen. Sie wollen auch in Zukunft hier leben?«

»Ja, solange dies möglich ist. Einige Jahre wird dies auch noch ohne größere Reparaturen möglich sein. Vielleicht hat Oliver recht, und das ganze Gebäude stürzt eines Tages in sich zusammen.« Sie lächelte. Stephan sah das Lächeln, aber er griff es nicht auf.

»Wenn Sie Geld hätten, was würden Sie tun?«

»Das fragen Sie noch? Jeden Cent würde ich in die Renovierung stecken. Ich habe Ihnen doch gesagt, ich weiß genau, wie die Burg früher ausgesehen hat. Jede einzelne Mauer würde ich wieder aufbauen lassen.«

»Und wovon würden Sie leben, Angela?«

»Nun spricht der Geschäftsmann aus Ihnen.« Angela ging auf eine Bank zu, die sich in der Nähe befand. Sie setzte sich, dabei machte sie eine einladende Bewegung. »Aber es ist eine berechtigte Frage. Ich habe darüber auch schon nachgedacht. Wenn es mir gelingen würde, ein wenig von dem alten Glanz zurückzuholen, dann könnte man die Burg zur Besichtigung freigeben. Einige Familien haben dies mit ihren Schlössern getan. Die Burg liegt auch sehr schön. Man könnte eine Aussichtsterrasse bauen, ein Burgrestaurant eröffnen.«

»Daran habe ich auch gedacht«, entfuhr es Stephan.

Befremdet sah Angela ihn an, und dann begriff sie. »Natürlich, Sie besitzen eine Restaurantkette.«

Er kam ihr zuvor, griff nach ihrer Hand. »Bitte, Angela, ziehen Sie jetzt keine voreiligen Schlüsse. Sie müssen mir glauben, ich kam ohne jeglichen Hintergedanken auf die Burg. Ich war einfach begeistert! Ich hatte das Gefühl, hier zu Hause zu sein.« Sie wollte ihm ihre Hand entziehen, er hielt sie fest. »Entschuldigen Sie, ich weiß einfach nicht, wie ich meine Gefühle sonst beschreiben soll. Ich habe Ihnen erzählt, daß ich schon immer nach Deutschland wollte. Der Wunsch, das Land meiner Vorfahren zu sehen, schlummerte tief in mir.«

Angela wußte, daß Oliver ihm nicht geglaubt hätte. Sie mußte zugeben, daß auch alles sehr eigenartig klang. Doch sie, die in den letzten Jahren sehr mißtrauisch gegenüber jedermann geworden war, glaubte ihm.

»Sie wollen wirklich in Deutschland bleiben?« fragte sie.

»Ich denke jedenfalls nicht über eine Rückkehr nach. Was soll ich in New York? Ich telefoniere hin und wieder mit meinem Büro. Ich werde nicht vermißt. Natürlich hatte ich dort Bekannte. Mir war jedoch immer bewußt, daß viele meine Freundschaft suchten, weil sie sich etwas davon versprachen.«

Sie konnte ihn verstehen, ihr Herz schlug schneller. Sie freute sich, daß er bleiben wollte. Ste­phan bemerkte es nicht. Sein Blick fixierte eine Ameise, die versuchte, den Weg zu überqueren. Er spürte Angelas Nähe. Wann würde er ihr wieder so nahe sein? Er mußte jetzt sprechen. So räusperte er sich.

»Angela, ich möchte ein neues Leben beginnen.« Er hob den Blick, sah sie voll an. »Ich habe Ihnen von meiner Freundin erzählt. Ich wollte sie heiraten, aber Flora braucht mich nicht. Ich komme mir sehr unnütz vor.« Er stockte. »Es ist nicht mein Verdienst, daß sich mein Vermögen täglich vermehrt. Das ist mir bewußt. Eine Zeitlang habe ich es auch genossen.«

Er spürte ihren fragenden Blick und unterbrach sich. Er wollte ihr nichts vormachen, wollte, daß sie ihn so sah, wie er wirklich war. So begann er nachdenklich: »Natürlich genieße ich es auch jetzt. Ich bin frei, kann tun und lassen, was ich will, Angela, verstehen Sie mich? Ich möchte etwas Neues beginnen.«

Angela nickte, sie konnte ihn verstehen. »Lassen Sie sich Zeit damit«, schlug sie vor. »Prüfen Sie, ob Sie im Grunde Ihres Herzens nicht doch bereits Amerikaner sind.«

»Wahrscheinlich haben Sie recht. Es ist nicht nur die Burg. Der Grund, daß ich in Passau bleiben will, sind auch Sie. Wir kennen uns erst wenige Tage, und trotzdem…« Es fehlte ihm an Worten, daher platzte er schließlich einfach heraus: »Angela, ich möchte Ihnen helfen. Bauen Sie die Burg auf. Es ist genügend Geld vorhanden.«

Sie rückte etwas zur Seite. An sein Geld hatte sie überhaupt noch nicht gedacht. Er war ihr zum Freund geworden, dem sie sich anvertraut hatte.

»Nein…« Sie schüttelte den Kopf und fuhr heftiger fort: »Nein! Sie können mir doch kein Geld anbieten. Ich besitze nichts. Ich kann es nie zurückzahlen.« Sie war jetzt voller Abwehr.

Er hatte das befürchtet, trotzdem versuchte er es noch einmal. »Angela, ich habe genügend! Ich möchte, daß Ihnen die Heimat erhalten bleibt. Ich möchte, daß die Burg wieder völlig aufgebaut wird.«

»Nein!« Sie erhob sich. »Bieten Sie mir nie wieder Geld an, Ste­phan!«

»Aber…« Langsam erhob er sich ebenfalls. In ihrem Gesicht konnte er lesen, daß er es falsch angefangen hatte.

»Nie wieder, Stephan! Ich dachte, wir verstehen uns. Warum wollen Sie mich jetzt so demütigen?«

»Das wollte ich nicht!«

»Gut, Stephan, dann wollen wir das Gespräch vergessen. Nur, fangen Sie nie wieder davon an. Ein zweites Mal würde ich Ihnen nicht verzeihen. Ich bin eine typische Rittlingen, habe meinen eigenen Kopf.« Sie reichte ihm die Hand. »Bis morgen! Rufen Sie an, wenn Sie die Ahnengalerie besichtigen wollen.«

Er wollte ihre Hand festhalten, doch sie entzog sie ihm rasch und ging davon. Er konnte nichts anderes tun, als der schlanken Gestalt nachzusehen, die hochaufgerichtet davonschritt.

*

Flora Paddon starrte die Sekretärin ihres Freundes fassungslos an. »Sie meinen, Herr Dorr hat nicht die Absicht, nach New York zurückzukehren?«

»Es scheint so!« Die Sekretärin lehnte sich zurück. Sie hätte dem Chef gern nähergestanden, als dies der Fall war, und so hatte sie stets Eifersucht auf Flora empfunden. Nun lächelte sie spöttisch und setzte hinzu: »Ich telefoniere öfter mit ihm.«

»Sie wissen, wo Stephan sich aufhält?«

»Natürlich!« Das Lächeln der Sekretärin wurde triumphierend. »Er ist in einem kleinen Städtchen an der Grenze zu Österreich abgestiegen. Mich würde es auch interessieren, was ihn dort festhält.«

Der herausfordernde Blick der Sekretärin trieb Flora das Blut in die Wangen. »Ich hätte Herrn Dorr begleiten sollen«, sagte sie spitz, »zog es jedoch vor, in New York zu bleiben.«

»Sie werden sicher Ihre Gründe gehabt haben.« Die Sekretärin lächelte honigsüß.

»Die hatte ich!« Am liebsten wäre Flora der Frau ins Gesicht gesprungen. Sie beherrschte sich jedoch und meinte nun ihrerseits mit zuckersüßem Lächeln: »Und Sie sind sicher, daß Sie sich nicht irren? Stephan wollte eine Deutschlandreise machen.«

»Weit ist er nicht gekommen. Zuerst meldete er sich aus München, und nun ist er bereits seit einiger Zeit in Passau.«

»Passau?« wiederholte Flora. »Noch nie gehört!«

»Mehr kann ich Ihnen leider nicht sagen. Offensichtlich zieht den Chef aber nichts nach New York zurück. So müßte man leben können!« Nun seufzte die Sekretärin.

Flora stand bewegungslos vor dem Schreibtisch. Ihre Gedanken überschlugen sich, ein Pfeil bohrte sich schmerzvoll in ihre Brust. Sie hatte gehofft, daß Stephan zu ihr kommen würde, doch er hatte es nicht getan. Sie begann zu rechnen, viele Tage waren nun schon seit ihrem Streit vergangen.

