Читать книгу Meine Zeit in Nigeria: »Everything happens for a Reason« - Maritta Hermens - Страница 9
Kapitel 3 MARITTA UND KAREN
ОглавлениеDie beiden Frauen – Maritta und Karen – lernten sich im College in Halifax, Kanada, kennen und verstanden sich trotz des 20-jährigen Altersunterschiedes sofort sehr gut. Als nun Maritta Karen fragte, ob sie mit ihr an einem Schulprojekt in Afrika arbeiten wollte, wusste Karen nicht, was sie sagen sollte und erbat sich eine Woche Bedenkzeit. Sie war noch nie außerhalb von Nordamerika gewesen und außerdem noch nie so weit entfernt von ihrer Familie. Sicherlich weil sie ledig war und ohne Kinder, hatte sie ein enges Verhältnis zu ihren Eltern und Geschwistern. Leider hatte Karen, als Maritta in Südkorea arbeitete, ihren Job beim Halifax College wegen dessen Budgetkürzungen verloren und war zu diesem Zeitpunkt, wie man auf English sagt: »In between jobs« (arbeitslos). Sie meinte nachdenklich: »Vielleicht ist jetzt der richtige Moment gekommen, etwas mehr Unabhängigkeit von meiner Familie zu erleben.«
Maritta hatte kein Problem mit Entfernungen. Sie war ja als junge Frau nach Kanada ausgewandert und hatte mit Anfang 50 begonnen, in Südkorea zu arbeiten. Aber auch für sie war es anfangs schwer gewesen, sich von ihren schon erwachsenen Kindern und Enkelkindern zu trennen. In den ersten Jahren flog sie daher öfter nach Kanada, um ihre Kinder zu besuchen.
Karen, die schon immer sehr intuitiv war, versuchte in der Zwischenzeit zu ergründen, ob sie wirklich in Afrika arbeiten wollte. Nach zwei Wochen Bedenkzeit schrieb sie Maritta eine E-Mail und sagte zu. Daraufhin schickte diese ihr ein Flugticket und Bargeld für eventuell. anfallende Kosten, wie zum Beispiel einen Antrag auf ein nigerianisches Visum, einen Reisepass und noch vieles andere. Die ganze Vorbereitung für Karens Reise nach Nigeria dauerte ungefähr fünf Monate. Deshalb war Maritta schon zwei Monate vor Karens Abreise dorthin geflogen, um zu sehen, wie weit der Architekt (zuständig für das Schulprojekt) mit seinen Vorbereitungen war. Da Maritta damals in Südkorea lebte, war es einfacher für sie, die nötigen Geschäftsreisen von dort aus zu erledigen. Für das zusätzliche Projekt benötigten sie Maschinen, die noch in China angefertigt werden mussten, ebenso einen Ingenieur, der die Maschinen betreuen oder Abänderungen vornehmen konnte.
Die Idee zu Beginn war, für Kinder, die wegen der Armut der Eltern keine Möglichkeit hatten, zur Schule zu gehen, eine kleine Schule zu bauen. Um aber die Mittel für dieses Projekt aufzubringen, mussten entweder jedes Jahr Spenden gesammelt oder eine andere konstante Geldquelle gefunden werden. So kam Maritta auf die Idee, eine Bleistiftfabrik zu bauen. Diese Bleistifte sollten nicht aus Holz, sondern aus recyceltem Papier angefertigt werden. Ende der 90er gab es so etwas noch nicht auf dem internationalen Markt. Maritta hatte in Südkorea durch Zufall die Bekanntschaft eines Chinesen gemacht, der diese Bleistifte erfunden hatte. Er war in Korea, um Firmen von seiner Idee zu überzeugen, und dass sie die dafür benötigten Maschinen bei ihm bestellten. Er lud Maritta nach China ein, um ihr seine Idee und die Machbarkeit dieses Bleistiftes vorzustellen. Als der Plan mit dem Nigeria-Projekt immer konkreter wurde, entschloss sich Maritta nach Peking zu fliegen, um die Maschinen vor Ort zu sehen. Sie erkannte sofort das Potential dieser Bleistifte. Sie war während ihrer früheren Besuche in Nigeria oft mit dem Abfall auf den Straßen und in den Wäldern Abujas und Umgebung konfrontiert worden. Zum größten Teil bestand dieser Abfall aus Zeitungen und anderen Papieren. Immerhin ist Abuja der Hauptsitz der nigerianischen Regierung. In jedem Land wird viel Papier produziert, welches später in den Abfall gelangt. Vielleicht wäre dies eine Lösung, um wenigstens einen Teil dieses Abfalls zu entsorgen, dachte Maritta.
