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Das allmähliche Aufkündigen der Zukunft

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Ich möchte in diesem Buch die Behauptung untermauern, dass die Kultur des 21. Jahrhunderts durch einen die Zeit suspendierenden Stillstand und eine Unbeweglichkeit gekennzeichnet ist, wie Sapphire und Steel ihnen bei ihrem letzten Auftrag begegnen. Doch diese Stasis ist verborgen (und begraben) unter einer oberflächlichen Gier nach »Neuheit« und ständiger Bewegung. Das Durcheinandergeraten der Zeit, das Ineinanderfließen verschiedener Zeiten ist kei­ner Erwähnung mehr wert; es hat sich so verallgemeinert, dass wir es nicht einmal mehr bemerken.

In seinem Buch After the Future beschreibt Franco Berardi (Bifo), wie »das allmähliche Aufkündigen der Zukunft in den 1970ern und 1980ern an Fahrt aufnahm«, und er präzisiert:

»Dabei steht ›Zukunft‹ nicht einfach für die Richtung der Zeit. Eher denke ich an psychologische Dispositionen in einer kulturellen Situation, die durch fortschreitende Modernisierung charakterisiert zu sein scheint, oder auch an die im Verlauf des langen Aufstiegs der Moderne fabrizierten kulturellen Erwartungen, die in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg einen Höhepunkt erreichten. In derartige Erwartungen schreibt sich der konzeptionelle Bezugsrahmen einer unendlich voranschreitenden Entwicklung ein, wenn auch unterschiedlich ausgeformt: als hegelmarxistische My­tho­logie der Aufhebung, auf der die neue Totalität des Kom­munismus gründet, als bourgeoise Mythologie einer linearen Entwicklung von Wohlstand und Demokratie, als tech­nokratische Mythologie von der Allmacht der Wissenschaft etc.

Meine Generation wuchs in der Blütezeit einer solchen mythologischen Temporalisierung auf, und es ist sehr schwer, wenn nicht unmöglich, das wieder los zu werden und die Wirklichkeit nicht durch die Brille einer solchen Zeitwahrnehmung zu betrachten. Ich werde wohl niemals im Leben in der Lage sein, mich an diese neue Realität zu gewöhnen, ganz gleich, wie evident, unmissverständlich oder auch dramatisch die gesellschaftliche Konstellation dies nahelegt.«6

Bifo gehört der Generation vor mir an, doch stehen wir, was den Bruch in der Wahrnehmung der Zeit anbelangt, beide auf derselben Seite. Wie er werde ich wohl niemals wirklich imstande sein, mich auf die Paradoxien dieser neuen Situation einzustellen. Nun liegt die Versuchung ziemlich nahe, von hier aus in ein nur allzu vertrautes Narrativ zu verfallen, nämlich den Alten anzulasten, mit dem Neuen nicht zurecht­zukommen und lediglich zu beklagen, zu ihrer Zeit sei es besser gewesen. Doch gerade dieses Bild – einschließlich der Annahme, die Jungen stünden automatisch an der Spitze des kulturellen Wandels – ist heute überholt.