»Wenn sich der Chef wieder meldet, soll ich ihm etwas ausrichten? Ich habe aber keine Ahnung, wann das sein wird. Er will auch nicht, daß man sich mit ihm in Verbindung setzt.« Nun war wieder Triumph in der Stimme der Sekretärin, und Flora konnte es nicht überhören. »Wir sind hier der Ansicht, daß er sein privates Glück gefunden hat.«

Flora drehte sich um und ging zur Tür. Die Stimme der Sekretärin folgte ihr. »Falls ich diesbezüglich etwas erfahre, teile ich es Ihnen gern mit.«

Floras Kehle war wie zugeschnürt. Sie ging, ohne etwas erwidert zu haben. Im Lift fuhr sie sich rasch über die Augen. Sie holte ihre Puderdose hervor und probierte ein Lächeln. Sie hatte es geschafft, in vierzehn Tagen fuhr sie zu Filmaufnahmen in die Karibik. Sollte Stephan doch in diesem Passau versauern! Um sich abzulenken, suchte sie einige Boutiquen auf. Sie kaufte teure Sachen, ihre Gedanken weilten jedoch nicht in der Karibik, sondern in einem kleinen Städtchen, von dem sie keine Vorstellung hatte. Im letzten Moment fiel ihr noch ein, daß sie zum Essen mit William Dodwell verabredet war. Er wollte ihr den Vertrag mitbringen.

Sie nahm sich ein Taxi, und während sie durch die Straßenschluchten von Brooklyn fuhr, versuchte sie sich zu freuen. Inzwischen war sie in Hollywood gewesen und hatte Probeaufnahmen gemacht. Sie war aber bereits vor einer Woche nach New York zurückgekehrt. Natürlich hatte sie dann nicht zu Hause gesessen und auf Stephan gewartet, aber sie hatte an ihn gedacht. Und als der Anruf kam, daß man sich für sie entschieden habe, war sie überglücklich gewesen, doch dann hatte sie ihre Freude mit Stephan teilen wollen. Nachdem sie vergebens versucht hatte, ihn zu erreichen, war sie zu seinem Büro gefahren. Sie hatte nicht erwartet, daß er in Deutschland blieb. Jetzt, wo er für sie unerreichbar war, stieg eine bisher nicht gekannte Sehnsucht in ihr auf.

Tief atmete Flora durch. Wieder sagte sie sich, daß sie es geschafft hatte. Bereits in einem halben Jahr würde ihr Name groß auf den Film­plakaten prangen. Das Taxi fuhr vor dem Restauranteingang vor. Sie wußte, daß dieses Restaurant Stephan gehörte. Sie versuchte, nicht daran zu denken, bezahlte den Fahrer, ließ sich dann die Tür öffnen. Mit dem Lächeln einer Siegerin betrat sie das exquisite Lokal.

William Dodwell wartete bereits auf sie. Flora versuchte sich zu entschuldigen, doch der Produzent wehrte ab. »Auf eine Frau wie Sie zu warten ist mir ein Vergnügen«, meinte er galant. »Ich hoffe, daß ich in nächster Zeit öfter das Vergnügen haben werde.«

Flora stellte fest, daß er noch immer sehr gut aussah, auch wenn seine Schläfen bereits leicht angegraut waren. Sie lächelte und hörte ihn sagen: »Ich habe vor, die nächsten Wochen ebenfalls in der Karibik zu verbringen.«

Flora verstand, diesmal senkte sie den Blick. Doch dann stieg Trotz in ihr hoch. Warum sollte sie nicht? Sie fühlte sich nicht mehr an Stephan gebunden. Mit seinem Schweigen gab er ihr doch deutlich zu verstehen, daß sich ihre Wege getrennt hatten. William Dodwell galt als charmanter Mann. Durch ihn würde ihre Karriere steil nach oben führen. Mehr wollte sie nicht.

»Wir wollen zuerst dem leiblichen Wohl frönen und uns dann den anderen Dingen zuwenden«, hörte sie den Produzenten sagen. »Das Essen hier ist ausgezeichnet.«

Sie versuchte, auf William Dodwells Plauderton einzugehen. Sie wußte ja, was er von ihr erwartete. So zwang sie sich auch zum Essen. Immer wieder sagte sie sich, daß alles in Ordnung war. Sie hatte es so gewollt.

»Schmeckt es Ihnen nicht?« erkundigte sich der Produzent besorgt. Ihm war nicht entgangen, daß der Kellner ihren noch halbvollen Teller wieder abservierte. Seine Hand kam über den Tisch. »Sie sind aufgeregt, meine Liebe, das kann ich verstehen. Ich bin aber sicher, daß Sie es bald gewohnt sein werden, im Mittelpunkt zu stehen. Ich mache Sie zu einem Star. Sie können mir glauben, ich verstehe es, die Werbetrommel zu rühren. Ihr Stern wird über Nacht aufsteigen. In einem halben Jahr kennt Sie jeder in Amerika. Lächeln, Mädchen, Sie müssen lächeln!«

Flora hatte gewußt, was sie erwartete. Bald würde sie unter den Palmen der Karibik liegen und sich nicht in irgendeinem unbekannten Städtchen langweilen. William Dodwell stieß mit seinem Glas gegen das ihre. Der helle Ton ließ sie zusammenfahren. Rasch stürzte sie den Inhalt in sich hinein.

»So ist es richtig«, lobte der Produzent. »Das kurbelt die Stimmung richtig an.« Auch er trank. Über den Rand des Glases hinweg beobachtete er Flora. Wie süß die Kleine war! Sie schien ihr Glück noch gar nicht richtig fassen zu können.

Flora hatte in ihrem Dessert nur herumgestochert. Jetzt schob sie den Teller zur Seite. Sie sah ihren Gönner an. Diesem fiel es sehr leicht, ihr zu versprechen: »Ich werde dafür sorgen, daß es Ihnen in der Zukunft an nichts fehlt. Ich kann sehr großzügig sein.«

Flora fiel ein, daß es ihr an nichts gefehlt hatte. Ihre Brust hob und senkte sich. »Ich möchte ein bekannter Star werden, deswegen bin ich hier.«

»Natürlich! Dafür habe ich auch gesorgt. Wenn Sie bereit sind, dann können Sie sich den Vertrag ansehen.«

»Danke«, hauchte Flora und nahm den Vertrag in Empfang. Wo war das Hochgefühl? Es wollte sich nicht einstellen. Sie spürte William Dodwells Blick und begann zu lesen. Es war wirklich phantastisch! Sie ließ den Vertrag sinken, sah den Produzenten an. Sie lächelte, aber sie hatte sich zu diesem Lächeln zwingen müssen.

»Nun? Sie können sich doch nicht beklagen.«

»Nein! Noch bin ich ein Nobody, aber ich werde es allen zeigen.«

»Das hoffe ich! Ich investiere sehr viel in Sie. Noch ein Glas, Flora?« Er wartete ihre Zustimmung nicht ab, füllte selbst ihr Glas auf.

Flora reagierte nicht. Nochmals las sie Wort für Wort des Vertrages durch. Es war mehr, als sie erwartet hatte. Der Weg nach oben war ihr somit geebnet. Warum jubelte sie nicht? Auch William Dodwell wurde langsam ungeduldig. »Ist etwas nicht in Ordnung?« fragte er.

»Der Vertrag übertrifft bei weitem meine Erwartungen.«

»Dann setzen Sie Ihre Unterschrift darunter!« William Dodwell reichte ihr einen goldenen Kugelschreiber.

Flora nahm ihn, sie legte den Vertrag auf den Tisch, setzte an, aber es ging nicht. Das hier war nun wirklich endgültig, dann gab es kein Zurück mehr. Sie hob den Kopf, begegnete William Dodwells Blick. Er lächelte ihr zu. Hinter diesem besitzergreifenden Lächeln standen plötzlich Stephans dunkle Augen. Sie legte den Kugelschreiber zur Seite.

Ungläubiges Staunen spiegelte sich im Gesicht des Produzenten. »Flora, sind Sie verrückt geworden?« polterte er dann los. Etwas ruhiger fuhr er fort: »Haben Sie etwa Angst bekommen? Mit meiner Hilfe werden Sie es schaffen!«

Flora senkte den Blick. »Ich weiß, daß ich es schaffen würde. Es ist für mich nur nicht mehr wichtig. Sie können es nicht verstehen.« Sie zögerte. »Ich hoffe nur, daß es noch nicht zu spät ist.«

Sie erhob sich, eilte um den Tisch herum. »Ich danke Ihnen trotzdem sehr, Mr. Dodwell. Auf die Dauer würde mich die Karibik nicht glücklich machen.« Sie beugte sich hinunter, küßte ihn auf die Wange. »Es gibt viele Mädchen wie mich. Ich bin sicher, daß Sie die Richtige finden werden. Ich war es nicht, doch dies wurde mir selbst erst jetzt bewußt.« Sie ging, und zum ersten Mal in seinem Leben fehlte es William Dodwell an Worten.

