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Erstes Paradoxon
Оглавление‘Ότι μόνον τὸ καλὸν αγαθόν.
Nur was sittlich schön ist, ist ein Gut.
I. 6. Ich befürchte, daß Mancher von euch glaubt, diese Abhandlung sei aus den Untersuchungen der Stoiker, nicht aber aus meiner eigenen Ueberzeugung geschöpft; doch ich will sagen, was ich denke, und ich will es kürzer sagen, als ein so wichtiger Gegenstand erheischt.
Niemals fürwahr bin ich der Ansicht gewesen, daß der Reichthum jener Leute, ihre prachtvollen Paläste, ihre Macht, ihre Staatswürden oder die sinnlichen Vergnügungen, an die sie am Meisten gekettet sind, unter die Zahl der guten und begehrenswerthen Dinge zu rechnen seien. Denn ich sah, daß Leute, die diese Dinge in reichster Fülle besaßen, dennoch das am Meisten begehrten, woran sie Ueberfluß hatten. Der Durst unserer Begierden wird ja nie gestillt, nie gesättigt, und die im Besitze dieser Güter sind, werden nicht nur durch die Begierde sie zu vermehren gequält, sondern auch durch die Furcht sie zu verlieren.
In den Handschriften wird gelesen commutabilia pecuniae membra. Nach dem Vorgange Bentley's hält Halm die Worte pecuniae membra mit Recht für ein Glossem und hat sie in Klammern eingeschlossen. Schütz muthmaßt pecuniae munera, Peerlkamp fortunae munera; Orelli hält bloß membra für unächt, so daß der Genitiv pecuniae von haec imbecilla et commutabilia abhienge, was aber, namentlich bei Cicero, viel zu hart sein würde. mit dem Namen »Güter« bezeichnen zu müssen meinten, da sie doch in Wirklichkeit und in ihren Thaten ganz anders geurtheilt hatten.
Kann ein Gut irgend Einem zum Schaden gereichen? oder kann irgend Jemand beim Ueberflusse an Gütern selbst nicht gut sein? Nun aber sehen wir, daß alle jene Dinge von der Art sind, daß auch schlechte Menschen sie besitzen und rechtschaffene sie entbehren 11 .
Bias, einer der sieben Weisen, aus Priene in Jonien, um 600 v. Chr. war es, wie ich meine, der unter die Sieben gezählt wird, – der, als der Feind seine Vaterstadt Priene eingenommen hatte, und alle Anderen auf ihrer Flucht Vieles von ihren Habseligkeiten mit sich nahmen, Einem, der ihn ermahnte ein Gleiches zu thun, zur Antwort gab: »Ich thue es ja; denn ich führe alle meine Habe bei mir.« 9. So hielt also dieser Mann jene Spielwerke des Glückes, die wir sogar Güter nennen, nicht einmal für sein Eigenthum.
Was ist also, wird man fragen, ein Gut? Wenn Etwas auf eine rechtmäßige, anständige und tugendhafte Weise gethan wird, von dem sagt man, es sei gut gethan, und was rechtmäßig, anständig, mit der Tugend übereinstimmend ist, das allein halte ich für ein Gut.
odiosiora. Die Lesart obscuriora bei Orelli, Moser u. A. beruht auf schwacher Autorität. erscheinen, wenn sie allzu trocken 12 erörtert werden; durch das Leben und die Thaten berühmter Männer aber werden sie in ein helleres Licht gesetzt 13 . Denn ich frage euch, ob wol die Männer, die uns unseren Staat so vortrefflich gegründet hinterlassen haben, irgend einen Gedanken an Geld zur Befriedigung ihrer Habsucht oder an anmuthige Gegenden zur Ergötzlichkeit oder an Hausgeräth zur Ueppigkeit oder an Gastmähler zum Dienste ihrer Sinnlichkeit gehabt haben.