Es ist weniger das Besorgnis erregende oder Unverständnis auslösende »Neue« als vielmehr gerade das schiere Fort­bestehen identifizierbarer Formen, das all jene verstört, de­ren Erwartungen in früheren Zeiten geprägt wurden. Nirgend­wo wird dies deutlicher als in der populären Musikkultur. Die Veränderungen und Umbrüche im Pop dienten vielen von uns, die in den Sechzigern, Siebzigern oder Achtzigern aufwuchsen, als Maßstab und Gradmesser für einen sich vollziehenden kulturellen Wandel – wie auch für den Lauf der Zeit im Allgemeinen. Doch die Musik des beginnenden 21. Jahrhunderts löst gerade dies nicht mehr aus; der »Zukunftsschock« ist verschwunden. Ein einfaches Gedankenexperiment illustriert dies schlagend: Stellen wir uns vor, ein beliebiges in letzter Zeit veröffentlichtes Stück würde durch die Zeit zurückgebeamt, meinetwegen ins Jahr 1995, und liefe dort im Radio. Beim Publikum hielte sich die Überraschung in Grenzen. Ein Schock für die Hörerinnen und Hörer von 1995 wäre im Gegenteil wohl eher die Vertrautheit des Sounds: Sollte die Musik sich tatsächlich in den kommenden zwei Jahrzehnten so wenig verändern? Der Gegensatz zu den raschen Stilwechseln der 1960er bis 1990er Jahre ist unverkennbar: Ein 93er Jungle-Track beispielsweise hätte sich für Leute im Jahr 1989 so unerhört neu angehört, dass damit alles, was für sie Musik war oder hätte sein können, in Frage gestellt gewesen wäre. Beherrschte die experimentelle Popkultur im 20. Jahrhundert ein rekombinatorisches Delirium, getragen von der Emphase unbegrenzt verfügbarer Neuheit, so lastet auf dem 21. Jahrhundert der Alp der Endlichkeit und Erschöpfung. So fühlt sich keine Zukunft an. Oder vielmehr: Es fühlt sich an, als hätte das 21. Jahrhundert noch nicht einmal begonnen. Wir sitzen in der Falle des 20. Jahrhunderts, so wie Sapphire und Steel damals in ihrem Tankstellencafé.

Das allmähliche Aufkündigen der Zukunft ist von einer Deflation der Erwartungen begleitet. Es wird heute nur wenige geben, die überzeugt sind, in nächster Zeit sei mit der Veröffentlichung eines Albums vergleichbarer Größe wie meinetwegen Funhouse von den Stooges oder wie There’s a Riot Goin’ On von Sly and the Family Stone zu rechnen. Und noch weniger erwarten wir einen epochalen Bruch, wie ihn vielleicht die Beatles oder Disco brachten. Das Gefühl, zu spät dran zu sein, den Goldrausch verpasst zu haben, ist heute omnipräsent, auch wenn es allenthalben bestritten wird. Nun wird, wer die Ödnis der Gegenwart mit dem fruchtbaren Boden vergangener Zeiten vergleicht, gern und schnell der »Nostalgie« beschuldigt, doch setzen heutige Künstler in einer Weise auf längst etablierte Stilmittel, die zumindest nahelegt, eine Art formaler Nostalgie halte die Gegenwart in ihrem Griff – mehr dazu gleich.

Nicht, dass gar nichts passiert wäre in diesen Jahren des allmählichen Aufkündigens der Zukunft. Ganz im Gegenteil: Jene drei Jahrzehnte waren Zeiten massiven Wandels und traumatischer Veränderungen. In Großbritannien markierte die Wahl Margaret Thatchers zur Premierministerin das Ende der mitunter schwierigen Kompromisse, die den sozialen »Konsens« der Nachkriegszeit kennzeichneten. Thatchers neoliberales politisches Programm wurde begleitet und verstärkt durch eine transnationale Restrukturierung der kapitalistischen Ökonomie. Der Übergang zum sogenannten Postfordismus – mitsamt Globalisierung, einer All­gegenwart von Computern und der Prekarisierung der Lohn­arbeit – führte zu einer totalen Umwälzung der Art und Weise, wie Arbeit und Freizeit organisiert waren. In den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren schließlich verwandelten Internet und Mobilkommunikation die Struktur unserer Alltagserfahrungen grundlegend, teilweise bis zur Unkenntlichkeit. Immer deutlicher wird spürbar, vielleicht gerade aufgrund dieser ganzen Entwicklungen, dass Kunst und Kultur die Fähigkeit verloren haben, unsere Gegenwart zu fassen und zu artikulieren. Natürlich könnte es auch sein, dass es in einem gewissen, letztlich entscheidenden Sinn gar keine Gegenwart mehr gibt, die sich fassen und artikulieren ließe.