*

Es war nicht schwer gewesen, Stephans Anschrift herauszufinden. Flora hatte sich nicht mehr an das Büro gewandt, sondern an den Rechtsberater der Restaurantkette. Dr. Dydow hatte ihr auch ohne zu zögern die Hotelanschrift genannt, unter der Stephan zu erreichen war. Gleichzeitig hatte er ihr sein Herz ausgeschüttet. Er begriff nicht, was Stephan in Passau festhielt, und hatte bereits überlegt, zu einem persönlichen Gespräch nach Deutschland zu fliegen, da Stephan am Telefon meist sehr kurz angebunden war. Dr. Sydow gehörte der Firma seit vielen Jahren an und war schon Stephans Vater treu ergeben gewesen.

»Fliegen Sie mit Gott, mein Kind«, hatte er ihr erklärt. »Wenn jemand ihm den Kopf zurechtsetzen kann, dann sind Sie es.«

So war Flora nach Deutschland geflogen, ohne Stephan vorher Bescheid zu geben. Jetzt stand sie vor der Anmeldung des Gasthofes, der ihrem Eindruck nach sehr alt wirkte. Sie ließ ihren Blick wandern und entschied, daß die Atmosphäre in der holzgetäfelten Halle etwas Anheimelndes hatte. Hier also fühlte Stephan sich wohl. Wie anders war dagegen sein Büro eingerichtet. Der Portier riß sie aus ihren Gedanken. »Mr. Dorr müßte in seinem Zimmer sein. Soll ich hinauftelefonieren?«

Plötzlich begann Floras Herz wie rasend zu klopfen. Sie hatte ihren Entschluß so schnell und zielsicher in die Tat umgesetzt, daß sie kaum zum Nachdenken gekommen war. Und dann die vielen neuen Eindrücke, der lange Flug.

»Ich bin eine gute Bekannte von Mr. Dorr«, sagte Flora. »Ich möchte ihn gern überraschen.«

Der Portier lächelte. Es war ihm natürlich nicht entgangen, daß die Dame Amerikanerin war, auch wenn sie sich bemüht hatte, Deutsch zu sprechen. Er neigte leicht den Kopf. »Zimmer 10 im ersten Stock. Wir haben leider keinen Lift. Sie müssen die Treppe benutzen.«

»Danke!« Langsam schritt Flora auf die Treppe zu. Sie wußte jetzt, daß sie Stephan liebte. Sie hatte nur den einen Wunsch, an seiner Seite zu leben. Sie wollte dies Stephan sagen, aber war es nicht schon zu spät? Hatte er hier jemanden gefunden, der ihn verstand? Flora glaubte, nicht mehr atmen zu können, und trotzdem schritt sie weiter. Sie stieg die Treppe hinauf, fand Zimmer 10 und klopfte.

»Come in!« hörte sie seine Stimme, doch sie brachte es nicht mehr fertig, die Klinke hinunterzudrücken. Sie würde es nicht ertragen, wenn er jemanden bei sich hätte. Allen Ernstes dachte sie daran wegzulaufen, als die Tür geöffnet wurde. Sie war nicht fähig sich zu rühren, sah ihn nur an.

»Flora!« Seine Augen leuchteten auf. »Wo kommst du her? Komm doch herein!« Er nahm ihren Arm und zog sie ins Zimmer. Sie sah die Freude in seinem Gesicht. Sie war so froh, so glücklich! Ehe sie sich versah, lag sie in seinen Armen.

Stephan vergaß die Burg, vergaß Prinzessin Angela. Er küßte Flora, trank sich satt an ihren Lippen. »Ich habe mich so nach dir gesehnt. Der Flug schien mir endlos«, flüsterte Flora. Da hielt er sie etwas von sich. Eine Falte teilte seine Stirn. »Wie kommst du nach Passau?«

»Ich will mit dir zusammen Urlaub machen. Laß uns zusammen Old Germany ansehen. Ich fahre überall mit dir hin, wohin du nur willst.« Sie lächelte, wollte sich wieder an ihn schmiegen, aber seine Arme legten sich nicht mehr um sie. Er wich ihrem Blick aus. »Ich habe nicht die Absicht, durch Deutschland zu fahren. Ich werde in Passau bleiben. Flora, du hättest nicht kommen sollen.«

»Warum?« Flora fragte es tonlos.

»Ich kann hier nicht mehr weg. Ich fühle, daß ich hier zu Hause bin.« Wie ein gefangenes Tier begann Stephan im Zimmer umherzugehen. »Ich kann Prinzessin Angela nicht im Stich lassen. Ich werde es nicht tun.«

Floras Herzschlag drohte auszusetzen. Also doch eine Frau! Ihre Reise nach Deutschland war umsonst gewesen. Sie hatte verloren. Seine Stimme kam von weit her. »Setz dich, bitte! Ich werde es dir erklären.«

Sie rührte sich nicht. Wozu eine Erklärung? Er hatte eine andere Frau gefunden, eine Frau, die ihn besser verstand. Wer war diese Frau? Ruckartig hob sie den Kopf.

»Es tut mir leid, Flora!« Diesmal sah Stephan sie an. »Ich werde in Deutschland bleiben, hier in Passau. In New York werde ich nicht gebraucht. Hier jedoch liegt meine Aufgabe. Ich werde Angela helfen.«

Ich brauche dich auch! wollte Flora sagen, aber kein Ton kam aus ihrem Mund.

»Setz dich bitte!« Stephan nahm ihren Arm und führte sie zu einem Sessel. Jetzt war er auf Abstand bedacht. Sein Gesicht war starr. »Du hättest vor deinem Flug mit mir Verbindung aufnehmen sollen. Ich habe mit deinem Kommen nicht gerechnet.«

»Aber jetzt bin ich da!« sagte Flora leise. Ihre Füße gaben nach. sie ließ sich in den Sessel fallen.

Kein Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Er sah durch sie hindurch. »Ich habe aber keine Zeit für dich. Ich muß mich um Angela kümmern. Sie ist ein Dickschädel, aber ich muß sie davon überzeugen, daß sie mein Geld annehmen kann.«

»Ich verstehe kein Wort!«

»Ach so, natürlich! Ich lernte Prinzessin Angela kennen. Sie ist eine sehr schöne, eigenwillige Frau.«

Mit leicht geöffneten Lippen sah Flora ihn an. In ihren Augen stand nur eine einzige Frage, er merkte es nicht. »Ich werde es dir erklären…« Er setzte sich auf die Kante seines Bettes. Er war so weit von ihr entfernt! »Ich wollte mir Deutschland ansehen, ich hätte gern herausgefunden, woher meine Vorfahren stammen.«

»Ich weiß, du hast davon gesprochen«, sagte sie, da er nicht weitersprach.

»Genau! Ich bin nicht enttäuscht von diesem Land. Es gefällt mir. Vielleicht würde es dir auch gefallen.«

Ich bin ja hier, um es kennenzulernen! wollte Flora sagen, aber da sprach er schon weiter. »Von München aus bin ich an die Donau gefahren, da entdeckte ich eine Burg. Tja, plötzlich war mir alles so vertraut. Ich fuhr nicht weiter, ich wollte hinauf zu dem Ort, an dem die Burg steht.« Sie sah, daß ein kleines Lächeln über sein Gesicht huschte. »Ein großer Teil der Burg ist verfallen, sie gleicht eher einer Ruine, und trotzdem ist sie noch bewohnt, bewohnt von einer Frau, die ihre Heimat nicht aufgeben will.« Stephan wurde immer lebhafter. »Seit vielen Jahrhunderten lebten ihre Vorfahren auf der Burg, einst waren sie sehr reich. Angela weiß jedoch kaum, wovon sie leben soll.«

Flora hatte ihre Hände im Schoß verkrampft. Sie hörte zu. Jedes seiner Worte schmerzte sie, denn er schwärmte von einer anderen Frau. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus, sie sprang auf. »Was geht dich diese Frau an?« rief sie heftig.

Erstaunt sah er sie an.

»Begreifst du denn nicht? Sie braucht Hilfe! Ich will, daß Angela die Heimat erhalten bleibt. Ich möchte, daß die Burg im alten Glanz aufersteht.«

»Sag schon, daß du diese Angela liebst«, forderte sie ihn auf.

Stephans Miene verschloß sich wieder. »Ich mag sie, sie ist eine wunderbare Frau. Jede Stunde, die ich in ihrer Gesellschaft verbringen darf, genieße ich.«

»Du liebst sie also!« Flora bohrte ihre Fingernägel in die Handflächen. Sie mußte jetzt Haltung bewahren. Sie sah zur Tür. Am besten war es, wenn sie ging. Doch da sagte Stephan: »Ich weiß es nicht. Es spielt auch keine Rolle. Ich fühle mich zu ihr hingezogen und will ihr helfen. Ich muß sie überreden, mein Geld anzunehmen. Diese Burg wieder aufzubauen, das ist eine Aufgabe! Versteh doch, Flora!«

Sie wollte ihn doch verstehen.