Bei ihrem nächsten Direktor Meeting in Abjua präsentierte sie ihre Idee, die sofort von allen Direktoren genehmigt wurde. Danach flog sie mit dem Auftrag, die benötigten fünf Maschinen innerhalb von 8 Monaten nach Lagos zu schaffen, wieder nach China. Von Lagos aus nach Abuja sollte der Transport der Maschinen dann per LKW erfolgen. Das hörte sich natürlich alles sehr einfach an, aber Maritta lernte sehr schnell, dass in Nigeria nichts gemacht wird, ohne die eine oder andere Hand zu »schmieren«.
Zurück in Korea, erfuhr Maritta zufällig durch einen ukrainischen Ingenieur, der bei Samsung in Suwon, Korea, arbeitete, dass dessen Freund auch Ingenieur war und Arbeit suchte. Und das Beste war, er schien sogar gewillt zu sein, in Nigeria zu arbeiten. Also musste sie nach Kiew reisen, um mit ihm zu verhandeln. Und das war noch längst nicht alles, was an Vorarbeit im Ausland zu leisten und an notwendigen Kontakten zu knüpfen war, damit das Projekt eine Chance hatte, ehe Maritta und Karen nach Abuja kommen konnten.
Als Maritta in Abuja ankam, stand noch keine dauerhafte Unterkunft für sie bereit. Deshalb wohnte sie in einem Hotel, bis auch Karen Ende April anreiste. Nun versuchten sie gemeinsam, sich mit dem Leben in Abuja vertraut zu machen. Sie bekamen einen Fahrer und ein Auto gestellt. Vieles war eine sehr große Umstellung, nicht nur für Maritta, sondern auch besonders für Karen. In Nigeria gibt es zwei Jahreszeiten, die trockene und die nasse. Anfang März, als Maritta ankam, war die trockene Saison. Das bedeutete meistens über 40 Grad im Schatten. Sich draußen aufzuhalten, war fast unmöglich. Sie ging nur von einem klimatisierten Hotel in ein klimatisiertes Auto und dann in irgendwelche klimatisierten Behördenstellen, die für ihren Aufenthalt und das Projekt notwendig waren. Im Juli fängt meistens die Regenzeit an, dann wird es etwas kühler, dafür aber ist es sehr schwül. Die niedrigste Temperatur ist meistens um 25 Grad. Wegen der Schwüle fühlt sich das noch um 5 bis 10 Grad wärmer an.
Karen hatte am Anfang sehr große Probleme, sich an das Klima zu gewöhnen. Sie machte aber trotzdem das Beste aus dieser Situation, wie immer. Karen war bekannt dafür, eine sehr positive Einstellung für alles zu haben. Dies wurde natürlich sehr oft auf die Probe gestellt. Kurz nach Karens Ankunft konnten die beiden »weißen Frauen« in ein Haus einziehen, das für nur zwei Personen unglaublich groß war. Es war eines von den großen Häusern, die in der Gegend sofort auffielen und die sich hinter hohen Mauern mit verschlossen Toren versteckten. Alles, was dort irgendwie mit einem Schloss versehen werden konnte, wurde abgeschlossen, auch was die Möbel in ihrem Haus betraf. In den Schlafzimmern von Maritta und Karen hatte jeder einen riesigen, fast 2 Meter hohen Schrank. Jedes Fach, ob es eine Schublade war oder ein Kleiderschrank, alles hatte einen Schlüssel. Nicht etwa einen Schlüssel für alle Türen, nein, jedes Fach hatte einen eigenen Schlüssel.
Maritta und Karen lachten darüber und meinten: »Vertraut wird hier wohl niemandem?«
Dies war auch der Tag, an dem sie Moses kennenlernten. Wenn die beiden jetzt zurückschauen, dann sagen sie nur: »Der Herrgott muss uns Moses geschickt haben, ohne ihn wäre alles viel schlimmer geworden!«
Es ist natürlich wichtig, etwas über das Land, die Menschen und nicht nur über Moses Mentalität zu erzählen. Oft kommen Ausländer, wie auch Maritta und Karen, mit ihren nordamerikanischen oder europäischen Vorstellungen nach Afrika und glauben, dass dort alles genau so sei, wie sie es kennen. Maritta hatte schon eine Vorahnung, dass es nicht so sein würde, aber wie schlimm es wirklich war, erfuhr sie sehr schnell. Sie waren beide in dieser Hinsicht doch sehr naiv gewesen. Dies trifft auch auf Moses und seinen Bruder Anton zu. Erst im Rückblick ist besonders Karen vieles bewusster geworden, was sie mit Rücksicht auf die kulturellen Unterschiede hätten vielleicht anders machen können.