Die Handschriften haben: unum quemque regum. Madvig bemerkt richtig regum könne nicht stehen, da im Folgenden auch von Anderen die Rede sei. Halm hat daher das Wort als unächt in Klammern eingeschlossen. Aber unum quemque allein ist hart; ich glaube daher, Cicero habe geschrieben: unum quemque eorum, und regum sei eine Glosse von eorum. vor Augen. Wollt ihr mit Romulus beginnen? wollt ihr nach Befreiung unseres Staates mit dessen Befreiern selbst? Auf welchen Staffeln stieg Romulus in den Himmel? Waren es etwa die sogenannten Güter dieser Welt? oder nicht vielmehr Heldenthaten und Verdienste? Wie? Mit Numa Pompilius 14 ? Meinen wir, seine geringen Opferschalen und irdenen Krüglein wären den unsterblichen Göttern minder angenehm gewesen als die künstlich gearbeiteten 15 Opferschalen Anderer? Ich übergehe die übrigen; denn sie sind sich alle, Superbus ausgenommen, einander gleich. Ueber Lucius Junius Brutus s. zu Cato Kap. 20, §. 75., wonach er bei der Befreiung seines Vaterlandes strebte, fragt man ebenso die übrigen Mitgenossen des nämlichen Unternehmens, was sie beabsichtigten, welchen Zweck Tarquinius Superbus bewog nach seiner Vertreibung aus Rom den Porsenna, den mächtigen König von Clusium, einer Stadt in Etrurien, die Römer zu bekriegen. Er drang bis zur Tiberbrücke vor und war schon im Begriff in Rom selbst einzudringen, als Horatius Cocles an der Brücke den Sturm des Feindes so lange aufhielt, bis die Brücke hinter ihm abgetragen war, worauf er sich in den Flut stürzte und trotz der feindlichen Geschosse glücklich an das jenseitige Ufer schwamm. S. Livius II. 10. Um aber Rom von der Belagerung zu befreien, faßte Gajus Mucius Cordus den Entschluß den Porsenna in seinem Lager zu tödten. Als Etrurischer Bauer verkleidet, begab er sich in das feindliche Lager und ermordete den Geheimschreiber des Königs, den er für den König selbst hielt. Vor Porsenna geführt, streckte er, um seine Gleichgültigkeit gegen die ihm angedrohten Martern zu zeigen, seine rechte Hand in ein danebenstehendes Becken mit glühenden Kohlen und ließ sie, ohne ein Zeichen des Schmerzes zu äußern, verbrennen. Porsenna, diese Unerschrockenheit anstaunend, schenkte ihm das Leben. Mucius erhielt nun den Beinamen Scävola, d. h. Linkhand. S. Livius II. 12. zur Ermordung des Porsenna? Welche Gewalt hielt den Cocles gegen das ganze feindliche Heer allein auf der Brücke? Welche nöthigte den alten Decius 16 , welche seinen Sohn sich dem Tode zu weihen und mit verhängtem Zügel in die bewaffneten Scharen der Feinde zu stürzen? Welchen Zweck verfolgte die Genügsamkeit des Gajus Fabricius 17 ? welchen die kärgliche Lebensweise des Manius Curius? welchen die beiden Vormauern im Punischen Kriege, Gnäus und Publius Scipio 18 , die es für ihre Pflicht hielten den Karthagern mit ihren Leibern das Vorrücken zu versperren? welchen der ältere Africanus? welchen der jüngere 19 ? welchen der zwischen diesen beiden lebende Cato 20 ? welchen unzählige Andere? Denn wir haben einen Ueberfluß an vaterländischen Beispielen. Können wir wol von diesen Männern annehmen, daß sie in ihrem Leben sich irgend etwas Anderes als begehrenswerth gedacht haben, als was preiswürdig und vortrefflich ist?
III. 13. So mögen denn jene Spötter dieses meines Vortrages und Grundsatzes kommen und nun auch selbst urtheilen, ob sie lieber Einem von denen gleichen wollen, welche marmorne, von Gold und Elfenbein glänzende Paläste, welche Bildsäulen, welche Gemälde, kunstvoll gearbeitetes Geschirr von Gold und Silber, welche Korinthische Kunstwerke im Ueberfluß besitzen, oder dem Gajus Fabricius, der von diesen Dingen Nichts hatte, Nichts haben wollte.
Wie die Epikureer. Vgl. Laelius 9, 32.
In dieser Behauptung glaube ich die Stimme eines unvernünftigen Thieres, nicht eines Menschen zu hören. Du, dem die Gottheit oder die Natur 21 , die Mutter aller Dinge, wenn ich so reden darf, einen Geist, der das vorzüglichste und göttlichste Gut ist, verliehen hat, du willst dich selbst so wegwerfen und erniedrigen, daß du zwischen dir und einem Vierfüßler keinen Unterschied findest?
Ist wol irgend Etwas ein Gut, das den, der es besitzt, nicht wirklich besser macht? 15. Denn je größer der Antheil ist, den Jemand an einem solchen Gute besitzt, desto lobenswürdiger ist er, und es gibt kein Gut, dessen sich nicht der Besitzer mit Ehren rühmen könnte.
Was findet sich aber hiervon in der Sinnenlust? Macht sie den Menschen besser oder lobenswürdiger? Brüstet sich wol Einer sich rühmend und preisend, wenn er sinnliche Vergnügungen genießt?
Nun denn, wenn die Sinnenlust, die von so Vielen in Schutz genommen wird, nicht unter die Güter zu zählen ist, sondern vielmehr, je größer sie ist, um desto mehr den Geist gleichsam aus seiner Fassung bringt und von seinem Standpunkte verdrängt: so heißt gut und glückselig leben in der That nichts Anderes als tugendhaft und rechtschaffen leben.