Sie war ja aus New York gekommen, weil sie ihn verstehen wollte. Sie wollte sein Leben teilen. Er hatte sie jedoch nicht gefragt, wa­rum sie gekommen war. Nein, es ging jetzt nicht um sie. Es ging um Stephan und um diese Frau.

»Eine Prinzessin«, stammelte sie verwirrt und griff sich mit beiden Händen an die Stirn. »So etwas gibt es doch nur im Märchen.«

»Da irrst du!« Stephan legte die Handflächen gegeneinander, beug­te sich etwas nach vorn und begann zu erzählen. Er erzählte von seiner Begegnung mit Prinzessin Angela, erwähnte auch Graf Oliver. »Sie braucht mich! Graf Oliver kann ihr nicht helfen. Er versteht sie nicht einmal. Sie soll die Burg verkaufen, soll in einem Appartement leben. Das ist ausgeschlossen!«

Dich geht das alles doch nichts an, wollte sie sagen, aber sie preßte die Lippen aufeinander und schwieg. Sie hörte weiter zu, wie Stephan ihr das Leben der Prinzessin schilderte. Sie begriff noch immer nicht. Imponierte ihm die Frau? Liebte er sie?

Stephan erhob sich. Er sah auf Flora hinab. »Ich habe hier eine Aufgabe gefunden. Ich werde nicht eher ruhen, bis die Burg wieder aufgebaut ist, vom Verlies bis zum Ballsaal. Die Gemälde sollen wieder an ihren alten Plätzen hängen.« In seinen Augen brannte ein Feuer, seine Brust hob und senkte sich.

Verwirrt fragte Flora: »Wenn ich dich richtig verstanden habe, dann will die Prinzessin deine Hilfe gar nicht.«

»Sie ist zu stolz, mein Geld zu nehmen, obwohl sie nicht weiß, wie es weitergehen soll. Ich muß sie überzeugen, ich muß einen Weg finden!«

Er begann wieder im Zimmer umherzugehen. Flora biß sich in die Unterlippe. Was sollte sie tun? Was konnte sie tun?

»Ich bin hier zu Hause, ich fühle es«, hörte sie Stephan sagen. Da fuhr sie auf: »Moment! Du bist in New York zu Hause. Dort bist du geboren worden, dort hast du bereits dreißig Jahre lang gelebt.«

Stephan wandte den Kopf zur Seite. Darauf konnte er nichts entgegnen. Da Flora ihn verstehen wollte, fragte sie: »Möchtest du hier leben?«

Stephan zuckte die Achseln. »Es ist schön hier. Von der Burg aus hat man einen herrlichen Rundblick. Ich kann es nicht erklären… ich habe das Gefühl…« Er brach ab. Flora sah, wie er in die Hosentasche griff und das Medaillon hervorholte. Sie kannte es. Sie wußte, daß es ihm viel bedeutete, da er es von seiner Mutter hatte. Stephan öffnete das Medaillon und hielt es ihr hin.

»Sieh dir das Bild an! Es zeigt ein Landmädchen. Die Zöpfe – es muß sich um ein einfaches Mädchen handeln.«

»Ein schönes Mädchen«, sagte Flora, die das Bild kannte. Sie verstand nur nicht und sah ihn fragend an.

»Ein einfaches Mädchen«, wiederholte er. »Das Bild muß viele Jahre alt sein und hat irgendwie mit meinen Vorfahren zu tun.« Dann, nach kurzem Zögern, erzählte Stephan ihr von dem Gemälde der Fürstin Luitgard, das im ehemaligen Ballsaal der Burg hing.

Das ist doch Unsinn, wollte Flora sagen, aber Stephans Gesichtsausdruck ließ sie schweigen. Sicher hatte er unter dem frühen Tod seiner Eltern sehr gelitten, das Medaillon war das einzige, was ihm geblieben war. Er klappte es zu, steckte es hastig wieder weg.

»Vielleicht stammen meine Vorfahren aus Passau? Ich werde es wohl nie herausfinden. Ich weiß nur, daß ich hierbleiben muß. Ich kann nicht zulassen, daß Angela allein in einer Ruine lebt. Ich kann es ändern, ich habe das Geld dazu. Ich mache es nicht so wie Graf Oliver, der einfach aufgibt, der Angela ihrem Schicksal überläßt. Ich bleibe hier!«

In seinem Gesicht konnte sie lesen, daß er wirklich dazu entschlossen war. Es hatte keinen Sinn, an seine Vernunft zu appellieren, sie würde nur gegen eine Mauer rennen. Und ein Appell an die Liebe? Er hatte sich über ihr Kommen gefreut. Sie hatte es gesehen, hatte es gespürt. Doch im Moment war die Prinzessin stärker als sie. Sie hatte sich vorgenommen, ihn zu verstehen, also schwieg sie.

*

Flora war gegangen, und Ste­phan hatte sie gehen lassen. Er hatte nicht versucht, sie zu halten, und das schmerzte. Sie hatte ihm gesagt, daß sie kein festes Ziel habe, sie wolle sich nun auch in Deutschland umsehen, wenn sie schon einmal hier war. Du weißt ja, wo ich wohne, vielleicht meldest du dich noch einmal, hatte er gesagt, und es hatte sehr beiläufig geklungen.

Flora lehnte an der Kaimauer.

Die Zähne hatte sie in die Unterlippe gepreßt, sie versuchte zu verhindern, daß ihre Augen feucht wurden. Sie sah den Fluß entlang. Es stimmte, Passau war ein schönes Städtchen. Es lag auf einer Landzunge zwischen zwei Flüssen. Warum war sie nur so dumm gewesen und hatte sich gegen eine Deutschlandreise gewehrt? Was nun? Sollte sie wirklich allein herumreisen? Mit Stephan konnte sie nicht rechnen. Er hatte nur diese Prinzessin im Kopf.

Ein Gedanke stieg in ihr auf und ergriff immer mehr Besitz von ihr. Warum sollte sie sich nicht die Prinzessin ansehen? Egal, wo sie heute übernachten würde, sie konnte doch zuerst einmal zur Burg hinauffahren. Sie mußte wissen, was Stephan so an dieser Frau faszinierte. Sie dachte nicht weiter darüber nach, sondern eilte zu ihrem Mietwagen, den sie an der Donaubrücke abgestellt hatte. Sobald sie Passau etwas hinter sich gelassen hatte, sah sie die Burg auf der Anhöhe liegen. Sie verlangsamte ihr Tempo, ihre Hände umspannten fester das Lenkrad. Nein, sie konnte Stephan nicht verstehen. Sie fand nichts Anziehendes an dem alten Gemäuer. Sie entdeckte einen Wegweiser und bog ab. Die Straße war kurvenreich, und da sie sich nicht auf die Straße konzentrierte, sondern ihren Blick schweifen ließ, kam sie zu nahe an den Straßenrand, das Vorderrad rutschte in den Graben.

Flora war wütend. Sie war eine gute Autofahrerin, und so etwas war ihr noch nie passiert. Sie schalt sich selbst eine Närrin, dann stieg sie aus, um sich den Schaden zu besehen. Erleichtert seufzte sie, als sie feststellte, daß er nicht allzu groß war. Mit etwas Glück konnte sie sich selbst aus dieser heiklen Lage befreien. Ehe sie zur Tat schreiten konnte, kam ein Auto. Es hielt neben ihr an, und der Fahrer fragte: »Kann ich Ihnen behilflich sein?«

»Ich habe nicht auf die Straße geachtet«, sagte Flora. Sie sah, daß der Fahrer den Kopf schüttelte. Das ärgerte sie. Ehe sie jedoch etwas sagen konnte, war er schon ausgestiegen.

»Setzen Sie sich ans Steuer. Ich werde ihn schieben.«

Flora störte sich an seinem befehlenden Ton, aber sie zuckte die Achseln und setzte sich hinter das Steuer. Sie startete, gab Gas, zuerst drehte der Motor leer, doch dann spürte sie einen Ruck, und schon stand sie mit allen vier Rädern wieder auf der Straße. Flora schaltete den Motor wieder ab und stieg aus.

