Читать книгу Erik Neutsch: Der Wahrheit ein Stück näher - Marita Neutsch - Страница 8

Zwei neue Projekte

Оглавление

Seit dem Weiterschreiben am 5. Buch gab es zwei längere Unterbrechungen. Was waren die Gründe dafür?

Im Januar 2009 war mein Vater plötzlich mit einem ganz anderen Projekt beschäftigt. Sein ehemaliger Lektor, Klaus Walther, äußerte sich dazu: "Gegen Ende des Jahres 2008 klingelte mein Telefon. Es war Klaus Höpcke. Wir kannten uns gut aus der Zeit als Verlagslektor und waren uns auch später bei literarischen Gelegenheiten begegnet. Er fragte mich, ob ich die Reihe der Gesprächsbücher des Verlags Das Neue Berlin kenne, in der gerade, nach dem Band mit Hermann Kant, ein weiteres Buch von Irmtraud Gutschke mit Eva Strittmatter erschienen war. Ich bejahte, und er fragte, ob ich mir vorstellen könne, ein solches Gespräch mit Erik Neutsch zu führen. Ich war ja in meiner Zeit im Mitteldeutschen Verlag etliche Jahre sein Lektor gewesen. Nach der Wende hatten wir uns aus, wie ich heute denke, Missverständnissen entfremdet, es herrschte zwischen uns Funkstille. Ich bat mir ein paar Tage Bedenkzeit aus und fragte, ob denn Erik Neutsch einem solchen Gesprächspartner zustimmen würde. Ja, sagte Klaus Höpcke, das würde er. So kamen wir nach Jahren wieder zusammen." (In: "Spur des Lebens" , "Eine Vorgeschichte" von Klaus Walther, S.5) Mein Vater hatte sich von Klaus Höpcke, der übrigens von 1973 bis 1989 stellvertretender Kulturminister der DDR war, und beide kannten sich schon seit ihrer Studentenzeit in Leipzig, für dieses Gesprächsbuch überzeugen lassen.

Durch dieses Buch wurden viele Gedanken und viele Erlebnisse, auch Familiäre, festgehalten. Es macht neugierig auf Neutsch Bücher. Damit ist "Spur des Lebens" ein wertvolles Zeitdokument. Ich nutze es für dieses Buch. Aber andererseits hat dieses "Biografiebuch", wie ich es nenne, das 2010 erschien, ihm fast zwei Jahre Zeit gekostet! Wie ich meine, wertvolle Zeit, die ihm für die Vollendung des Romanzyklus fehlte. Er verglich übrigens seine Arbeitsleistung an diesem Buch mit dem Umfang einer Dissertationsarbeit, auch wenn es "nur" über sich war. Aber diese Feststellung von ihm selbst sagt wohl genug aus.

Kaum aber war das Buch "Spur des Lebens" beendet, nahm ihn eine andere, sicher auch sehr interessante Aufgabe, in Anspruch. Anlässlich seines 80. Geburtstages 2011, hatten er und der Vorstand seiner Stiftung die Idee, einen Erik-Neutsch-Literaturwettbewerb für junge Nachwuchsautoren auszuschreiben. Zu diesem Zeitpunkt ahnte mein Vater noch nicht, wie viel Arbeit damit auf ihn zukommen würde. Jedenfalls wurde er nun wieder vom Schreiben am 5. Buch abgehalten.

Die Erzählungen der jungen Autoren haben ihn damals allerdings sehr nachdenklich gemacht. Teilweise war er regelrecht erschüttert, über welche schlimmen Erlebnisse sie in ihren Geschichten geschrieben haben, die sie meist erlebt hatten, und meinte zu mir: "Was mussten diese jungen Leute nicht schon alles ertragen!" Und wie es so seine Art war, schimpfte er sofort auf die gegenwärtigen gesellschaftlichen Zustände in diesem Land. Er war glücklich, wie er immer betonte, eine andere Zeit kennengelernt zu haben.

Am 30.November 2012 fand die feierliche Preisverleihung dieses literarischen Wettbewerbs im Salon der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin statt. Mein Vater war an jenem Abend sehr aufgeregt. Bestärkt wurde dies noch durch den Sachverhalt, dass die Veranstaltung etwa eine halbe Stunde später beginnen musste. In einer der Tageszeitungen in Berlin wurde die Veranstaltung mit einem anderen Ort angegeben. Nun hoffte man noch auf die angeblich "verirrten" Gäste. Aber fehlgeschlagen. Es blieb bei den wenigen Zuhörern, darunter wir, ein kleiner Teil der Familie.

Mein Vater sprach als Stifter die Begrüßungsworte und begründete seine Vorstellungen für diesen ausgeschriebenen Preis, der vielleicht, so seine Hoffnung, in der Zukunft in regelmäßigen Abständen für junge literarische Schreiber vergeben werden sollte. Er erinnerte sich in seiner Rede an seine Anfangszeit des Schreibens, vor allen Dingen an die für ihn so mutmachenden Worte von Anna Seghers. Nun aber, da er die 80 bereits überschritten hatte, wollte er auch junge Leute unterstützen, vor allen Dingen solche, die die Welt kritisch betrachten. Ihnen wollte er Mut machen zum Weiterschreiben.

Aber er nahm auch, wie konnte es anders bei ihm sein, diese Gelegenheit seines öffentlichen Auftretens natürlich beim "Schopfe" und kritisierte u.a. auch die Medien, die sich zwar links sahen, aber nach seiner Auffassung waren sie weit davon entfernt. Er ging auf seine Zeit als Kulturredakteur in der Zeitung "Freiheit" in Halle ein und zog dann einen großen Bogen bis hin zur Gegenwart.

Danach sprachen noch andere, so auch Eberhard Panitz. Es folgten die Lesung der prämierten Texte, Musik und schließlich die Preisverleihung an drei junge Nachwuchsautoren. Meinem Vater sah ich an, dass er diesen, seinen Auftritt, sehr genoss.

Was ich damals nicht wissen konnte, ich sah meinen Vater zum letzten Mal.

In den Medien aber, auch bei den LINKEN, so stellte ich anschließend fest, spielte dieses Ereignis des Literaturwettbewerbs keine besondere Rolle. Erst zwei Jahre später wurden mit Unterstützung der Rosa - Luxemburg - Stiftung Textausschnitte von den Preisträgern als auch von einigen anderen jungen Nachwuchsautoren, die sich am Literaturwettbewerb 2012 beteiligt hatten, in dem Buch "Was bedeutet das alles überhaupt" veröffentlicht. Abgesehen von der wirklich lieblosen Gesamtaufmachung bis hin zur falschen Jahresangabe des Literaturwettbewerbs, musste ich registrieren, dass die Worte meines Vaters zur Verleihung seines gestifteten Preises für junge Literaten wieder keine Rolle spielten. Dafür stehen nun ein Vorwort von Klaus Höpcke als auch die Rede von Eberhard Panitz, die er am Tag der Preisverleihung gehalten hatte, in diesem Sammelwerk.

Erik Neutsch: Der Wahrheit ein Stück näher

Подняться наверх