Betrachten wir nur das Schicksal der sogenannten futuris­tischen Musik. Im Popmusikbereich hat »futuristisch« schon lange aufgehört, sich auf eine zu erwartende, andersgeartete Zukunft zu beziehen; stattdessen bezeichnet das Konzept etablierte Stilmittel, ähnlich der Verwendung einer bestimmten Typographie. Als »futuristisch« gilt uns immer noch etwas in der Art der Musik von Kraftwerk, auch wenn deren Musik heute ebenso betagt ist wie es Glenn Millers Big-Band-Jazz in den frühen 1970ern war, als die deutsche Gruppe erstmals mit Synthesizern experimentierte.

Wo gibt es für das 21. Jahrhundert etwas Kraftwerk Vergleichbares? Entsprang die Musik von Kraftwerk einem Mo­ment der Unzufriedenheit dem Etablierten gegenüber, so charakterisiert die Gegenwart ein seltsames Arrangement mit der Vergangenheit. Mehr noch, die Unterscheidung zwi­schen Vergangenheit und Gegenwart selbst bricht gerade zu­sammen. 1981 schienen die sechziger Jahre weit ferner als heute. Seither ist in der Kultur die Zeit kollabiert, und lineare Entwicklung wich einer merkwürdigen Simultaneität.

Zwei Beispiele mögen genügen, diese seltsame Zeitlichkeit zu illustrieren. Als ich das Video zur 2005er Single »I Bet You Look Good On The Dancefloor« von den Arctic Monkeys zum ersten Mal sah, glaubte ich ernsthaft, es sei irgendein verschollenes Stück aus der Zeit um 1980. Alles in dem Video – Licht, Kleidung, Haarschnitte – erweckte den Eindruck, es handle sich um einen Ausschnitt aus The Old Grey Whistle Test, der »seriösen« Rockmusik-Show jener Zeit auf BBC 2. Zudem gab es zwischen Look und Sound keinerlei Diskrepanz. Zumindest beim oberflächlichen Hören hätte das Ganze genauso gut von einer Post-Punk-Gruppe aus den frühen Achtzigern stammen können. Analog zum oben beschriebenen Gedankenexperiment ist »I Bet You Look Good On The Dancefloor« deshalb durchaus als ein Beitrag in The Old Grey Whistle Test vorstellbar, ohne das Publikum von 1980 zu verwirren. Und den Verweis auf »1984« im Chorus hätten damalige Hörerinnen und Hörer – wie ich auch – ebenso gut auf die Zukunft beziehen können.

Das Ganze ist allemal frappierend. Drehen wir die Zeit von 1980 aus 25 Jahre zurück, gelangen wir zu den Anfängen des Rock’n’Roll. Doch Musik, die an Buddy Holly oder Elvis erinnerte, hätte in den Achtzigern unzeitgemäß geklungen. Natürlich erschienen damals solche Stücke, aber sie galten als Retro und wurden entsprechend vermarktet. Wenn die Arctic Monkeys 2005 nicht als Retro-Gruppe angesehen wurden, so nicht zuletzt deshalb, weil es kein »Jetzt« gab, von dem sich ihre Rückwendung abhob. In den 1990ern war es möglich, etwas wie das Revival des Britpop durch den Vergleich mit experimentellen Strömungen im britischen Dance Underground oder im US-amerikanischen R&B einzuordnen. Doch 2005 hatte die Innovationsrate auf beiden Gebieten immens nachgelassen. Auch wenn die britische Dance-Szene sehr viel lebendiger als Rock bleibt, be­s­chränkt sich der Wandel auf verschwindend geringe, inkrementelle und überwiegend nur von Eingeweihten wahrnehmbare Veränderungen – es gibt keinen der Umbrüche, wie sie in den Neunzigern zu hören waren, als Rave von Jungle und Jungle von Garage abgelöst wurde. Während ich diese Zeilen schreibe, erinnert eine der dominanten Strömungen im Pop – der globalisierte Club-Sound, der R&B ver­drängt hat – überdeutlich an Euro-Trance, einen besonders langweiligen europäischen Cocktail aus den 1990ern, zusammengerührt aus den fadesten Bestandteilen von House und Techno.