»Danke!« sagte sie und hielt dem Fremden ihre Hand hin. »Wahrscheinlich hätte ich es doch nicht ohne Sie geschafft.«

»Mmh!« Der Mann verzog das Gesicht. Flora fühlte sich gemustert, doch dann nahm er doch noch ihre Hand. Er stellte sich vor: »Eckhold, Oliver von Eckhold!«

»Was?« Flora starrte nun ihrerseits den Mann an. Im Grunde gefiel ihr, was sie sah. Sie versicherte sich: »Sie sind Graf Oliver?«

»Genau derjenige!« Oliver lächelte. »Darf ich nun erfahren, wer Sie sind?«

Flora senkte den Kopf. Das war ihr peinlich, ausgerechnet Graf Oliver mußte ihr helfen. Wie stand sie nun da? Doch dann machte es in ihrem Kopf klick. Aufgeregt fragte sie: »Waren Sie auf der Burg? Waren Sie bei Prinzessin Angela?«

»Nun, das dürfte Sie wohl nichts angehen, wer auch immer Sie sein mögen.« Graf Oliver wußte nicht, ob er sich ärgern oder ob er lachen sollte.

»Es ist aber wichtig!« Flora war nun so aufgeregt, daß sie den Grafen beinahe am Arm gepackt hätte. »Stephan sagt, daß Sie sich nicht mehr um Angela kümmern.«

»Meinen Sie etwa Herrn Dorr?« Graf Oliver kreuzte die Arme vor der Brust. »Dieser Mann geht also noch immer auf der Burg ein und aus. Ich hätte es mir denken können.« Empört wollte er sich abwenden.

»Was haben Sie gegen Stephan, bitte?« Flora streckte nun doch ihre Hand aus. »Stephan will der Prinzessin doch nur helfen.«

»So?« Voller Abwehr trat Graf Oliver einen Schritt zurück.

»Es ist Ihre Schuld«, fuhr Flora ihn an. »Sie müssen sich um die Prinzessin kümmern, müssen versuchen, sie zu verstehen!«

»Nun ist es aber genug! Was erlauben Sie sich!« Er sah Flora an. Ihr Anblick versöhnte ihn etwas, und er fragte noch einmal: »Wer sind Sie eigentlich?«

Flora nannte ihren Namen. »Ich bin Stephans Freundin. Ich hatte es abgelehnt, ihn nach Deutschland zu begleiten, und nun ist da Prinzessin Angela. Stephan will ihr helfen, er fühlte sich dazu verpflichtet.«

»Helfen! Er will die Burg kaufen!« Verächtlich blähten sich Olivers Nasenflügel. »Ich habe mich erkundigt. Ihr Freund ist Geschäftsmann. Er wird versuchen, einen möglichst günstigen Preis herauszuholen, falls Angela je verkauft.«

»Sie scheinen wirklich nichts zu verstehen, da hat Stephan recht.« Floras Augen blitzten. »Es könnte doch auch sein, daß Stephan sich in die Prinzessin verliebt hat? Und wie steht es mit der Prinzessin?«

Abrupt drehte Oliver sich um und ging zu seinem Auto. »Moment, laufen Sie nicht weg! Ste­phan sagte, daß Sie mit der Prinzessin befreundet sind. Lieben Sie sie denn nicht?« Und da Oliver nichts sagte, setzte sie hinzu: »Ich liebe Stephan. Ich möchte ihn nicht verlieren.«

Langsam drehte Oliver sich wieder um. Er sah Flora an. »Sie sind sehr ehrlich.«

Sie nickte. »Ich bin Stephan schließlich nach Deutschland nachgefahren. Zu spät habe ich erkannt, daß er mir sehr viel bedeutet.«

Ihre Aufrichtigkeit berührte ihn. Er fühlte sich mit ihr verbunden. »Ich habe Angela nicht gesehen«, gestand er. »Ich wollte zu ihr, ich habe ja noch frei. Aber ich bin nicht bis zur Burg gefahren, vorher habe ich umgedreht.«

»Im Grunde sehen Sie gar nicht wie ein Feigling aus.« Flora stieß heftig die Luft aus. »Wir müssen etwas unternehmen!«

»Sie sind ziemlich keß.«

»Entschuldigen Sie, ich habe mich noch nie mit einem Grafen unterhalten. Wahrscheinlich müßte ich mich Ihnen gegenüber anders benehmen. Für mich sind Sie aber auch nur ein Mann.« Trotzig warf sie den Kopf zurück.

»Einverstanden!« Oliver lächelte amüsiert. »Was wollen nun eigentlich Sie auf der Burg?«

»Ich…« Nun wurde Flora doch verlegen. »Ich wollte mir die Prinzessin ansehen. Was Stephan an dem alten Gemäuer findet, verstehe ich nicht. Die Prinzessin, sie ist sicher sehr hübsch.«

»Sie sind auch hübsch.«

»Danke!« Sekundenlang nagte Flora an ihrer Unterlippe, dann seufzte sie. »Wenn ich nur wüßte, ob das mit dem Bild stimmt. Sie lieben die Prinzessin doch auch. Es könnte doch sein, daß auch Stephan…« Sie sprach nicht weiter. Sie brachte es einfach nicht fertig, diesen Verdacht auszusprechen. Schon der Gedanke tat weh.

»Bild?« fragte Graf Oliver nach. »Stephan hat mir von den Gemälden erzählt, die die Vorfahren der Prinzessin zeigen und die schon sehr alt sind.«

Oliver nickte. Flora musterte ihn erneut, entschied, daß er nett war. Sie beschloß, ihn zu ihrem Verbündeten zu machen. So erzählte sie ihm von Stephans Medaillon. »Er bildet sich ein, das Mädchen in seinem Medaillon gleicht der Fürstin Luitgard. Ich würde zu gern wissen, ob das stimmt.«

»Ich verstehe überhaupt nichts mehr. Nun, Sie sehen so aus, als ob Sie ein vernünftiges Mädchen wären.«

»Na ja, ich habe bis vor kurzem ziemliche Flausen im Kopf gehabt. Ihnen das zu erklären, würde jetzt jedoch zu weit gehen.« Wieder nagte sie an ihrer Unterlippe. »Das Gemälde, kennen Sie es?«

»Im ehemaligen Ballsaal der Burg hängen viele Gemälde. Es ist Angelas Ahnengalerie. Sie ist sehr stolz darauf. Wenn Sie wollen, können Sie diese gern ansehen.«

»Ich dachte, Sie waren nicht bei der Prinzessin?«

»War ich auch nicht!« Seine Miene wurde starr, er sah an ihr vorbei. »Ich habe es mir anders überlegt. Angela muß zu mir kommen. Aber nachdem Angela die Gewohnheit hat, kein Tor abzusperren, daher jeder ungestört bei ihr ein und aus gehen kann, können auch wir dies tun. Ich zeige Ihnen die Ahnengalerie. Kommen Sie!«

Flora wollte in ihr Auto steigen, da erreichte sie seine befehlende Stimme: »Lassen Sie Ihr Auto einfach stehen. Es verirrt sich selten jemand hier herauf. Sie fahren mit mir. Wir fahren noch ein Stück hinauf, dann gehen wir zu Fuß. Angela muß uns nicht unbedingt sehen.«

Flora zuckte die Achseln. Ihr Blick war skeptisch. Oliver öffnete ihr die Wagentür, da zögerte sie.

»Sie können mir vertrauen, Miss…« Er lächelte entschuldigend. »Nun habe ich Ihren Namen vergessen.«

»Flora«, murmelte Stephans Freundin. »Nennen Sie mich Flora.« Sie versuchte noch immer, den Mann einzuordnen. Er ließ ihr jedoch keine Zeit zum Nachdenken und hielt ihr die Hand hin.

»Wir müssen uns zusammentun. Ich möchte Angela heiraten, und ich glaube, Sie wollen das gleiche mit Stephan tun.«

»Richtig!« Ein Lächeln erschien auf Floras Gesicht. Plötzlich hatte sie das Gefühl, sich mit ihm zu verstehen. Sie tauschten einen festen Händedruck, dann rutschte sie auf den Beifahrersitz.

Graf Oliver fuhr die kurvenreiche Straße noch etwas weiter hinauf, dann stellte er den Wagen auf einem Waldweg ab. »Von hier aus ist es nicht mehr weit. Vielleicht können wir ungesehen von Angela in die Ahnengalerie gelangen. Sie sollen sich das gewisse Gemälde in Ruhe ansehen. Anschließend lade ich Sie zum Essen ein. Wir müssen eine Strategie entwickeln.«

»Ich weiß nicht einmal, wo ich heute nacht bleiben soll«, meinte Flora kleinlaut. »Ich bin von München aus direkt hierhergefahren.«

»Kein Problem! Ein Hotel wird sich für Sie doch finden lassen. Und wenn nicht, dann nehme ich Sie mit nach München. Zwischen Verbündeten dürfte das kein Problem sein.«

Flora verspürte Erleichterung, am liebsten wäre sie dem Grafen um den Hals gefallen, doch sie beherrschte sich noch rechtzeitig.

Graf Oliver führte sie durch eine hintere Pforte in den Schlosshof. Er ließ Flora keine Zeit, sich umzusehen, er nahm ihren Arm und zog sie weiter. Die Treppe knarrte unter ihren Füßen, aber von Angela war nichts zu sehen.

»Gut so«, stellte Graf Oliver leise fest. »Wahrscheinlich hält sie sich im Garten auf.« Er stieß die schwere Tür zum ehemaligen Ballsaal auf und ließ Flora den Vortritt. Sie trat ein, dann stieß sie einen erstaunten Ruf aus. Sie fühlte sich von unzähligen Augen beobachtet. Die Gemälde waren so lebensecht. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Sie ließ ihren Blick wandern.

»Da!« Unwillkürlich streckte sie die Hand aus und zeigte auf eines der Gemälde. »Das ist das Mädchen auf Stephans Medaillon. Sie trägt nur die Haare anders.« Fasziniert ging Flora auf das Gemälde zu, das die schöne Luitgard zeigte.

*

Prinzessin Angela hatte nicht im Garten gearbeitet, sondern hatte Kleider für ihre Puppenkinder entworfen. Eine Arbeit, die ihr sonst sehr viel Freude machte, heute wollte sie ihr jedoch nicht von der Hand gehen. Sie dachte an Ste­phan und fragte sich, wie es weitergehen sollte. Ihretwegen blieb er in Passau, das hatte er ihr deutlich zu verstehen gegeben. Sie freute sich darüber. Sie mochte ihn. Wenn sie mit ihm zusammen war, hatte sie das Gefühl, ihn schon sehr lange zu kennen. Für dieses Gefühl fand sie keine Erklärung, und das beunruhigte sie. Bisher hatte sie stets genau gewußt, was sie wollte. Jetzt war sie unsicher. Noch hatte Stephan sie nicht geküßt, aber sie wartete darauf.

Wie immer, wenn sie etwas beunruhigte, stieg Angela zu ihrer Ahnengalerie hinauf. Fast bei jedem seiner Besuche ging auch Stephan mit in den ehemaligen Ballsaal. Sie wußte inzwischen, daß er wie sie fühlte. Er hatte sie nicht ausgelacht, als sie ihm von ihrer stillen Zwiesprache mit den einzelnen Gemälden erzählte. Mitten auf der Treppe hielt Angela inne. Sie hörte Stimmen. Da sie keine Angst kannte, stieg sie weiter hinauf. Sie lächelte. Die Vorstellung, daß ihre Vorfahren aus den Rahmen gestiegen sein konnten, bemächtigte sich ihrer. Als sie dann jedoch Oliver mit einer ihr fremden Frau erblickte, war sie bestürzt.

»Was tust du hier?« Sie brachte es nicht fertig zu lächeln, steif trat sie näher. »Ich wußte nicht, daß du auf der Burg bist.«

»Wie du siehst, besichtigen wir die Gemälde. Flora interessiert sich dafür.« Oliver trat dichter an Flora heran, legte ihr den Arm um die Schultern. Er flüsterte ihr zu: »Lächeln Sie doch!«

Flora versuchte es, aber es fiel ihr schwer. Das also war Prinzessin Angela! Sicher konnte ein Mann sich in sie auf den ersten Blick verlieben. Sie hörte Graf Oliver sagen: »Du hast doch nichts dagegen, daß wir uns hier umsehen? Darf ich dir eine Bekannte von mir vorstellen? Flora Paddon!«

Flora stand der Prinzessin gegenüber und wußte nicht, wie sie sich benehmen sollte. »Hoheit!« sagte sie unsicher, und ihre Wangen färbten sich.

Angela ging es genauso. Wer war dieses hübsche Mädchen? Rasch sah sie ihren Freund an. Wie kam er dazu, seinen Arm um die Schultern einer Fremden zu legen? Offensichtlich war ihm dieses Mädchen nicht fremd.

»Nun, Flora, wie gefallen dir die Gemälde?« hörte Flora den Grafen fragen. Verblüfft hob sie den Kopf und sah ihn an. Sie wurde sich auch erst jetzt seines Armes bewußt, der noch immer um ihre Schultern lag. Sie verstand und erwiderte seinen Blick. Gut, sie würde mitspielen.

»Ich bin begeistert, Darling«, rief sie. »Ich wußte nicht, daß es so etwas wirklich noch gibt.« Sie wandte sich an die Prinzessin. »Als Oliver mir davon erzählte, wollte ich es nicht glauben. Wissen Sie, ich bin mit ihm aus den Staaten gekommen. Ein Adeliger – wie romantisch! Und dann noch mit einer echten Prinzessin bekannt! Hoheit. Sie verzeihen mir doch, daß ich so offen bin. Ich finde das alles himmlisch! Niemand aus meinem Bekanntenkreis wird mir glauben, daß ich mit einem Grafen...« Sie kicherte.

Olivers Arm war von ihren Schultern geglitten. Seine erste Reaktion war Empörung. Flora trug allzu dick auf, doch dann fiel sein Blick auf Angelas Gesicht, und er unterdrückte nur mühsam ein Lächeln. Angela war eifersüchtig! Er hätte laut jubeln können.

»Flora ist von Deutschland begeistert. Ich bin gerade dabei, ihr einige Sehenswürdigkeiten zu zeigen.« Um Olivers Mundwinkel zuckte es. Angela merkte es jedoch nicht. Was dachte Oliver sich eigentlich? War er blind? Mit einer Amerikanerin zog er durch die Gegend! Das Mädchen war doch offensichtlich nur darauf aus, später in Amerika mit ihrer Bekanntschaft anzugeben. Daß er sonst stets auf Distanz bedacht war, schien er völlig vergessen zu haben. Sie mußte zusehen, wie sich sein Arm wieder um die Schultern dieser Flora legte. Um Haltung zu bewahren, kreuzte Angela die Arme vor der Brust. Der verliebte Blick des Mädchens war nicht zu übersehen.

Auch Flora amüsierte sich innerlich. Den Gedanken, daß dies doch nicht der richtige Weg sein könnte, schob sie rasch wieder zur Seite. »Darling, ich bin dir ja so dankbar«, flötete sie. »Glaubst du, wir kommen der Prinzessin ungelegen? Ist sie böse?«

»Aber nein! Prinzessin Angela hat ein offenes Haus. Bei ihr wird ständig ein und aus gegangen.«

Das war ein Seitenhieb, den Angela auch verstand. »Ich habe nichts dagegen, wenn man sich in der Burg umsieht. Es ist noch nie etwas gestohlen worden. Allerdings hättest du dich zuerst bei mir melden können. Wir haben uns schließlich einige Tage nicht gesehen.«

»Hast du etwa auf meinen Besuch gewartet?« Für Sekunden vergaß Oliver Flora, er hoffte auf eine Bejahung, doch Angela wandte den Blick ab. Sie war zu sehr mit Stephan beschäftigt gewesen, um länger an ihn zu denken. Dessen wurde sie sich erst jetzt richtig bewusst.

»Ich wollte auch einmal vorbeikommen. Wie du weißt, habe ich noch frei.« Er versuchte, seiner Stimme einen gleichgültigen Klang zu geben. »Ich war nur zu sehr beschäftigt. Flora ist sehr unternehmungslustig.«

Das konnte doch nicht sein! Oliver gab einfach zu, daß er seine Zeit mit diesem Mädchen verbrachte? Angela öffnete den Mund und schloß ihn wieder. Sie hatte kein Recht, ihm Vorwürfe zu machen, hatte sie ihm doch deutlich zu verstehen gegeben, daß er sich um seine Angelegenheiten kümmern sollte.

Sie sah Flora erneut an und konnte nicht umhin, sich einzugestehen, daß dieses Mädchen sehr hübsch war.

»Bleiben Sie länger in Deutschland?« fragte sie, und ihre Stimme zitterte leicht.

»Das kann ich noch nicht sagen«, zwitscherte Flora vergnügt. Jetzt konnte sie zeigen, welche schauspielerischen Fähigkeiten in ihr streckten. Sie warf dem Grafen einen verliebten Blick zu, der für Angela sehr eindeutig war. Sie fühlte sich bis tief ins Innerste getroffen.

»Darling, ich glaube, daß wir die Prinzessin stören.« Flora schob ihre Hand unter Graf Olivers Arm, eine Geste, die Angela das Blut ins Gesicht trieb.

»Ich wollte mich gerade entschuldigen. Sie müssen verstehen, ich war auf Ihren Besuch nicht vorbereitet. Ich habe noch zu tun. Wie bereits gesagt, Sie können sich hier ungestört umsehen, Graf Oliver kann Ihnen alles erklären.« Ihre einladende Geste wirkte hölzern.