Zweites Beispiel. Zum ersten Mal hörte ich »Valerie« in der Version von Amy Winehouse, als ich durch ein Einkaufszentrum lief, im Übrigen vielleicht der perfekte Ort für das Stück. Bis dahin hatte für mich festgestanden, dass die Zutons, eine Indie-Rock-Band, »Valerie« erstmals aufgenommen hatten; doch der antiquierte Sixties-Soul-Sound der nun gehörten Aufnahme und auch der Gesang (den ich beim flüchtigen Hören zunächst nicht als den von Amy Winehouse identifizierte) erschütterten vorübergehend meine Überzeugung: Handelte es sich bei der Aufnahme der Zutons nicht um ein Cover dieser offenbar »älteren« Nummer, die ich bislang nur noch nicht gehört hatte? Natürlich dauerte es nicht lange zu erkennen, dass der Sixties-Soul-Sound lediglich eine Simulation war und hier der Zutons-Song gecovert wurde, arrangiert in dem aufgemotzten Retro-Stil, auf den sich Mark Ronson, der Produzent des Albums, spezialisiert hatte.

Ronsons Produktionen illustrieren beinahe mustergültig, was Fredric Jameson die »Nostalgie-Welle« nennt. Jameson identifizierte diese Tendenz bereits Anfang der 1980er Jahre in bemerkenswert vorausschauenden Essays zur Postmoderne.7 »Valerie« oder die Arctic Monkeys sind für das postmoderne Retro so typisch durch die Art und Weise, wie der Anachronismus umgesetzt wird. Sie klingen »historisch« ge­­nug, um die Performance beim ersten Hören als einer nachgemachten Vergangenheit zugehörig durchgehen zu lassen, doch gleichzeitig stimmt irgendwas nicht. Diskrepanzen in der Textur – Ergebnis moderner Studio- und Aufnahmetechniken – verweisen darauf, dass sie weder der Gegenwart noch der Vergangenheit angehören, sondern einer vermeintlich »zeitlosen« Epoche, ewigen Sechzigern oder ewigen Achtzigern. Deren »klassischer« Sound kann dank neuer Technologie immer wieder aufpoliert werden und lässt dabei die Zwänge seines historischen Entstehungszusammenhangs ganz hinter sich.

Wenn Jameson eine Nostalgiewelle diagnostiziert, so bezeichnet dies – und es ist wichtig, sich darüber im Klaren zu sein – kein psychologisches Phänomen. Tatsächlich schließt Jamesons theoretischer Ansatz das Psychologische sogar eher aus, da die Nostalgiewelle, die er vor Augen hat, in dem Moment ins Rollen kommt, da ein historisches Verständnis von Zeit zusammenbricht. Eine Gestalt, die in der Lage ist, echte Sehnsucht nach der Vergangenheit zu zeigen und auszudrücken, gehört hingegen geradezu paradigmatisch zur Moderne – zu denken wäre etwa an die überragende Art, in der Marcel Proust oder James Joyce das Einholen verlorener Zeit zum Gegenstand machen. Jamesons Nostalgiewelle ist daher eher im Sinn einer formalen Hinwendung zu Techniken und Formen der Vergangenheit zu verstehen, eine Konsequenz der Absage an die mit der Moderne verbundene Anforderung, zeitgenössische Erfahrung zum Maßstab der Innovation kultureller Formen zu machen. Jamesons Beispiel ist der heute halb vergessene Film Body Heat (dt. Heißblütig – Kaltblütig) von Lawrence Kasdan aus dem Jahr 1981, der, obwohl die Handlung »eigentlich« in den Achtzigern situiert ist, den Eindruck erweckt, als spiele er in den dreißiger Jahren. Body Heat sei, so Jameson,