»Du bist entschuldigt, Angela. Wir haben auch nicht die Absicht, lange zu bleiben. Wir wollen noch weiter, wir haben noch viel vor.«

Oliver zwang sich zu einem Lächeln. Jetzt tat sie ihm beinahe leid, denn sie war sehr blaß, ihre blauen Augen waren fast dunkel. Er konnte sie nicht so gehen lassen, also löste er sich von Flora, bot ihr die Hand.

»Du kennst meine Münchener Adresse und auch meine Telefonnummer. Vielleicht meldest du dich einmal?«

»Ich, wieso ich?« Sie entzog ihm rasch ihre Hand. »Ich werde dich nicht stören, Oliver. Du mußt wissen, wie du deine freien Tage verbringen willst.« Mit ihrer Beherrschung war es vorbei. Fluchtartig verließ sie den ehemaligen Ballsaal.

Flora brach in ein prustendes Lachen aus. Sie erntete dadurch aber einen tadelnden Blick des Grafen. »Es hat doch wunderbar geklappt«, verteidigte sie sich sofort. »Prinzessin Angela ist darauf hereingefallen. Sie hält mich für Ihre Geliebte.«

Oliver strich sich über das Kinn. »Ich weiß nicht, ob diese Idee besonders gut war.« Er fing Floras Blick auf. »Schon gut, es war meine Idee! Es war nett, daß Sie mitgespielt haben.«

»Sie können ganz unbesorgt sein, die Prinzessin liebt Sie. Sie ist eifersüchtig, das ist das beste Zeichen.« Flora war sehr erleichtert.

»Schön, wenn Sie recht haben! Damit ist aber die Situation noch nicht geklärt. Soll ich ihr etwa nachlaufen und sagen, daß alles ein Irrtum war? Sie würde mir nicht glauben. Sie ist sehr stolz.«

»Dieses verdammte Bild«, entfuhr es Flora. »Damit hat doch alles angefangen.« Sie trat wieder vor das Gemälde. »Die Ähnlichkeit mit Stephans Medaillon ist auch zu verblüffend. Das kann kein Zufall sein!«

Oliver begann laut zu denken. »Wenn das Medaillon auf die Herkunft Ihres Freundes schließen läßt, dann wäre es doch möglich, daß Stephan wirklich von den Rittlingern abstammt. Man müßte in dieser Richtung einmal Nachforschungen anstellen.«

»Das wäre die Lösung!« rief Flora, und nun fiel sie Oliver doch um den Hals. Schelmisch meinte sie: »Vielleicht werden wir dann noch miteinander verwandt, natürlich um zehntausend Ecken.«

»Dagegen hätte ich nichts einzuwenden«, sagte Oliver charmant und küßte sie auf die Stirn. »Nur, was können wir tun, damit es soweit kommt?«

»Nachforschungen anstellen! Falls es stimmt und Stephans Urgroßmutter von hier stammt, dann ist er auch ein Nachfahre dieser vornehmen Gesellschaft.« Flora deutete auf die Gemälde und lachte übermütig. »Dann ist er berechtigt, die Burg renovieren zu lassen. Nein, er ist geradezu verpflichtet dazu! Prinzessin Angela muß das einsehen.«

Langsam dämmerte es Oliver, was sie meinte. Natürlich, Stephan Dorr war reich! Er konnte dafür sorgen, daß Angela die Heimat erhalten blieb. Einem Verwandten konnte Angela dies nicht abschlagen. Unternehmungslustig rieb er sich die Hände.

»Dann wollen wir mal sehen, was wir herausfinden. Ich weiß, wo Angela die Familienchronik aufbewahrt, außerdem können wir noch im Kirchenregister nachschlagen.«

Während Prinzessin Angela ruhelos in ihrer kleinen Wohnung hin und her lief – sie schwankte zwischen Empörung und Hilflosigkeit – machten Flora und Graf Oliver sich an die Arbeit. Hatte Flora zuerst noch burschikose Reden geführt, so wurde sie nun immer nachdenklicher. Langsam begriff sie, welche Tradition in den teilweise vergilbten Blättern steckte.

*

Flora und Graf Oliver hatten außerhalb von Passau in einem Landgasthof übernachtet, nachdem Oliver sich zuvor mit der Bischöflichen Residenz in Verbindung gesetzt und darum gebeten hatte, im Kirchenregister Einsicht nehmen zu dürfen. Nun saßen sie in einem spartanisch eingerichteten Raum und wälzten Unterlagen. Die Mittagszeit war längst vorüber, aber beide achteten nicht darauf.

»Ich habe es!« rief Flora plötzlich, und ihre Wangen brannten. Sie sah zu Graf Oliver hin. »Sie haben recht gehabt. Es handelt sich um Fürstin Luitgards Tochter.«

Oliver erhob sich sofort. Er trat hinter Flora und versuchte den Text zu entziffern, auf den sie zeigte.

»Da haben wir das schwarze Schaf der Fürstenfamilie«, stellte er erfreut fest.

»Sie hieß Sieglinde! Sie floh aus der Burg, wehrte sich dagegen, den Mann zu heiraten, dem sie versprochen war.« Flora seufzte.

»Es kommt noch besser«, stellte Oliver fest, der bereits weitergelesen hatte. »Sie fand im bischöflichen Palast Zuflucht. Dort wurde sie sogar getraut und zwar mit einem Mann aus dem Volke.«

»Das waren noch Zeiten! Hätte Ihre Prinzessin das auch gewagt?« neckte Flora den Grafen. Dann wurde sie jedoch wieder ernst. So las sie, daß der Fürst gedroht hatte, das Palais niederzubrennen. Gewaltsam wollte er seine Tochter dort herausholen. Da schickte der Bischof sie und ihren Angetrauten nach Übersee.

»Wir haben für Stephan die Herkunft des Medaillons geklärt.« Floras Augen strahlten. »Daher fühlte er sich also von der Burg angezogen. Wie eigenartig«, meinte sie dann. »Jetzt weiß er, wohin er gehört.« Abrupt wandte sie sich ab.

»Flora, was haben Sie denn?« Oliver legte ihr die Hand auf die Schulter.

»Nichts! Stephan wird glücklich sein.«

Sie sah bei ihren Worten nicht hoch.

»Was beunruhigt Sie? Bitte, sagen Sie es mir.«

»Stephan hat seine Wurzeln hier«, kam es leise von ihren Lippen. »Das haben wir nun herausgefunden. Ich… ich werde nach New York zurückkehren.«

»Glauben Sie, daß er Sie gehen läßt?« fragte Oliver betroffen.

»Warum sollte er nicht? Ich habe es einmal abgelehnt, ihn nach Deutschland zu begleiten, und jetzt braucht er mich nicht mehr. Er hat Prinzessin Angela, er hat eine Aufgabe. Ich werde nach München zurückfahren und den nächsten Flug in die Staaten nehmen.«

»Jetzt wollen Sie kneifen! Das kommt überhaupt nicht in Frage!«

»Aber was soll ich tun?«

Oliver lächelte. »Sie waren doch zuerst so couragiert. Jetzt heißt es Farbe bekennen! Wir haben getan, was wir konnten, nun sind unsere Partner an der Reihe.«

»Sie haben es da leichter. Ihre Prinzessin wartet nur darauf, daß Sie sich bei ihr melden.«

»Das werden wir gemeinsam tun.« Oliver sagte es bestimmt. »Sie dürfen mich jetzt nicht im Stich lassen. Es könnte doch sein, daß Angela mir nicht glaubt. Sie waren als lebenshungrige Amerikanerin sehr überzeugend.«

»Danke! Wahrscheinlich habe ich mich das letzte Mal als Schauspielerin versucht. Ich werde mein Geld doch weiterhin als Manne­quin verdienen.«

»Ich denke, darüber ist noch nicht das letzte Wort gesprochen.« Oliver strich Flora rasch über das Haar. Er hoffte, daß es so war: Er fand dieses Mädchen sympathisch, ein Mädchen, mit dem man Pferde stehlen konnte, Stephan Dorr müßte ein Narr sein, würde er dieses Mädchen gehen lassen.

»Kommen Sie, wir wollen die Sache zu Ende bringen.« Er packte sie an den Schultern und zog sie einfach in die Höhe. Flora sagte nicht mehr viel. Ihre Gedanken waren bei Stephan. Sie stand dabei, als Graf Oliver sich bedankte, verabschiedete sich ebenfalls von dem freundlichen Archivar und folgte Oliver zu seinem Auto.

»Was nun?« fragte Oliver, als sie auf der Straße standen. »Gehen wir etwas essen oder sehen wir nach, ob Angela zu Hause ist?«

»Ich habe keinen Hunger«, sagte Flora und traf somit die Entscheidung.

»Dann wollen wir!« Oliver öffnete ihr galant die Autotür, dann setzte er sich hinter das Steuer. Er plauderte über belangslose Dinge, während er aus der Stadt hinausfuhr. Er versuchte, so seine Unruhe zu verbergen.

*

Stephan legte den Telefonhörer auf die Gabel zurück. Hatte er kurz vorher noch gemütlich in einem Stuhl gesessen, so hatte er es jetzt eilig. Er trat vor den Spiegel, rückte seine Krawatte zurecht, frisierte sein Haar und schlüpfte dann in sein Jackett. Die Prinzessin hatte ihn gebeten zu kommen. Er wollte sie nicht warten lassen.

»Angela!« Lächelnd flüsterte er ihren Namen. Er hatte nicht gedacht, daß sie heute noch einmal nach ihm rufen würde. Bereits am Vormittag hatte er sie aufgesucht und sich mit ihr fast zwei Stunden sehr gut unterhalten. Für morgen waren sie zum Mittagessen verabredet. Vielleicht hatte er Glück, und er würde sie dazu überreden können, den Abend mit ihm zu verbringen. Leise pfiff er vor sich hin, als er sein Hotelzimmer verließ. Er hoffte, daß er Gelegenheit finden würde, mit ihr über die Renovierung der Burg zu sprechen.

Seine gute Stimmung erhielt einen Dämpfer, als er unter der großen Linde das Auto des Grafen stehen sah. An ihn hatte er überhaupt nicht mehr gedacht, und da fiel ihm auch Flora ein. Eigentlich hatte er erwartet, daß sie sich wieder bei ihm melden würde, als sie so unvermittelt sein Hotelzimmer verlassen hatte. Er hatte an der Rezeption gefragt, aber sie war nicht in dem Gasthof abgestiegen. Er parkte neben dem Auto des Grafen und schob den Gedanken an Flora wieder einmal von sich.

Es ging jetzt um mehr. Er ließ den Blick schweifen, seine Brust schwoll an. Wie schön war doch dieses Fleckchen Erde! Er fühlte sich hier wohl, und wenn Angela Vernunft annahm, dann würden sich hier in Zukunft noch sehr viele Menschen wohl fühlen.

Da von der Prinzessin nichts zu sehen war, betrat Stephan den Innenhof und begab sich zu den Räumen, die sie sich wohnlich eingerichtet hatte. Sie öffnete ihm die Tür, ehe er anklopfen konnte.

»Schön, daß Sie so schnell gekommen sind.« Sie lächelte ihn an, und ihre blauen Augen strahlten, so wie er es noch nie gesehen hatte.

»Das war doch selbstverstandlich!« murmelte er und konnte den Blick nicht von ihr lösen.

»Komm, ich habe eine Überraschung für dich!« Sie streckte die Hand nach ihm aus, sah, daß sich seine Verwirrung vergrößerte, und lachte glockenhell auf. »Ich denke, es ist an der Zeit, daß wir das Sie weglassen. Das ist doch auch in deinem Interesse?«

Stephan nickte. Er verstand Angela nicht. Auch wenn sie sich noch so gut unterhalten hatten, war sie auf eine gewisse Distanz bedacht gewesen. Er räusperte sich. Er mochte sie sehr, nur… Da nahm sie seinen Arm und zog ihn in ihre Wohnung.

Stephans Blick fiel auf den Grafen, der am Fenster lehnte. Dieser nickte ihm zu, wie es Stephan schien, nicht ungehalten. Er begriff immer weniger. Dann nahm er aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr. Er dreht den Kopf und sah Flora.

»Du? Was tust du hier?« Er eilte auf sie zu. Der ersten Regung folgend wollte er sie in die Arme nehmen. »Ich habe mich schon gefragt, wo du geblieben bist«, sagte er dann jedoch etwas steif. Er beugte sich über sie und berührte nur flüchtig mit den Lippen ihre Wange.

Abrupt wandte er sich dann von ihr ab. »Angela, das ist eine Freundin von mir. Wir kennen uns aus New York.«

»Die Prinzessin weiß Bescheid«, sagte Flora hinter ihm. Sie konnte nicht verhindern, daß ihr Herz laut schlug. Jetzt würde sich herausstellen, ob Stephan sich in die Prinzessin verliebt hatte. »Prinzessin Angela will dir etwas sagen.« Nur kurz hatte sie den Blick gehoben – jetzt sah sie wieder vor sich hin.

»Ja?« Sein Blick glitt zwischen Angela und Flora hin und her. Angela kam auf ihn zu. Sie tat etwas, was sie noch nie getan hatte, sie legte ihm ihre Arme um den Nacken. »Zuerst möchte ich dich herzlich auf der Burg Rittlingen begrüßen.« Sie küßte ihn mitten auf den Mund.

Stephan rührte sich nicht. Er versuchte über Angelas Schulter auf Flora zu sehen. Was mußte diese sich jetzt denken!

Angelas Arme glitten von seinen Schultern. Er versuchte gar nicht, sie festzuhalten. »Ich habe es mir überlegt«, hörte er sie sagen. »Ich werde mir von dir helfen lassen. Die Burg soll im alten Glanz auferstehen. Wir werden ein Hotelrestaurant mit Aussichtsterrasse einbauen. Alles wird dann dir und mir gehören.«

Wie meinte sie das? Sie sah ihn mit leuchtenden Augen an. »Schön, sehr schön«, murmelte er, aber sein Blick suchte Flora.

Graf Oliver war ein stiller Beobachter gewesen, jetzt stieß er sich vom Fenster ab. Er fand es an der Zeit einzugreifen. »Stephan, sind Sie bereit, Geld zur Renovierung der Burg zur Verfügung zu stellen?«

»Natürlich! Ich habe dies Angela auch angeboten. Sie wollte davon nur nichts wissen. Sie drohte, mir sogar die Freundschaft aufzukündigen, falls ich noch einmal die Sprache darauf bringen würde.« Er warf der Prinzessin einen unsicheren Blick zu. »Graf Oliver, haben Sie sich inzwischen davon überzeugt, daß es bei der Finanzierung keine Probleme geben würde? Ich kann über genügend Geld verfügen.« Stephan sprach immer hastiger. »Ich möchte Angela helfen. Die Idee mit dem Burghotel finde ich großartig. Ich würde Angela die nötige Summe zur Verfügung stellen. Wenn das Hotelrestaurant dann einmal etwas abwirft, kann sie mir das Geld zurückzahlen. Ich meine, wenn sie nichts geschenkt haben will.« Er wagte nicht, Angela anzusehen, sein Blick huschte wieder zu Flora hin, die noch immer unbeweglich am Tisch saß. Er wußte nur eines, sie wollte er nicht verlieren. Er wollte sie auch nicht gegen eine Burg und gegen eine Prinzessin eintauschen.

Er sah nicht das amüsierte Aufblitzen in Angelas Augen. Als er wieder einmal zu ihr hinsah, schob sie die Unterlippe schmollend nach vorn. »Ich dachte, du und ich… Du weißt, wir haben uns sofort verstanden. Wir fühlen gleich.«

»Das stimmt! Ich hatte das Gefühl, dich schon lange zu kennen. Ich habe deine Nähe gesucht, weil ich mich bei dir wohl fühlte.« Er war nun auch zum Du übergegangen. Nun wußte er jedoch nicht weiter und sah sich hilfesuchend nach Oliver um.

»Ich denke, Stephan hat den Test bestanden. Nun, Flora, jetzt sind Sie an der Reihe.« Oliver nickte seiner Verbündeten zu.

»Wirklich?« Ein zaghaftes Lächeln erschien auf Floras Gesicht. »Oh, Stephan! Ich bin so glücklich!«

Sie sprang auf, und dann lag sie an Stephans Brust. Sie lachte und schluchzte gleichzeitig. »Willst du mich noch? Ich will bei dir sein und nicht irgendwo in der Karibik filmen.«

»Und ob ich das will!« Stephan vergaß den Grafen, vergaß die Prinzessin. Es gab für ihn nur noch Flora. Sie küßten sich innig und voller Leidenschaft. Als er dann langsam in die Wirklichkeit zurückkehrte, merkte er, daß Oliver und Angela es ihnen nachgemacht hatten, sie küßten sich ebenfalls voller Hingabe. Da lachte er.

Später redeten sie zu dritt auf ihn ein, und so dauerte es eine Weile, bis Stephan alles begriff.

Da nahm er Angela in die Arme und küßte sie liebevoll auf den Mund.

»Meine Verwandte«, sagte er gerührt, und die Stimme wollte ihm kaum gehorchen. »Ich habe eine Familie! Ich weiß, woher ich stamme! Nun werden wir dafür sorgen, daß diese Familie nicht ausstirbt.« Er überließ Angela wieder Oliver, um erneut Flora in die Arme zu nehmen.

Fürstenkrone Staffel 6 – Adelsroman

Подняться наверх