»technisch gesehen kein Nostalgiefilm, da der Ort der Handlung eine zeitgenössische Kleinstadt in Florida ist, nicht weit von Miami. Tatsächlich aber bleibt diese Zeitgenossenschaft sehr unklar. […] Technisch gesehen […] sind die Objekte (die Autos beispielsweise) Produkte der 1980er Jahre, doch alles in dem Film ist darauf angelegt, diese unmittelbaren zeitgenössischen Bezüge zu verschleiern und es so zu ermöglichen, ihn zugleich als einen Nostalgiefilm zu rezipieren – als eine Erzählung, die in einer undefinierten nostalgischen Vergangenheit angesiedelt ist, den ›ewigen‹ dreißiger Jahren etwa, außerhalb der Geschichte. Äußerst symptomatisch scheint mir, dass der Stil von Nostalgiefilmen heute auch Produktionen besetzt und kolonisiert, die in der Jetztzeit spielen, ganz so als ob wir, aus welchen Gründen auch immer, nicht in der Lage wären, uns auf unsere eigene Gegenwart zu konzentrieren, als ob uns die Fähigkeit abhandengekommen wäre, unsere Gegenwartserfahrung ästhetisch darzustellen. Doch wenn das zutrifft, ist es zugleich ein schreckliches Armutszeugnis für den Konsumkapitalismus – oder zumindest ein alarmierendes und pathologisches Symptom einer Gesellschaft, die außerstande ist, sich mit Zeit und Geschichte auseinanderzusetzen.«8

Die Weigerung, sich explizit auf die Vergangenheit zu beziehen, verhindert, dass Body Heat tatsächlich zu einem in einer früheren Zeit situierten Nostalgiefilm wird. Das Ergebnis ist ein Anachronismus besonderer Art, und paradoxerweise charakterisieren das »Verschleiern des Zeitgenössischen« und das »Schwinden von Historizität« zunehmend unsere kulturelle Erfahrung.9 Als ein weiteres Beispiel der von ihm beschriebenen Nostalgiewelle führt Jameson Star Wars an:

»Eine der prägenden kulturellen Erfahrungen der Generationen, die zwischen den 1930er und den 1950er Jahren aufwuchsen, waren Samstagnachmittagsserien in der Art von Buck Rogers: Da gab es außerirdische Schurken, wahre amerikanische Helden, Protagonistinnen in Not, Todesstrahlen und Weltuntergangsszenarien, und am Ende den Cliffhanger, dessen wundersamer Ausgang erst am Samstag darauf zu bestaunen war. Star Wars bringt diese Erfahrung in der Form eines Pastiche wieder zurück – ohne solche Serien zu parodieren, schließlich sind sie seit langem ausgestorben. Star Wars ist daher keine sinnfreie Satire auf jene toten Formen, sondern befriedigt vielmehr ein tiefes (und vielleicht sogar unterdrücktes?) Verlangen, sie zurückzuholen; so entsteht ein komplexes Objekt, bei dem auf einer ersten Ebene Kinder und Jugendliche die Abenteuer als solche rezipieren können, während das erwachsene Publikum ein tieferes und im eigentlichen Sinn nostalgisches Verlangen zu befriedigen in der Lage ist: das Begehren, in jene alten Zeiten zurückzukehren und die Erfahrung jener überaus merkwürdigen ästhetischen Artefakte noch einmal zu durchleben.«10

Es ist in diesem Fall keine Sehnsucht nach einer bestimmten Zeit oder Epoche (und falls doch, so allenfalls indirekt): Die Nostalgie, die Jameson hier beschreibt, ist die nach einer Form. Der postmoderne Anachronismus findet in Star Wars in besonderer Weise seinen Niederschlag, nicht zuletzt durch die Art, wie hier Technologie eingesetzt wird, um die Archaik der Form zu bemänteln. Die eigenen Ursprünge in verstaubten Abenteuerserien werden eskamotiert, und dank nie dagewesener, mithilfe modernster Technologie geschaffener Special Effects kann Star Wars als »neu« erscheinen. Baut Kraftwerk in geradezu paradigmatisch moderner Weise auf Technologie, um neue Formen hervortreten zu lassen, so dient der Einsatz von Technologie im Nostalgiemodus lediglich dem Zweck, das Alte aufzupolieren. Das Ziel lautet, das Verschwinden der Zukunft als ihr Gegenteil zu maskieren.

Die Zukunft verschwand nicht über Nacht. Bifos Formel vom »allmählichen Aufkündigen der Zukunft« ist so treffend, weil sie das sukzessive, doch zugleich unaufhaltsame Erodieren von Zukunft im Verlauf der vergangenen rund drei Jahrzehnte zu fassen erlaubt. Die späten 1970er und frühen 1980er waren zweifellos der Moment, als die gegenwärtige Krise kultureller Zeitlichkeit zum ersten Mal zu spüren war, doch sollte es noch bis ins erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts dauern, bis der von Simon Reynolds als »Dyschronie« bezeichnete Zustand endemisch wurde. Diese Dyschronie, diese temporale Disjunktion, sollte sich unheimlich anfühlen, doch die Prädominanz dessen, was Rey­nolds »Retromanie«11 nennt, führt dazu, dass dieser Zustand jedwede Dimension des Unheimlichen verloren hat: Der Anachronismus wird nunmehr als selbstverständlich hingenommen. Die von Jameson beschrieben Postmoderne mit ihren Vorlieben für Retrospektive und Pastiche wurde naturalisiert. Nehmen wir nur die erstaunlichen Erfolge von Adele: Obgleich ihre Musik nicht als Retro daherkommt, gibt es an den Stücken nichts für das 21. Jahrhundert Charakteristisches. Wie so viele Produktionen in der zeitgenössischen Popkultur vermitteln Adeles Alben ein vages doch bleibendes Gefühl von Vergangenheit, ohne an einen spezifischen historischen Moment zu erinnern.

Jameson sieht im postmodernen »Schwinden von Historizität« die »Logik der Kultur im Spätkapitalismus«, doch sagt er kaum etwas darüber, warum in seinen Augen beides synonym ist. Weshalb führte der Aufstieg des neoliberalen, postfordistischen Kapitalismus zu einer durch Retrospektion und Pastiche geprägten Kultur? Vielleicht lassen sich an die­ser Stelle ein paar vorläufige Überlegungen formulieren. Die erste bezieht sich auf den Konsum. Könnte die vom neoliberalen Kapitalismus vorangetriebene Zerstörung von Solidarität und Sicherheit nicht im Gegenzug die Sehnsucht nach Gängigem und Vertrautem gefördert haben? Paul Virilio etwa beschreibt eine »polare Trägheit«, in gewisser Weise eine Folge der massiven Beschleunigung im Bereich der Kommunikation und zugleich ein Gegengewicht dazu.12 Als Beispiel hierfür nennt Virilio Howard Hughes, der 15 Jahre lang in einem Hotelzimmer lebte, wo er ununterbrochen Ice Station Zebra schaute. Hughes, einst ein Luftfahrtpionier, war zu einem frühen Entdecker auf dem Terrain geworden, das der Cyberspace der menschlichen Existenz erschließen sollte, einem Terrain, auf dem der Zugang zur gesamten Kulturgeschichte keiner physischen Mobilität mehr bedarf. Bifo seinerseits macht geltend, die Intensivierung und Prekarisierung der Arbeit im Spätkapitalismus versetze die Menschen in einen Zustand ständiger Erschöpfung bei gleichzeitiger Reizüberflutung. Die Kombination prekärer Arbeit und digitaler Kommunikation führe zu permanentem Aufmerksamkeitsstress. Eine solche insomnische Überforderung führe dazu, die Kultur zu deerotisieren. Für Verführungskünste bleibe keine Zeit, so Bifo, und eine Mittel wie Viagra verweise entsprechend weniger auf ein organisches denn auf ein kulturelles Defizit: Weil es uns über die Maßen an Zeit, Energie und Aufmerksamkeit mangelt, suchen wir nach schneller Abhilfe. Retro verspricht – wie Pornographie, für Bifo ebenso exemplarisch – eine solche schnelle und bequeme Lösung, durch die nur minimale Variation schon vertrauter Befriedigung.

Eine andere Erklärung der Verknüpfung von Spätkapitalismus und Retrospektion stellt die Produktion in den Mittelpunkt. Ungeachtet aller Neuheit und Innovation beschwörenden Rhetorik hat der neoliberale Kapitalismus sukzessive, gleichwohl systematisch Künstlerinnen und Künstler der notwendigen Ressourcen beraubt, um Neues zu schaffen. In Großbritannien etwa bildeten Nachkriegs-Sozialstaat und nicht zuletzt Stipendien für Studierende eine Art indirekter Förderung für den größten Teil der Experimente in der Popkultur der 1960er bis 1980er Jahre. Der danach einsetzende ideologische und praktische Angriff auf den staatlichen Sektor und der Kahlschlag bei den öffentlichen Ausgaben bedeuteten eine massive Dezimierung der Räume, die Kunstschaffenden vor dem Zwang, etwas unmittelbar Erfolgreiches zu produzieren, eine Zuflucht boten. In dem Maß, wie der öffentliche Rundfunk »marktorientierter« wurde, ist in der kulturellen Produktion eine zunehmende Tendenz zu beobachten, dem bereits Arrivierten nachzueifern. Hinzu kommt, dass die gesellschaftlichen Möglichkeiten, sich zeitweise aus (bezahlter) Arbeit zurückzuziehen und sich ganz in eine künstlerische Produktion abseits des Marktes zu stürzen, drastisch reduziert sind. Wenn es etwas gibt, das mehr als alles andere zum Kulturkonservatismus beiträgt, so ist es die inflationäre Kostenentwicklung auf dem Wohnungs- und Immobilienmarkt. Nicht zufällig fällt die Blütezeit des künstlerischen Aufbruchs der Punk- und Post-Punk-Szenen in London und New York in die späten 1970er und frühen 1980er Jahre, als in diesen Städten reichlich billiger und besetzter Raum zur Verfügung standen. Seither verringerten der Niedergang des sozialen Wohnungs­baus, die harte Linie gegen Hausbesetzungen und die Kostenexplosion für Wohn- und Arbeitsräume die für die künstlerische Produktion disponible Zeit und Energie massiv. Doch vermutlich erst mit dem Siegeszug des digitalen Kommunikationskapitalismus spitzte sich diese Entwicklung endgültig krisenhaft zu. Der von Bifo beschriebene Aufmerksamkeitsstress betrifft natürlich die Künstlerinnen und Künstler ebenso wie das Publikum. Neues zu produzieren ist immer auf die eine oder andere Art mit einem Rückzug verbunden, sei dieser nun auf das soziale Umfeld oder auf bestehende formale Konventionen bezogen; angesichts der Dominanz sozialer Netzwerke mit ihren endlosen Möglichkeiten zu Mikrokontakten und einer Flut von YouTube-Links im Cyberspace jedoch wird ein solcher Rückzug schwieriger denn je. Tatsächlich hat sich in den letzten Jahren, Simon Reynolds brachte es auf den Punkt, das Alltagsleben beschleunigt, die Kultur hingegen verlangsamt.

Was immer die Gründe für die Pathologien der Zeitlich­keit sind, kein Bereich westlicher Popkultur ist immun dagegen. Was einmal als Inbegriff von »Zukunft« galt, wie die elektronische Musik, bietet keinen Ausweg aus formaler Nostalgie. In vielerlei Hinsicht steht die Musikkultur paradigmatisch für das Schicksal der Kultur im postfordistischen Kapitalismus. Auf der Ebene der Form dominieren Pastiche und Wiederholung. Gleichzeitig jedoch hat ein massiver und unabsehbarer Wandel die Infrastruktur erfasst: Die alten Konsum-, Vertriebs- und Handelsmuster lösen sich auf, das physische Objekt tritt hinter den Download zurück, Platten- und CD-Läden schließen, Cover-Art verschwindet.

Gespenster meines Lebens

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